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Ort Basel-Stadt
Gegründet 2020
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«Hört euren wütenden Mädchen zu»

«Hört euren wütenden Mädchen zu»

Wut versteckt sich bei Mädchen oft unter Schichten von Trauer oder Verletztheit. Dabei ist sie ein wichtiges Signal dafür, dass Bedürfnisse unterdrückt werden und etwas am brodeln ist. Zum Glück ist die weibliche Wut ist in den letzten Jahren sichtbarer geworden.  Ein Gespräch mit der Psychologin Anna Ross darüber, wie die Gesellschaft auf wütende Mädchen und Frauen reagiert und was das für Eltern bedeutet. KALEIO: Seit Greta Thunbergs ihre eindringliche «How dare you» Rede am UN-Klimagipfel im Jahr 2019 in New York hielt, haben Millionen Menschen die Aufnahme davon auf Youtube angeschaut. Während der Rede forderte die Klimaaktivistin die versammelte Staatengemeinschaft auf, endlich mehr für den Klimaschutz zu tun. Thunberg war den Tränen nahe, kontrollierte ihre Stimme, wirkte wütend, aber zugleich gefasst. Ist das eine typische Art, wie ein Mädchen seine Wut zeigt?Anna Ross: Greta Thunberg hat als Mädchen mit einem Asperger-Syndrom wahrscheinlich einen eigenen Umgang mit Emotionen. Allgemein kann man aber sagen: Nur wenige hätten den Mut gehabt, sich hinzustellen vor den Grossen dieser Welt. Dass sie Tränen in den Augen hatte, ist in diesem Moment wohl einfach so passiert. Sie hatte eine große Frustration in sich, dass so viele Menschen die Gefahr ignoriert, die uns alle bedroht. Aber wenn man die Situation ohne diesen Kontext betrachtet, ist das schon auch eine ganz normale Wutreaktion.Gibt es Unterschiede, wie Mädchen und Jungs ihre Wut zeigen?Davon geht man aus. Glücklicherweise ist es aber in der heutigen Zeit nicht mehr ganz so schlimm wie vor 40 oder 50 Jahren, als den Mädchen fast versagt wurde, ihre Aggressionen oder ihre Wut auszudrücken. Grundsätzlich ist die Bandbreite, wie Mädchen sich verhalten, deutlich grösser geworden. Die Tendenz ist aber weiterhin die, dass Mädchen aggressive Gefühle weniger direkt äussern.Bei Jungs ist das anders: Auf der Primarschulebene, wo Wut noch sichtbarer ist als später, reagieren sie recht körperlich und oft auch ziemlich direkt. Generell beobachte ich, dass Jungs ihre Gefühle weniger verbal benennen und dass sie sich ihren Gefühlen nicht so bewusst sind. Für meine Arbeit ist es wichtig, zu sehen, wie das Umfeld auf das Kind reagiert. Darf ein Mädchen seine Wut ausdrücken? Ist es einem Jungen erlaubt, mit Weinen zu reagieren?Um nochmals auf Greta Thunberg zurückzukommen: Viele Medien schrieben nach ihrem Auftritt in New York von einer «emotionalen Rede». Warum nicht von einem «wütenden Appell»?Laut der Forschung ist es genau das, was passiert, wenn Frauen sich so äussern: Die Verletzlichkeit und die Emotionalität werden in den Vordergrund gestellt. Ein forsches Auftreten wird bei Frauen weniger anerkannt und eher negativ bewertet.Was sind die Folgen von einer solchen geschlechtsspezifischen Wahrnehmung und Beurteilung von Wut bei Kindern?Es besteht die Gefahr, dass Mädchen in ihren Anliegen nicht gesehen werden. Wut ist oft ein Signal dafür, dass irgendwelche Bedürfnisse gerade nicht erfüllt werden. Wenn man das mit Begriffen wie «zickig» oder «hysterisch» in eine Schublade presst, verschliesst man die Augen vor den tatsächlichen Problemen. Die müssen gar nicht weltbewegend sein. Es können Stress in der Schule oder mit Freund:innen dahinterstecken. Aber man kommt mit dem Kind nicht weiter, wenn man seine Gefühle einfach als eine Laune abtut.Ist Wut denn immer ein Gefühl, das man als Eltern thematisieren und überwinden muss oder haben Kinder auch das Recht, wütend zu sein?Auf jeden Fall haben sie das. Aber es ist wichtig, dass man mit dem Kind versucht, das Gefühl zu benennen. Das ist die Grundlage einer guten Emotionsregulationskompetenz. In meiner Arbeit mit jungen Frauen und Mädchen beobachte ich oft, dass Wut das Gefühl ist, das sie am wenigsten wahrnehmen können. Es versteckt sich unter Schichten von Trauer oder Verletztheit und wird aus verschiedenen Gründen nicht zugelassen. Zum Beispiel weil man durch Wut den Menschen gegenüber, die man gernhat, nicht mehr loyal wäre. Oder weil die Mädchen glauben, dass das für sie kein angebrachtes Gefühl ist.Anna Ross ist Psychologische Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche in Basel.Wie kann man als Eltern die Wut der eigenen Tochter erkennen?Situationen, in denen Wut eine Rolle spielt, kommen Eltern oft in einem Gefühlsknäuel entgegen. Da hilft es, wenn man genau hinhört, was das Kind sagt. Man kann es auch direkt fragen, warum es gerade aufgebracht ist. Mein Rat an die Eltern wäre deshalb: Hört euren wütenden Mädchen zu.Man kann ihnen auch Hilfe anbieten, indem man sie zum Beispiel auffordert, ins Zimmer zu gehen und mal laut zu brüllen oder ins Kissen zu boxen. Es sollte darum gehen, die Wut rauszulassen und zu zeigen, dass es okay ist, wütend zu sein. Generell finde ich es aber wichtig, dass dabei gewisse Grenzen eingehalten werden und kein Schaden angerichtet wird.Sind sich Eltern bewusst, dass sie im Umgang mit ihren Töchtern Geschlechterrollen verhärten können?Ich habe den Eindruck, dass viele Eltern sich bemühen, mehr Gleichheit zu schaffen. Aber das ist manchmal gar nicht so leicht, weil wir mit diesen Geschlechterrollen aufgewachsen sind. Eltern können sich überlegen, mit welchen Erwartungen an ihr Geschlecht sie aufgewachsen sind. Sie können sich auch fragen, welche weiblichen Vorbilder und starken Frauen es in ihrem eigenen Familienstammbaum gab und was man von ihnen lernen kann.Interview: Gina Bachmann


 

Elisabethenstrasse 10, 4051 Basel,

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