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dieperspektive, die lesergenerierte Monatszeitung für Kunst, Kultur & Politik

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«Ich bin ein Mensch, kein Tier.»

«Ich bin ein Mensch, kein Tier.»

Das Haus «Flüeli» steht irgendwo im nirgendwo. Hoffnung, oder nur schon Beschäftigung, gibt es nicht. Die absurde Geschichte des Besuches im Ausreisezentrum für abgewiesene Asylanten. Eine Tragödie in mehreren Szenen.PrologBevor wir das Haus überhaupt sehen können, sehen wir nur weiss: Alles ist zugeschneit an diesem Nachmittag. Kurz nach Landquart montieren wir die Schneeketten, damit wir wenigstens bis ins Dorf Valzeina GR fahren können. Dort ist dann Schluss – die Strasse gleicht einer Tiefschneeroute, das Auto will nicht mehr weiter. Also laufen wir. Eine halbe Stunde den Berg hinauf. Das Dorf weit hinter uns – vor uns kommt ausser Berg, Schnee und Himmel nicht mehr viel. Dann stehen wir vor dem eingeschneiten «Flüeli». Ein ehemaliges Ferienzentrum, in dem seit 2007 Menschen leben, die kein Recht haben, sich in der Schweiz aufzuhalten – definitiv abgewiesene Asylsuchende also. Das ist der Ort, wo sie hingesteckt werden. Es ist wie im Gefängnis. Nur ein bisschen anders. Sie können zwar raus, aber da ist nichts. Ein alter Militär-Jeep steht auf dem Parkplatz, an der Haustüre warnt ein Schild vor dem Eintreten ohne Genehmigung. Da uns der Abteilungsleiter Georg Carl (SVP) vom bündnerischen Amt für «Asyl und Vollzug» eine solche Bewilligung erteilte, betreten wir das Haus. Er riecht nach Essen. Totenstille. Wir rufen. Wir klopfen an Türen.Jetzt schnell ein Abo machen und die neue Ausgabe von dieperspektive zum Thema «Das Boot ist voll» schon bald im Briefkasten haben. Hier für nur 30 Stutz pro Jahr. Szene 1 – Die Beamten und das HausHerr Carl und sein Angestellter Herr Wüest rufen uns in ihr Büro. Herr Wüest arbeitet jeden Tag von morgens um acht bis abends um fünf im «Flüeli» – er ist der Betreuer und Unterkunftsleiter. Herr Carl schaut, dass die knallharte Asylpolitik des Regierungsrates durchgesetzt wird. 2.7% aller Asylsuchenden in der Schweiz kommen in den Kanton Graubünden – das sind 1196. Flüchtlinge, deren Gesuch abgelehnt wurde, haben drei Möglichkeiten: Entweder reisen sie freiwillig aus, sie tauchen unter, oder sie kommen ins «Flüeli». Momentan leben acht Personen im Haus – Platz hätten 40. Sie kriegen nichts ausser Nothilfe. Diese wird nicht in Geld, sondern in Sachleistungen geleistet: Essen und Unterkunft. Das Haus besteht aus vier Stockwerken. Unten ist das Büro, die Küche und der Aufenthaltsraum: Ein Sessel, ein Tisch, zwei Bänke. Sonst nichts. Im ersten, zweiten und dritten Stock wohnen die Menschen.Szene 2 – Der Traum vom SelbstmordDa die Insassen keine Anwesenheitsberechtigung haben, wie Herr Carl ausführt, sollen sie auch keiner Beschäftigung nachgehen dürfen. Zudem ist es eine Strategie, jene, die nicht freiwillig gehen wollen, zur Freiwilligkeit zu zwingen. Der gottverlassene Standort der Unterkunft, das Besuchsverbot, das Beschäftigungsverbot – hier will niemand sein. Einheimische aus Valzeina waren früher oft mit Spielen und Kaffee zu Besuch – Herr Carl fand das ein Stück weit kontraproduktiv. Bei einer scheint diese Strategie nicht so recht ziehen zu wollen. Die 40-jährige Äthiopierin wohnt seit vier Jahren und zwei Monaten im «Flüeli». Ihr Gesuch wurde im Jahr 2009 abgelehnt. Warum? Das weiss sie nicht. Sie habe nie Probleme gemacht. Geflohen ist sie, nachdem ihr Mann bei politischen Unruhen ermordet wurde. Träume hat sie keine mehr. Sie will etwas Sinnvolles tun, schliesslich sei sie ein Mensch, kein Tier. Zur Hälfte möchte sie sterben, die andere Hälfte zwingt sie zum Warten. Worauf? Das weiss sie nicht. Bis es soweit ist, schaut sie fern. Denn lesen und schreiben kann sie nicht.Szene 3 – Von Tamil Tigern und BuddhismusBeim Betreten eines Zimmers schlägt uns dicke Luft entgegen. Der 24-jährige Tibeter geht seiner Hauptbeschäftigung nach, dem Schlafen. Über den Besuch scheinen er und sein Zimmergenosse aus Sri Lanka sich trotzdem zu freuen. Obwohl sie kaum Deutsch sprechen, sprudelt es aus den beiden heraus, als hätten sie seit Wochen kein Gespräch geführt. Nichts gibt es hier zu tun, ausser eben Essen und Schlafen. Eigentlich möchte der Tibeter Fussball spielen. Aber eine Fahrt mit dem Bus nach Landquart kostet 7.50 CHF. Die Betreuer versichern uns, dass die Bewohner immer wieer nach unten fahren. Woher die Asylanten das Geld dafür nehmen, konnten Sie uns auch nicht sagen. Der hagere Flüchtling aus Sri Lanka bekommt hin und wieder Geld von Landsleuten, die er von seiner Zeit vor dem Flüeli kennt. Ohne diese Hilfe wäre er hier oben gefangen. Für grosse Sprünge reicht es trotzdem nicht. Zweimal täglich müssen die Bewohner bei der Anwesenheitskontrolle im Flüeli sein.Szene 4 – Die EmpörtenTermine rufen Herrn Carl nach Chur, wir müssen gehen. Nur unter Beobachtung dürfen sich Personen mit Bewilligung im Haus bewegen. Wieder aus dem Haus bleibt ein dumpfes Gefühl zurück. Es ist Nachmittag und die Strassen sind immer noch völlig zugeschneit. Am anderen Dorfende wohnen Herr und Frau Stirnimann. Für ihr Engagement mit dem Verein «Valzeina Miteinander» gewannen sie letztes Jahr den Paul Grüninger Preis in der Höhe von 50 000 Franken. Das erste Mal ging dieser Preis in die Schweiz. Absicht des Vereins: Das Zusammenleben der Gemeinde, deren Bewohner bis zu einem Viertel aus illegal anwesenden Ausländern besteht, zu erleichtern. Zuerst war Guido Stirnimann wie die meisten gegen das Zentrum. Zu abgeschieden. Wir merken schnell, einige der Bewohner sind ihm ans Herz gewachsen. Er kritisiert vor allem die Aufenthaltsdauer von mehreren Jahren im Flüeli. Mit den Jahren werde man krank hier oben.EpilogVor sieben Jahren sind die ersten abgewiesenen Asylanten nach Valzeina gekommen. Ein Aufschrei hallte durch das Dorf und weit darüber hinaus. Heute ist die grosse Empörung verflogen. Die Asylanten leben abgeschnitten von der Aussenwelt und das über Jahre.  Jene aus dem Dorf verlieren das Flüeli nicht aus den Augen. Nachdenklich schlittern wir über die verschneite Strasse zurück ins Tal. Wir haben eine Ahnung davon bekommen, was es heisst, sich frei bewegen zu können.Text: Conradin Zellweger & Simon JacobyWeitere Artikel auf dieperspektive.ch oder in der Printausgabe.

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