Frau_Bitterboes
Frau_Bitterboes
FreeÖppis mit Medien. Ausgebildete Schauspielerin. Schreiberlingin. Reisefüdli. Crazy Cat Lady.
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Zürich
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 20: De herói
Wir sahen uns also wieder, der Journalist und ich, am rodoviaria (Busbahnhof) in Recife, wo wir uns verabredet hatten, um gemeinsam Richtung Norden, nach João Pessoa zu fahren. Ok, er kam "als richtiger Brasilianer natürlich zu spät", wie er mir per SMS aus dem Taxi mitteilte. Jeito brasileiro! :-) João Pessoa ist die Hauptstadt des Bundesstaats Paraiba, nicht besonders gross und rund zwei Stunden von Recife entfernt. Der Anfang unseres Aufenthalts verläuft schon mal harzig, denn es pisst. Nix mit Badehose, wir gehen ins Kino. "300 - A Ascensão de um Império", auf Portugiesisch. Aber ich habe kaum Mühe, den Film zu verstehen, denn wie schon im ersten Teil geht´s einfach nur um halb nackte, beinhart durchtrainierte Männer und Krieg. Diesmal gibt´s das Ganze aber noch in 3D, die Macher lassen das Blut deshalb noch höher spritzen.Ansonsten ist João Pessoa auch eher etwas verschlafen. Ausser ein paar ganz netten Stränden (aber nach Fernando de Noronha ist man einfach unglaublich verwöhnt!) und einem hübschen historischen Zentrum, hat das Kaff eigentlich nicht viel zu bieten. Halt! Doch, es gibt da tatsächlich eine kleine Sensation: Jurandy. Das ist ein Musiker, der seit ungefähr 20 Jahren am Praia do Jacaré (Krokodil-Strand, ich habe aber nur welche aus Plastik gesehen) jeden Sonnenuntergang mit seinem Saxophon und Ravels Bolero begleitet. Und mit jedem Sonnentuntergang, MEINE ich JEDEN! Jurandy gönnt sich offenbar nie Ferien, so wurde uns das jedenfalls gesagt. Und wenn er dann, ganz selten natürlich, mal krank ist, dann hat er eine Vertretung. Das heisst also, am Praia do Jacaré wird wirklich JEDER pôr do sol bespielt, was ich schon eine beträchtliche Leistung finde. Aber das lockt natürlich auch dementsprechend viele Schaulustige an. Und darauf hat der Strand reagiert: es wimmelt nur so von lojas mit Souvenirs und typisch brasilianischen Fressständen mit pipoca und tapioca. Romantik ist also schon mal nicht, auch wenn´s um den Sonnenuntergang geht. Und man fährt am besten früh genug hin, wenn die Sonne noch hoch oben am Himmel steht, denn man muss sich schliesslich einen guten Platz für das Spektakel sichern. Der Journalist und ich setzen uns (eher zufällig zwar) in das Restaurant mit Veranda aufs Meer hinaus, das Jurandy auch gleich unter Vertrag hat. Dafür müssen wir aber natürlich auch etwas konsumieren, also gibt es Cola und überteuerten, frittierten queijo coalho. Auf der Veranda und allen anderen rundherum drängen sich die Menschen, ihre Kameras und Smartphones bereits gezückt. Die Spannung steigt! Mann kann den Sonnenuntergang leider nicht so gut sehen, weil dicke Wolken am Himmel hängen, aber zum Glück teilt uns wiederholt eine laute Frauenstimme ab Band mit, dass es jetzt dann gleich losgehen werde, und zwar gesponsert von Blablabla und Blublublu. Wir müssen ein bisschen lachen. Ja, und dann legen die Streicher und Trommler los, der wohlbekannte Bolero erschallt aus allen Boxen am Strand. Es wird bedächtig gelauscht, die Hälse recken sich: Wo kommt denn jetzt dieser Typ?? Endlich setzt das lang ersehnte Saxophon ein, geblasen von Jurandy auf einem kleinen Fischerboot. Stolz und heroisch gleitet er an allen Schaulustigen vorbei und steht dabei wie ein Fels in der Brandung, keine Welle kann ihn erschüttern. Der Mann, der hinter ihm rudert, schafft es sogar, mit dem Boot Pirouetten zu drehen, damit auch alle Leute Jurandy mal von vorne zu Gesicht bekommen. Aber auch das meistert der Musiker ohne einzigen Holperer. Wir fragen später den Taxifahrer, ob Jurandy denn schon mal ins Wasser gefallen sei, und er meint: Nein, nein, nur fast. Erstaunlich!Die Sonne geht unter und es wird zusammen mit dem sich steigernden Bolero immer dunkler. Wir haben schliesslich die Ehre, dass Jurandy genau auf unserer Veranda an Land geht, und immer noch Saxophon spielend andächtig durch die Menge schreitet. Die Leute flippen fast aus, der Mann muss für unzählige Fotos posieren, natürlich ohne aus dem Takt zu fallen. Aber nach 20 Jahren kriegt er das locker hin. Schliesslich ist der Spuk vorbei, und Jurandy wird fleissig beklatscht. Der Held geht ins nächste Restaurant, um dort die Leute mit seinem Saxophon zu beschallen. Aber das Spektakel sollte erst noch richtig losgehen, verspricht jedenfalls die Stimme ab Band. Denn jetzt käme noch die Heilige Maria.Es kommt dann aber wieder nur Jurandy auf seinem Fischerboot, dass hell beleuchtet in der Nacht auf dem Meer funkelt. Er spielt Ave Maria, und eine Frau singt live dazu, leider ungefähr so gut wie ich, also soso-lálá. Und am Schluss dann taucht sie wirklich auf, die Maria. Sie steigt plötzlich aus dem Boot empor, es sieht ein bisschen so aus, als hätte man ein Sackmesser aufgefaltet, oder so wie ein Jack in the Box, der an einer Sprungfeder herausschnellt, sobald man den Deckel von der Schachtel nimmt. Auch sie leuchtet wie der Stern von Bethlehem. Der Journalist und ich müssen wieder lachen, diesmal noch lauter. Nach drei Tagen schliesslich trennen sich unsere Wege wieder. Er fährt zurück nach Hause nach Recife, für mich geht´s weiter nach Pipa. Und wie es der Zufall wieder will: sein Bus fährt genau zur selben Zeit wie meiner, einfach in die andere Richtung. Pipa war ursprünglich ein Fischerdorf und ist heute so etwas wie eine brasilianische Hippie-Hochburg. Hier sind Aussteiger, Surfer, Lebenskünstler und andere Freigeister aus aller Welt versammelt, offenbar gibt es nirgends sonst im Land soviele verschiedene Nationalitäten (ich höre aber ausser Portugiesisch nur Spanisch und einmal Englisch); der Ort wird in den Reisebüchern oft als "magisch" beschrieben. Das liegt aber wahrscheinlich nicht nur an den malerischen Stränden und Buchten, sondern vor allem auch daran, dass dort ein ziemlich gravierendes Drogenproblem herrscht. Das merkt man schnell, wenn man durch´s Hippie-Dorf mit seinen zahlreichen Designerkleider-, Biokost- und Handwerkskunst-Läden spaziert. An vielen Ecken sitzen ziemlich kaputte Gestalten, denen man nicht unbedingt alleine im Dunkeln begegnen möchte. Drugs, Sex and Rock ´n´Roll halt, free minds, free love und so...Apropos dunkel: In Pipa steige ich zum ersten Mal aus dem Bus und habe noch keine Unterkunft reserviert. Ich denke, ich nehm einfach ein Taxi und lass mich irgendwohin fahren.Ähä.Weit und breit kein Taxi zu sehen. Ich muss also mit meinem Fünf-Tönner am Rücken (wieviele Paar Schuhe hab ich schon wieder dabei? Wieso haben sie sich eigentlich während meiner Brasilienreise noch vermehrt? Und wieso trage ich seit vier Monaten tagein, tagaus eh nur meine chinelos, die ich zu Weihnachten gekriegt habe??) und der nur leicht leichteren Version vor der Brust losmarschieren. Es ist Nacht, und ich habe schon nach zwei Minuten keine Lust mehr, mit dem schweren Gepäck durch die düsteren Strassen zu schleichen. Das ist ja so, als würde sich ein Huhn dem Metzger schon auf der Schlachtbank präsentieren! Ich gehe also in die erstbeste Pousada und frage nach einem freien Zimmer zu angemessenem Preis. Das gibt es, und man zeigt es mir. Ich schmeisse erleichtert meine Rucksäcke aufs Bett und sage zu. Ich freue mich einfach, wieder einen Raum ganz für mich alleine zu haben, denn in João Pessoa waren der Journalist und ich je in einem Sechser-Schlag untergebracht (natürlich brasilianisch katholisch fein säuberlich nach Geschlechtern getrennt, damit auch ja niemand auf dumme Gedanken kommt), und obwohl es ganz lustig war mit den anderen Frauen, ich will einfach nicht die ganze Zeit Rücksicht nehmen müssen, fragen, ob ich jetzt duschen könne und mich auf Zehenspitzen reinschleichen, wenn ich die letzte bin, die schlafen geht (was nach einer weiteren, sehr caipirinha-lastigen Forró-Tanznacht der Fall war).Ok, also wieder mal schön für mich allein in Pipa. Dummerweise merke ich aber erst nach dem Bezahlen, dass mein Zimmer gar kein Fenster hat. Also, nur ein kleines im Bad, aber sonst ist es ohne Kunstlicht stockfinster. Ja nu, bin ja eh nur zum Schlafen dort, und dann ist dunkel ja auch ganz angemessen... Das Aufregendste, das mir in Pipa passiert, ist eine überraschende Flut. Man kann nämlich sehr weit den Strand entlangspazieren, aber eben nur bei Ebbe. Doch was habe ich schon für eine Ahnung von den Gezeiten? Jedenfalls will ich zurück zu meiner Pousada laufen, da merke ich, dass der halbe Strand schon unter Wasser steht. Aber ich denke, tranquilo, vai dar, das schaff ich schon noch, und klettere todesmutig über die Felsen, die Pipas Strände in verschiedene Abschnitte unterteilen. Nur, das Wasser steigt wirklich schnell, und ich rutsche auf den glitschigen Steinen immer wieder aus - wenn ich es überhaupt schaffe, auf sie draufzukommen. Die Wellen werfen mich hin und her, und ehe ich mich versehe, steh ich bis zum bunda im Wasser. Ich kann auch nicht mehr sehen, wo ich drauftrete, und das tut manchmal ganz schön weh. Zum Glück kommt gerade ein Brasilianer des Weges, der sich sehr viel geschickter über die Felsen zu bewegen weiss, ja, wie eine junge Gämse von Stein zu Stein hüpft und das erst noch barfuss. Er bleibt stehen, als er sieht, wie ich zu kämpfen habe, aber natürlich will ich mir keine Blösse geben und tue so, als wäre ich ganz ruhig, alles voll easy, amigo, mach ich jeden Tag so, bei Flut über Felsen kraxeln, nenhum problema. Aber der Mann glaubt mir nicht wirklich, zieht mich an der Hand aus dem Wasser und deutet mir einen einfacheren, trockeneren Weg aus der Gischt heraus. Insgeheim bin ich saufroh, er hat mich sicher vor dem Ertrinken gerettet, aber mein Stolz lässt nicht zu, ihm meine Erleichterung zu zeigen, also lächle ich meinen Helden nur mild an und hauche ein "obrigada". Züri-Tussi halt! Aber das Leben gibt einem ja immer noch eine zweite Chance, und so kann ich mich beim Schicksal bald revanchieren. Nach zwei Tagen in Pipa fahre ich nämlich weiter nördlich, nach Natal. Die Hauptstadt von Rio Grande do Norte ist bekannt für ihre Sanddünen. Die nur anzukucken, ist aber ziemlich langweilig. Deshalb entscheide ich mich für eine Buggy-Tour (die Brasilianer sprechen das übrigens als "Buugi" aus, mein zweitliebstes Wort nach "Feisibuki", Facebook :-)). Allerdings nur widerwillig, denn erstens finde ich, dass diese Strandkarren ökologischer Blödsinn sind, weil sie alles plattwalzen und die Umwelt verpesten. Und zweitens macht das einfach jeder Tourist hierein Fakt, der mich ja bekannterweise immer gleich auf Abstand zwingt. Aber naja, viele andere Möglichkeiten habe ich nicht, und weil ich ja mitreden will, setze ich mich zusammen mit drei brasilianischen Touristen (einer Frau aus Rio und einem frischverheirateten Pärchen im lua de mel aus Campinas) und einem Fahrer in so einen Buggy.Und leider muss ich gestehen: das macht ganz schön Spass!! Und zwar vor allem, weil man weiss, dass das im eigenen Land verboten wäre (wohl zurecht)! Volle Pulle über den Sand, natürlich nicht angeschnallt, und meistens auch noch stehend und sich am Dach festkrallend, das ist pures Adrenalin!! Wir kreischen und jubeln und hoffen, dass der Fahrer nie eine Vollbremsung hinlegen muss, denn das würde unseren sicheren Tod bedeuten. Es ist übrigens auch keine gute Idee, sich noch zwei Minuten vor der Spritztour mit Sonnencrème einzureiben. Sich mit glitschigen Händen bei ich weiss nicht wie vielen KmH auf einer Achterbahn festzuhalten, gestaltet sich nämlich als unheimlich schwierig! Zum Glück habe ich aber seit meinen zwei Monaten stehend Pendeln in Rios Stadtbussen sehr gut trainierte Hand- und Wadenmuskeln... Anyway, ich bin etwas abgedriftet, disculpem. Also, zurück zum Schicksal und so. Es begibt sich also, dass auf dieser Buggy-Tour auch ein Besuch in Natals Aquarium ansteht. Ist jetzt nicht so spektakulär, vor allem habe ich mich gefragt, was AFFEN in einem AQUARIUM zu suchen haben (keine Angst, sie waren in einem Käfig, nicht im Wasser!). Jedenfalls, als ich in Richtung Ausgang schreite, wundere ich mich plötzlich, warum es im dunklen Gang so viel Nebel hat. Und wieso brennt da eine Fackel in der Ecke? Ein bisschen Stimmung zum Ende? Geisterbahn?Nein, da steht doch tatsächlich ein Ventilator lichterloh in Flammen, direkt über dem Ausgang! Ich stutze: Ist das jetzt wirklich noch niemandem aufgefallen??Ich gehe noch mal zurück ins Aquarium und dort zum ersten Angestellten, der mir über den Weg läuft."Com licença, mas o ventilador ta queimando." Ok, ich gebe zu, das portugiesische Wort für "brennen" fällt mir nicht sofort ein, ich benütze deshalb eine ad hoc-Eigenkreation."Oi?""Esse ventilador alí. QUEIMANDO!" Ich erinnere mich wieder, aber ich glaube, die Affen im Käfig nebenan verstehen mich noch vor den Menschen, denn sie hängen sich plötzlich an die Gitterstäbe und beginnen hysterisch zu kreischen (echt, jetzt!). Ausserdem schwebt uns eine dichte Rauchschwade entgegen.Und da rennt der Mann auch schon los, und ich hinterher, um gerade noch mitansehen zu können, wie das brennende Ding an der Wand explodiert und auf den Boden knallt. Den Flammen wird mit einem Feuerlöscher der Garaus gemacht, und ich verlasse das Gebäude durch den Eingang, um nicht ersticken zu müssen.Ja, gut, es war jetzt nicht sooooo dramatisch, aber ich bin trotzdem ein bisschen stolz, habe ich einige Hundert Fische, Schildkröten, Schlangen, Echsen, Pinguine, einen grossen Hai, Affen und natürlich auch ein paar Menschen vor dem sicheren Feuertod bewahrt. Jedenfalls stelle ich mir das so vor in meiner Fantasie...Der alarmierte Aquariums-Angestellte bedankt sich nach dem grossen Durcheinander denn schliesslich auch angemessen bei mir, der Heldin, so rasch beim Vorbeigehen: "Obrigado, viu?".Ich mache eine gespielt coole Geste mit der Hand, so als sei das Ganze für mich gar nichts Besonders gewesen. "De nada."
- Züri-Blog von Frau Bitterbös, Maxim Theater Zürich (2)
Züri-Blog von Frau Bitterbös
Maxim Theater Zürich
Zur Zeit arbeiten wir an einem neuen Stück, zusammen mit dem Lehrhaus Zürich. Première ist voraussichtlich im November 2015.
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ToastydamarakuhnR-Blueevelineleistpatriciafurrerfrida_zhAlice im WunderlandandreahamidaTheMadHatterazaninClaudiaRosaRota
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- Der schönste Ort in der Stadt:
- Mein Bett.
Öppis mit Medien. Ausgebildete Schauspielerin. Schreiberlingin. Reisefüdli. Crazy Cat Lady.
- Der schönste Ort in der Stadt:
- Mein Bett.
- An diesem Ort kann ich mich am besten entspannen:
- In meinem Bett.
- Meine Lieblingsbar:
- Mein Bett.
- Da nehme ich noch einen Schlummi:
- In meinem Bett.
Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 20: De herói
Wir sahen uns also wieder, der Journalist und ich, am rodoviaria (Busbahnhof) in Recife, wo wir uns verabredet hatten, um gemeinsam Richtung Norden, nach João Pessoa zu fahren. Ok, er kam "als richtiger Brasilianer natürlich zu spät", wie er mir per SMS aus dem Taxi mitteilte. Jeito brasileiro! :-)
João Pessoa ist die Hauptstadt des Bundesstaats Paraiba, nicht besonders gross und rund zwei Stunden von Recife entfernt. Der Anfang unseres Aufenthalts verläuft schon mal harzig, denn es pisst. Nix mit Badehose, wir gehen ins Kino. "300 - A Ascensão de um Império", auf Portugiesisch. Aber ich habe kaum Mühe, den Film zu verstehen, denn wie schon im ersten Teil geht´s einfach nur um halb nackte, beinhart durchtrainierte Männer und Krieg. Diesmal gibt´s das Ganze aber noch in 3D, die Macher lassen das Blut deshalb noch höher spritzen.
Ansonsten ist João Pessoa auch eher etwas verschlafen. Ausser ein paar ganz netten Stränden (aber nach Fernando de Noronha ist man einfach unglaublich verwöhnt!) und einem hübschen historischen Zentrum, hat das Kaff eigentlich nicht viel zu bieten. Halt! Doch, es gibt da tatsächlich eine kleine Sensation: Jurandy. Das ist ein Musiker, der seit ungefähr 20 Jahren am Praia do Jacaré (Krokodil-Strand, ich habe aber nur welche aus Plastik gesehen) jeden Sonnenuntergang mit seinem Saxophon und Ravels Bolero begleitet. Und mit jedem Sonnentuntergang, MEINE ich JEDEN! Jurandy gönnt sich offenbar nie Ferien, so wurde uns das jedenfalls gesagt. Und wenn er dann, ganz selten natürlich, mal krank ist, dann hat er eine Vertretung. Das heisst also, am Praia do Jacaré wird wirklich JEDER pôr do sol bespielt, was ich schon eine beträchtliche Leistung finde.
Aber das lockt natürlich auch dementsprechend viele Schaulustige an. Und darauf hat der Strand reagiert: es wimmelt nur so von lojas mit Souvenirs und typisch brasilianischen Fressständen mit pipoca und tapioca . Romantik ist also schon mal nicht, auch wenn´s um den Sonnenuntergang geht. Und man fährt am besten früh genug hin, wenn die Sonne noch hoch oben am Himmel steht, denn man muss sich schliesslich einen guten Platz für das Spektakel sichern.
Der Journalist und ich setzen uns (eher zufällig zwar) in das Restaurant mit Veranda aufs Meer hinaus, das Jurandy auch gleich unter Vertrag hat. Dafür müssen wir aber natürlich auch etwas konsumieren, also gibt es Cola und überteuerten, frittierten queijo coalho . Auf der Veranda und allen anderen rundherum drängen sich die Menschen, ihre Kameras und Smartphones bereits gezückt. Die Spannung steigt! Mann kann den Sonnenuntergang leider nicht so gut sehen, weil dicke Wolken am Himmel hängen, aber zum Glück teilt uns wiederholt eine laute Frauenstimme ab Band mit, dass es jetzt dann gleich losgehen werde, und zwar gesponsert von Blablabla und Blublublu. Wir müssen ein bisschen lachen.
Ja, und dann legen die Streicher und Trommler los, der wohlbekannte Bolero erschallt aus allen Boxen am Strand. Es wird bedächtig gelauscht, die Hälse recken sich: Wo kommt denn jetzt dieser Typ?? Endlich setzt das lang ersehnte Saxophon ein, geblasen von Jurandy auf einem kleinen Fischerboot. Stolz und heroisch gleitet er an allen Schaulustigen vorbei und steht dabei wie ein Fels in der Brandung, keine Welle kann ihn erschüttern. Der Mann, der hinter ihm rudert, schafft es sogar, mit dem Boot Pirouetten zu drehen, damit auch alle Leute Jurandy mal von vorne zu Gesicht bekommen. Aber auch das meistert der Musiker ohne einzigen Holperer. Wir fragen später den Taxifahrer, ob Jurandy denn schon mal ins Wasser gefallen sei, und er meint: Nein, nein, nur fast. Erstaunlich!
Die Sonne geht unter und es wird zusammen mit dem sich steigernden Bolero immer dunkler. Wir haben schliesslich die Ehre, dass Jurandy genau auf unserer Veranda an Land geht, und immer noch Saxophon spielend andächtig durch die Menge schreitet. Die Leute flippen fast aus, der Mann muss für unzählige Fotos posieren, natürlich ohne aus dem Takt zu fallen. Aber nach 20 Jahren kriegt er das locker hin.
Schliesslich ist der Spuk vorbei, und Jurandy wird fleissig beklatscht. Der Held geht ins nächste Restaurant, um dort die Leute mit seinem Saxophon zu beschallen.
Aber das Spektakel sollte erst noch richtig losgehen, verspricht jedenfalls die Stimme ab Band. Denn jetzt käme noch die Heilige Maria.
Es kommt dann aber wieder nur Jurandy auf seinem Fischerboot, dass hell beleuchtet in der Nacht auf dem Meer funkelt. Er spielt Ave Maria, und eine Frau singt live dazu, leider ungefähr so gut wie ich, also soso-lálá. Und am Schluss dann taucht sie wirklich auf, die Maria. Sie steigt plötzlich aus dem Boot empor, es sieht ein bisschen so aus, als hätte man ein Sackmesser aufgefaltet, oder so wie ein Jack in the Box, der an einer Sprungfeder herausschnellt, sobald man den Deckel von der Schachtel nimmt. Auch sie leuchtet wie der Stern von Bethlehem. Der Journalist und ich müssen wieder lachen, diesmal noch lauter.
Nach drei Tagen schliesslich trennen sich unsere Wege wieder. Er fährt zurück nach Hause nach Recife, für mich geht´s weiter nach Pipa. Und wie es der Zufall wieder will: sein Bus fährt genau zur selben Zeit wie meiner, einfach in die andere Richtung.
Pipa war ursprünglich ein Fischerdorf und ist heute so etwas wie eine brasilianische Hippie-Hochburg. Hier sind Aussteiger, Surfer, Lebenskünstler und andere Freigeister aus aller Welt versammelt, offenbar gibt es nirgends sonst im Land soviele verschiedene Nationalitäten (ich höre aber ausser Portugiesisch nur Spanisch und einmal Englisch); der Ort wird in den Reisebüchern oft als "magisch" beschrieben. Das liegt aber wahrscheinlich nicht nur an den malerischen Stränden und Buchten, sondern vor allem auch daran, dass dort ein ziemlich gravierendes Drogenproblem herrscht. Das merkt man schnell, wenn man durch´s Hippie-Dorf mit seinen zahlreichen Designerkleider-, Biokost- und Handwerkskunst-Läden spaziert. An vielen Ecken sitzen ziemlich kaputte Gestalten, denen man nicht unbedingt alleine im Dunkeln begegnen möchte. Drugs, Sex and Rock ´n´Roll halt, free minds, free love und so...
Apropos dunkel: In Pipa steige ich zum ersten Mal aus dem Bus und habe noch keine Unterkunft reserviert. Ich denke, ich nehm einfach ein Taxi und lass mich irgendwohin fahren.
Ähä.
Weit und breit kein Taxi zu sehen. Ich muss also mit meinem Fünf-Tönner am Rücken (wieviele Paar Schuhe hab ich schon wieder dabei? Wieso haben sie sich eigentlich während meiner Brasilienreise noch vermehrt? Und wieso trage ich seit vier Monaten tagein, tagaus eh nur meine chinelos , die ich zu Weihnachten gekriegt habe??) und der nur leicht leichteren Version vor der Brust losmarschieren. Es ist Nacht, und ich habe schon nach zwei Minuten keine Lust mehr, mit dem schweren Gepäck durch die düsteren Strassen zu schleichen. Das ist ja so, als würde sich ein Huhn dem Metzger schon auf der Schlachtbank präsentieren! Ich gehe also in die erstbeste Pousada und frage nach einem freien Zimmer zu angemessenem Preis. Das gibt es, und man zeigt es mir. Ich schmeisse erleichtert meine Rucksäcke aufs Bett und sage zu. Ich freue mich einfach, wieder einen Raum ganz für mich alleine zu haben, denn in João Pessoa waren der Journalist und ich je in einem Sechser-Schlag untergebracht (natürlich brasilianisch katholisch fein säuberlich nach Geschlechtern getrennt, damit auch ja niemand auf dumme Gedanken kommt), und obwohl es ganz lustig war mit den anderen Frauen, ich will einfach nicht die ganze Zeit Rücksicht nehmen müssen, fragen, ob ich jetzt duschen könne und mich auf Zehenspitzen reinschleichen, wenn ich die letzte bin, die schlafen geht (was nach einer weiteren, sehr caipirinha-lastigen Forró-Tanznacht der Fall war).
Ok, also wieder mal schön für mich allein in Pipa. Dummerweise merke ich aber erst nach dem Bezahlen, dass mein Zimmer gar kein Fenster hat. Also, nur ein kleines im Bad, aber sonst ist es ohne Kunstlicht stockfinster. Ja nu, bin ja eh nur zum Schlafen dort, und dann ist dunkel ja auch ganz angemessen...
Das Aufregendste, das mir in Pipa passiert, ist eine überraschende Flut. Man kann nämlich sehr weit den Strand entlangspazieren, aber eben nur bei Ebbe. Doch was habe ich schon für eine Ahnung von den Gezeiten? Jedenfalls will ich zurück zu meiner Pousada laufen, da merke ich, dass der halbe Strand schon unter Wasser steht. Aber ich denke, tranquilo, vai dar , das schaff ich schon noch, und klettere todesmutig über die Felsen, die Pipas Strände in verschiedene Abschnitte unterteilen.
Nur, das Wasser steigt wirklich schnell, und ich rutsche auf den glitschigen Steinen immer wieder aus - wenn ich es überhaupt schaffe, auf sie draufzukommen. Die Wellen werfen mich hin und her, und ehe ich mich versehe, steh ich bis zum bunda im Wasser. Ich kann auch nicht mehr sehen, wo ich drauftrete, und das tut manchmal ganz schön weh.
Zum Glück kommt gerade ein Brasilianer des Weges, der sich sehr viel geschickter über die Felsen zu bewegen weiss, ja, wie eine junge Gämse von Stein zu Stein hüpft und das erst noch barfuss. Er bleibt stehen, als er sieht, wie ich zu kämpfen habe, aber natürlich will ich mir keine Blösse geben und tue so, als wäre ich ganz ruhig, alles voll easy, amigo , mach ich jeden Tag so, bei Flut über Felsen kraxeln, nenhum problema . Aber der Mann glaubt mir nicht wirklich, zieht mich an der Hand aus dem Wasser und deutet mir einen einfacheren, trockeneren Weg aus der Gischt heraus. Insgeheim bin ich saufroh, er hat mich sicher vor dem Ertrinken gerettet, aber mein Stolz lässt nicht zu, ihm meine Erleichterung zu zeigen, also lächle ich meinen Helden nur mild an und hauche ein "obrigada" . Züri-Tussi halt!
Aber das Leben gibt einem ja immer noch eine zweite Chance, und so kann ich mich beim Schicksal bald revanchieren. Nach zwei Tagen in Pipa fahre ich nämlich weiter nördlich, nach Natal. Die Hauptstadt von Rio Grande do Norte ist bekannt für ihre Sanddünen. Die nur anzukucken, ist aber ziemlich langweilig. Deshalb entscheide ich mich für eine Buggy-Tour (die Brasilianer sprechen das übrigens als "Buugi" aus, mein zweitliebstes Wort nach "Feisibuki", Facebook :-)). Allerdings nur widerwillig, denn erstens finde ich, dass diese Strandkarren ökologischer Blödsinn sind, weil sie alles plattwalzen und die Umwelt verpesten. Und zweitens macht das einfach jeder Tourist hierein Fakt, der mich ja bekannterweise immer gleich auf Abstand zwingt. Aber naja, viele andere Möglichkeiten habe ich nicht, und weil ich ja mitreden will, setze ich mich zusammen mit drei brasilianischen Touristen (einer Frau aus Rio und einem frischverheirateten Pärchen im lua de mel aus Campinas) und einem Fahrer in so einen Buggy.
Und leider muss ich gestehen: das macht ganz schön Spass!! Und zwar vor allem, weil man weiss, dass das im eigenen Land verboten wäre (wohl zurecht)! Volle Pulle über den Sand, natürlich nicht angeschnallt, und meistens auch noch stehend und sich am Dach festkrallend, das ist pures Adrenalin!! Wir kreischen und jubeln und hoffen, dass der Fahrer nie eine Vollbremsung hinlegen muss, denn das würde unseren sicheren Tod bedeuten.
Es ist übrigens auch keine gute Idee, sich noch zwei Minuten vor der Spritztour mit Sonnencrème einzureiben. Sich mit glitschigen Händen bei ich weiss nicht wie vielen KmH auf einer Achterbahn festzuhalten, gestaltet sich nämlich als unheimlich schwierig! Zum Glück habe ich aber seit meinen zwei Monaten stehend Pendeln in Rios Stadtbussen sehr gut trainierte Hand- und Wadenmuskeln...
Anyway, ich bin etwas abgedriftet, disculpem . Also, zurück zum Schicksal und so.
Es begibt sich also, dass auf dieser Buggy-Tour auch ein Besuch in Natals Aquarium ansteht. Ist jetzt nicht so spektakulär, vor allem habe ich mich gefragt, was AFFEN in einem AQUARIUM zu suchen haben (keine Angst, sie waren in einem Käfig, nicht im Wasser!).
Jedenfalls, als ich in Richtung Ausgang schreite, wundere ich mich plötzlich, warum es im dunklen Gang so viel Nebel hat. Und wieso brennt da eine Fackel in der Ecke? Ein bisschen Stimmung zum Ende? Geisterbahn?
Nein, da steht doch tatsächlich ein Ventilator lichterloh in Flammen, direkt über dem Ausgang! Ich stutze: Ist das jetzt wirklich noch niemandem aufgefallen??
Ich gehe noch mal zurück ins Aquarium und dort zum ersten Angestellten, der mir über den Weg läuft.
"Com licença, mas o ventilador ta queimando." Ok, ich gebe zu, das portugiesische Wort für "brennen" fällt mir nicht sofort ein, ich benütze deshalb eine ad hoc-Eigenkreation.
"Oi?"
"Esse ventilador alí. QUEIMANDO!" Ich erinnere mich wieder, aber ich glaube, die Affen im Käfig nebenan verstehen mich noch vor den Menschen, denn sie hängen sich plötzlich an die Gitterstäbe und beginnen hysterisch zu kreischen (echt, jetzt!). Ausserdem schwebt uns eine dichte Rauchschwade entgegen.
Und da rennt der Mann auch schon los, und ich hinterher, um gerade noch mitansehen zu können, wie das brennende Ding an der Wand explodiert und auf den Boden knallt. Den Flammen wird mit einem Feuerlöscher der Garaus gemacht, und ich verlasse das Gebäude durch den Eingang, um nicht ersticken zu müssen.
Ja, gut, es war jetzt nicht sooooo dramatisch, aber ich bin trotzdem ein bisschen stolz, habe ich einige Hundert Fische, Schildkröten, Schlangen, Echsen, Pinguine, einen grossen Hai, Affen und natürlich auch ein paar Menschen vor dem sicheren Feuertod bewahrt. Jedenfalls stelle ich mir das so vor in meiner Fantasie...
Der alarmierte Aquariums-Angestellte bedankt sich nach dem grossen Durcheinander denn schliesslich auch angemessen bei mir, der Heldin, so rasch beim Vorbeigehen: "Obrigado, viu?".
Ich mache eine gespielt coole Geste mit der Hand, so als sei das Ganze für mich gar nichts Besonders gewesen. "De nada."
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 19: Coincidências no paraíso
Es gibt da so ein Sprichwort in Brasilien: Wenn man stirbt kommt man ins Paradies, nach Fernando de Noronha. Grund genug für mich, diesen Ort zu besuchen, denn das klingt nach optimaler Erholung nach dem Carnavals-Stress. Und man hat mir Haie und Schildkröten in Aussicht gestellt - I´m in!!!
Fernando de Noronha ist eine Inselgruppe, und liegt eine Flugstunde von Recife entfernt, gehört also noch zum Bundesstaat Pernambuco. 21 Inseln zählt sie insgesamt, aber nur die grösste ist bewohnt, rund 4000 Menschen leben da. Die Unesco hat sie auf ihre Liste der Weltnaturerben aufgenommen. Brasilien ist also sehr darauf bedacht, die insgesamt 26 km2 so gut es geht zu erhalten. Deshalb wird der Tourismus auf Fernando de Noronha auch reguliert, das heisst, die Zahl der Besucher beschränkt. Ebenfalls deren Aufenthaltsdauer. Das merkt man schon bei der Einreise am Flughafen, denn dort wird man noch vor der Gepäckausgabe erst mal zur Kasse gebeten. Für die Tage, die man auf der Insel bleibt, muss man eine Umweltsteuer bezahlen. Je länger der Aufenthalt, desto teurer also. Aber ich bezahle ja gerne für das Paradies (muss das allerdings auf meine Abreise verschieben, denn der Kreditkartenleser funktioniert gerad enicht).
Überhaupt muss man auf Fernando de Noronha ein gut gefülltes Portemonnaie mitnehmen (und zwar mit Bargeld, Karten funktionieren hier tatsächlich oft nicht). Die Unterkünfte sind relativ teuer, man findet auch keine schäbigen Hostels mit 10er-Schlägen oder so. Geht man im klitzekleinen Supermarkt einkaufen, staunt man ebenfalls über die stolzen Preise, also besser den Deo, die Sonnencrème, und am besten auch gleich noch ein paar Guetzli und Chips schon selber mitbringen. Und bevor man überhaupt loslegen kann mit dem Entdecken der Insel, muss man sich auch noch einen Eintritt für den Nationalpark besorgen, mit ganz schön happigen Preisen.
Beim Konsum von Wasser und Strom hingegen ist Sparsamkeit angesagt, denn davon gibt´s dort nicht zuviel. Dafür hat´s gratis wifi für alle - wenn es denn funktionieren würde. Aber mal kurz Fotos vom Tauchausflug verschicken oder so kann man sich hier abschminken, genauso wie sämtliche Social-Media-Plattformen und Mail-Accounts. Das muss man alles verschieben, bis man wieder auf dem Festland ist.
Aber der Aufwand und die Mühen lohnen sich also definitiv! Denn Fernando de Noronha ist tatsächlich paradiesisch pra caramba ! Die wunderschönsten Strände, das klarste, türkisblaue Wasser, atemberaubende Sonnenuntergänge und viel unberührte Natur - man wähnt sich fast in einem gefotoshoppten Ferienkatalog. Aber es ist alles echt!
Also, ab ins Wasser! Ans Schnorcheln an der Praia do Sueste habe ich hohe Ansprüche: wehe, es kommt kein Hai und keine Schildkröte vorbei! Aber ich werde nicht enttäuscht, denn die Haie warten schon am Strand auf mich, als ich mir in Taucherbrille, Schwimmweste (leider Vorschrift hier) und Flossen meinen Weg ins Wasser bahne (rückwärts, anders kann man sich in diesen Flossen ja nicht bewegen, wenn man nicht alle zwei Meter auf die Fresse fallen will). Ok, ich gebe zu, die Raubfische sind klein, dafür aber in Gruppen unterwegs, und ich bin sicher: auch die Kleinen haben scharfe Zähne!
Kaum paddle ich los und bestaune die Unterwasserwelt, da gleitet schon ein grösseres Exemplar (die Mama??) unter mir vorbei. Das macht ziemlich Eindruck! Ich weiss nicht, aber Haie sehen irgendwie fies aus, deswegen faszinieren sie mich wohl so. Fies und elegant. Würde sich dieses Viech für mich interessieren, könnte das sehr blutig enden, für mich.
Aber ich und alle anderen Schnorchler sind nicht von Interesse für die Haie hier. Wahrscheinlich haben sie eh schon zu viele von uns gesehen. Und sind genervt ab dem ewigen, hysterischen Geschrei ( "Tubarão!!!! Olha ki, TUBARÃÃÃÃOOOOOO!!!!!!!!!!!!!!" ), was ich sehr gut verstehen kann, denn auch mit dem Kopf unter Wasser hört man das Gekreische und es geht einem wirklich auf den Sack.
So, Haie abgehakt, jetzt bitte Schildkröten ( "TARTARUUUUUUGGGAAAAAAAAAAAA!!!!!!!!!!!!!" )! Jep, ich habe Glück: schon bald nach dem Hai schwimmt mir so eine entgegen!
Man hat uns ja vor dem Schnorcheln angewiesen, bloss nichts unter Wasser zu berühren, keine Tiere, keine Korallen, keine Pflanzen. Ich gehe also immer auf respektvollen Abstand. Die Haie halten sich auch an diese Regel, aber die Schildkröte macht mir gleich von Anfang an klar: " Embora você , jetzt komme ich!" Ich muss ihr tatsächlich ein bisschen ausweichen, damit wir nicht auf Kollisionskurs kommen, und beim Kreuzen glotzt sie mich mit ihrem Schlafzimmerblick triumpfierend an.
Natürlich behalte ich meinen "Fund" für mich, denn ich will die anderen Schnorchler nicht herlocken, sondern die Schildkröte schön allein für mich geniessen. Ich sehe noch einige weitere, auch andere Haie und viele bunte Fische, grosse und kleine, schöne und hässliche. Am liebsten sind mir so kleine gestreifte, die einem immer direkt vor die Taucherbrille schwimmen und in die Augen sehen. Ich weiss nicht genau, was sie damit bezwecken.
Ich versuche, mich beim Schnorcheln noch ein bisschen mehr herauszufordern, und gehe deshalb auf ein Schiff. Das zieht die Schnorchler hinter sich her. Ein wirklich angenehmes Gefühl, so richtig leicht und schwerelos - ausser man ist so doof wie ich und zieht einen trägerlosen Bikini an. Ganz toll, die ganze halbe Stunde im Wasser bin ich damit beschäftigt, mich mit der einen Hand am Seil festzukrallen und mit der anderen meine Brüste zu bedecken, denn mein Oberteil rutscht beim Ziehen bis hinunter zum Bauchnabel. Und ich kann es noch so oft wieder in Position bringen, es will einfach nicht bleiben.
Klar, ihr denkt jetzt: Was soll´s, schnorchelst du halt oben ohne, sieht doch keiner im Wasser. Ähm, eben doch, man hängt zu sechst an den Seilen, und JEDER hat eine Taucherbrille auf, t´endendeu ? Zu meinem grossen Glück hatte der Typ grad neben mir noch eine Unterwasserkamera mit dabei, danke aber auch....
Ich sehe bei diesem Schnorchelgang also leider nichts anderes, als meine Hand vor meiner Brust, und ich bin ganz schön angepisst, als mir die anderen nachher wieder von Schildkröten und Haien erzählen. Nur die Horde Delphine, die an uns vorbeflitzt, als ich mich auf dem Oberdeck sonne, kann mich noch trösten. Und sie kuriert mein Trauma vom Amazonas, denn anders als die hässlichen Fluss-Delphine sind die hier richtige, hübsche Flipper!
Ausser Tauchen, Schnorcheln, Schwimmen, in der Sonne liegen und die Schönheit der Natur bestaunen, kann man auf Fernando de Noronha nicht viel anderes machen. Wer trotzdem nicht früh ins Bett gehen will, hat zwei Optionen: die Bar do Cachorro (ich hab dort aber nur Katzen gesehen, sowohl zwei- als auch vierbeinige) oder so eine Pizzeria mit Tanzfläche grad neben der Kirche (am Sonntag wird zuerst brav die Messe abgewartet, bevor es losgeht). An beiden Orten spielen fast jeden Abend Live-Bands, natürlich meistens Forró , der für diese Region typische Musikstil.
Und ich habe Gesellschaft: zwei Brasilianer Ende 20. Wir wohnen alle drei in derselben Pousada. Den einen, ich nenne ihn den Sänger, weil er auf Fernando de Noronha öfters zu Mikrofon und Gitarre greift und das SEHR gut, lerne ich erst dort kennen. Den anderen bereits im Flugzeug. Er sitzt nämlich neben mir, aber ehrlich gesagt, reden wir nichts miteinander. Ich bin irgendwie müde und lasch nach dem ganzen Carnaval, und mache ihm drum grad von Anfang an klar, dass ich nicht zum Plaudern zu haben bin, indem ich meine revista aus dem Rucksack ziehe und mich demonstrativ in einen Text vertiefe.
Wir treffen uns dann wieder im Bus vom Flughafen zum Hotel. Und jetzt wird´s langsam seltsam, denn eigentlich habe ich eine andere Unterkunft gebucht als er, aber als ich dort ankomme, will man plötzlich nichts mehr wissen von meiner Reservation. Kurzerhand werde ich umgeteilt, und zwar in die selbe Pousada wie mein Sitznachbar im Flugzeug. Und natürlich kriege ich auch noch das Zimmer genau neben ihm. Und buche die selbe Schnorcheltour am selben Tag wie er.
Wir sind uns beide langsam unheimlich und beginnen, uns gegenseitig auszufragen. Nun, dabei kommt raus, dass sowohl er als auch ich Journalisten sind. Ich frage ihn, wo er denn arbeite, und er: ""Bei dem Magazin, das du dir im Flugzeug angekuckt hast. Du hast meinen Artikel gelesen."
Ok, wir machen also das Beste draus und verbringen unsere Zeit auf Fernando de Noronha gemeinsam (offenbar können wir uns gar nicht aus dem Weg gehen!), die Nächte eben auch noch zusammen mit dem Sänger.
In der Bar do Cachorro und in der Pizzeria wird fleissig getanzt. Ich bin praktisch die einzige Gringa, es gibt also kein Entkommen. Meine brasilianischen Begleiter führen mich in die Kunst des Forró ein. Ich stelle mich einigermassen an, sie loben mich sogar sehr, aber wahrscheinlich auch nur, um freundlich zu sein. Ich falle regelmässig aus dem Takt und schaue neidisch zu, wie die brasilianischen Tanzpaare neben mir total elegant und synchron übers Parkett gleiten und so ganz nebenbei auch noch schnell ein paar spontane Drehungen und komplizierte Figuren hinkriegen. Ich wimmle jeden anderen Mann ab, der mich zum Tanz auffordert, aus Angst, mich zu blamieren. Meine neuen brasilianischen Freunde hingegen sind selber schuld.
Ein anderes Hobby von uns dreien ist das gute Essen, und das gibt´s auf Fernando de Noronha zu Hauf. Ok, ich muss zugeben, ich lasse mich vom Sänger und dem Journalisten anstecken, denn ich selber bin nun wirklich kein Gourmet. Ich bin mit dem schäbigen Tapioca -Stand um die Ecke schon wunschlos glücklich (meine Favoriten sind queijo coalho und leite condensado, hmmmm!), aber sie beide bevorzugen etwas edlere Restaurants mit brasilianischer Sterne-Küche. Ich lerne auf diese Weise sehr viel neue typische Lebensmittel hier kennen, dauernd stellen die beiden moços sicher, dass ich kulinarisch auch ja nichts verpasse (" Já experimentou blablabla? Und blublublu, schon mal gehört? Das musst du unbedingt probieren, das ist so gross und blau und wächst im Regenwald...")
Ich bin ein bisschen traurig, als ich Fernando de Noronha nach vier Tagen wieder verlasse. Es gefällt mir nämlich sehr gut im Paradies. Wenn so der Tod aussieht, dann habe ich gegen das Sterben nichts einzuwenden!
Meine beiden Begleiter bleiben noch etwas länger auf der Insel, ich muss also Abschied nehmen. Aber den Journalisten sehe ich bald wieder, denn wie könnte es anders sein, stimmt zufällig auch unser nächstes Reiseziel überein, João Pessoa. Wir beschliessen also, auch dieses Abenteuer gemeinsam zu wagen.
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 18: Ordem e progresso 3: Um thriller brasileiro
Hatte ich mich nicht erst grad neulich darüber gefreut, dass mir auf meiner Brasilien-Reise bis jetzt noch nichts Unangenehmes passiert ist, ausser ein paar undurchsichtige Hotel-Reservationen und ein Jahrhundert-Sonnenbrand?
Hätte ich mal lieber schön den Mund gehalten!! Denn das Schicksal hatte mich wohl gehört und entschieden, mir eine Lektion zu erteilen. Deshalb folgt hier Teil 3 meiner allseits beliebten Reihe: "Was nicht so toll ist in Brasilien" - allerdings möchte ich vorausschicken: das folgende Beispiel hätte mir gerade so gut zu Hause im Kreis 4 passieren können und hat nichts mit dem sistema brasileiro zu tun.
Das Leben kann wirklich fies sein, erst serviert es dir alle erdenklichen, leckeren Süssigkeiten auf dem Silbertablett (ich war auf Fernando de Noronha, im PARADIES, aber dazu das nächste Mal), und wenn du dich so richtig sattgefressen hast, haut es dir mit der Stahlkeule auf den Kopf.
Ich kehre also von der Super-Insel zurück nach Recife, glücklich und zufrieden. Ich wohne wieder im Haus der lieb-verrückten Brasilianerin, diesmal bin ich allein in einem Zimmer. So morgens um 1, nach einem Besuch im Kino (ich musste mir ja den Oscar-Gewinner mal anschauen, 12 ANOS DE ESCRAVIDAO, meu Deus , ich musste so weinen!), gehe ich ins Bad grad nebenan und lasse dabei die Zimmertüre offen (ERROR!!!!). Ich putze mir die Zähne und so, und kehre nach 10 Minuten zurück. Totmüde will ich schlafen und lege mich ins Bett. Oh, noch schnell den Wecker stellen auf meinem iphone.
Äh, mein iphone?
Äh, Moment, und meine Digicam, die doch grad noch daneben auf dem Tisch lag? Mit all meinen Fotos der letzten drei Monate?
WEG!!!
Ganz toll!! Da hat doch jemand tatsächlich meine Pinkelpause ausgenützt und schnell mein gesamtes elektronisches Arsenal geklaut!!!! Und ich hatte im Bad noch gehört, wie jemand im Haus umherging, aber ich dachte, es sei einfach ein anderer Bewohner, der nach Hause gekommen war. Schön blöd!!!
Jetzt muss ich noch mehr weinen als nach dem Sklaven-Film.
Nach dem ersten Schock renne ich wie von der Tarantel gestochen durchs Haus und suche alles ab. Ich renne auch auf die Strasse, aber da ist nichts und niemand. Ich habe plötzlich Panik, ich könnte allein in dem riesigen Haus sein, und mache überall Licht und klopfe an alle Türen. Ein Mann mittleren Alters kommt aus einem Zimmer, ein Brasilianer auf Geschäftsreise. Ich erzähle ihm aufgebracht, was passiert ist, und er staunt nicht schlecht, denn offenbar war nur einige Stunden zuvor ein Pärchen im Haus ebenfalls um seine Kameras erleichtert worden.
Ok, das kann nicht mit rechten Dingen zugehen! Ich und der Mann beschliessen, auf dem Sofa direkt beim Hauseingang Wache zu halten. Es soll niemand hinein oder hinaus!
Wir harren also aus, bewaffnet mit einer Flasche Mückenspray, Stunden um Stunden. Alles bleibt ruhig.
Am Morgen können wir schliesslich endlich die Hausbesitzerin erreichen, sie fährt sofort her, noch mit dem Kissenabdruck im Gesicht und einem Teller Frühstücks- Tapioca in der Hand.Sie ruft erneut die Polizei, denn die war schon nach dem Raub im Zimmer des Pärchens angerückt.
Es kommen zwei Polizisten, aber so richtig in Vollmontur, Springerstiefel und schusssichere Weste, jetzt ohne Scheiss! Hätte ich noch ein Handy oder eine Kamera gehabt, ich hätte ein Foto geschossen!
Ich muss die ganze Geschichte nochmals von vorne erzählen, und alles wird protokolliert. Ich lasse auch durchblicken, dass ich meine Mitbewohner der Tat verdächtige, denn ehrlich gesagt: andere haben keinen Zutritt zum Haus, und eingebrochen wurde ja nicht! Und ausserdem: würde tatsächlich ein Fremder draussen vor der Tür warten, morgens um 1, bis ich ins Bad gehe und dann in mein Zimmer huschen und eine billige Kamera und ein iphone stehlen, das sowieso mit einem Code gesperrt ist? Wohl eher nicht!
Auch die Polizisten machen klar: das war kein Einbruch, das war einer der Gäste inhouse. Sie durchsuchen alle Zimmer, alle öffnen bereitwillig ihre Türen, Schränke, Koffer und Rucksäcke.
Nichts!
Ich weiss nicht, soll ich enttäuscht sein oder mich freuen, dass sich keiner meiner sehr netten Mitbewohner als gemeiner Dieb entpuppte...?
Die Polizei geht wieder, nicht ohne vorher noch mit mir geflirtet zu haben ( "De onde você é? Ta sozinha aqui no Brasil? Já fez amigos? Tchau, Miriam!" ). Danach sitzen die Hausbesitzerin und sämtliche ihrer Gäste zusammen auf dem Sofa.
Es ist eine Szene wie aus einem Film, einem Krimi, indem es darum geht, herauszufinden, wer der Mörder war. TATORT. DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER. DIE DREI FRAGEZEICHEN. DER FALL VON OJ SIMPSON. AKTE XY UNGELÖST.
Natürlich gibt sich jeder im Haus betroffen und präsentiert sein Alibi. Aber immer, wenn einer mal kurz den Raum verlässt, tuscheln die anderen über ihn (" Eu acho que foi ele! Ele é estranho!" ). Jeder verdächtigt jeden, es ist eine seltsame, unangenehme Situation. Aber zugegeben: es könnte tatsächlich jeder gewesen sein, so leid es mir auch tut..
Der Mann, der mit mir auf dem Sofa ausharrte (vielleicht war das gar keine Freundlichkeit, sondern ein Vertuschungsmanöver?).
Der sehr aufmerksame, freundliche, junge Brasilianer, der für einen neuen Job nach Recife gezogen war, und mich mit allerlei Sehenswürdigkeiten in der Stadt aufzumuntern versuchte (manchmal sind ja grad die allerliebsten Personen eigentlich die Schrecklichsten! Vielleicht ist er ja schizophren?? So wie der Typ in PSYCHO!!).
Das blutjunge, brasilianische Pärchen im Zimmer neben meinem (sie wirken total unschuldig, ihre Babyfaces will man den ganzen Tag tätscheln, aber vielleicht ist das einfach ihr Vorteil, den sie schamlos auszunützen verstehen??).
Wie auch immer: mein iphone ist weg, und alle meine Fotos auch (zum Glück habe ich ein paar auf diesen Blog getan, und zum Glück macht mein Handy automatisch Backups). Der finanzielle Verlust interessiert mich nicht die Bohne, aber der emotionale schmerzt tüchtig. Ich bin einen Tag lang depressiv.
Dann raffe ich mich auf und fahre in ein Einkaufszentrum in Recife. Dort leiste ich mir ein neues iphone (wenn schon, denn schon, aber die Preise hier, CARAMBA !!). Ich bin schon ein bisschen brasilianisch unverschämt geworden und versuche, beim Verkäufer einen disconto zu erreichen, aber leider ohne Erfolg.
Also, gut, ich kaufe (ein pinkes, zur Feier des Tages!).
Ich muss ewig warten, bis mir der Verkäufer das neue iphone aus dem Lager bringt. Dann gibt es noch eine grosse Diskussion mit den fünf anderen Verkäufern im Laden, weil ich ja keine Brasilianerin bin und deshalb keine CPF besitze, so eine Art Versicherungsnummer hier, die man echt ÜBERALL angeben muss. Kann die Gringa sich jetzt hier einfach so ein Handy kaufen oder doch nicht? Zeig mal den Pass. Ok, wir rufen mal noch den Chef an. Ja, er gibt grünes Licht.
Ich zahle. Der Verkäufer packt mein neues iphone sorgfältig aus und zeigt mir das sämtliche Zubehör. Dann verpackt er alles wieder schön an seinen Platz, natürlich muito devagar, und will das ganze am Schluss auch wieder zukleben. Ich verliere die Geduld: "Senhor, ta bom, obrigada!" , nehme mein sacola und gehe zum nächsten Laden eines Telekommunikation-Anbieters. Dort muss ich eine Nummer ziehen und wieder warten.
Und warten.
Und warten.
Meine Laune verschlechtert sich zunehmends. " Mas demora!" , beschwere ich mich bei einem Verkäufer, der einfach dort ist, aber eigentlich nichts macht. Er kriegt ein bisschen Angst, und tatsächlich bin ich dann die nächste an der Reihe.
Als Ausländerin kann ich nur einen Prepaid-Vertrag machen, was mir aber recht ist. Der Angestellte tippt unendlich lang in seinen Computer. Ich muss wieder meinen Pass zeigen. Er runzelt die Stirn. Plötzlich stehen sie zu dritt über dem Dokument, ratlos.
" O que é o problema? ", frage ich.
"Wir finden den Namen deiner Mutter nicht."
"Wie bitte?"
" A sua mãe. "
" Ta brincando? Ihr braucht für meinen Handy-Vertrag meine Mutter??!!" Der ganze Laden lacht. Hier in Brasilien muss man aber auch echt überall seine Eltern angeben, beim Einchecken am Flughafen übrigens auch schon. Was macht man denn, wenn man keine Verwandten hat??
Wie auch immer. Endlich kann ich zur Kasse und meinen neuen iphone-Chip mit meiner brasilianischen Telefonnummer bezahlen (aber erst nachdem ich den beiden Frauen hinter der Theke klar gemacht habe, dass ich mich jetzt schon fast zwei Stunden im Laden befinde und ich nicht verstehe, warum sie zu zweit an einer Rechnung arbeiten und ich deshalb erneut warten muss! Ja, die Züri-Tussi kann ein BIEST sein!!).
Ok, so ist das also. Neues Handy (finanziert hoffentlich meine Versicherung), aber dafür kein Material für die grosse Standard-Diashow, mit der ich meine Freunde und Familie nach meiner Rückkehr in die Schweiz stundenlang langweilen wollte (ok, to brincando, das hatte ich jetzt nicht wirklich vor :-)).
Meine brasilianischen Freunde sind schockiert über mein Erlebnis und schämen sich sogar. Die Hausbesitzerin will mich sogar gratis bei sich wohnen lassen, so als ""Entschädigung". Aber dazu gibt es keinen Grund. So ein Raub ist ja schliesslich nichts typisch brasilianisches, das passiert überall auf der Welt, nicht selten auch in Zürich. Es ist nur fies, wenn es einem trifft, wenn man grad auf Reisen ist und eigentlich glücklich.
Aber so ist das Leben. Zuckerbrot und Peitsche. Die besten Bilder sind eh die Erinnerungen. Und alle meine Erlebnisse und Bekanntschaften hier kann mir auch der dreisteste Räuber nicht nehmen.
Und wisst ihr was? Ich kann zwar nicht ohne iphone sein. Aber so ohne Kamera fühle ich mich plötlich viel freier. Immer dieser Stress mit dem Fotos machen!! Hab ich die Kamera dabei? Stimmt das Licht? Wen soll ich fragen, um ein Bild von mir zu schiessen? Ist es gut geworden?
Das ist jetzt vorbei. Ihr seht, ich habe ihn schon ein bisschen, den jeito brasileira. Sich nur nie die Stimmung vermiesen lassen! :-)
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Eine Züri-Tussi in Brasilien Teil 17: VIVA A FOLIA!!!
Ich habe Brasilien und den jeito brasileiro nach drei Monaten im Land nun doch schon etwas kennengelernt, und deshalb weiss ich, dass die Brasilianer gerne feiern. Am liebsten und ausgelassensten den Carnaval . Für viele hier ist der nämlich das wichtigste Ereignis des Jahres, besser als Geburtstag, Ostern und Weihnachten zusammen, so besonders wie eine fünfte Jahreszeit. Am ehesten können das in der Schweiz wohl noch die Basler verstehen, mit ihren drey schenschte Dääg. Für eine Züri-Tussi hingegen ist Fasnacht eher ein Fremdwort. Den alljährlichen Umzug in der Zwingli-Stadt habe ich noch nie besucht, und um die paar wenigen närrischen Anlässe mache ich jeweils einen gaaaaaanz grossen Bogen. Mit besoffenen Cowboys und lallenden Clowns, mit Confetti und diesem lästigen Sprühschaum, der trocknet, sobald er aus der Dose kommt, kann man mich jagen! Und zu meiner Schande muss ich gestehen: auch an der Basler Fasnacht war ich noch nie. Denn ich habe einfach eine tiefliegende Abneigung gegen diese Feiertage. Irgendwie habe ich immer das Gefühl, sie werden ja eh nur zum Anlass genommen, mal einmal im Jahr völlig schamlos saufen, kindisch und unverschämt sein zu können. In einem albernen Kostüm erkennt einen schliesslich niemand. Dazu kommt, dass die Fasnacht in der Schweiz im Winter ist, und ich kann Kälte nicht ab. Was soll ich da am Strassenrand stehen, dick eingemummelt, mit roter Nase (auch ganz ohne Schminke), und zitternd ausharren, bis auch noch die letzte Guggenmusik an mir vorbeigezogen ist? Nicht mit mir!
Für die Brasilianer hingegen ist der Carnaval eine Lebenseinstellung, die pure folia , ein Anlass, den Ernst und die Probleme des Alltags mal hinter sich zu lassen, fröhlich zu sein und einfach das Leben zu feiern - und das Beste: er ist im SOMMER! Ausserdem gilt der Carnavel do Brasil als das grösste Volksfest der Welt, vor allem der in Rio, mit seinem farbenfrohen und ziemlich freizügigen desfile der Sambaschulen. Gründe genug also, um dem Karneval hier eine Chance zu geben. Und auch wenn ich ihn umgehen WOLLTE; das ist schlicht unmöglich, ausser man verkriecht sich vielleicht irgendwo im Regenwald. Aber wer im Februar/März durch Brasilien reist, ist selber schuld!
Das wird mir so einen Monat vor Beginn der offiziellen Karnevalswoche denn auch schlagartig bewusst: Meu Deus , dieses Land wird schlicht und einfach stillstehen!!! Vielleicht sollte ich mir endlich überlegen, wo ich das Fest der Fester verbringen wollte, um nicht irgendwo im Nirgendwo festzusitzen!
Ich entscheide mich also für Recife, denn die Stadt im östlichen Bundesstaat Pernambuco liegt sowieso auf meiner Reiseroute. Und ausserdem habe ich gelesen, dass der Carnaval in Recife als heimlich bester Brasiliens gilt. Er ist nämlich sehr traditionell, hat einen der grössten Strassenparaden der Welt und ist ein Karneval für jede und jeden. Das heisst, man muss nicht Hunderte von Reais für ein camarote (VIP-Tribüne) oder das Sambódromo bezahlen, damit man vom interessanten Geschehen überhaupt was mitbekommt, so wie das in Rio oder Salvador der Fall ist. Nein, man geht einfach auf die Strasse und kriegt das ganze Spektakel gratis geboten.
Ich suche also nach einem Hostel in Recife - error, alles ausgebucht. Ein Hotel vielleicht? Fehlanzeige. Pousada oder so? Nix. Alles schon weg. Tja, ich hab's wohl wieder mal verschlampt. Ich versuche es also mit airbnb.com, einem Online-Portal, auf welchem Einheimische ihre Wohnungen, Häuser oder Zimmer vermieten. Dort werde ich fündig, und von der etwas mässigen Bleibe in Maceió wechsle ich in ein sehr grosses, schönes Haus im Zentrum Recifes, das seine Besitzerin reich geschmückt hat mit allerlei Krimskrams von überall aus der Welt. Sie, nur ein bisschen älter als ich, ist nämlich eine richtige Weltenbummlerin. 66 Länder hat die Brasilianerin schon besucht, Wahnsinn! Und sie ist auch tatsächlich ein bisschen verrückt, aber genau so, wie ich das mag, nämlich so wie ich (ok, oder ein bisschen mehr). Ich bin von Anfang an begeistert von ihr! Sie fährt mich und die anderen Gäste in ihrem Haus (ich teile mir ein Zimmer mit drei Brasilianern) ganz selbstverständlich in der Stadt herum, wir besuchen sehr coole Restaurants und trendy illegale Bars.
Ich und eine brasilianische Mitbewohnerin freunden uns mit einem Paar aus London an, das ebenfalls im Weltenbummler-Haus untergekommen ist. Und das will sich unbedingt Kostüme für Karneval besorgen. Oh nein!! Ich hatte gehofft, diesen Teil der Tradition umgehen zu können! Aber ehe ich mich versehe durchstöbern wir zu viert Recifes Fasnachtsläden und Märkte. Perrücken, Masken, farbenfrohe Roben, absurde Hüte - so Verkleiderlis macht eben schon schaurig Spass! Aber auf keinen Fall will ich mir jetzt noch ein ganzes Kostüm zutun, denn in meinem Rucksack hat es um Gottes Willen einfach keinen Platz mehr! Jetzt ist aber endgültig fertig Shopping, porra!
Aber um nicht die totale Spielverderberin zu sein, entscheide ich mich nur für eine fantasia light, einen bunten Haarschmuck aus Plastikblumen und Federn und dazu ein paar Federohrringe (die Verkäuferin schwor mir, die kämen von einem Ara aus dem Urwald, ich hoffe aber sehr, er musste dafür nicht sterben!!). Die anderen versorgen sich mit pinken Perrücken, Früchtekörben für auf den Kopf und ähnlich Dämlichen, und ich musse schliesslich zugeben: so können wir uns ganz gut sehen lassen in der Folia auf der Strasse.
Die Feuerprobe für unsere Roben ist am Samstagmorgen. Dann wird in Recife nämlich der eigentliche Karneval eingeläutet, mit dem sogenannten Galo da Madrugada . Das ist der Name des grössten blocos in der Stadt. Blocos sind das Herz des Carnavals in Brasilien, sie sind so eine Art Fasnachtsgesellschaften, bestehend aus Bands, Tänzern und zahlreichen Anhängern. Am Samstagmorgen also ( obrigada , hier muss man also auch noch früh aufstehen, um zu feiern) gehen wir, die Engländer, die Brasilianerin und ich, in unserer albernen Aufmache zum Startpunkt des grossen Umzugs.
Was uns dort erwartet, ist eine Mischung aus Streetparade und Zürifäscht, einfach noch etwas voller und vor allem HEISSER!! Man muss unbedingt einen Schattenplatz im Getümmel ergattern, weil sonst stirbt man an einem Hitzschlag!! Und bloss nicht die Sonnencrème vergessen, sonst kann man gleich als Krebs an die Fasnacht! Zum Glück gibt es zahlreiche Stände und fliegende Händler, bei denen man sich Getränke besorgen kann, denn bei der ganzen Schwitzerei kann man gar nicht genug trinken. Auch gegen den Hunger ist gesorgt: ganze Bäume aus Zuckerwatte werden vorbeigetragen oder säckeweise Nüsse und sogar kleine Eier (igitt!).
Die Narren ziehen auf riesigen, geschmückten Lastwagen an uns vorbei. Darauf spielen Live-Bands mit Sängern, Bläsern, Gitarristen und Schlagzeugern. Die Musik, meistens der für Pernambuco übliche Fastnachtsstil Frevo (der dazugehörige Tanz erinnert an eine Mischung aus Akrobatik und Eurythmie, dazu werden kleine Schirmchen geschwungen, das Ganze scheint sehr anstrengend zu sein), wird durch gigantische Lautsprecher verstärkt. Natürlich bleiben die Wagen öfters mal im Stau stecken, denn das gehört sich einfach so im brasilianischen Strassenverkehr.
Einmal bahnt sich ein Rettungswagen seinen Weg durch die Menge, die Sirene dröhnt, dass es einem in den Ohren wehtut. Er kommt ungefähr einen Meter pro Minute voran. Wer auch immer den Wagen benötigt hat - ich fürchte, er ist schon längst tot...
Ob man will oder nicht, am Galo da Madrugada muss man ausharren, bis der grösste Teil der Wagen an einem vorbeigezogen ist, denn man steht so dicht gedrängt im Getümmel, dass die Flucht unmöglich ist. Ich weiss gar nicht mehr genau, wie wir es nach Hause geschafft haben, aber wir müssen uns dort erstmal ein paar Stunden erholen.
Danach geht es nach Olinda, ein schmuckes Städtchen grad neben Recife, total karnevalsverrückt. Dort geht das Gedränge, Geschiebe und Geschubse gleich weiter, unglaublich, diese Menschenmengen! Es ist kaum möglich, sich von A nach B zu verschieben. Aber das muss man eigentlich auch nicht, denn das machen schon die Blocos. Wo immer sie auftauchen und ihre Karnevalshmymnen spielen (ich kann sie immer noch auswendig: "Ei, pessoal! Vem, moçada! Carnaval começa no Galo da Madrugada!" oder " É tão gostoso, quando eu ranranranranranranran o lepo lepo " - nein, keine Sau weiss, was das bedeuten soll...), dann tanzt und singt die Menge begeistert mit. Dazu werden die riesigen bonecas durch die Strassen getragen, überlebensgrosse Puppen, die ich irgendwie ein bisschen unheimlich finde. Und die Männer, die unter ihnen stecken und sie so zum Leben erwecken, tun mir dazu noch leid, das muss echt verdammt heiss und schwer sein!
Apropos Verkleiden: ich habe ja wirklich eine Menge lustiger Fantasias gesehen. Hübsch finde ich zum Beispiel den Arzt, der gratis Prostata-Untersuchungen anbietet. Oder den katholischen Pfarrer mit einem Baby auf dem Arm. Oder auch das gealterte Garota de Ipanema .
Doch mein absoluter Favorit bleibt Sharky, mein brasilianisches Zimmergspändli. Ich weiss nicht, ob er seinen Spitznamen vor oder nach dem Carnaval 2014 verpasst bekommen hat, aber jedenfalls verkleidete er sich als muskulöser Surfer, der gerade von einem Hai gefressen wird - ganz grosses Kino!! Und passend für Recife, schliesslich soll man dort nicht im Meer schwimmen, weil es tatsächlich immer wieder Hai-Attacken gibt. Sharky muss für unzählige Fotos mit Unbekannten posieren, aber das macht er gern, denn sein einziges Ziel am Karneval ist es, soviele Frauen wie möglich - ähm - kennenzulernen.
Übrigens, wenn wir schon beim Thema sind: Verhütung wird im katholischen Brasilien ja allgemein eher totgeschwiegen. Ausser im Karneval. Da wird plötzlich auf Plakaten, Flyern und anderen Werbeträgern darauf hingewiesen, man solle doch bitte Kondome benützen. Wie jetzt? Nur während der Fasnacht, sonst soll man das ganze Jahr über ohne, weil Gott es so will? Schon ein bisschen heuchlerisch.
Aber zurück zu Olinda. Kurz: es ist verdammt anstrengend, und wenn man es dann auch von hier irgendwie geschafft hat, wieder nach Hause zurückkommen, dann fällt man nur noch ins Bett und schläft wirklich tief und gut. Und ehrlich gesagt denke ich nach diesem ersten Tag Karneval in Recife: wie um Gottes Willen soll ich das eine ganze verdammte Woche lang durchhalten??!! É uma locoura isso!!
Aber der Karneval ist gnadenlos, und auch vor unserem Haus steht eine Bühne und feiern die Menschen mit nicht enden wollendem Elan. Es gibt kein Entrinnen, man muss wohl oder übel mitmachen bei dieser durchgeknallten Folia.
Am besten gefällt es mir dabei im Stadtteil Recife Antigo, denn dort finden auf riesigen Bühnen Gratiskonzerte statt - und zwar von bekannten brasilianischen Künstlern. Ok, ich kenne zwar nur einen von denen (Gilberto Gil, und ehrlich gesagt auch nur den Namen), und den habe ich auch noch verpasst, weil es wie gesagt verdammt schwierig ist, während des Karnevals in Brasilien seinen Standort zu verschieben. Aber den mitgrölenden und mittanzenden Menschenmassen nach zu urteilen, müssen da wirklich ganz grosse Nummern auf der Bühne stehen.
Leider kommt dann aber doch noch ein Dämpfer, der zeigt, dass die Fasnacht halt eben doch nicht nur lustig und lieb ist: meiner neuen brasilianischen Freundin wird im Getümmel das Handy aus der Tasche gestohlen. Man wird ja immer wieder gewarnt, dass gerade am Karneval viele Taschendiebe unterwegs seien, deshalb am besten gar nichts mitnehmen, nur etwas Geld in den BH und so. Ich halte mich zwar auch nicht immer daran, aus reiner Eitelkeit, bin aber froh, habe ich mein iphone dieses Mal zu Hause gelassen. Und das freut auch die Brasilianerin, denn sie meint, zum Glück sei SIE beklaut worden und nicht wir Gringos, denn schliesslich sollten wir doch nur die schönen Seiten des Landes kennenlernen.
Wow, ich staune immer wieder über die Gelassenheit der Brasilianer! Was auch immer passiert, sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen und schon gar nicht die Freude verderben. Ich muss sagen, so edel bin ich leider nicht. Oder habe ich damals gedacht, als mein Velo in Zürich vor der Haustür gestohlen wurde: Oh, zum Glück mir und nicht meinem Nachbarn?
Nope!!!
Ok, nach drei Tagen Carnaval sind wir schliesslich ziemlich müde. Ich mag keinen Frevo mehr hören, ich mag keinen besoffenen, 20-jährigen Brasilianern mehr erklären, dass sie mich NICHT einfach so küssen dürfen und dass ich sie verarscht hatte, als ich behauptete, ich käme aus São Paulo (ok, sie waren zwar auch immer schon von Anfang an misstrauisch: "Mas você tem muito cara de gringa!" , aber ich wollte nicht dauernd als Deutsche oder Amerikanerin abgestempelt werden) und ich und mag meine Blumen und Federn nicht mehr sehen. Ich und die Brasilianerin beschliessen also, die Flucht anzutreten, koste es, was es wolle.
Wir steigen in einen Bus nach Porto de Galinhas, einem kleinen Ferienort rund eine Stunde von Recife entfernt (mit Stau sind es dann fast drei Stunden). Dort gibt es einen sehr malerischen Strand, wir wollen einfach mal etwas machen, was nichts mit Fasnacht zu tun hat.
Wir und Hunderte andere auch. Porto de Galinhas ist übervoll, der Strand drum nicht mehr so schön, und tatsächlich ziehen auch dort noch ein paar Blocos vorbei. Aber wir liegen trotzdem zufrieden mit unserer coco in der Sonne, denn wenigstens müssen wir mal niemandem auf den Füssen rumtrampeln und können endlich wieder etwas anderes essen als frittierte coxinhas an irgendeinem Stand...
Als die Folia schliesslich vorbei ist (Gott, die Woche war echt lang!), sind irgendwie alle ein bisschen erleichtert. Mann kann halt einfach auch nicht nur immer feiern, sogar das wird irgendwann langweilig (also, allen ausser Sharky).
Recifes antikes Zentrum scheint jetzt wie ausgestorben. Kein Mensch ist auf der Strasse, ausser einige Putzequipen, die die letzten Spuren des Karnevals beseitigen. Nichts deutet mehr auf das Gedränge hin der letzten Tage, oder auf die Blocos und die unzähligen Stände mit Skol-Bier (wohl der Sponsor des Recife-Karnevals). Im Weltenbummler-Haus sind die meisten schon wieder ausgezogen, auch Sharky. Es ist richtig einsam geworden hier und irgendwie herrscht Katerstimmung, die aufs Gemüt drückt. Also auch Zeit für mich, weiterzureisen. Jetzt ist es ja wieder einfach, sich zu verschieben.
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 16: Relaxe!
Es musste ja mal noch was schiefgehen. Ich meine, bisher war auf meinem Brasilien-Trip alles so total rund gelaufen, ich bin selber überrascht. Alle Busse, die ich gebucht hatte, fuhren, alle Flugzeuge flogen, die Schule hatte geklappt, ich wurde noch nie überfallen oder bestohlen, verlor den Pass nicht, war nie ernsthaft krank, hatte keinen Unfall, keine Kakerlaken im Bett der Pousada , und alles, was ich plante wurde auch tatsächlich umgesetzt. Kurz: alle befürchteten Pleiten und Pannen, die einem auf einer Reise gerne mal das Leben schwermachen, waren bisher ausgeblieben.
Bisher.
Denn schon in Salvador de Bahia bahnte sich das Unglück an: Ich steige in den Nachtbus nach Maceió und bin erstens wieder einmal schwerst depressiv, denn dieses ewige Abschiednehmen geht mir doch extrem an die Nieren. Erst tschüss, minha familia brasileira in Rio, dann tschüss, neue schwedische Freundin in Foz do Iguaçu (zum zweiten Mal) und dann auch noch tschüss, primo in Salvador. Macht´s gut, bis irgendwann, keine Ahnung, wann und ob ich euch wiedersehen werde. So ein Mist, ehrlich! Eu odeio despedidas!!
Zweitens trägt der Nachtbus nicht gerade zu einer besseren Laune bei. Ich weiss einfach nicht, warum es in öffentlichen Verkehrsmitteln, in denen man länger als eine Stunde zubringt, immer so verdammt kalt sein muss!! Ist die voll aufgedrehte Aircondition eigentlich im Ticketpreis inbegriffen? Dann verlange ich Geld zurück. Sollen die 2 Grad drinnen von den 32 Grad draussen ablenken? Danke, gelungen, aber beides ist unerträglich! Will man demm mit aller Gewalt verhindern, dass sich die Leute wohlfühlen in ihren Sitzen? Sollen sie etwa auf keinen Fall einschlafen??
Nun, für mich ist das aber genau der Sinn eines Nachtbusses: die Reisezeit verschlafen, anstatt sich tödlich zu langweilen. Aber da ich leider kein Eisbär bin, fällt es mir ziemlich schwer, mich in der Antarktis zu entspannen. Ergo bleibe ich zehn Stunden ohne Schlaf, und meine Laune rutscht noch tiefer in den Keller.
In Maceió angekommen, will ich nur noch in ein Taxi und in mein Hostel - ja, tatsächlich, ich hatte es geschafft, noch einen Tag vor meiner Abreise eine Unterkunft zu buchen, worauf die superspontane und unorganisierte Züri-Tussi mächtig stolz ist! So stolz, dass sie den drei englischen Mädchen Anfang 20, die im selben Bus mitgefahren sind, vorschlägt, doch gleich mitzukommen. Denn die sind noch spontaner und unorganisierter als ich und haben somit noch keine Ahnung, wo sie die Nacht verbringen sollen (ausser, dass es nicht wieder in einem saukalten Bus sein soll).
Aber die unangenehme Anreise war nur ein schlechtes Omen für all das, was noch kommen sollte. Denn als ich am Taxistand beim Busbahnhof sage, wohin ich will, werden nur Stirnen gerunzelt und Schultern gezuckt. Das geht so weit, dass schliesslich sämtliche Taxifahrer vor Ort über meinem iphone stehen, auf welchem ich die Buchungsbestätigung mit der Adresse aufgeschaltet habe. Nein, dieses Hostel kennen sie nicht, keine Ahnung. Ja, sage ich, vielleicht ist es ja neu, aber ich habe ja die exakte Adresse, wieso fahren wir nicht einfach dahin? Aber niemand hat je von diesem Hostel gehört, wird mir entgegnet. Aber ihr wisst, wo diese Strasse ist? Ja. Então, gente, vamos pra lá, qual é o problema?? Nein, zuerst noch die Zentrale anfunken. Oh, die hat auch keine Ahnung. Nein, dann können wir nicht abfahren.
CARALHO!!!
Ich muss mich mächtig zusammenreissen, um nicht ausfällig zu werden! Herrgott nochmal, ich habe keinen Bock, nach einer Nacht im Tiefkühler mit brasilianischen Taxifahrern darüber zu fachsimpeln, ob dieses Hostel nun tatsächlich existiert oder nur eine Illusion ist!! Und schon gar nicht mit einem drei Tonnen schweren Rucksack am Rücken und einem Ein-Tönner vor der Brust (wie war das noch? Ich wollte auf meiner Reise an Gepäckgewicht verlieren und nicht zulegen? Ok, vielleicht sind doch nicht GANZ alle Pläne aufgegangen...). Fahren wir jetzt einfach dahin und schauen halt nach, viu??!!
Die drei Britinnen sind schon misstrauisch geworden, ich übersetze ihnen meinen Streit mit den Herren. Vielleicht doch lieber auf eigene Faust ein Hostel suchen? Nein nein, beschwichtige ich. Meines hat tolle Referenzen und liegt nahe am Strand, ich hab´s doch im Internet gesehen! Und das lügt nicht!
Endlich "opfert" sich einer der Taxifahrer und verstaut unsere Baggage im Kofferraum. Wir dürfen einsteigen.
Gut, wir fahren also zu der angegebenen Adresse. Die existiert auch, alles gut. Nur, an der besagten Strassennummer befindet sich kein Hostel. Es sieht mehr wie der Eingang eines Privatgrundstückes aus, keine Beschriftung, keine Name, nichts, nur eine grosse weisse Tür, umgeben von einer hohen Mauer. Keine Ahnung, was dahinterliegt. Jedenfalls ist es totenstill. Klingt nicht gerade nach populärer und ausgebuchter Herberge.
Ich gehe zur Türklingel. Tatsächlich, da prangt ein klitzekleiner Aufkleber mit dem Logo meines gebuchten Hostels daneben. Schreibt man neuerdings so eine Touristenunterkunft an? Ist das moderne Werbung oder was??
Ich klingle. Dreimal, viermal, fünfmal. Nichts. Ok, es ist früh am Morgen, aber auf der Website hatte das Hostel eine 24-Stunden-Reception angepriesen.
Ähää!
Es nützt alles nichts. Niemanden scheint mein Sturmläuten zu interessieren. Gibt es dieses Hostel oder nicht? Ich werde es wohl nie herausfinden, denn ich habe nicht vor, es noch einmal zu kontaktieren, geschweige denn, zu bezahlen.
Ich und die Britinnen sitzen wieder ins Taxi und lassen uns zu einem anderen Hostel chauffieren, das wir so auf die Schnelle im Lonely Planet gefunden haben. Das ist nun tatsächlich gross, klar und deutlich angeschrieben, aber auch hier reagiert niemand auf unser Klingeln. Vielleicht doch noch zu früh? Und es ist ja erst noch Sonntag. Wobei: das sollte einem Hostel doch eigentlich egal sein, das kennt kein Wochenende, oder?
Wir beschliessen, erstmal frühstücken zu gehen und ein bisschen Zeit verstreichen zu lassen, denn wir sind müde und hungrig und scheisse gelaunt. Ein bisschen Koffein würde uns hoffentlich wieder Mut machen. Und irgendwann MUSSTE ja wohl irgendwer in dieser Stadt aufwachen, oder etwa nicht?? Ich versuche, Maceió nicht schon von Anfang an zu hassen... Relaxe, moça, relaxe! Entspann dich, Mädchen!
Das einzige Café, das bereits geöffnet hat, befindet sich an einer Tankstelle. Nicht grad romantisch, aber wenigstens mit Zmorgenbuffet und richtigem Cappuccino. Langsam geht´s mir wieder etwas besser.
Wir fragen den Kellner, wann hier denn an einem Sonntagmorgen die Hotels und so aufmachten. Also, die Receptionen müssten jetzt eigentlich schon längst besetzt sein, meint er.
Eine der Britinnen macht sich nach rund anderthalbstündiger Verschnaufpause deshalb auf, zurück zum letzten Hostel. Wir warten.
Und warten.
Langsam machen wir uns Sorgen. Hat sie sich etwa verlaufen? Oder bezieht sie schon erleichtert unsere Betten?
Nichts von alledem, sie kommt zurück und berichtet uns, dass sie zwar Leute im Gebäude höre, aber niemand auf ihr Klingeln und Rufen reagiere. Und auch das andere Hostel gleich nebenan mache keinen Wank.
Puta que pariu!
Schön, gibt es neben dem guten Buffet in unserem Café auch noch wifi! So können die jungen Mädels und ich online nach einer Alternative zum Übernachten forschen. Ich merke aber schon bald, dass wir uns bei diesem Thema nicht so ganz einig sind. Die drei wollen so wenig wie möglich für ihr Bett ausgeben, ich fühle mich aber längst aus dem Alter raus, in welchem ich noch in Zehner-Schlägen auf dreckigen Laken und Läusen liegen möchte. Ich weiss, mit Anfang 20 fehlt eben noch das Geld für bessere Optionen, so ging es mir damals auch. Aber wenn man mit Mitte 30 reist, dann hat man sich doch langsam ein kleines Bisschen Luxus verdient, nicht wahr? Also zum Beispiel ein Einzelzimmer anstatt einen Massenschlafsaal.
Egal, wir einigen uns auf eine Bleibe und schultern unsere Rucksäcke. Natürlich wollen wir zu Fuss dahingehen, schliesslich soll auch beim Geld fürs Taxi oder den Bus gespart werden.
Gut. Wir laufen und laufen. Irgendwie ist das Hostel eben doch weiter weg als auf googlemaps nachgeschaut. Unterwegs passieren wir verschiedene Pousadas. Und siehe da: die haben sogar geöffnet! Ich frage in jedem nach freien Betten und den Preisen. Aber den Britinnen passt nie eine der Optionen.
Schliesslich habe ich die Schnauze voll, mein Rücken schmerzt vom Schleppen, ich bin schwitzig, unausgeschlafen, ungekämmt und ungehalten. Bei der nächsten Pousada mit einigermassen annehmbaren Konditionen trennen sich die Wege von mir und den Girls, ich bleibe.
Mein Zimmer ist ok. Blick vom Fenster auf eine Hauswand zwar und Röhrenfernseher mit nur drei wackligen Kanälen und ohne Fernbedienung. Und wenn man duscht, setzt man das gesamte Bad unter Wasser, weil es keine Wanne gibt. Aber dafür eine Air Condition (hier kann ich die Temperatur ja schliesslich auch selber bestimmen!), ein sauberes Bett, einen kleinen Kühlschrank und eine ziemlich zentrale Lage. Das Frühstück wird jeweils neben der Reception serviert, während dort das Personal in aller Lautstärke die Morgennachrichten guckt.
Ich beginne langsam, Maceió zu mögen. Und hoffe, dass dieser kleine Zwischenfall eine einmalige Einlage bleibt, sozusagen die Ausnahme von der Regel, die Anekdote, die man zu Hause dann seinen Freunden und der Familie erzählt und dabei herzlich darüber lacht.
Haha.
Maceió ist die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Alagoas an der Ostküste und zählt rund eine Million Einwohner. Ich habe im Vorfeld mal eine Reportage gesehen, in der Maceió als gefährlichste Stadt Brasiliens bezeichnet wurde und sogar als drittgefährlichste der Welt (an Platz 1 und 2 kann ich mich leider nicht mehr erinnern). Sehr hohe Mordrate, viele Drogen, Überfälle und so.
Nun, von alledem habe ich zum Glück nichts mitbekommen. Meiner Meinung nach hat der Ort eigentlich nur ETWAS Aufregendes zu bieten: wunderschöne Strände mit türkisblauem Wasser. Ansonsten ist Maceió eher etwas gähn, nach meinem Geschmack.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich dazu hinreissen liess, eine Bustour zu den abgelegenen Stränden der Gegenden zu buchen. Naja, ich bin ja wie bereits schon erwähnt kein Fan von diesen supertouristischen, ultraorganisierten Gruppendingen, aber das Ticket war spottbillig und ich dachte, dass sei der einfachste Weg, an diese Orte zu gelangen. Aber als im Minibus der Chauffeur plötzlich sein Funkmikrofon einschaltete und von paradas de quince minutos pra tirar fotos zu labern begann, wollte ich weinen.
Naja, ich hab´s überlebt und mir geschworen, nie wieder eine solche Dummheit zu begehen. Ich konnte in Maceió also ein paar Tage nichts anderes tun, als mich zu entspannen. Was auch sein Gutes hat, denn schliesslich steht als nächstes der berühmte und wilde Carnaval an...
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 15: Você tem que ver isso!!
Wenn man auf Reisen geht, dann trifft man ja auch immer andere Traveller, die einem Tipps geben. Ausserdem liest man im Voraus im Internet über seine (möglichen) Reiseziele, kauft sich Bücher und redet mit Leuten, die schon da waren. Und etwas haben all diese Ratgeber gemeinsam: sie wissen immer ganz genau, was man gesehen haben MUSS!!
Das ist auch in Brasilien nicht anders. Jeder gringo , den ich getroffen habe, und jeder Brasilien-Reisebericht, den ich las, schwörte mir, dass die Wasserfälle von Iguaçu einfach unschlagbar seien. "You have to see this, it' s much better than the Viktoria or Niagara Falls! Você tem que ver isso, é muito bonito! Deet muesch unbedingt ane, wänn'd in Brasilie bisch, das ghört eifach dezue!"
Aha.
Nun, Foz do Iguaçu lag jetzt ehrlich gesagt nicht gerade auf meiner Reiseroute. Nach Rio de Janeiro im Süden und einem Abstecher in Amazonien bin ich ja nun hauptsächlich an der Ostküste unterwegs. Die Fälle befinden sich aber ganz im Westen, an den Grenzen Brasiliens zu Argentinien und Paraguay. Ausserdem bin ich jetzt auch nicht gerade ein Fan von diesen ganz touristischen Dingen, die eben jeder Traveller getan haben MUSS. C risto Redentor in Rio zum Beispiel war das reinste Grauen für mich: 50 Reais, nur, um mit einer Art Üetlibergbahn den Hügel raufzufahren und dann mit 345720388 anderen Touris um den besten Fotoplatz vor der Christusstatue zu rangeln. Und jeder, wirklich JEDER wollte ein Bild von sich, wie er mit ausgebreiteten Armen vor Cristo steht - NERV!!!! Klar, die Aussicht von da oben auf die Stadt ist sehr imposant. Aber das ist sie ehrlich gesagt auch vom Hügel in der Favela Cantogalo aus, und der ist gratis und menschenleer... naja, jedenfalls hab ich mich in meiner letzten Woche in Rio dann doch noch zum Cristo Redentor hinaufgezwungen, eben, weil ich dachte, ich könne doch nicht diese Stadt besuchen, ohne auch ihr Wahrzeichen hautnah erlebt zu haben.
Heute weiss ich: doch, hätte ich sehr wohl können.
Aber egal. So ein gewaltiges Naturschauspiel wie riesige Wasserfälle kann man natürlich nicht mit einer ollen Statue vergleichen. Deshalb hat es mich auch immer wieder gewurmt, wenn mir andere Gringos oder auch Brasilianer von Iguaçu vorschwärmten.
Sollte ich tatsächlich das Beste in Brasilien verpassen? War ich gerade daran, einen der schlimmsten Fehler meines Lebens zu begehen? Würde ich das etwa noch auf meinem Totenbett bereuen?? SCHLUCK!!! Je weiter ich mich von den Wasserfällen wegbewegte, desto kälter lief es mir den Rücken hinunter.
Tja, und zum Glück ging es meiner neuen schwedischen Freundin, mit der ich zusammen in Rio die Portugiesisch-Schulbank gedrückt hatte, ähnlich. Als ich schliesslich in Salvador war und sie in Paraty, beschlossen wir (wifi und whatsapp sei Dank), zusammen doch noch einen Abstecher zu diesem Weltwunder zu machen. Sie war ja noch so halbwegs in der Nähe der Wasserfälle, im Gegensatz zu mir in der Bahia. Aber mein ökologisches und ökonomisches Gewissen war nur noch halb so schlecht, als ich mir sagte, dass ich nicht nur rein touristisch mal so kurz quer durch das Land fliegen würde, sondern, dass ich diesen Umweg auch auf mich nahm, um einen mir lieben Menschen zu besuchen. Und mein Trip liess sich auch noch aus einem praktischen Grund rechtfertigen: als Schweizerin habe ich das Recht, drei Monate ohne Visum in Brasilien zu bleiben. Ich plane allerdings vier Monate. Deshalb müsste ich früher oder später zur polícia federal gehen, um einen neuen Stempel im Pass zu bekommen, der meine Aufenthaltsberechtigung um weitere drei Monate verlängert. Aber da ich nun erlebt habe, wie langsam es hier in Brasilien an Kassen, Theken und Schaltern zugeht, habe ich mich bisher davor gedrückt, um meine Nerven und mein Zeitbudget zu schonen. Mit einem kurzen Gang über die brasilianische Grenze (die Iguaçu-Fälle erstrecken sich auch auf argentinischem Boden) hätte ich das Problem aber elegant gelöst...
Die Schwedin und ich buchten also drei Nächte in einem Hostel in Foz do Iguaçu, sie dazu eine irgendwie 21-stündige Busfahrt und ich einen halbwegs erschwinglichen Flug.
Die Wasserfälle von Iguaçu erstrecken sich über 2,7 Kilometer. Es gibt 20 grössere und 255 kleinere Fälle, die zwischen 60 und 82 Metern hoch sind. Damit seien sie die grössten der Welt, heisst es. Dazu kann ich nichts sagen, denn ich habe weder die Viktoria-Fälle in Sambia noch die Niagara-Fälle in Kanada gesehen, mir fehlt also der Vergleich. Was gut ist, denn so kann ich Iguaçu ganz "jungfräulich" und unvoreingenommen besuchen.
Im Hostel beginnt es schon beim Frühstück mit den grossen Erwartungen. Die Schwedin und ich treffen einen Engländer und drei Polinnen. Sie haben die Fälle schon gesehen und kommen aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Jaja, sicher 6 Stunden seien sie auf der argentinischen Seite unterwegs gewesen, wirklich wunderschön! Überhaupt sei die Sicht auf die Fälle von Argentinien aus viiieeeel besser (darin sind sich gemäss meiner Recherchen übrigens die meisten Traveller einig), aber auch die brasilianische Seite habe seine Reize. Die Schwedin und ich freuen uns auf ausgedehnte Wanderungen in einer spektakulären Kulisse, schnallen unsere besten Laufschuhe an, packen gefüllte Wasserflaschen in unsere Rucksäcke und schmieren uns von oben bis unten mit Sonnencreme ein. Das Beste soll zuerst kommen, wir fahren also mit dem Bus über die argentinische Grenze (juppiieee, mein neuer Stempel!), hinein in den Nationalpark.
Als wir losmarschieren, schwant mir schon bald Fürchterliches: die anderen Besucher, die uns entgegenkommen, tragen Flip-Flops, sind schon ziemlich betagt oder mit Kinderwägen unterwegs. Die Wanderwege sind deshalb auch asphaltiert - und mega schmal, so dass man bei dem Gedränge nur sehr langsam vorwärtskommt. Ok, irgendwie verstehe ich ja, dass man die Iguaçu-Fälle irgendwie allen zugänglich machen muss. Aber wie war das nun genau mit unserem geplanten schweisstreibenden Hike durch die unberührte Natur? Wir schreiten also die ausgeschilderten Wege ab, oder besser, schleichen sie ab. Sie münden in unzählige Aussichtspunkte, wo man mal ein paar kleine Wasserfälle sieht, mal nur ein Wasserbecken, mal die grösseren Fälle ganz weit weg. Anders als die zahlreichen anderen Touris sind die Schwedin und ich nicht beeindruckt, wir schiessen nicht mal Fotos. Wir wollen gleich zum Garganta do Diabo , zum Teufelsschlund, dem besten und spektakulärsten Ausblick auf die Iguaçu-Fälle! Aber auch dorthin führt kein trilha durch die unberührte Wildnis, auf dem wir exotische Vögel oder gefährliche Raubkatzen treffen. Nein, wir müssen in einen Zug einsteigen, der mich stark an eine Attraktion im Europapark erinnert, und werden bequem und sehr unspektakulär den Hügel hinaufgefahren. Oben angekommen sind wir nun richtig ungeduldig, wir rennen geradezu über die Stege, die quer über die Wasser gebaut wurden, ohne ein Auge für die vielen bunten Schmetterlinge zu haben, die einzigen wilden Tiere, die es hier zuhauf gibt. Schliesslich hören wir das Tosen der Wassermassen, es kommt immer näher, sprühende Gischt benetzt unsere überhitzte Haut, wir bahnen uns unseren Weg durch die dicht gedrängte Menschenmasse, gespickt mit Foto- und Filmkameras. Und schliesslich stehen wir ganz vorne auf der Plattform, direkt am Abgrund, am Teufelsschlund, und schauen hinunter in die Tiefe - und finden es irgendwie... ganz ok?
Schön sind sie, die Iguaçu-Fälle, sicher. Aber grad in Ohnmacht vor Entzückung fallen wir nicht. Auch bleibt uns nicht "das Herz für einen Moment stehen", wie uns das eine befreundete Travellerin beschrieben hatte. Da platscht sehr viel Wasser in die Tiefe, es schäumt und sprüht, es ist laut und ich stelle mir kurz vor, was wohl passieren würde, wenn man Indiana-Jones-mässig diese Laune der Natur als Rutschbahn benutzen würde. Aber das ist es dann auch schon. Nach zirka 10 Minuten machen sich die Schwedin und ich wieder auf den Rückweg.
Zurück im Hostel fühlen wir uns wie erschlagen, und zwar nicht, weil uns das eben Erlebte so dermassen überwältigt hätte, sondern weil uns beiden klar geworden ist, dass unsere Erwartungen nicht erfüllt worden waren. Waren wir etwa schon zu abgebrüht? Zu verwöhnt? Hatten wir etwa schon zu viel gesehen auf unseren Reisen?
Ich weiss nicht. Jedenfalls überrede ich meine Freundin, am nächsten Tag doch noch mit in den brasilianischen Nationalpark zu gehen. Anders als sie will ich den Iguaçu-Fällen nämlich noch eine zweite Chance geben. Ok, das klingt jetzt wirklich arrogant, 80 Meter hohe Wasserfälle können eine Züri-Tussi also offenbar nicht mal aus der Reserve locken, uiuiui, was für eine verwöhnte Göre!
Versteht mich nicht falsch: sie sind schön, ohne Zweifel, Natur IST schön. Aber dafür Eintritt bezahlen, um mit Hunderten anderen einfach davorzustehen und Wasser zu gucken - irgendwie überzeugt mich das nicht.
Aber zum Glück verbessert sich meine Stimmung auf der brasilianischen Seite der Fälle wieder. Anders als vielen anderen Besuchern gefällt mir die nämlich besser als die argentinische, obwohl man von hier aus nicht direkt in den Teufelsschlund hinunterblicken kann, sondern eher so ein bisschen auf Augenhöhe mit den Wassermassen ist. Ich finde diese Sicht aber hübscher, denn sie vermittelt einem auch einen besseren Eindruck von der grossen Ausdehnung der Fälle. Und ein weiteres Plus: es wimmelt hier von quatis , Nasenbären! Die haben null Angst vor den Menschen, sondern streichen ihnen um die Beine und wollen was zu Fressen kriegen. Ok, offenbar beissen sie einen auch mal gerne und übertragen dabei üble Krankheiten, weshalb das Füttern der Viecher auch verboten ist. Aber nicht alle halten sich daran. Und den Nasenbären selber ist das Verbot eh egal, sie holen sich einfach, was sie wollen, wenn nicht direkt aus einer Hand oder vom Tisch im Restaurant, dann auch mal gerne aus dem Abfallkübel.
Ich mag sie irgendwie.
Fazit: meiner Meinung nach gibt es NICHTS, was man unbedingt gesehen haben MUSS auf dieser Welt, auch nicht in Brasilien. Diese Auffassung ist wohl sehr individuell. Was den einen beeindruckt, das entlockt dem anderen nicht mal ein müdes Lächeln, das habe ich wieder mal gelernt.
Die Wasserfälle von Iguaçu sind imposant und schön, bacana, ja. Wer dort vorbeikommt, soll sie sich ankucken, das kann ich empfehlen. Aber extra dafür quer durchs Land fliegen für viel Geld und viel CO2, nein, das lohnt sich nicht.
Ich kehrte deshalb mit gemischten Gefühlen nach Salvador zurück. Ich hatte auch noch viel Zeit, über Iguaçu nachzudenken, als ich mit dem Bus zurück zu Primo fuhr, denn wir standen irgendwie eine Stunde im Stau. Übrigens sind die Busse in der Bahia keinen Deut besser als die in Rio, der einzige Unterschied ist, dass sich hier das Drehkreuz HINTEN befindet und der Ausstieg VORNE. Und übrigens: mit einem grossen Rucksack am Rücken und einem kleinen vor der Brust (so wie das bei mir der Fall war) kommt man NICHT durch das Drehkreuz, was für einen Flughafenbus aber ziemlich ungeschickt ist! Wenigstens sah das der Chauffeur auch ein, und ich durfte die mittlere Tür ohne Drehkreuz benutzen. Aber nur für den Einstieg, rausquetschen musste ich mich dann bei ihm vorne. Und ich sag euch: ich blieb beinahe stecken. DAS nenne ich spektakulär!
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