ich wüsste auch gerne, was der kontext ist. wenn es möglich ist, würde ich die beleidigende person fragen: weshalb...
ich wüsste auch gerne, was der kontext ist. wenn es möglich ist, würde ich die beleidigende person fragen: weshalb beleidigst du mich? bzw. willst du mich eigentlich beleidigen? ich finde es erschreckend, wie unbeholfen manche menschen sind in kommunikativer hinsicht. die frage für mich ist, ob es sich um eine bewusst-vorsätzliche beleidigung handelt oder ob es gewissermassen aus notwehr geschieht, sozusagen eine "entgleiste situation" oder ob jemand es gar nicht merkt, dass er beleidigt, sondern dass dies sein/ihr normaler sprachgebrauch ist.
mitdiskutieren
marie, es nervt mich ein bisschen, dass man so schnell die gleichung aufstellt: verstehen = entschuldigen. verstehen bedeutet überhaupt nicht entschuldigen!. die heutige strafjusti, der name sagt es ja schon, will jeweils für ein delikt eine angemessene strafe finden. und die verteidigung hat die aufgabe, den angeklagten zu verteidigen und das strafmass möglichst abzumildern. zum glück hat man heute eine reihe von therapeutischen massnahmen mit dem ziel der reintegration von tätern und täterinnen. - aber der blickwinkel, vor allem auch in den medien, die als moralapostel zuweilen eine betrübliche rolle spielen, bleibt auf die strafe fixiert, als ob alles über strafe geregelt werden könnte und keine strafe hoch genug wäre... in wirklichkeit ist es so, dass die idee der strafe zu einfach ist. ein physiker, den ich kenne, hat einmal gesagt: die piloten oder die regiierenden, die den befahl ausführten oder ausgaben, atombomben abzuwerfen (oder agent orange), die müssten als angemessene strafe die überlebenden pflegen nach so einem verbrechen! sie müssten konfrontiert werden mit dem leid, das sie angerichtet haben, tagtäglich. - ich habe das ein sehr eindrückliches bild gefunden. - es ist eine ungeheure heuchelei, wenn wir uns nur über die verbrecher aufregen, die eine frau umbrachten - ein ganz schreckliches verbrechen, ganz sicher - aber keine meinung dazu haben, wenn tausende umgebracht werden im krieg. oder in der produktion billiger t-shirts. wo spricht man von der verantwortung derjenigen, der chefs, der konsumenten, die dieses leid über diese familien bringen. die erscheinen dann nicht als "mörder" in den schlagzeilen. aber sie sind nicht weniger schlimme mörder. ich meine nicht die anonyme masse, sondern verantwortliche, denen man sehr präzise eine schuld nachweisen könnte, wenn man denn wollte... - und dann muss ich auch an diese frau denken aus ruanda, deren eltern von nachbarn umgebracht wurden. und nachdem wieder friedliche verhältnisse waren, war der nachbar verurteilt und sass eine gefängnissstrafe ab. und diese frau wollte den mörder ihrer eltern kennenlernen. sie wollte wissen: was war da los? es ging ihr nicht um hass. sie wollte verstehen? sie war sehr traurig. aber wie hatte keine rachegefühle. sie war so stark, dass sie nicht diese distanz brauchte, sondern sie wollte verstehen. und falls du das gefühl hast, ich schweife ab, nein, so ist es nicht. das thema ist mir zu wichtig, als dass ich es so einfach schwarz-weiss behandeln möchte. ich habe schon weiter oben gesagt: wenn von einem täter eine gefahr ausgeht, soll man die gesellschaft vor ihm schützen. - im übrigen gibt es eine grosse fülle von literatur zu dem thema. und wenn das ziel prävention ist, dann ist strafe nciht immer das richtige mittel. - so war neulich in der nzz zu lesen von förderprogrammen in den usa in afroamerikanischen familien. im kindesalter gab es eine unterstützung beim lernen und in erziehungsfragen. das sind langzeitstudien. nebst anderem war die folge von so betreuten kindern, dass sie später nur etwa ein drittel so oft mit dem gesetz in konflikt kamen. http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/kreativ-sein-heisst-autoritaeten-in-frage-zu-stellen-1.18081231 das alles bedeutet, den horizont etwas aufzutun, in zusammenhängen zu denken, nicht bloss in schwarz und weiss. livanto: was du meinst, hat mich sehr an das konzept der blutrache erinnert. und das ist in albanien bis in die jüngste gegenwart tradition gewesen. ob es ein sinnvolles, erfolgreiches konzept ist, sei dahingestellt. meins ist es nicht. alein, ich bin froh um deine anregenden fragen und beiträge. sie bringen ein niveau in die diskussionen, das sonst oft fehlt. und ich gebe dir absolut recht. "kindisch" habe ich etwas undifferenziert verwendet. ganz klar handelt es sich um erlernte muster. aber vielleicht "versimpeltes denken", das natürlich auch erlernt ist. eine art "erlernte dummheit". aber das soll es ja geben...
marie, geht es dir mehr um den sühnegedanken oder mehr um die prävention. was kommt für dich an erster stelle?
livanto, hast du mal ein praktikum in albanien gemacht?
alein: geht es bei deiner frage um ein konkretes beispiel oder ist es mehr eine allgemeine diskussion? mariesuisse: nein auch freiheitsentzug braucht es nicht in jedem fall. - gewiss, wenn wir vom bilderbuch-mörder ausgehen, der noch nie richig gelernt hatte, seine "triebe" bzw. "affekte" zu kontrollieren, dann muss das natülrich sein. aber auch wenn uns krimis und medien gerne klisches präsentieren, ist dies nicht die realität. die ist viel komplexer. da gibt es verschiedene fälle zu unterscheiden. ein erster fall ist der oder die täterin, von dem oder der nach wie vor eine gefahr ausgeht. selbstverständlich soll die gesellschaft vor so jemandem geschützt werden. und wenn es irgendwie möglich ist, soll dieser täter/diese täterin auch "therapiert" werden. - aber da fängt es schon an: man kann nicht "jemand therapieren". das geht nur, wenn eine lernbereitschaft vorhanden ist, wenn jemand noch soviel eigenen willen und mut hat. aus der lernforschung weiss man, dass strafe menschen zwar konditionieren kann, das befolgen sturer regeln fördern, aber wirkliches lernen kommt ohne strafe aus. zweiter fall: jemand hat aus notwehr oder weil er oder sie erschrocken ist, jemanden anderen tangiert und durch die verkettung unglücklichen umstände seinen tod herbeigeführt: ein mörder? wenn die opfer gute anwälte haben ev. schon. darf er oder sie dann in freiheit herumlaufen? dritter fall: soldaten im krieg. tucholsky nannte auch sie "mörder in uniform". ja, aber die töten ja "nur" auf befehl, mag man einwenden. macht es die sache besser? vierter fall: auftragsmörder: auch er/sie handelt nur auf befehl. zum beispiel, weil er ein armes schwein ist und kein geld hat oder in irgend etwas hineingeraten ist... fünfter fall: die unterlassene hilfeleistung. manchmal bekommen wir es gar nicht mit, dass wir jemand anderem helfen könnten, der sich (wissentlich oder nicht?) in gefahr begibt. auch unterlassene hilfeleistung ist strafbar. ist nicht auch ein beamter, der einen flüchtling in ein land zurückschickt, wo dem flüchtenden der tod droht, mitschuldig an dessen tod. ein mörder? sechster fall: der wohl häufigste fall aber sind beziehungsdelikte: neulich hat ein rentner seine ehefrau getötet. ich kenne die hintergründe der tat nicht. eine schreckliche sache, aber es ist anzunehmen, dass es eine lange vorgeschichte dazu gibt. ganz sicher soll und darf dieser mensch so etwas nie wieder tun. aber das weiss er wahrscheinlich selbst auch. er hat es wahrscheinlich nicht aus spass getan sondern aus verzweiflung. - ich bin mir sicher, dass der ganz grosse teil der menschen, die jemanden umgebracht haben, dies sowieso kein zweites mal tun würden. man weiss aus der forschung, dass eine solche tat eine ungeheure belastung darstellt nicht nur für die opfer, sondern auch für die täter. und auch der kleine teil von leuten, die vielleicht so wirkt, als würde es sie nicht belasten, belastet dies wohl sehr. dazu würde es viel hilfe und begleitung brauchen. die andere seite jedoch, die alein angesprochen hat, ist das "strafbedürfnis" der gesellschaft. in meinen augen ist das etwas extrem kindisches. eine "ersatzhandlung". das ist, wie wenn ich in der architektur ein schiefes haus baue, das zusammenzukrachen droht und im garten daneben baue ich eine massive stütze, damit jeder sieht, dass ich stützen bauen kann imfall. das haus wird trotzdem zusammenbrechen... sorry. da kann die stütze noch so gut sein. - auch wenn die familie eines täters "fehler" gemacht haben kann, die anderen familien, die mit den fingern auf jene zeigen, haben mit grosser wahrscheinlichkeit auch grosse fehler gemacht. manchmal ist es nur ein zufall, dass in der einen familie einer zum mörder wird, in der anderen nicht. zur "symbolischen bestrafung" der eltern von attentätern bei schulmassakern erschien vor einem jahr in der süddeutschen zeitung ein interview mit ines geipel unter dem titel "es geht auch darum, die eltern zu beschämen". der artikel ist online leider kostenpflichtig (28./29. juli 2012).
liebe alein eine sehr spannende frage. ich würde es so sehen: auf der einen seite gibt es das geflecht der ursachen, die zu kriminalität führen. und das ist eine vielschichtige angelegenheit. eine wichtige komponente ist auch die ursprungsfamilie. aber nicht im sinn, dass man immer einfach sagen kann, die haben dies und das falsch gemacht, sondern in dem sinn, dass in dieser umgebung ein mensch seinen charakter erwirbt. nach meinem wissen ist die beziehung, die kindheitsgeschichte der wichtigste faktor für den charakter und die frustrationstoleranz. aber es gibt auch die gesellschaftlichen zusammenhänge. zum beispiel wenn not herrscht oder diskriminierung von menschen. dann kann es nur natürlich sein, dass man sich dagegen auflehnt und gesetze bricht. wenn jemand einen mord begeht, dann tut er das in den allerseltesten fällen aus "spass", sondern es steht eine lange kette von erlebnissen und situationen dahinter. einmal den fall der notwehr ausgenommen. - dass man die vorstellung hat dass es eine "mörderfamilie" gibt, die von der gesellschaft geächtet werden müsste, ist eine viel zu einfache vorstellung. wissenschaftler, die heute untersuchungen dazu machen, sagen, dass jeder von uns in gewissen situationen zum mörder werden könnte. die grenze zwischen den "gesetzestreuen" und den "gesetzlosen" ist viel dünner, als man gerne glauben möchte. damit zur anderen seite: in der gesellschaft gibt es moraltraditionen. die religionen zum beispiel. damit ist die vorstellung verbunden, dass wenn man sich an die richtigen moralischen vorschriften hält, alles gut herauskommt. dort, wo's nicht gut herauskommt, hat man sich eben zuwenig an die gesetze oder an die moral gehalten. diese moral-ideen haben nichts mit den wissenschaftlich untersuchten ursachen von kriminalität zu tun, aber sie erleichtern das denken, weil sie abkürzungen sind. aber sie nähren vor allem die illusion, dass wir, die wir nicht gemordet haben, zu den guten gehören und die anderen, mit denen möchten wir nichts zu tun haben. meist versucht man mit diesen moralischen schablonen grosse ängste sich vom leib zu halten. - leider tragen auch die medien, auch zeitungen und filme sehr oft dazu bei, in ganz einfachen moralischen kategorien zu denken, statt die zwischentöne zuzulassen. im "magazin" von letzter woche wurde berichtet, dass in hollywood in den letzten jahrzehnten keine komplexen charaktere gewünscht werden von den investoren, nur noch ganz klar gut-böse, schwarz-weiss. das entspricht aber nicht der realität. - auch in der realen gerichtspraxis kommt es ja immer wieder vor, dass leute für einen mord verurteilt haben, den sie gar nicht begangen haben, während der wirkliche mörder frei herumläuft. aber es gibt sogar leute, denen das lieber ist, weil dann wenigstens einer eingesperrt ist und man das gefühl hat, das problem sei korrekt erledigt worden. schliesslich möchte ich noch marie wiedersprechen. "strafe muss sein" ist ein alter zopf. es mag einen kleinen bereich von delikten oder leuten geben, wo das manchmal funktioniert. aber es gibt beispiele, wo man herausgefunden hat, dass die gefahr der wiederholung grösser ist, wenn jemand bestraft wird, als wenn man ihn laufen lässt und er weiss, dass man ihn erwischt hat. - in der tiefenpsychologie spricht man dabei vom "verbrecher als entmutigtem menschen". also, um deine eingangsfrage zu beantworten, alein, nein, eine solche familie benötigt nicht ausgrenzung, sondern mitgefühl. auch nicht gegen den täter. auch dieser braucht mitgefühl. (natürlich auch das opfer und seine angehörigen, logo.) nicht im sinne von "verzeihen", sondern im sinne von anteilnahme, verstehen. wenn man begreift, dass solche verbrechen aus seelischer not geschehen, wird man einem verbrecher und all seinen mätzchen ganz anders begegnen.
oder Login über Facebook
Beleidigungen
ich wüsste auch gerne, was der kontext ist. wenn es möglich ist, würde ich die beleidigende person fragen: weshalb beleidigst du mich? bzw. willst du mich eigentlich beleidigen? ich finde es erschreckend, wie unbeholfen manche menschen sind in kommunikativer hinsicht. die frage für mich ist, ob es sich um eine bewusst-vorsätzliche beleidigung handelt oder ob es gewissermassen aus notwehr geschieht, sozusagen eine "entgleiste situation" oder ob jemand es gar nicht merkt, dass er beleidigt, sondern dass dies sein/ihr normaler sprachgebrauch ist.
mitdiskutieren
mörder familie
marie, es nervt mich ein bisschen, dass man so schnell die gleichung aufstellt: verstehen = entschuldigen. verstehen bedeutet überhaupt nicht entschuldigen!. die heutige strafjusti, der name sagt es ja schon, will jeweils für ein delikt eine angemessene strafe finden. und die verteidigung hat die aufgabe, den angeklagten zu verteidigen und das strafmass möglichst abzumildern. zum glück hat man heute eine reihe von therapeutischen massnahmen mit dem ziel der reintegration von tätern und täterinnen. - aber der blickwinkel, vor allem auch in den medien, die als moralapostel zuweilen eine betrübliche rolle spielen, bleibt auf die strafe fixiert, als ob alles über strafe geregelt werden könnte und keine strafe hoch genug wäre... in wirklichkeit ist es so, dass die idee der strafe zu einfach ist. ein physiker, den ich kenne, hat einmal gesagt: die piloten oder die regiierenden, die den befahl ausführten oder ausgaben, atombomben abzuwerfen (oder agent orange), die müssten als angemessene strafe die überlebenden pflegen nach so einem verbrechen! sie müssten konfrontiert werden mit dem leid, das sie angerichtet haben, tagtäglich. - ich habe das ein sehr eindrückliches bild gefunden. - es ist eine ungeheure heuchelei, wenn wir uns nur über die verbrecher aufregen, die eine frau umbrachten - ein ganz schreckliches verbrechen, ganz sicher - aber keine meinung dazu haben, wenn tausende umgebracht werden im krieg. oder in der produktion billiger t-shirts. wo spricht man von der verantwortung derjenigen, der chefs, der konsumenten, die dieses leid über diese familien bringen. die erscheinen dann nicht als "mörder" in den schlagzeilen. aber sie sind nicht weniger schlimme mörder. ich meine nicht die anonyme masse, sondern verantwortliche, denen man sehr präzise eine schuld nachweisen könnte, wenn man denn wollte... - und dann muss ich auch an diese frau denken aus ruanda, deren eltern von nachbarn umgebracht wurden. und nachdem wieder friedliche verhältnisse waren, war der nachbar verurteilt und sass eine gefängnissstrafe ab. und diese frau wollte den mörder ihrer eltern kennenlernen. sie wollte wissen: was war da los? es ging ihr nicht um hass. sie wollte verstehen? sie war sehr traurig. aber wie hatte keine rachegefühle. sie war so stark, dass sie nicht diese distanz brauchte, sondern sie wollte verstehen. und falls du das gefühl hast, ich schweife ab, nein, so ist es nicht. das thema ist mir zu wichtig, als dass ich es so einfach schwarz-weiss behandeln möchte. ich habe schon weiter oben gesagt: wenn von einem täter eine gefahr ausgeht, soll man die gesellschaft vor ihm schützen. - im übrigen gibt es eine grosse fülle von literatur zu dem thema. und wenn das ziel prävention ist, dann ist strafe nciht immer das richtige mittel. - so war neulich in der nzz zu lesen von förderprogrammen in den usa in afroamerikanischen familien. im kindesalter gab es eine unterstützung beim lernen und in erziehungsfragen. das sind langzeitstudien. nebst anderem war die folge von so betreuten kindern, dass sie später nur etwa ein drittel so oft mit dem gesetz in konflikt kamen. http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/kreativ-sein-heisst-autoritaeten-in-frage-zu-stellen-1.18081231 das alles bedeutet, den horizont etwas aufzutun, in zusammenhängen zu denken, nicht bloss in schwarz und weiss. livanto: was du meinst, hat mich sehr an das konzept der blutrache erinnert. und das ist in albanien bis in die jüngste gegenwart tradition gewesen. ob es ein sinnvolles, erfolgreiches konzept ist, sei dahingestellt. meins ist es nicht. alein, ich bin froh um deine anregenden fragen und beiträge. sie bringen ein niveau in die diskussionen, das sonst oft fehlt. und ich gebe dir absolut recht. "kindisch" habe ich etwas undifferenziert verwendet. ganz klar handelt es sich um erlernte muster. aber vielleicht "versimpeltes denken", das natürlich auch erlernt ist. eine art "erlernte dummheit". aber das soll es ja geben...
mitdiskutieren
mörder familie
marie, geht es dir mehr um den sühnegedanken oder mehr um die prävention. was kommt für dich an erster stelle?
mitdiskutieren
mörder familie
livanto, hast du mal ein praktikum in albanien gemacht?
mitdiskutieren
mörder familie
alein: geht es bei deiner frage um ein konkretes beispiel oder ist es mehr eine allgemeine diskussion? mariesuisse: nein auch freiheitsentzug braucht es nicht in jedem fall. - gewiss, wenn wir vom bilderbuch-mörder ausgehen, der noch nie richig gelernt hatte, seine "triebe" bzw. "affekte" zu kontrollieren, dann muss das natülrich sein. aber auch wenn uns krimis und medien gerne klisches präsentieren, ist dies nicht die realität. die ist viel komplexer. da gibt es verschiedene fälle zu unterscheiden. ein erster fall ist der oder die täterin, von dem oder der nach wie vor eine gefahr ausgeht. selbstverständlich soll die gesellschaft vor so jemandem geschützt werden. und wenn es irgendwie möglich ist, soll dieser täter/diese täterin auch "therapiert" werden. - aber da fängt es schon an: man kann nicht "jemand therapieren". das geht nur, wenn eine lernbereitschaft vorhanden ist, wenn jemand noch soviel eigenen willen und mut hat. aus der lernforschung weiss man, dass strafe menschen zwar konditionieren kann, das befolgen sturer regeln fördern, aber wirkliches lernen kommt ohne strafe aus. zweiter fall: jemand hat aus notwehr oder weil er oder sie erschrocken ist, jemanden anderen tangiert und durch die verkettung unglücklichen umstände seinen tod herbeigeführt: ein mörder? wenn die opfer gute anwälte haben ev. schon. darf er oder sie dann in freiheit herumlaufen? dritter fall: soldaten im krieg. tucholsky nannte auch sie "mörder in uniform". ja, aber die töten ja "nur" auf befehl, mag man einwenden. macht es die sache besser? vierter fall: auftragsmörder: auch er/sie handelt nur auf befehl. zum beispiel, weil er ein armes schwein ist und kein geld hat oder in irgend etwas hineingeraten ist... fünfter fall: die unterlassene hilfeleistung. manchmal bekommen wir es gar nicht mit, dass wir jemand anderem helfen könnten, der sich (wissentlich oder nicht?) in gefahr begibt. auch unterlassene hilfeleistung ist strafbar. ist nicht auch ein beamter, der einen flüchtling in ein land zurückschickt, wo dem flüchtenden der tod droht, mitschuldig an dessen tod. ein mörder? sechster fall: der wohl häufigste fall aber sind beziehungsdelikte: neulich hat ein rentner seine ehefrau getötet. ich kenne die hintergründe der tat nicht. eine schreckliche sache, aber es ist anzunehmen, dass es eine lange vorgeschichte dazu gibt. ganz sicher soll und darf dieser mensch so etwas nie wieder tun. aber das weiss er wahrscheinlich selbst auch. er hat es wahrscheinlich nicht aus spass getan sondern aus verzweiflung. - ich bin mir sicher, dass der ganz grosse teil der menschen, die jemanden umgebracht haben, dies sowieso kein zweites mal tun würden. man weiss aus der forschung, dass eine solche tat eine ungeheure belastung darstellt nicht nur für die opfer, sondern auch für die täter. und auch der kleine teil von leuten, die vielleicht so wirkt, als würde es sie nicht belasten, belastet dies wohl sehr. dazu würde es viel hilfe und begleitung brauchen. die andere seite jedoch, die alein angesprochen hat, ist das "strafbedürfnis" der gesellschaft. in meinen augen ist das etwas extrem kindisches. eine "ersatzhandlung". das ist, wie wenn ich in der architektur ein schiefes haus baue, das zusammenzukrachen droht und im garten daneben baue ich eine massive stütze, damit jeder sieht, dass ich stützen bauen kann imfall. das haus wird trotzdem zusammenbrechen... sorry. da kann die stütze noch so gut sein. - auch wenn die familie eines täters "fehler" gemacht haben kann, die anderen familien, die mit den fingern auf jene zeigen, haben mit grosser wahrscheinlichkeit auch grosse fehler gemacht. manchmal ist es nur ein zufall, dass in der einen familie einer zum mörder wird, in der anderen nicht. zur "symbolischen bestrafung" der eltern von attentätern bei schulmassakern erschien vor einem jahr in der süddeutschen zeitung ein interview mit ines geipel unter dem titel "es geht auch darum, die eltern zu beschämen". der artikel ist online leider kostenpflichtig (28./29. juli 2012).
mitdiskutieren
mörder familie
liebe alein eine sehr spannende frage. ich würde es so sehen: auf der einen seite gibt es das geflecht der ursachen, die zu kriminalität führen. und das ist eine vielschichtige angelegenheit. eine wichtige komponente ist auch die ursprungsfamilie. aber nicht im sinn, dass man immer einfach sagen kann, die haben dies und das falsch gemacht, sondern in dem sinn, dass in dieser umgebung ein mensch seinen charakter erwirbt. nach meinem wissen ist die beziehung, die kindheitsgeschichte der wichtigste faktor für den charakter und die frustrationstoleranz. aber es gibt auch die gesellschaftlichen zusammenhänge. zum beispiel wenn not herrscht oder diskriminierung von menschen. dann kann es nur natürlich sein, dass man sich dagegen auflehnt und gesetze bricht. wenn jemand einen mord begeht, dann tut er das in den allerseltesten fällen aus "spass", sondern es steht eine lange kette von erlebnissen und situationen dahinter. einmal den fall der notwehr ausgenommen. - dass man die vorstellung hat dass es eine "mörderfamilie" gibt, die von der gesellschaft geächtet werden müsste, ist eine viel zu einfache vorstellung. wissenschaftler, die heute untersuchungen dazu machen, sagen, dass jeder von uns in gewissen situationen zum mörder werden könnte. die grenze zwischen den "gesetzestreuen" und den "gesetzlosen" ist viel dünner, als man gerne glauben möchte. damit zur anderen seite: in der gesellschaft gibt es moraltraditionen. die religionen zum beispiel. damit ist die vorstellung verbunden, dass wenn man sich an die richtigen moralischen vorschriften hält, alles gut herauskommt. dort, wo's nicht gut herauskommt, hat man sich eben zuwenig an die gesetze oder an die moral gehalten. diese moral-ideen haben nichts mit den wissenschaftlich untersuchten ursachen von kriminalität zu tun, aber sie erleichtern das denken, weil sie abkürzungen sind. aber sie nähren vor allem die illusion, dass wir, die wir nicht gemordet haben, zu den guten gehören und die anderen, mit denen möchten wir nichts zu tun haben. meist versucht man mit diesen moralischen schablonen grosse ängste sich vom leib zu halten. - leider tragen auch die medien, auch zeitungen und filme sehr oft dazu bei, in ganz einfachen moralischen kategorien zu denken, statt die zwischentöne zuzulassen. im "magazin" von letzter woche wurde berichtet, dass in hollywood in den letzten jahrzehnten keine komplexen charaktere gewünscht werden von den investoren, nur noch ganz klar gut-böse, schwarz-weiss. das entspricht aber nicht der realität. - auch in der realen gerichtspraxis kommt es ja immer wieder vor, dass leute für einen mord verurteilt haben, den sie gar nicht begangen haben, während der wirkliche mörder frei herumläuft. aber es gibt sogar leute, denen das lieber ist, weil dann wenigstens einer eingesperrt ist und man das gefühl hat, das problem sei korrekt erledigt worden. schliesslich möchte ich noch marie wiedersprechen. "strafe muss sein" ist ein alter zopf. es mag einen kleinen bereich von delikten oder leuten geben, wo das manchmal funktioniert. aber es gibt beispiele, wo man herausgefunden hat, dass die gefahr der wiederholung grösser ist, wenn jemand bestraft wird, als wenn man ihn laufen lässt und er weiss, dass man ihn erwischt hat. - in der tiefenpsychologie spricht man dabei vom "verbrecher als entmutigtem menschen". also, um deine eingangsfrage zu beantworten, alein, nein, eine solche familie benötigt nicht ausgrenzung, sondern mitgefühl. auch nicht gegen den täter. auch dieser braucht mitgefühl. (natürlich auch das opfer und seine angehörigen, logo.) nicht im sinne von "verzeihen", sondern im sinne von anteilnahme, verstehen. wenn man begreift, dass solche verbrechen aus seelischer not geschehen, wird man einem verbrecher und all seinen mätzchen ganz anders begegnen.
mitdiskutieren