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BESETZT – Ein Volksstück
Von Michelle SteinbeckVielleicht habt ihr’s gar nicht bemerkt: Die paar Rastas, Anarchos und Transparente mehr, die grad vor dem Clubraum rumhängen, verschmelzen ja harmonisch mit der Graffitiwand. Aber jetzt wisst ihr’s: Die Rote Fabrik ist besetzt. Eine Truppe aus Geflüchteten und Hausbesetzern hat die Kulturfestung eingenommen.Hineingestiefelt sind sie, direkt ins grosse Theaterfestival zum In-Thema Flucht. Ha, Timing! Stellen sie also ihr eigenes Bühnenbild auf: Zelte und Leintücher – «Yuppies raus». Kostüme und Rollen sind schon verteilt: Velokurier, «Kein Mensch ist illegal»-Gymnasiast, und der richtige, echte Bsetzi im obligaten versifften Hoodie. Die Flüchtlinge probieren derweil erheitert das Megafon.Lustig, aber worum geht’s? Die Besetzer zogen die letzten drei Tage durch Flüchtlingscamps im Kanton. Soll heissen: Sie spürten zwischen Autobahnausfahrten versteckte Luftschutzbunker auf, in denen pro Zimmer 30 Menschen eingepfercht auf ihre Schicksals-Bescheide warten. Um die menschenunwürdigen Bedingungen anzuprangern, wurde beschlossen: Ein Occupy muss her.Unbedingt, aber warum in der Roten Fabrik? «Denk wegen dem paternalistischen Kulturmensch-Getue», referieren die Kuriere. «Der schaut sich ein schön nachdenkliches Theater an, geht heim, trinkt Wein und vergisst alles wieder.» Also die Fabrik als zum linksbürgerlichen Unterhaltungstempel verkommenen Verräter? Die Kuriere zucken die Schultern, sie wollen nicht mehr dazugehören – «wir gehn grillieren». Es sei doch scheisse, Streit anzufangen mit dem Theater, den Technikern. Die nun nicht mehr in den Clubraum dürfen, in dem ein Flucht-Spezial-Poetry Slam hätte stattfinden sollen. Denen von den Hoodies Tische unter den Ellenbogen weggezogen werden: «Die gehören jetzt uns!» Die ausgelacht werden, wenn sie zu Performance und Diskurs einladen: «Wir sollten die Chance nutzen, wo wir doch fürs Gleiche kämpfen.» Aber diese drehen nur die Musik auf.Das Stück nimmt fröhlich seinen Lauf: Die Besetzer beleidigen sich gegenseitig mit «Hippie», die Fabrikler schütteln die Köpfe, die Kulturbesucher sind verwundert, dass die Flüchtlinge nicht nur nur konsumfertig zubereitet in den Stücken vorkommen, sondern live und ohne klar definierbare Rolle direkt vor der Nase zu orientalischer Technomusik rumstehen. Oder gehört das zur Inszenierung?Ich sitze und schaue zu, wie die Hoodies grosse Pfannen herantragen. Hungrig vom eifrigen Urteilen überlege ich, wofür ich mich am besten ausgeben und einen Pappteller füllen könnte. Da setzt sich einer neben mich und teilt mit mir seinen Reis. Darauf gehen wir ins Theater, der kurdische Syrer und ich. Gesagt wird drinnen dasselbe wie draussen: Privilegierte, die sich über Geflüchtete unterhalten; Kommunales Wahlrecht; Stadt für alle. Usw.Der Syrer sagt, das Theater hat ihm gefallen. Vor allem findet er super, dass er grad nicht in seiner Asylantenwohnung in Bülach hocken muss und warten, bis er genug Deutsch kann, um in der Shisha-Bar oder im Spital zu arbeiten, wie seine Freunde.Ich musste dann auf den letzten Zug. Das Tanzen habe ich verpasst. Angeblich hat es stattgefunden, alle Fronten vereint – wie aufgelöst. Bleibt nur zu hoffen, dass die Versöhnung nicht mit dem Kater verschwindet. Denn dieser Kampf, Linkere linken Linke, ist verschwendete Energie. Und hilft sicher nicht denen, die im Bunker sitzen und warten.
BESETZT – Ein Volksstück
Von Michelle Steinbeck
Vielleicht habt ihr’s gar nicht bemerkt: Die paar Rastas, Anarchos und Transparente mehr, die grad vor dem Clubraum rumhängen, verschmelzen ja harmonisch mit der Graffitiwand. Aber jetzt wisst ihr’s: Die Rote Fabrik ist besetzt. Eine Truppe aus Geflüchteten und Hausbesetzern hat die Kulturfestung eingenommen.
Hineingestiefelt sind sie, direkt ins grosse Theaterfestival zum In-Thema Flucht. Ha, Timing! Stellen sie also ihr eigenes Bühnenbild auf: Zelte und Leintücher – «Yuppies raus». Kostüme und Rollen sind schon verteilt: Velokurier, «Kein Mensch ist illegal»-Gymnasiast, und der richtige, echte Bsetzi im obligaten versifften Hoodie. Die Flüchtlinge probieren derweil erheitert das Megafon.
Lustig, aber worum geht’s? Die Besetzer zogen die letzten drei Tage durch Flüchtlingscamps im Kanton. Soll heissen: Sie spürten zwischen Autobahnausfahrten versteckte Luftschutzbunker auf, in denen pro Zimmer 30 Menschen eingepfercht auf ihre Schicksals-Bescheide warten. Um die menschenunwürdigen Bedingungen anzuprangern, wurde beschlossen: Ein Occupy muss her.
Unbedingt, aber warum in der Roten Fabrik? «Denk wegen dem paternalistischen Kulturmensch-Getue», referieren die Kuriere. «Der schaut sich ein schön nachdenkliches Theater an, geht heim, trinkt Wein und vergisst alles wieder.» Also die Fabrik als zum linksbürgerlichen Unterhaltungstempel verkommenen Verräter? Die Kuriere zucken die Schultern, sie wollen nicht mehr dazugehören – «wir gehn grillieren». Es sei doch scheisse, Streit anzufangen mit dem Theater, den Technikern. Die nun nicht mehr in den Clubraum dürfen, in dem ein Flucht-Spezial-Poetry Slam hätte stattfinden sollen. Denen von den Hoodies Tische unter den Ellenbogen weggezogen werden: «Die gehören jetzt uns!» Die ausgelacht werden, wenn sie zu Performance und Diskurs einladen: «Wir sollten die Chance nutzen, wo wir doch fürs Gleiche kämpfen.» Aber diese drehen nur die Musik auf.
Das Stück nimmt fröhlich seinen Lauf: Die Besetzer beleidigen sich gegenseitig mit «Hippie», die Fabrikler schütteln die Köpfe, die Kulturbesucher sind verwundert, dass die Flüchtlinge nicht nur nur konsumfertig zubereitet in den Stücken vorkommen, sondern live und ohne klar definierbare Rolle direkt vor der Nase zu orientalischer Technomusik rumstehen. Oder gehört das zur Inszenierung?
Ich sitze und schaue zu, wie die Hoodies grosse Pfannen herantragen. Hungrig vom eifrigen Urteilen überlege ich, wofür ich mich am besten ausgeben und einen Pappteller füllen könnte. Da setzt sich einer neben mich und teilt mit mir seinen Reis. Darauf gehen wir ins Theater, der kurdische Syrer und ich. Gesagt wird drinnen dasselbe wie draussen: Privilegierte, die sich über Geflüchtete unterhalten; Kommunales Wahlrecht; Stadt für alle. Usw.
Der Syrer sagt, das Theater hat ihm gefallen. Vor allem findet er super, dass er grad nicht in seiner Asylantenwohnung in Bülach hocken muss und warten, bis er genug Deutsch kann, um in der Shisha-Bar oder im Spital zu arbeiten, wie seine Freunde.
Ich musste dann auf den letzten Zug. Das Tanzen habe ich verpasst. Angeblich hat es stattgefunden, alle Fronten vereint – wie aufgelöst. Bleibt nur zu hoffen, dass die Versöhnung nicht mit dem Kater verschwindet. Denn dieser Kampf, Linkere linken Linke, ist verschwendete Energie. Und hilft sicher nicht denen, die im Bunker sitzen und warten.
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La Vie de la Bohème: In Zeiten von moralisch verfaulten Medienhäusern
Von Michelle Steinbeck Ein Journalist war mal einer, der was auf sich halten konnte. Heute ist er selbst bei den grössten Medienhäusern nicht davor gefeit, zur Volksverdummung beizutragen und fast ausschliesslich über Ekelhaftigkeiten zu schreiben. Eben das, was Klicks gibt und Likes und Kommentare; eben das, was die Leute wollen. Sein eingerahmtes Master-Diplom wird der junge Journalist spätestens während des ersten «Männer, die Menstruationsblut trinken»-Artikels schamvoll gegen die Wand drehen, und am Ende der Probewoche – es kamen noch «Fisting für Anfänger» und «Männer, die Windeln tragen» dazu – resigniert in den Papierkorb fallen lassen.
Künden kann er nicht, muss er doch sein 1500 fränkiges Zimmer in einer Kiffer-WG am Zürcher Stadtrand bezahlen. Falls er in einer mutigen Sekunde trotzdem sein institutionalisiertes Kulturkapital aus dem Abfall zieht, in der naiven Hoffnung, doch etwas finden zu müssen, was keine konstante Beleidigung seiner Bildung, geschweige denn seines Anstandes darstellt, so sitzt im nächsten Augenblick bereits seine Nachfolgerin am Platz, auf die schon die heissersehnte Story «Sex mit dem Ex» wartet.
Sie muss dann an seiner statt Kommentare von Usern über sich ergehen lassen, die so vollständig daneben, am Thema vorbei und vor allem unfassbar unkreativ sind, dass es die Neuangekommene schaudert. Egal worüber sie in den nächsten unterbezahlten Monaten schreiben wird, sie wird beschimpft, belästigt, bedroht, belächelt, im besten Fall wird ihr geraten, sie solle doch «etwas Richtiges» lernen. Nach kurzer Recherche wird ihr klar, dass sie noch gut wegkommt im Gegensatz zum Vorgänger, dem des Öfteren geraten wurde, er als Schwuler solle sich doch endlich umbringen.
Wenn sie, entsetzt von dieser offensichtlichen Barbarei, die sie mit ihren blödsinnigen Artikeln noch weiter anheizen soll, aufsteht und sich lautstark ins Grossraumbüro hinaus empört, es wird ihr doch nur geraten, sich schnell wieder zu setzen oder die Tür leise hinter sich zuzumachen. Wenn sie aber so in Rage wäre, dass sie sich nicht einschüchtern lassen und weiter pladoyieren würde, so hitzig gestikulierend inmitten aller Spanplatten-Bunks und Büropflanzen stehend, über die Köpfe der bleichen Roboter hinweg; wenn sie Begriffe wie «Verantwortung» und «Bildungsauftrag» in die stickige Luft spucken würde – vielleicht, ja wahrscheinlich würde sich einer der erfahreneren Textgeneratoren erbarmen und schulterzuckend sagen: «Ethik ist langweilig».
Die junge Journalistin räumt den Schreibtisch und geht hinaus in die Welt. Sie wird ein wenig reisen, ein paar weitere Praktika abbrechen, und vielleicht wird sie eine aufstrebende Künstlerin. Dann lädt man sie ein auf die Terrasse eines dieser Medienhäuser, wo sie mit einem kränklichen Jungjournalisten Zigaretten raucht. Der sagt, dass er sich freue, dass sie hier sei, dass er sonst nur Scheiss schreiben müsse. Aber er hätte die Redaktion überzeugen können, dass das Mädchen in einem kursierenden Sextape ihr sehr gleiche, dass es wahrscheinlich sie selbst wäre, und so hätten sie zum Interview zugestimmt. Er hätte sich sonst nicht vorbereitet, aber sie solle doch einfach mal drauflos, er würde schon was daraus machen, und die Kommentare, die solle sie am besten gar nicht lesen, oder einfach drüber lachen.
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Policy of Truth
Von Etrit Hasler Was bisher geschah: Heerscharen von pigmentsprekarisierten Kulturdeserteuren drohten das Mittelmeer zum Überlaufen zu bringen, weil sie in ihren Koranschulen nur unzulänglichen Schwimmunterricht erhalten hatten. Kein Wunder – in so einer Burka kann man die Arme ja nicht genügend bewegen und der Bart alleine hält auch nicht vom Absaufen ab. Die Vereinigten Regierungen von Eurostan nahmen sich konsequent und schlüssig der Sache an, und stoppten jeglichen Bootsverkehr, insbesondere die berüchtigten Pleasure Cruises, die bis dahin die zahlreichen Gay Communities (allen voran die Insel Lesbos – bitch please) an den Küsten mit Frischfleisch beliefert hatten. Die eingesparte Wasserverdrängung bot locker Platz für ein paar hunderttausend Wasserleichen.
Doch die Regierungen von Eurostan hatten die Rechnung ohne die Freiluftwanderer gemacht, denen die Sonne eben nur die Hautfarbe, aber nicht das Hirn eingeschwärzt hatte. In einem perfiden Anfall von Überlebenslogik verlegten diese kurzerhand ihr nicht-so-ganz-Nacktwandern (schon daran ist zu erkennen, dass sie nicht zu unserer Kultur passen) vom Lemminggang ins Meer zum Landmarsch über die moralischen Minenfelder des Balkans – der wie wir schnell erkennen mussten, wie anno 1914 wieder bis nach Wien reicht.
Von dieser Schwarmintelligenz vollkommen überrascht und osmotisch überfordert, wendeten sich die Schattenkabinette Eurostans der letzten Ressource zu, in der sie den daherstürmenden Invasoren zweifellos noch überlegen waren: ihrem Glauben. Befeuert von heiligem Feuer taten sie den grossen Beschwörungstanz, den grossen Widersacher höchstpersönlich herbeizurufen: den Ziegenköpfigen Baphomet des Ostens, Recep Tayip Erdogan. Dieser löste für den Schnäppchenpreis ihrer ohnehin wertlosen Seelen all ihre Probleme, indem er nicht nur Kraft seiner allmächtigen Panzer alle Grenzen schloss, sondern gleich noch die ehemals überbevölkerten Ferienlager in Aleppo, Atmeh und Azaz freibombte. (Man merke: Baphomet ist des Alphabets mächtig und arbeitet sich systematisch bis nach Zürich vor). Problem gelöst.
In der Zwischenzeit hatte sich Gott aus seinem tausendjährigen Schlaf kurz erweckt, in den er gefallen war, nachdem er Opium und Netflix erschaffen hatte, und begann gelangweilt, wie er immer noch war, zu masturbieren. Und ausgerechnet ins heilige Deutschland fiel sein Samen und daraus erwuchs ein neuer Messiah: Ein schmächtiger, dürrer Vielschwätzer, und dieser sprach zu seinen Jüngern: «Dies ist ein Schmähgedicht. Sehet den Ziegenkopf. Erstaunt es euch wirklich, dass er sich nur mit seinesgleichen paaren will?» Die Orthodoxie des einzigen wahren Glaubens war schockiert und versuchte schnell, den neuen Messiah mundtot zu machen mit Strafbestimmungen und Mediatheklöschungen, doch der Schaden war angerichtet. Weltweit bekannten sich die Menschen zur Meinungsfreiheit, ja, selbst Jungfröntler Lukas Reimann liess sich mit einer Hand vor dem Mund ablichten (eine durchaus relevante Verbesserung des Ist-Zustandes).
Bis hierhin sind wir gekommen. Draussen sterben gerade Menschen. Shit keeps happening. Ich sitze hier, hacke in meine Tastatur und vermeine, in der Ferne den Klang von Trompeten zu hören.
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