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Freedieperspektive, die lesergenerierte Monatszeitung für Kunst, Kultur & Politik
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Journalismus 2.0 – Teil 2
Im Teil 2 geht es um weniger radikale Möglichkeiten, wie den taumelnden Zeitungen und Zeitschriften auf die Sprünge geholfen werden könnte. Letzte Woche habe ich beschrieben, wie die Medienkrise grob aussieht und wie Philipp Meier seine Kolumnen für dieperspektive schreibt. Nun zeige ich zwei Möglichkeiten, wie die Krise der Zeitungen abgefedert oder überwunden werden kann.Zeitungen leiden darunter, dass die Unternehmen immer weniger Inserate schalten möchten. Das ist gravierend. Je nach Berechnungen verdienen Zeitungen 60-70% ihres Geldes durch den Verkauf von Werbeflächen – der Rest stammt von den Abonnenten. Diese Werbeeinnahmen brachen in den vergangenen Jahren weg. Dies hat zwei Gründe: Einerseits schlägt die Wirtschaftskrise auf die Werbebudgets der Unternehmen und andererseits bietet das Internet neue und präzisere Werbeformate. Nur wenn die Nutzerin das Zalando-Inserat anklickt, muss Zalando dafür bezahlen. Mit den neuen technischen Möglichkeiten können auch die Streuverluste auf ein Minimum gesenkt werden: Wenn jemand gerne reist, weiss das der Computer und bringt Werbungen von Hostels und Reisebüros. Das hat sehr direkt mit den Zeitungen zu tun: Offline sind sie neben den Plakaten die einzigen Anbieter von guten Werbeflächen. Im Internet gibt es tausende Webseiten, die Werbungen ganz einfach integrieren können.Da fehlt also ein ganzer Haufen Geld. Die Zeitungen haben es bis heute nicht geschafft, dass nicht mehr die werbetreibende Wirtschaft, sondern die Kunden – also die Leser – für das Angebot bezahlen. Im Internet wäre das bitter nötig. Doch gerade im Internet sind die Leser nicht bereit, für journalistische Inhalte zu bezahlen, weil sie sich an das Gratis-Angebot gewöhnt haben.Wie können die Zeitungen also Geld sparen? Oder noch besser, wie können sie wieder mehr Geld verdienen?Zeitungen drucken auf Papier. Das war schon immer so. Weil aber Verlage keine Holzhändler sind, sollten sie sich nicht krampfhaft am Papier festhalten. Wichtig ist einzig, dass die Leser für die Inhalte bezahlen und dass die Kosten für Papier, Druck und Versand sinken. E-Paper und e-Reader heissen die Lösungen. Am Beispiel der NY-Times wird die Ineffizienz der gedruckten Zeitung deutlich. Pro Jahr gibt die NY-Times 644 Millionen Dollar für Druck und Versand aus. Würde die Zeitung nun ihren Langzeitabonnenten einmalig einen Kidle-Reader schenken, würde das knapp 300 Millionen kosten. Mehr verdienet würde dadurch nicht, aber verdammt viel Geld gespart.Die zweite Möglichkeit ist, online neue Formate zu entwickeln, wie das die Huffington Post (USA) und Ohmy News (Südkorea) machen. Beide Internet-Zeitungen setzen auf Bürgerjournalismus und beide verdienen sie sehr viel Geld (hauptsächlich mit Werbung). Wie bei dieperspektive können alle die wollen, Texte schreiben und diese der Redaktion senden. Die Redaktion prüft die Fakten, redigiert die Artikel und bringt sie schön aufbereitet an die Leserschaft. Die südkoreanische Variante hat es so unter die sechs einflussreichsten Medien des ganzen Landes gebracht.Die Zukunft der Zeitungen liegt im Internet, mit innovativen Formaten. Text: Simon JacobyWeitere spannende Artikel auf dieperspektive.ch oder im Abo.
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joysunFuchurNikitadaschdryPlease mind the gapRRREVOLVE Fair Fashion & Eco Designcoco
Journalismus 2.0 – Teil 2
Im Teil 2 geht es um weniger radikale Möglichkeiten, wie den taumelnden Zeitungen und Zeitschriften auf die Sprünge geholfen werden könnte.
Letzte Woche habe ich beschrieben , wie die Medienkrise grob aussieht und wie Philipp Meier seine Kolumnen für dieperspektive schreibt. Nun zeige ich zwei Möglichkeiten, wie die Krise der Zeitungen abgefedert oder überwunden werden kann.
Zeitungen leiden darunter, dass die Unternehmen immer weniger Inserate schalten möchten. Das ist gravierend. Je nach Berechnungen verdienen Zeitungen 60-70% ihres Geldes durch den Verkauf von Werbeflächen – der Rest stammt von den Abonnenten. Diese Werbeeinnahmen brachen in den vergangenen Jahren weg. Dies hat zwei Gründe: Einerseits schlägt die Wirtschaftskrise auf die Werbebudgets der Unternehmen und andererseits bietet das Internet neue und präzisere Werbeformate. Nur wenn die Nutzerin das Zalando-Inserat anklickt, muss Zalando dafür bezahlen. Mit den neuen technischen Möglichkeiten können auch die Streuverluste auf ein Minimum gesenkt werden: Wenn jemand gerne reist, weiss das der Computer und bringt Werbungen von Hostels und Reisebüros. Das hat sehr direkt mit den Zeitungen zu tun: Offline sind sie neben den Plakaten die einzigen Anbieter von guten Werbeflächen. Im Internet gibt es tausende Webseiten, die Werbungen ganz einfach integrieren können. Da fehlt also ein ganzer Haufen Geld. Die Zeitungen haben es bis heute nicht geschafft, dass nicht mehr die werbetreibende Wirtschaft, sondern die Kunden – also die Leser – für das Angebot bezahlen. Im Internet wäre das bitter nötig. Doch gerade im Internet sind die Leser nicht bereit, für journalistische Inhalte zu bezahlen, weil sie sich an das Gratis-Angebot gewöhnt haben.
Wie können die Zeitungen also Geld sparen? Oder noch besser, wie können sie wieder mehr Geld verdienen?
Zeitungen drucken auf Papier. Das war schon immer so. Weil aber Verlage keine Holzhändler sind, sollten sie sich nicht krampfhaft am Papier festhalten. Wichtig ist einzig, dass die Leser für die Inhalte bezahlen und dass die Kosten für Papier, Druck und Versand sinken. E-Paper und e-Reader heissen die Lösungen. Am Beispiel der NY-Times wird die Ineffizienz der gedruckten Zeitung deutlich. Pro Jahr gibt die NY-Times 644 Millionen Dollar für Druck und Versand aus. Würde die Zeitung nun ihren Langzeitabonnenten einmalig einen Kidle-Reader schenken, würde das knapp 300 Millionen kosten. Mehr verdienet würde dadurch nicht, aber verdammt viel Geld gespart.
Die zweite Möglichkeit ist, online neue Formate zu entwickeln, wie das die Huffington Post (USA) und Ohmy News (Südkorea) machen. Beide Internet-Zeitungen setzen auf Bürgerjournalismus und beide verdienen sie sehr viel Geld (hauptsächlich mit Werbung). Wie bei dieperspektive können alle die wollen, Texte schreiben und diese der Redaktion senden. Die Redaktion prüft die Fakten, redigiert die Artikel und bringt sie schön aufbereitet an die Leserschaft. Die südkoreanische Variante hat es so unter die sechs einflussreichsten Medien des ganzen Landes gebracht.
Die Zukunft der Zeitungen liegt im Internet, mit innovativen Formaten.
Text: Simon Jacoby
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Journalismus 2.0 – Teil 1
Alle jammern über die Krise der Medien. Einige jammern über eine Krise des Journalismus, der sich den neuen Techniken nicht anpasst. Ein Kolumnist von dieperspektive ist voll fett «Journalismus 2.0».
Was zum Teufel ist los mit den gedruckten Medien? Alle klagen über schwindende Einnahmen aus dem Verkauf von Werbeflächen, alle jammern über die hohen Kosten, die das Machen einer Zeitung mit sich bringen. Obwohl die grossen Medienhäuser weiterhin jährlich gute Gewinne einfahren, wollen sie sparen. Gespart wird bei den Journalisten. Doch der Journalismus ist nicht in einer Krise. Die Krise der Zeitungen hat zwei Enden: sinkende Einnahmen und zu hohe Kosten für Papier, Druck und Versand. Das Drucken und Versenden von Zeitungen machen 60-70% der Kosten für die Produktion einer Ausgabe aus. Die Inhalte, also die Texte, geschrieben von Journalisten, machen nur ungefähr 15% aller Kosten aus.
Auch wenn der Journalismus an sich nicht in der Krise steckt, kann er sich trotzdem den neuen Technologien und Medien anpassen und spektakuläre Neuerungen wagen. Journalisten sind oft stur und altmodisch. Die jüngeren (oder besser: die moderneren) nutzen zwar fleissig Twitter und Facebook, allerdings meistens nicht um mit ihren Lesern zu kommunizieren, sondern um ihre eigenen Artikel zu verbreiten. Journalisten sind eitel und haben einen starken Geltungsdrang. Meistens wollen sie nicht, dass ihnen jemand in ihre Artikel drein schwatzt. Feedback holen? Andere mitschreiben lassen? Geht’s noch?! Sie gefallen sich damit, ihren eigenen Text auf Facebook zu posten ((so wie ich das nachher mit diesem machen werde)). Die mutigeren unter den Journalisten wagen es, sich auf eine Diskussion über eine Kommentarfunktion einzulassen.
Nicht so Philipp Meier. Dieser Herr ist seit zwei Ausgaben Kolumnist der Zeitschrift dieperspektive. Dieser Herr wagt sich an den «Journalismus 2.0». Philipp schrieb schon zwei Artikel über 6000 Zeichen mit Hilfe seiner Freunde und Freundinne auf Facebook. Das geht so: Er postet das Thema («Egoismus 2013») und wartet. Fertig. So einfach kann Journalismus sein. Philipp wartet auf Kommentare, kommentiert selber mit und bastelt daraus am Schluss einen Text, der dynamischer kaum sein könnte. Der Inhalt ist durch die einzelnen Kommentare sehr kompakt und könnte ausformuliert problemlos mehrere Seiten füllen. So einfach geht das.
Nach dem ganzen Loblied noch das Kontra: Philipp Meier betreibt den «Journalismus 2.0» als Extremform, die bei Nachrichtenzeitungen selbstverständlich nicht möglich wäre. In Zeiten der ständigen Kommunikation im Internet kann von den professionellen Kommunikatoren (den Journalisten) erwartet werden, dass sie ihr Mass an Interaktion mit ihren Lesern von heute null auf ein höheres Level heben. Es wäre spannend zu sehen, ob ein solcher interaktiver «Journalismus 2.0» den traditionellen Journalismus, der nicht in einer Krise steckt, auf neue Höhepunkte bringen und so die Medienkrise zumindest etwas lindern könnte.
Text: Simon Jacoby
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Schweiz = Bananenrepublik
Volksinitiativen verstossen immer mal wieder gegen die Verfassung. Das soll sich ändern, sagt der Bundesrat. Seine Vorschläge können als «lauwarm» bezeichnet werden.
Das ist alt: «Nach geltendem Verfassungsrecht erklärt das Parlament eine Volksinitiative für ungültig, wenn sie den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts widerspricht. Volksinitiativen, die übriges Völkerrecht verletzen, unterbreitet das Parlament hingegen Volk und Ständen zur Abstimmung. Können solche Volksinitiativen im Fall einer Annahme auf Gesetzesstufe nicht völkerrechtskonform umgesetzt werden, gerät die Schweiz in eine schwierige Situation: Entweder sie wendet geltendes Verfassungsrecht nicht oder nur teilweise an oder sie verletzt völkerrechtliche Verpflichtungen.»
Das wäre neu: Vor der Unterschriftensammlung prüft das Bundesamt für Justiz und die Direktion für Völkerrecht, ob die geplante Initiative gegen irgendwelches Völkerrecht verstösst. Dies ist für die Initianten durchaus spannend. Doch gibt es da ein grossartiges Problem: «Das Ergebnis der Stellungnahme ist für das Initiativkomitee rechtlich nicht bindend», wie der Bundesrat in seiner Mitteilung schreibt. Die Verwaltung stellt also fest, dass eine Volksinitiative, die die Todesstrafe fordert, ein kleineres Problem mit dem Völkerrecht darstellen könnte. Die Verwaltung unternimmt aber nichts (darf sie auch nicht), um dieses Problem gar nicht entstehen zu lassen. Die Initianten können selber entscheiden, ob sie den Initiativtext anpassen wollen, oder ob sie einen Hinweis auf den Unterschriftenbögen abdrucken wollen. Im Sinn von: «Diese Initiative könnte die Schweiz in ein völkerrechtliches Desaster stürzen.» Weil so aber weiterhin Initiativen mit zweifelhaften Motiven zur Abstimmung gelangen könnten, schlägt der Bundesrat «die Gültigkeitserfordernisse für Verfassungsrevisionen massvoll zu verschärfen.» Nützen wird das überhaupt nichts. Geht es nach dem Bundesrat, würde neu das Parlament vor der Unterschriftensammlung entscheiden, ob eine Initiative mit der Schweizer Verfassung übereinstimmt. Und genau da liegt der Hund begraben. Das Parlament, die Legislative darf entscheiden. Demokratietheoretisch ist es problematisch, wenn die Legislative eine Aufgabe übernimmt, für welche die Justiz zuständig wäre: das Bundesgericht. Eine Initiative soll noch vor dem Start der Unterschriftensammlung vom Bundesgericht darauf geprüft werden, ob sie gegen die Verfassung oder internationales Recht verstösst. Leider wird das aus zwei Gründen nie passieren: Die Schweiz kennt keine ernsthafte Verfassungsgerichtsbarkeit (die Verfassungsgerichtsbarkeit prüft die Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Verfassung). Das Schweizer Parlament wehrt sich hartnäckig und seit Jahren dagegen, dass unser Bundesgericht die Gesetze und Initiativen überprüfen darf. Im Jahr 2012 wurde zum letzten Mal ein solcher Vorschlag abgeschmettert. Der zweite Grund ist einfach und würde Machiavelli freuen: Das Parlament will seine Macht nicht abgeben. Und wird dies auch nicht tun. Die meisten Initiativen werden von Parteien lanciert, die im Parlament vertreten sind. Diese Parteien werden auf keinen Fall gegen ihre eigenen Vorschläge stimmen. Und die anderen Parteien haben keine Lust, als Zerstörer der Volksrechte hingestellt zu werden. Darum werden wir auch in Zukunft über Initiativen abstimmen müssen, die gegen Völkerrecht verstossen. Darum wird die Schweiz auch in Zukunft wegen fragwürdigen Volksentscheiden vom Ausland kritisch beobachtet werden. Demokratie in Ehren, aber alles hat seine Grenzen: Ein Staat ohne Verfassungsgerichtsbarkeit und völkerrechtswidrigen Paragraphen in der Verfassung ist eine Bananenrepublik – keine Alpenrepublik.
Text: Simon Jacoby
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«Ein Hippie müsste man sein»: Befreiung
Horst ist Hippie. Aufgewachsen in einem bürgerlichen Haushalt, in dem der Kuhbestand des Grossvaters stets auf grösseres Interesse als der israelisch-palästinensische Konflikt traf, wurde ihm bei einem Gespräch mit seiner Mutter, die ihm die Vorteile pasteurisierter Milch zu erklären versuchte, plötzlich klar: Es wird Zeit, seinen Penis zu befreien. Denn was er in seiner Lehre zum KFZ-Mechaniker noch nicht gelernt hatte, war, wie man einen Ölwechsel bei einem Mädchen durchführt, und das ärgerte ihn ganz fürchterlich. «Ein Hippie müsste man sein», dachte Horst.«Die sind in den Filmen immer nackt und haben ganz viel Sex». So fing er an, sich Petunien in die Schamhaare zu flechten, politische Parolen, deren Inhalt er nicht verstand, zu skandieren und Grossvaters Hanfseile auf ihre Brennbarkeit zu testen. Bald fand er gleich gesinnte Freunde, doch ihre Anforderungen an ihn waren hoch. Er soll an Goa-Konzerte gehen, sagten sie, denn wer nicht Goa höre, gehöre nicht richtig dazu. Horst fand keinen Zugang zur Musik, und doch fand er sich jedes Wochenende an einer Party wieder. Er soll Häuser besetzen, sagten sie, denn wer das nicht tue, unterstütze die Diktatur des Kapitals. Horst verstand das nicht, und doch war er bei jeder Häuserbesetzung dabei. Er soll gegen Neonazis demonstrieren, sagten sie, denn die lauerten überall. Horst hatte noch nie einen Neonazi getroffen, und doch nahm er an jeder Demonstration gegen sie teil. Als Hippie ist man wahrlich befreit von allen gesellschaftlichen Zwängen. Nur Sex hatte Horst immer noch nicht und das ärgerte ihn ganz fürchterlich.
Text: Manuel Kaufmann¹
Illustration: JH
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¹Manuel Kaufmann, 23, verbringt gerade ein Auslandjahr in Peking, wo er für einmal aufgrund von Sprachschwierigkeiten und nicht wegen seinen abstrusen Gedankengängen missverstanden wird. In Zürich ist er vor allem an Konzerten irgendwelcher kleinen Bands, die niemand mag, anzutreffen, wo er betrunken über Haruki Murakami spricht, was in Verbindung mit seinem unkoordinierten Gelalle ironisch anmutet.
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Binz – wir bleiben alle
Am Samstag zog eine solidarische Menschenmenge durch Zürich. Zeit, einige Dinge klarzustellen.
Tausende junge Menschen tanzten am späten Samstagabend durch die Zürcher Kreise 3 und 4. Die Massenmedien gehen dabei ausschliesslich auf die entstandenen Beschädigungen ein, statt die Hintergründe und Motivationen der Demonstranten aufzuzeigen. Dies muss nachgeholt werden.
Wie viele Menschen tatsächlich beim Umzug dabei waren ist unklar. Schätzungen gehen von mehreren hundert bis zu 3500 Personen. Ich vermute, es waren gegen 2000, die durch die Stadt tanzten. Zur Veranschaulichung: Zu Beginn der Parade war die Strasse von der Binz bis zum Mannesseplatz mit Menschen und musizierenden Wagen gefüllt. In der Mitteilung der Veranstalter steht: «Mit mobilen Bars, rollenden Bühnen, motorisierten DJ-Pulten, einem putzwütigen City Cat und reichlich Dezibel ziehen wir Richtung Innenstadt, um zu demonstrieren was wir brauchen und wofür wir einstehen.»
Die Demonstration verlief friedlich. Die drückende Mehrheit der Teilnehmenden wollte ein Fest feiern. Gute Musik, gute Stimmung, fröhliche Menschen. Es war nicht das erklärte Ziel, Häuser, Fenster, Autos oder Müllcontainer zu beschädigen. Der Tagi und die Polizei bezeichnet die Menschenmenge als «sehr aggressiv» und gewaltbereit. Das ist eine krasse Verzerrung der Tatsachen. Wer dabei war, weiss, dass eigentlich niemand prügeln wollte.
Wie immer, wenn in Zürich Menschen auf die Strasse gehen, laufen einige Querulanten mit. Wie immer, wenn in Zürich Menschen auf die Strasse gehen, fühlt sich die Stadtpolizei provoziert und reagiert mit Gummischrot, Wasserwerfer und Tränengas. So auch dieses Mal. Mit den Anliegen der Demonstration hat weder das Eingreifen der Polizei, noch die Aggressionen einiger Jungs etwas zu tun. Dass eine UBS-Filiale in Wiedikon kaputte Fenster hat kann indes niemanden überraschen. Schliesslich wurde die Bank mit einer Unsumme an Steuergeldern gerettet, für die Weiterführung der Binz hat der Staat aber kein Geld auf der hohen Kante.
Der Umzug und das Binz-Fest hatten ein Ziel und eine Aussage. Das besetzte Industrieareal muss per Ende Mai endgültig geräumt werden. In den letzten Jahren war die Binz eine innerstädtische Oase. Die Kreativen haben in der Stadt plötzlich keinen Platz mehr. Sie fordern «physischen Raum und Akzeptanz» für ihre Anliegen, Kreativität und ihr Engagement. Es gibt einen Grund, warum Häuser besetzt werden und unbewilligte Partys durchgeführt werden. Projekte wie die Europa-Allee, Zürich-West und die Repression wie zum Beispiel im Langstrassenquartier sind Beispiele für die Aufwertungspolitik der Stadt Zürich. Doch was die Stadt als Aufwertung verkauft, bedeutet für den Grossteil der Stadtbevölkerung Verdrängung.
Diese Entwicklung führt zur gezielten Zerstörung des Kleingewerbes, von bezahlbarem Wohnraum und von selbstverwalteten Kultur-, Bildungs- und Wohnzentren wie der Binz, des Autonomen Beauty Salons (ABS) und der Autonomen Schule Zürich (ASZ). Die Demonstranten fürchten sich vor einem «charakterlosen Glanz» in einer gesäuberten Stadt Zürich. Mit dem Umzug durch die Stadt sollte gezeigt werden, dass die Räumung des Binz-Areals nicht zur Folge hat, dass die jungen Menschen keine unbewilligten Feste mehr durchführen werden. Wenn die Binz verschwindet, holen sich die Menschen ihren Platz halt anders wo. Vertreiben lassen sie sich nicht.
Text: Simon Jacoby
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Damit rechtfertigst du genau die vollkommen bescheuerte und idiotische Gewalt und Zerstörung. Dass so noch der letzte Rest an Verständnis und Rücksicht für eure Anliegen verspielt wird, habt ihr wohl noch nicht mitgekriegt!
Und ja, es verwundert niemanden, dass bei der UBS Scheiben eingeschlagen werden... hat aber weniger mit Steuern zu tun, als den immer gleichen Deppen auf Saubannerzug...
Wie die Verwaltung nicht funktionieren sollte
Wer im Kanton Zürich eine Volksinitiative startet, darf diese vorbehaltlos zurückziehen. Leider klappt das nicht immer.
Wir von der Zeitschrift dieperspektive lancierten im vergangenen Juli die Volksinitiative, die Zürich zur Hauptstadt der Schweiz machen wollte. Damit verfolgten wir zwei Ziele: Erstens ist Zürich wirklich die wichtigste Stadt der Schweiz (Grösse, Wirtschaft, Kultur, Mobilität…) und hätte den Titel «Bundesstadt» verdient und zweitens wollten wir eine Diskussion über die direktdemokratischen Instrumente der Schweiz anregen. Gesetzlich vorgeschrieben hatten wir ein halbes Jahr Zeit, um die nötigen 6000 Unterschriften zu sammeln. Dass wir das nicht schaffen würden, war sehr rasch klar. Als kleines Team und ohne Unterstützung der grossen Parteien ist das fast ein Ding der Unmöglichkeit. Die Diskussion über die Initiative fand hingegen in der ganzen Schweiz statt. Ende August zogen wir die Initiative zurück: Mit einem Schreiben an die Direktion der Justiz und des Inneren. Unterschrieben war der Brief von einer Mehrheit des Komitees – wie gefordert. Danach passierte leider nicht viel. Bei Nachfragen auf der Direktion wurden wir vertröstet – die Sachbearbeiter warteten lange auf die Verfügung zum Rückzug. Sie mussten so lange auf die Anweisung von Regierungsrat Graf warten, bis die Sammelfrist abgelaufen war. Dieser Regierungsrat teilte uns dann mit, wir hätten die Unterschriften nicht innerhalb der Frist sammeln können, weshalb die Initiative nun gescheitert sei. Für uns macht das keinen Unterschied. Dass eine Verwaltung bis hoch zum Regierungsrat so nicht funktionieren sollte, ist wohl klar. Es ist enttäuschend, dass die Direktion der Justiz sich nicht an die Bestimmungen hält, die sie sich selber und vom Stimmvolk auferlegt bekommen hatte.
Epilog (passt irgendwie zur ganzen Geschichte): Die Mediensprecher von Regierungsrat Graf sicherten uns eine Stellungnahme zu diesem Verhalten zu, liessen aber die einwöchige Frist ungenutzt verstreichen…
Text: Simon Jacoby
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