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Ruth von Seen
Ruth von Seen
FreeLesen und Schreiben sind meine Leidenschaft. Mit offenen Ohren und Augen durch die Stadt flanieren - und Schattenspiele beobachten.
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Winterthur
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Ernas Fundgrube in der Marktgasse
Ernas Fundgrube hat mir viel bedeutet. Ich wusste, dass ich mir ein bisschen Zeit nehmen sollte, wenn ich die Treppen nach oben stieg. Es gab so viel zu schauen und zu stöbern.Und ganz hinten im langgezogenen Raum saß sie, mit ihren langen grauen Haaren. Manchmal schlief ihr Hündchen bei ihr, unsichtbar für die Kunden, nah an ihre Beine gekuschelt.Am Mittwoch bin ich die Marktgasse hochgelaufen, ein bisschen in Eile zu einer Besprechung in der Stadtbibliothek. Immer, wenn ich dort hochlaufe, schaue ich zu den Fenstern im dritten Stock, wo die ewiggleichen Blumenkistchen stehen und Ernas Reich signalisieren. Meine Augen blieben aber im Parterre hängen, an der Eingangstür, wo die Meldung stand: Ab sofort für immer geschlossen.Das Herz blieb mir einen winzigen, aber spürbaren Moment lang stehen.Heute steht die Todesanzeige in der Zeitung.Ich bin echt traurig und weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die Ernas Fundgrube und ihr sorgfältig arrangiertes Sortiment vermissen wird.Am Abend ging ich nochmals dort vorbei, blieb an der Tür stehen, sann nach, schrieb: Wer weiß Wer weiß denn schonWann er gehen mussWann das Herz oder sonsteine Funktion plötzlichaussteigt aus seinerunermüdlichen Tätigkeit? Nie hätt ich gedachtdass ich Sie nicht mehrsehen werde im Gegenteilich freute mich auf dienächste Gelegenheit. Neben der Kasse standein Glas gefüllt mitfarbigen Sugus und eineDringlichkeit lag inIhrer Stimme „sich dochzu bedienen“ die ich mirnicht erklären konnte.Heute sieht das anders aus. ***********Habt es gut, genießt dieses kostbare Leben, seid trotzig, wo es notwendig ist. Eure Madame de Ouila
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- Der schönste Ort in der Stadt:
- Stadtbibliothek
Lesen und Schreiben sind meine Leidenschaft. Mit offenen Ohren und Augen durch die Stadt flanieren - und Schattenspiele beobachten.
- Der schönste Ort in der Stadt:
- Stadtbibliothek
- An diesem Ort kann ich mich am besten entspannen:
- Hof der Stadtbibliothek
- Meine Lieblingsbar:
- Fahrenheit
- Mein Lieblingsclub:
- Albani
- Da nehme ich noch einen Schlummi:
- Coalmine
- In einem Film über mein Leben, würde mich dieser Schauspieler verkörpern:
- Meryl Streeep
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UZFTruffledaveFarbtanz23sandritaRon_WinterthurAndrea_GumanuelafurrerMärliElena LaffranchialeksMagnatumPicoInit7
Ernas Fundgrube in der Marktgasse
Ernas Fundgrube hat mir viel bedeutet. Ich wusste, dass ich mir ein bisschen Zeit nehmen sollte, wenn ich die Treppen nach oben stieg. Es gab so viel zu schauen und zu stöbern.
Und ganz hinten im langgezogenen Raum saß sie, mit ihren langen grauen Haaren. Manchmal schlief ihr Hündchen bei ihr, unsichtbar für die Kunden, nah an ihre Beine gekuschelt.
Am Mittwoch bin ich die Marktgasse hochgelaufen, ein bisschen in Eile zu einer Besprechung in der Stadtbibliothek. Immer, wenn ich dort hochlaufe, schaue ich zu den Fenstern im dritten Stock, wo die ewiggleichen Blumenkistchen stehen und Ernas Reich signalisieren. Meine Augen blieben aber im Parterre hängen, an der Eingangstür, wo die Meldung stand: Ab sofort für immer geschlossen.
Das Herz blieb mir einen winzigen, aber spürbaren Moment lang stehen.
Heute steht die Todesanzeige in der Zeitung.
Ich bin echt traurig und weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die Ernas Fundgrube und ihr sorgfältig arrangiertes Sortiment vermissen wird.
Am Abend ging ich nochmals dort vorbei, blieb an der Tür stehen, sann nach, schrieb:
Wer weiß
Wer weiß denn schon
Wann er gehen muss
Wann das Herz oder sonst
eine Funktion plötzlich
aussteigt aus seiner
unermüdlichen Tätigkeit?
Nie hätt ich gedacht
dass ich Sie nicht mehr
sehen werde im Gegenteil
ich freute mich auf die
nächste Gelegenheit.
Neben der Kasse stand
ein Glas gefüllt mit
farbigen Sugus und eine
Dringlichkeit lag in
Ihrer Stimme „sich doch
zu bedienen“ die ich mir
nicht erklären konnte.
Heute sieht das anders aus.
***********
Habt es gut, genießt dieses kostbare Leben, seid trotzig, wo es notwendig ist.
Eure Madame de Ouila
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Kurze Filme, kurze Tage
„An old flame never die“ ist das Motto der diesjährigen Kurzfilmtage.
Heute Abend will ich mir die Arbeit der thailändischen Filmerin anschauen. Gestern war auch ich kurz der Wirklichkeit entrückt und das kam so:
Er trägt einen Schottenrock, nackte Beine, und kichert vor sich hin. Er geht mit kleinen Schritten hin und her und scheint damit die Ecke des hinteren Ausgangs am Bahnhof abzumessen. Dabei sieht er aus wie ein Tier im Zoo. Unermüdlich tigert (!) er in seinem selbst gewählten Käfig hin und her.
Ich habe ihn schon vor einer Stunde gesehen, als ich in die Rudolfstrasse musste. Und nun bin ich überrascht, dass er immer noch da ist. Er spricht und gurgelt vor sich hin und scheint sich total zu amüsieren. Kopfhörer sehe ich keine, es muss sich um ein Selbstgespräch handeln. Vielleicht müsste man ihn ansprechen? Ihn auf die kalten Temperaturen hinweisen?
Ich lasse es. Eile weiter, schaue, wann der nächste Bus nach Seen fährt. Doch der junge Mann im Schottenrock und den bleichen nackten Beinen lässt mir keine Ruhe.
Die Szene kommt mir vor als wäre sie aus einem Film kopiert und als hätte man extra einen Schauspieler engagiert, der dort in der Ecke stehen soll und vor sich hinblabbern und die Leute an die Kurzfilmtage locken.
Aber irgendwie wurde er an den falschen Ort platziert. Ziemlich abseits.
Vielleicht heisst der Film „Ein Schottenrock hat sich verirrt“ oder ähnlich.
Euch kommt bestimmt ein besserer Titel in den Sinn.
Das Leben ist ja voll solch kleiner Szenen, die filmreif sind. Selfies haben wir nun genug gesehen, also ran an den Speck und die laufenden Bilder!
Eure Madame de Ouila
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Bonjour, l'automne!
Der Herbst, der sich den Sommer vor ein paar Wochen so frech einverleibt hatte, zeigt sich gerade von seiner besten Seite. Vielleicht hat er diese Woche einen Preis aus Schweden erhalten, vielleicht hat ihn ein Telefon morgens in der Früh geweckt, eine kräftige Stimme, die ihn aus dem Schlaf gerissen haben könnte mit der Nachricht: Hallo, Sie haben einen Preis gewonnen, wir gratulieren Ihnen.
Und der Herbst war zuerst etwas ungläubig und dann streckte er seinen Bauch heraus und rückte sich die farbige Krawatte zurecht.
Maria, die wilde Cousine hat ihm kurz darauf einen Blumenstrauß schicken lassen und es kann sein, dass er sie mitnimmt nach Oslo, wenn es denn soweit kommen sollte. So ein Preis kann aber auch ein Missverständnis sein, wer weiß.
Es gibt jetzt überall Listen mit den besten Büchern und den erfolgreichsten oder reichsten Fußballspielern (davon allerdings verstehe ich weniger) und wer etwas auf sich hält, lernt die Listen auswendig. Es kann sich ja auch um eine alte oder neue Sprache handeln, deren fremde Zeichen man plötzlich zu entziffern vermag. Das wäre dann mehr als erfreulich, es wäre trés trés chic!
Kommen wir zum Anfang zurück, wir wollen den Herrn loben, der sich„Herbst“ nennt und der Sonne Platz einräumt, damit sie unsere bloßen Füße kitzelt – ich versuche es dieser Tage jedenfalls ohne Socken im Schuh.
Eine sonnige Herbstzeit wünscht euch
Eure Madame de Ouila Foto aus dem schönen Tösstal: Gilbert Tschäppät
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Mein Liebling, die Wand
Mein Liebling ist heute eine Wand. Das ist ein bisschen seltsam, ich weiß. Aber bestimmt könnt ihr euch vorstellen, wie schön es ist, an einem Mittag im Frühherbst in der Stadtbibliothek einen Platz für sich allein zu finden. Mit niemandem sprechen zu müssen. Oder wenn, dann ein freiwilliges „Hallo“ und die schwere Türe offen halten für die junge Frau mit ihren Taschen.
Sobald ich einen Kaffee aus der Maschine laufen gelassen habe, gehe ich in den Hof, laufe über die Kieselsteine, als wäre das Knirschen exquisite Musik. Wähle einen freien Platz und drehe meinen Stuhl gegen die Wand mit einem Abstand von knappen zwei Metern und dem Kaffeebecher auf dem runden Tischchen.
Sobald ich diese Wand sehe, mit dem Schattenspiel des einzigen Baumes inmitten des Hofes, werde ich ruhig. Das Leben ist plötzlich einfach und freundlich. Nicht dass mir plötzlich alle Probleme fremd sind, aber ich weiß, dass ich sie in der Regel nicht allein lösen kann, schon gar nicht die globalen. Es muss ein Miteinander geben. Jetzt, da die Wand während einer knappen Stunde mein Liebling ist, kann ich die Zeit brauchen für mich allein und bin dann später wieder total offen für Gespräche und Diskussionen. Mein Ohr erholt sich gerade. Danke der Stadt für diesen Ort und der Wand für ihre Grenzen.
Ein schönes Wochenende wünscht
Eure Madame de Ouila
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Happy birthday!
Bon, der Sommer ist weg. Dafür wird die Kunst der Herbstblätter wieder sichtbar. Die Kunst von Menschenhand in der Stadt, auch. Kulturnacht zum Beispiel am kommenden Samstag, que je me réjouis!
Vorher, das heisst heute, hat meine Schwester Geburtstag. Und ich muss reisen, um sie zu besuchen. Reisen an die Sprachgrenze. Bonjour und bonsoir im selben Atemzug. Reisen ist nicht schwer. Doch manchmal wünsch ich mir eine Kutsche zurück. Mit zwei schnaubenden Pferden vorne dran. Denn die Züge sind zwischenzeitig, wie soll ich sagen: voll und laut. Klagen will ich trotzdem nicht. Höchstens, dass am kleinen Bahnhof in Seen die Übersicht flöten geht. Zwischenzeitlich nur, wird versprochen. Die s12 wird ausgebaut. Und wenn man am Hauptbahnhof in Winterthur aussteigt, muss man höllisch aufpassen, dass man nicht stolpert. Geduld ist gefragt. Und gutes Schuhwerk.
Und ehrlich gesagt, hatte ich noch nicht den Mut nachzufragen, ob der Schalter in Seen bestehen bleibt. Oder ob die freundlichen Menschen dort ihre Arbeit verlieren oder gezügelt werden. Immerhin hat sich der Nebel von heute morgen verzogen.
Ich brech dann mal auf. Happy birthday allen, die heute feiern können!
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Regenschirm ins Gepäck!
Bonjour in die Stadt, gestern war kein leichter Tag, der Sommer hat sich noch einmal verbeugt und ist gegangen. Ohne sich umzudrehen. Ein sorgenloser, eleganter Gang. Einen Rollkoffer nachgezogen, der hat geklappert auf dem Kopfsteinpflaster der Marktgasse. Was dort wohl alles drin ist? Sonnencrème und Sandale?
Lektüre für die späteren Abendstunden?
Er hat so vieles mitgenommen, aber die Erinnerung gehört uns. Die hat er uns sozusagen ans Herz gelegt, in die Hörgänge, in den Mund. In den ungemütlichen Stunden, in denen wir uns frierend die Hände reiben, vielleicht an einer Bushaltestelle, können wir die Erinnerungen wieder hervornehmen und einander erzählen, was uns am Sommer so gut gefallen hat. Was uns ein Gefühl der Verbundenheit vermittelte. Zum Beispiel diese herrlich unbeschwerten Stunden auf der Steinberggasse während der Musikfestwochen. Die Erinnerung daran wärmt wie ein Abendfeuerchen.
Wärme imaginieren und einander die Geschichten erzählen, die uns so viel bedeutet haben.
Zum Beispiel: „Da war doch ... hast du den gesehen ... und diese Musik in den Beinen“! Und oben haben die Leute aus den Fenstern geschaut und manche lehnten sich bequem in die Fensterrahmen, als wären sie selber ein Bild, das zu betrachten sich lohnt.
Und vergesst den Regenschirmt nicht!
Eure Madame de Ouila
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