Frau_Bitterboes
Frau_Bitterboes
FreeÖppis mit Medien. Ausgebildete Schauspielerin. Schreiberlingin. Reisefüdli. Crazy Cat Lady.
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 14: Em família
Nach dem Regenwald bin ich nun an der brasilianischen Ostküste, genauer in Salvador de Bahia. Das ist die Hauptstadt des Bundesstaats Bahia, vor Urzeiten war es auch einmal die Hauptstadt des gesamten Landes. Hier waren nämlich die ersten Seefahrer aus Portugal gelandet. Es ist mit knapp drei Millionen Einwohnern die drittgrösste Stadt Brasiliens (nach São Paulo und Rio de Janeiro) und liegt in der "Allheiligenbucht", was erklärt, warum auch in Salvador ein Christus auf einem Hügel aufs Meer hinunterblickt, ähnlich wie in Rio, einfach in Miniaturform. Die Bahia ist bekannt für ihre afrobrasilianische Kultur, die sich in Essen (viel Kokosmilch), Religion (Candomblé, aus dieser Art der Heiligenverehrung rühren übrigens auch die farbigen Armbänder her, die hier in Salvador überall hängen und die man als Tourist an jeder Ecke angeboten bekommt) und dem Capoeira widerspiegeln. Auch ist es hier ganz hübsch, vor allem die Altstadt, die ein bisschen an Lissabon erinnert (obwohl ich da noch nie war, aber man liest das überall so), mit bunt gestrichenen, aufwendig renovierten Häusern im Kolonialstil. Überhaupt putzt sich Salvador gerade sehr heraus, überall wird geschrubbt, gemalt und ausgebessert, an den Strassen türmen sich langsam die camarotes, die VIP-Lounges, auf. Das ist alles für den brasilianischen Carnaval, der immer näherrückt, und in der Bahia besonders ausgelassen gefeiert wird.Und hier habe ich eine neue Familie gefunden, nämlich die einer brasilianisch-schweizerischen Freundin von mir. Die war gerade in ihrer Heimat zu Besuch und nahm mich bei sich auf, unterdessen ist sie aber in die Schweiz zurückgereist (ihr Mann mit etwa sieben Löchern im Fuss, da er beim Baden im Meer auf einen Seeigel getrampelt ist - die Stacheln mussten ihm im Spital entfernt werden). Zum Glück aber hat sie in und um Salvador zahlreiche Verwandte, und so kam ich bei einem ihrer 23420 primos, Cousins, unter.Es ist also meine zweite Familie hier in Brasilien, und sie könnte sich von meiner ersten in der Comunidade in Rio gar nicht mehr unterscheiden. Diese hier in Salvador gehört zur gehobenen Mittelschicht. Meine Freundin und ihr Mann besitzen ein Haus in einem schmucken Vorort, so mit riesigem Garten und Swimmingpool. In ihrer immensen Küche stehen den ganzen Tag irgendwelche Frauen, deren Verwandschafts- oder Bekanntschaftsgrad ich nicht richtig einordnen kann, und kochen (nach dem dreistündigen Frühstück werde ich jeweils gefragt, ob ich jetzt Mittagessen wolle). Ausserdem besorgen sie die Wäsche und sind ununterbrochen am Aufräumen und Putzen (ich kann das leere Wasserglas kaum absetzen, schon wird es abgeholt). Und Primo hat eine hübsche Wohnung an zentraler Lage in Salvador, unweit des Strands und des Farol da Barra, des Leuchtturms. Man fährt Auto und hat wifi - ok, Primo noch nicht, denn er ist erst grad frisch in die Wohnung eingezogen, aber es ist schon bestellt. Die Familie verfügt über ein grosses Haus auf dem Land, inklusive Kajak für den privaten Zugang zum See und Mangobäumen im Garten (dort darf ich kostenlos "Ferien" machen und sogar noch Freunde mitbringen, zum Frühstück esse ich jeweils drei Mangos und muss dann den ganzen Tag xixi). Apropos Mango: auch in der Ernährung werden die sozialen Unterschiede deutlich: hier verzichtet man bewusst auf Chips, Fritiertes und literweise refrigerante, anders als in der Favela. Überhaupt muss ich sagen: ich habe noch nie einen so gesunden Kühlschrank gesehen wie den von Primo! Nur kiloweise Früchte und Gemüse, água do coco, entrahmte Milch, Eier und mageres Poulet! Und das alles auch noch in der Küche eines Single-Mannes Ende 30! Ich staune wirklich! Wenn ich mir mein Guaraná Zero gönne, dann kommt garantiert ein despektierlicher Spruch, von wegen schädlichen Süssstoffs und so. Und Primo ist überhaupt der Meinung, biscoitos sollten verboten werden. Und seine Tochter (die bei der Mutter lebt) trinke auch keine Cola und kriege nur wenig Süssigkeiten. PAH! Trotzdem hat der gute Mann ein Wohlstandsbäuchlein, denn eigentlich ist er gar nicht so ein Gesundheitsapostel, wie sein Kühlschrank vermuten lässt. Manchmal kommt er nämlich mit einem Hamburger aus dem Drive-in nach Hause. Er zeigte mir auch schon Fotos von feuchtfröhlichen Nächten mit Freunden, wo der Alkohol in Strömen floss. Und wenn wir fruta do pão essen, dann schmiert er sich einen halben Butterberg darauf. Irgendwie sympathisch. Der Wille ist stark, doch das Fleisch ist schwach, das kenne ich nur zu gut. Trotzdem: wenn wir abends zusammen "kochen", dann machen wir immer Salat. Das klingt dann ungefähr so:Primo: "Gib mir bitte mal die beterrabas aus dem Kühlschrank."Ich: "Ööh, die was?""Die beterrabas." Ich wühle völlig planlos im Gemüsefach. "Das da?""Nein, das ist eine Melone, Miriam. Um melão. M-E-L-Ã-O!" Primo spricht extra langsam und formt dabei jeden Buchstaben überdeutlich mit den Lippen, so als wäre ich taubstumm."Weiss ich doch. Dann vielleicht das da?""Nein nein, das gehört nicht in den Salat! Es sind diese roten.""Ah, die hier!""Isso", Primo nickt anerkennend. "Wie heissen die auf Deutsch?""Randen.""Roongden.""Nein, nicht nasal, solche Laute haben wir im Deutschen nicht.""Ach, das ist mir zu schwierig. Reich mir doch bitte schnell die Blablabla (ich habe das Wort schon wieder vergessen)."Ich runzle die Stirn. "Ähm, also, so zum Schneiden?"Er schüttelt entschieden den Kopf. "Nein, die Blablabla!"Ich greife nach einem Lappen."Nein, für den Salat, zum Waschen!""Aaaaahh!" Der Groschen ist gefallen."Genau, das ist eine Blablabla. Und wie heisst das auf Deutsch?""Plastikbecki.""Meu Deus!" Wir sind ein bisschen wie ein altes Ehepaar, das zusammen in der Küche rüstet und schnippelt und sich gegenseitig etwas klar machen will, was der andere nicht (mehr) versteht. Nur hören wir beide noch gut und sind auch im Kopf noch ziemlich frisch, nicht das Alter, die sprachliche Barriere erschwert uns die Kommunikation. Aber die überwinden wir immer wieder locker über einer Tasse Filterkaffee. Den trinken wir grad literweise (ich habe ihn wirklich liebgewonnen!), tagein, tagaus, auch noch vor dem Zu Bett gehen. Dazu sitzen wir auf Primos Balkon und diskutieren über Musik oder den Sinn des Lebens, während mich die Arschlochmücken verstechen und bei ihm das Handy pausenlos klingelt. Was braucht man mehr? Gastfreundschaft wird in Brasilien sehr grossgeschrieben. Es ist ganz selbstverständlich, dass Besucher beherbergt werden und sich wie zu Hause fühlen sollen. Für Brasilianer stellt das irgendwie keine Umstände dar, anders als in Zürich, wo praktisch jeder mit seinem eigenen, stressigen Leben beschäftigt ist und weder Zeit noch Musse hat, einem Fremden seine Türen zu öffnen.Und natürlich will auch Primo wie Papa und Mama in Rio keinerlei Gegenleistung. Mein Vorschlag, "Miete" zu bezahlen, wird einfach weggelacht. Ich bleibe aber hart, bis Primo schliesslich nachgibt - also, so ein bisschen. Er ist ja erst gerade umgezogen, die Wohnung ist noch etwas leer, es fehlt an Möbeln und anderen nützlichen Einrichtungsgegenständen. Er wünscht sich deshalb einen Gemüseschäler.Jep. That´s ist.Wow.Na gut, der Mann soll bekommen, was er will. Ist mir ja auch lieber, wenn ich die Rüebli und die Randen für den Salat nicht mehr mühsam mit einem popligen Messer abraspeln muss. Ich gehe also in den Supermarkt. Und ich gehe in noch einen. Und noch einen. In grosse und kleine. Ich gehe in jeden fucking Supermarkt in Salvador. Keine Gemüseschäler.Also gut, Strategiewechsel. Ich gehe in ein riesiges Einkaufszentrum, und dort finde ich ein schickes Haushaltsgeschäft. Ich suche nach dem gewünschten Gerät, finde es aber nirgends. Scheint nicht gerade angesagt zu sein in der Bahia. Dafür stosse ich auf so wichtige Alltagsgegenstände wie Knoblauchkocher und Julienne-Schneider. Ich gebe auf und wende mich an einen Verkäufer: "Com licença, ich bin auf der Suche nach einem... also, nach einem... so einer coisa, mit der man fruta und verdura desch... des...""Descascar", hilft er mir freundlich weiter."Genau, so einen descascador halt."Der Verkäufer führt mich zu einem Gestell und drückt mir dort das verzweifelt gesuchte Ding in die Hand. ENDLICH!"Ist das der einzige, den sie haben?" (Herrgott, er ist hässlich, so aus gelbem Plastik und sauteuer!)"Ja, aber er ist muito bom, muito bom!"Ich zahle. Das Rückgeld muss mir der Verkäufer aus seinem eigenen Portemonnaie zusammenklauben, die Kasse klemmt irgendwie. Der Gemüseschäler wird sorgsam in Blööterlipapier eingewickelt, mit Klebstreifen fixiert und in eine grosse, bunte Papiertüte gesteckt. Mein Leben so em família gefällt mir irgendwie, weshalb ich nach einer Woche in Salvador beschliesse, hier hin zurückzukehren. Nach meinem kurzen Ausflug nach Foz do Iguaçu, das sich nicht in der Bahia befindet, sondern auf der anderen Seite des Landes.
- Züri-Blog von Frau Bitterbös, Maxim Theater Zürich (2)
Züri-Blog von Frau Bitterbös
Maxim Theater Zürich
Zur Zeit arbeiten wir an einem neuen Stück, zusammen mit dem Lehrhaus Zürich. Première ist voraussichtlich im November 2015.
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- Der schönste Ort in der Stadt:
- Mein Bett.
Öppis mit Medien. Ausgebildete Schauspielerin. Schreiberlingin. Reisefüdli. Crazy Cat Lady.
- Der schönste Ort in der Stadt:
- Mein Bett.
- An diesem Ort kann ich mich am besten entspannen:
- In meinem Bett.
- Meine Lieblingsbar:
- Mein Bett.
- Da nehme ich noch einen Schlummi:
- In meinem Bett.
Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 14: Em família
Nach dem Regenwald bin ich nun an der brasilianischen Ostküste, genauer in Salvador de Bahia. Das ist die Hauptstadt des Bundesstaats Bahia, vor Urzeiten war es auch einmal die Hauptstadt des gesamten Landes. Hier waren nämlich die ersten Seefahrer aus Portugal gelandet. Es ist mit knapp drei Millionen Einwohnern die drittgrösste Stadt Brasiliens (nach São Paulo und Rio de Janeiro) und liegt in der "Allheiligenbucht", was erklärt, warum auch in Salvador ein Christus auf einem Hügel aufs Meer hinunterblickt, ähnlich wie in Rio, einfach in Miniaturform. Die Bahia ist bekannt für ihre afrobrasilianische Kultur, die sich in Essen (viel Kokosmilch), Religion (Candomblé, aus dieser Art der Heiligenverehrung rühren übrigens auch die farbigen Armbänder her, die hier in Salvador überall hängen und die man als Tourist an jeder Ecke angeboten bekommt) und dem Capoeira widerspiegeln. Auch ist es hier ganz hübsch, vor allem die Altstadt, die ein bisschen an Lissabon erinnert (obwohl ich da noch nie war, aber man liest das überall so), mit bunt gestrichenen, aufwendig renovierten Häusern im Kolonialstil. Überhaupt putzt sich Salvador gerade sehr heraus, überall wird geschrubbt, gemalt und ausgebessert, an den Strassen türmen sich langsam die camarotes , die VIP-Lounges, auf. Das ist alles für den brasilianischen Carnaval , der immer näherrückt, und in der Bahia besonders ausgelassen gefeiert wird.
Und hier habe ich eine neue Familie gefunden, nämlich die einer brasilianisch-schweizerischen Freundin von mir. Die war gerade in ihrer Heimat zu Besuch und nahm mich bei sich auf, unterdessen ist sie aber in die Schweiz zurückgereist (ihr Mann mit etwa sieben Löchern im Fuss, da er beim Baden im Meer auf einen Seeigel getrampelt ist - die Stacheln mussten ihm im Spital entfernt werden). Zum Glück aber hat sie in und um Salvador zahlreiche Verwandte, und so kam ich bei einem ihrer 23420 primos , Cousins, unter.
Es ist also meine zweite Familie hier in Brasilien, und sie könnte sich von meiner ersten in der Comunidade in Rio gar nicht mehr unterscheiden. Diese hier in Salvador gehört zur gehobenen Mittelschicht. Meine Freundin und ihr Mann besitzen ein Haus in einem schmucken Vorort, so mit riesigem Garten und Swimmingpool. In ihrer immensen Küche stehen den ganzen Tag irgendwelche Frauen, deren Verwandschafts- oder Bekanntschaftsgrad ich nicht richtig einordnen kann, und kochen (nach dem dreistündigen Frühstück werde ich jeweils gefragt, ob ich jetzt Mittagessen wolle). Ausserdem besorgen sie die Wäsche und sind ununterbrochen am Aufräumen und Putzen (ich kann das leere Wasserglas kaum absetzen, schon wird es abgeholt).
Und Primo hat eine hübsche Wohnung an zentraler Lage in Salvador, unweit des Strands und des Farol da Barra , des Leuchtturms. Man fährt Auto und hat wifi - ok, Primo noch nicht, denn er ist erst grad frisch in die Wohnung eingezogen, aber es ist schon bestellt. Die Familie verfügt über ein grosses Haus auf dem Land, inklusive Kajak für den privaten Zugang zum See und Mangobäumen im Garten (dort darf ich kostenlos "Ferien" machen und sogar noch Freunde mitbringen, zum Frühstück esse ich jeweils drei Mangos und muss dann den ganzen Tag xixi ).
Apropos Mango: auch in der Ernährung werden die sozialen Unterschiede deutlich: hier verzichtet man bewusst auf Chips, Fritiertes und literweise refrigerante, anders als in der Favela. Überhaupt muss ich sagen: ich habe noch nie einen so gesunden Kühlschrank gesehen wie den von Primo! Nur kiloweise Früchte und Gemüse, água do coco , entrahmte Milch, Eier und mageres Poulet! Und das alles auch noch in der Küche eines Single-Mannes Ende 30! Ich staune wirklich! Wenn ich mir mein Guaraná Zero gönne, dann kommt garantiert ein despektierlicher Spruch, von wegen schädlichen Süssstoffs und so. Und Primo ist überhaupt der Meinung, biscoitos sollten verboten werden. Und seine Tochter (die bei der Mutter lebt) trinke auch keine Cola und kriege nur wenig Süssigkeiten. PAH! Trotzdem hat der gute Mann ein Wohlstandsbäuchlein, denn eigentlich ist er gar nicht so ein Gesundheitsapostel, wie sein Kühlschrank vermuten lässt. Manchmal kommt er nämlich mit einem Hamburger aus dem Drive-in nach Hause. Er zeigte mir auch schon Fotos von feuchtfröhlichen Nächten mit Freunden, wo der Alkohol in Strömen floss. Und wenn wir fruta do pão essen, dann schmiert er sich einen halben Butterberg darauf.
Irgendwie sympathisch. Der Wille ist stark, doch das Fleisch ist schwach, das kenne ich nur zu gut. Trotzdem: wenn wir abends zusammen "kochen", dann machen wir immer Salat. Das klingt dann ungefähr so:
Primo: "Gib mir bitte mal die beterrabas aus dem Kühlschrank."
Ich: "Ööh, die was?"
"Die beterrabas."
Ich wühle völlig planlos im Gemüsefach. "Das da?"
"Nein, das ist eine Melone, Miriam. Um melão . M-E-L-Ã-O!" Primo spricht extra langsam und formt dabei jeden Buchstaben überdeutlich mit den Lippen, so als wäre ich taubstumm.
"Weiss ich doch. Dann vielleicht das da?"
"Nein nein, das gehört nicht in den Salat! Es sind diese roten."
"Ah, die hier!"
" Isso ", Primo nickt anerkennend. "Wie heissen die auf Deutsch?"
"Randen."
"Roongden."
"Nein, nicht nasal, solche Laute haben wir im Deutschen nicht."
"Ach, das ist mir zu schwierig. Reich mir doch bitte schnell die Blablabla (ich habe das Wort schon wieder vergessen)."
Ich runzle die Stirn. "Ähm, also, so zum Schneiden?"
Er schüttelt entschieden den Kopf. "Nein, die Blablabla!"
Ich greife nach einem Lappen.
"Nein, für den Salat, zum Waschen!"
"Aaaaahh!" Der Groschen ist gefallen.
"Genau, das ist eine Blablabla. Und wie heisst das auf Deutsch?"
"Plastikbecki."
" Meu Deus !"
Wir sind ein bisschen wie ein altes Ehepaar, das zusammen in der Küche rüstet und schnippelt und sich gegenseitig etwas klar machen will, was der andere nicht (mehr) versteht. Nur hören wir beide noch gut und sind auch im Kopf noch ziemlich frisch, nicht das Alter, die sprachliche Barriere erschwert uns die Kommunikation. Aber die überwinden wir immer wieder locker über einer Tasse Filterkaffee. Den trinken wir grad literweise (ich habe ihn wirklich liebgewonnen!), tagein, tagaus, auch noch vor dem Zu Bett gehen. Dazu sitzen wir auf Primos Balkon und diskutieren über Musik oder den Sinn des Lebens, während mich die Arschlochmücken verstechen und bei ihm das Handy pausenlos klingelt. Was braucht man mehr?
Gastfreundschaft wird in Brasilien sehr grossgeschrieben. Es ist ganz selbstverständlich, dass Besucher beherbergt werden und sich wie zu Hause fühlen sollen. Für Brasilianer stellt das irgendwie keine Umstände dar, anders als in Zürich, wo praktisch jeder mit seinem eigenen, stressigen Leben beschäftigt ist und weder Zeit noch Musse hat, einem Fremden seine Türen zu öffnen.
Und natürlich will auch Primo wie Papa und Mama in Rio keinerlei Gegenleistung. Mein Vorschlag, "Miete" zu bezahlen, wird einfach weggelacht. Ich bleibe aber hart, bis Primo schliesslich nachgibt - also, so ein bisschen. Er ist ja erst gerade umgezogen, die Wohnung ist noch etwas leer, es fehlt an Möbeln und anderen nützlichen Einrichtungsgegenständen.
Er wünscht sich deshalb einen Gemüseschäler.
Jep. That´s ist.
Wow.
Na gut, der Mann soll bekommen, was er will. Ist mir ja auch lieber, wenn ich die Rüebli und die Randen für den Salat nicht mehr mühsam mit einem popligen Messer abraspeln muss.
Ich gehe also in den Supermarkt. Und ich gehe in noch einen. Und noch einen. In grosse und kleine. Ich gehe in jeden fucking Supermarkt in Salvador. Keine Gemüseschäler.
Also gut, Strategiewechsel. Ich gehe in ein riesiges Einkaufszentrum, und dort finde ich ein schickes Haushaltsgeschäft. Ich suche nach dem gewünschten Gerät, finde es aber nirgends. Scheint nicht gerade angesagt zu sein in der Bahia. Dafür stosse ich auf so wichtige Alltagsgegenstände wie Knoblauchkocher und Julienne-Schneider. Ich gebe auf und wende mich an einen Verkäufer: " Com licença , ich bin auf der Suche nach einem... also, nach einem... so einer coisa , mit der man fruta und verdura desch... des..."
" Descascar ", hilft er mir freundlich weiter.
"Genau, so einen descascador halt."
Der Verkäufer führt mich zu einem Gestell und drückt mir dort das verzweifelt gesuchte Ding in die Hand. ENDLICH!
"Ist das der einzige, den sie haben?" (Herrgott, er ist hässlich, so aus gelbem Plastik und sauteuer!)
"Ja, aber er ist muito bom, muito bom !"
Ich zahle. Das Rückgeld muss mir der Verkäufer aus seinem eigenen Portemonnaie zusammenklauben, die Kasse klemmt irgendwie. Der Gemüseschäler wird sorgsam in Blööterlipapier eingewickelt, mit Klebstreifen fixiert und in eine grosse, bunte Papiertüte gesteckt.
Mein Leben so em família gefällt mir irgendwie, weshalb ich nach einer Woche in Salvador beschliesse, hier hin zurückzukehren. Nach meinem kurzen Ausflug nach Foz do Iguaçu, das sich nicht in der Bahia befindet, sondern auf der anderen Seite des Landes.
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 13: Bem~vindo á selva
Das Wetter bei meiner Ankunft in Manaus, der Hauptstadt des grössten brasilianischen Bundesstaats Amazonas, passte zu meiner Stimmung: trüb und verregnet. Nach zwei Monaten in Brasilien verbrachte ich also meine erste Nacht alleine - komplett alleine, denn in meinem Hostel gab es aus irgend einem Grund auch keine anderen Gäste. Was ich nicht verstehe, denn es war sehr nett. Egal, ich stand da also in meinem hübschen Einzelzimmer mit Air Condition und warmer Dusche, aber ich konnte mich gar nicht richtig freuen über so viel Platz und Komfort ganz für mich alleine. Ich vermisste die enge Favela in Rio, das Chaos in meiner brasilianischen Familie, auch den Hund, obwohl er mir Kaugummi und Schokolade wegfrass und manchmal nachts um 3 Uhr völlig unerwartet zu mir aufs Betts sprang, direkt auf meine volle Blase.
Ich dachte also: Was tun mit diesem angebrochenen ersten Tag in Manaus? Angesichts des Wetters fand ich es angebracht, mir einen Regenschutz zu besorgen, denn diesen hatte ich beim Packen in Zürich vergessen (also, ABSICHTLICH vergessen, gebe ich zu, denn ich HASSE Regenmäntel, Schirme und so!). Ausserdem stand im Programm für meinen Regenwald-Trip doch tatsächlich, dass man einen dabei haben sollte (hatte ich wohl auch absichtlich überlesen). Ja, gut, ich gehe also mal ins Stadtzentrum, es ist später Nachmittag. Bevor ich nach Reisekleidern stöbere, beschliesse ich, mir noch ein einfaches Abendessen im Supermarkt zu besorgen.
Ich weiss was ihr denkt: FEHLER!!
Und tatsächlich: als ich endlich wieder aus dem Laden rauskam, war es dunkel, schiffte wieder pra caraca und alle anderen Shops hatten bereits geschlossen. Also nix mit Regenschutz, ich wartete, ich eilte mit meinen 5 Plastiksäcken mit ein bisschen Chips und Guaraná Zero zurück ins Hostel. Dort machte ich mir dann einen Depro-Fernsehabend mit Junkfood, vor einem uralten, winzigen Röhrenbildschirm. "Big Brother Brazil" war in schwarz-weiss und ziemlich verwackelt.
Ich war froh, hatte ich am nächsten Tag wieder volles Programm, denn dann hiess es also endlich: Welcome to the jungle - bem-vindo á selva! Ein Besuch im Regenwald Amazoniens gehört für mich auf einer Brasilien-Reise einfach dazu! Die grüne Lunge, Piranhas, Anacondas und so, das wollte ich mal mit eigenen Augen gesehen haben. Per Auto, Schiff, Auto und wieder Schiff ging es über mehr als drei Stunden in eine Lodge am Rio irgendwas - sorry, aber alle diese Amazonas-Zuflüsse kann ich mir einfach nicht merken. Das Hauptgebäude der Lodge schwamm direkt im Fluss, denn es musste sich das Jahr hindurch immer wieder dem Wasserpegel anpassen, dieser schwankt nämlich regelmässig um die 15 Meter. Ich hatte meine eigene kleine Holzhütte, auf Pfählen, ebenfalls wegen des steigenden und fallenden Wassers. Und dort gab es auch schon ein Haustier, so eine winzige Echse, die mir jeweils beim Duschen zuschaute, sonst aber nicht sehr zutraulich war.
Die Gegend ist das pure Gegenteil des Grossstadt-Dschungels, den ich bisher von Brasilien kannte. Nur Wasser, Bäume und ein paar Boote. Keine Läden, keine Strassen, kein Telefonempfang, kein Internet, kein Lärm. Und da gerade keine Hochsaison war, auch fast keine Menschen. Der Lodge-Besitzer versicherte uns, dass wir ohne Probleme im Fluss schwimmen könnten. Ich schlüpfte also schon mal ins Bikini. Allerdings gingen wir in der Nacht im selben Fluss Kaimane jagen. Der, den wir aus dem Wasser zogen, war zwar noch ein Baby, offenbar würde er aber eines Tages bis zu 4 Meter lang sein. Ich verstaute meinen Bikini wieder im Rucksack.
Dafür hätte ich stundenlang mit dem Boot über das spiegelglatte Wasser gleiten können, ich fand es so friedlich. Wir fuhren in kleinen Gruppen hinaus auf den Fluss, machmal paddelten wir, manchmal hatten wir ein Motorboot. Dann hielten wir irgendwo und liessen uns einfach treiben und lauschten den Geräuschen des Regenwaldes um uns herum. Ich verfiel dabei in eine Art medidative Ruhe, sehr angenehm.
Am Tollsten war es, als ich mal mit einer kleinen Nussschale (wortwörtlich, und passenderweise war sie aus irgendeinem Grund auch noch mit "CH"angeschrieben) ganz alleine rauspaddelte - ok, es brauchte zuerst ein bisschen Übung, bis ich endlich vom Fleck kam, aber nach ein paar Runden im Kreis hatte ich den Dreh allmählich raus. Es ging nur langsam voran, vor allem flussaufwärts, und war sauanstrengend, aber schön. Mitten im Fluss legte ich mich dann einfach hin (so gut das ging in dem Kahn) und schloss die Augen. Ich hörte all die Vögel um mich herum, die Affen und die Flussdelphine, wenn sie ganz kurz auftauchten um Luft zu holen. Sie kamen aber leider nie nahe ans Boot, nicht so wie Flipper. Flussdelphine sind übrigens auch nicht so süss wie diejenigen im Meer, nein, ehrlich gesagt finde ich, sie sind total unförmig und dazu auch noch rosa. Wahrscheinlich dachte sich die Natur, als sie die Flussdelphine schuf, da unten im dunklen Wasser des Rio Negro (einer der Zuflüsse des Amazonas, und seine Farbe passt wirklich zum Namen) sieht man sowieso nichts, da ist Ästhethik totale Nebensache.
Tja, und vielmehr andere Tiere als die eben erwähnten habe ich dann leider auch nicht gesehen. Auch nicht auf der Dschungel-Wanderung. Die Tarantel war nicht "zu Hause", jedenfalls konnte der Guide noch so lange mit einem Grashalm im Erdloch rumbohren (ich war froh, Spinnen sind sowas von Igitt!). Die Papageien hörten wir nur, aber sahen wir nicht. Es schlich auch kein Jaguar vorbei. Kein Faultier hing in den Bäumen. Keine Schlange wollte uns würgen. Nur eine einsame Taube sass auf ihren Eiern. Oh, und ein winziger Giftfrosch auf einem Stein.
Aber so ist das halt: die Natur ist kein Wunschkonzert, Safaris kann man in Afrika machen. Allerdings hofften ich und die anderen Gringos auf ein paar Piranhas, klar, das ist ja auch das erste, was einem zu "Amazonas" einfällt. Wir gingen also Fischen. Dafür steckten wir das Fett des frango vom Mittagessen auf einen Haken, der an einer Schnur von einem simplen Stöckchen baumelte. Und siehe da: einige zogen tatsächlich einen Piranha aus dem Wasser! Natürlich nicht so ein Halb-Meter-Riesenmonster, mit Zähnen in alle Richtungen, wie man es in den Horrorfilmen immer zu Gesicht bekommt. Es waren kleine, bunte, eigentlich sehr schöne Fische, aber tatsächlich Piranhas.
Ich muss zugeben, ich stellte mich beim Fischen absichtlich etwas dämlich an, denn ich wollte den armen Tierchen nicht den Gaumen durchbohren und sie dann im Trockenen ersticken lassen. Dazu kam, dass die "glücklichen" Fänger ihre Fische dann am Abend gebraten auf ihren Tellern vorfanden, was nicht alle besonders freute - da weiss ich wieder, warum ich eigentlich Vegetarierin bin...
Oh, Moment, das Tier, das mir in Amazonien am meisten begegnet ist, habe ich ja noch vergessen: die gemeine Arschloch-Mücke! Es ist ja nun zur Zeit gerade keine Mückensaison in diesem Gebiet, in dem meine Lodge sich befand. Aber das ist diesen blutsaugenden Biestern scheissegal! Ich weiss nicht warum, aber ich habe einen Schlag bei denen. Es mögen ja vielleicht tatsächlich nur ein paar einsame Mückchen rumgeschwirrt sein, aber jede einzelne davon hat mich sicher ein Dutzend Mal gestochen!!! Ich weiss nicht, wie die das immer schaffen!! Ich trug lange Hosen und den ganzen Tag Eau d' Antibrumm, ich lag unter dem Moskitonetz, ich fuchtelte die ganze Zeit wie wild herum - aber NEIN!! Diese scheiss Viecher haben mich fast aufgefressen, sie fanden sogar irgendwie den Weg unter meine Kleider, und mein Mückenspray hat sie kein bisschen gestört!! Ich sah nach einem Tag schon aus, als hätte ich die Beulenpest! Und zwar natürlich nur ICH! Denn haben die verdammten Mücken auch die anderen Touris gestochen? Nö!! Sie wollten nur MEIN Blut saugen, diese filhos da puta !!!!
Man machte schon Witze über mich in der Lodge, so im Stil: "Auch wenn du nicht in den Dschungel gekommen wärst - die Mücken hätten dich schon gefunden!" Ich weiss nicht, warum ich für diese Arschlöcher so attraktiv bin, aber ich empfinde es nicht gerade als Kompliment! Überhaupt: pinke Delfine und MÜCKEN, gimme a break !! Natur, was soll das? Was bitte hast du dir bloss dabei gedacht?!
Mit ruhigen, erholsamen Nächten war deshalb schon mal nichts, ich musste mich auch im Bett ununterbrochen kratzen, von oben bis unten. So stelle ich mir ungefähr die Hölle vor!
Aber man kommt ja sowieso nicht zum Schlafen in den Regenwald, dafür sind die Nächte viel zu interessant. Man muss Lauschen. Ich habe deshalb vor dem zu Bett Gehen immer extra noch den Ventilator ausgemacht, damit das Geknatter nicht dauernd die Naturgeräusche übertönt. Dann lag ich da im Dunkeln und hörte hinaus in die Nacht. Wenn ich wegschlief, dann nicht für lange, denn spätestens um 4 Uhr morgens ging das Konzert los: erst die Affen - also, man versicherte mir, dass es kleine Affen seien, aber es hörte sich an wie der T-Rex in "Jurassic Park", zum Fürchten, kein Scherz! Dann so gegen 5 die Vögel. Die Grillen machten erst gar nie eine Pause. Und dazwischen hörte man immer wieder die Hunde des Lodge-Besitzers und den Hahn auf dem dazugehörigen Hof (wer hat eigentlich gesagt, dass Hähne nur bei Sonnenaufgang krähen? Sorry, aber dieser Hahn hatte NULL Zeitgefühl!). Obwohl ich pro Nacht sicher 4mal aufgewacht bin (nicht nur wegen der juckenden Mückenstiche), habe ich diese Geräuschkulisse sehr genossen.
Aber das Highlight meiner Amazonas-Tour war natürlich die Übernachtung survival-like im Regenwald. Ok, nicht ganz survival, wir hatten Essen und Trinken in Kühlboxen dabei, aber egal. Unter einem Strohdach spannten wir unsere Hängematten inklusive Moskitonetze auf und grillten am offenen Feuer. Wir schafften es gerade noch, den peixe und das frango zu braten, als es natürlich wieder sintflutartig zu schütten begann (darum heisst das Ding wohl auch Regen wald!). So sassen wir also unter dem Dach und konnten nicht raus. Langweilig. Zum Glück hatten wir eine Flasche Cachaça, Limonen und Zucker dabei...
Den weiteren Verlauf des Abends kann man sich ja wohl denken. Oder auch nicht. Jedenfalls glaube ich, dass stockbesoffen Boot fahren in der Nacht (ENDLICH konnte ich meine neue Stirnlampe gebrauchen!) in kaiman- und delphin-verseuchten Gewässern wohl auch in Brasilien verboten ist, oder zumindest als fahrlässig gilt...
Na, gut, wir haben es überlebt und uns glänzend amüsiert. Überhaupt hat es mir im Regenwald sehr gut gefallen, auch eine Züri-Tusse ist mal gerne in der Natur, abgeschottet von der Aussenwelt.
Übrigens: als ich da mutterseelenalleine in meiner Nussschale auf dem Fluss paddelte, musste ich plötzlich ganz dringend xixi . Logo, man muss ja immer genau dann, wenn es grad völlig unmöglich ist, oder?! Jedenfalls: ins Wasser gehen war nicht, ich wäre nie mehr aufs Bötchen raufgekommen! Einfach über Bord pinkeln? Das Ding wäre auf der Stelle gekippt! Irgendwo an Land gehen? Ganz allein freiwillig zu den Kaimanen und so? NUNCA!
Naja, ich sage nur soviel: ich habe das Problem gelöst. Aber ich verrate nicht, wie... :-)
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 12: A grande despedida
Wie sagt man so schön: nichts ist für immer. Und so sind meine zwei Monate hier in Rio de Janeiro denn auch schon abgelaufen, und es geht weiter nach Manaus, an den Amazonas. Ich nehme Abschied vom pulsierenden Rio, von meiner brasilianischen Familie in der Favela, von meinen neuen Freunden und vom Portugiesisch-Unterricht mit einem lachenden und einem weinenden Auge - ok, eigentlich mit zwei weinenden Augen, denn ich fühlte mich hier schon sehr zu Hause.
Ein bisschen getröstet hat mich aber der Fakt, dass gleichzeitig mit meinem Aufenthalt in Rio auch die Prime-Time-Telenovela "Amor á vida" ihr Ende fand. Ja, Telenovelas gehören zu Brasilien wie der Katholizismus zum Papst. Das Land zählt zu den erfolgreichsten Produzenten dieses Fernseh-Genres, ein bisschen ähnlich unserer Seifenoper, aber natürlich leidenschaftlich lateinamerikanisch, mit ganz viel Tränen, Romantik, Herzschmerz, exzessiver Mimik und dramatischer Begleitmusik. Pro Tag werden immer mehrere Telenovelas ausgestrahlt, man kann also ab dem frühen Nachmittag bis in die Nacht durchschauen, wenn man will.
"Amor á vida" flimmerte acht Monate lang über die brasilianischen Bildschirme, und zwar täglich zur besten Sendezeit, um 21 Uhr. Nun, ich bin ja nicht so die Serien-Kuckerin, und mit schwülstigem Liebesgeplänkel kann man mich jagen. Aber da meine brasilianische Familie "Amor á vida" regelmässig einschaltete, sogar die 5-jährige Enkelin die Titelmelodie schon auswendig mitsingen konnte ("Vida! Viida!! VIIIIDDAAAA!"), und da an jedem Kiosk die Hauptdarsteller auf den Titelseiten der Revistas abgefeiert wurden, habe ich mir das Ganze dann doch auch ab und zu angetan. Man will ja schliesslich mitreden können, nicht wahr?
Also sassen wir dann hin und wieder abends alle gemeinsam auf dem Sofa im angenehm kühlen Wohnzimmer (das einzige mit Air Condition), und ich musste sehr darüber schmunzeln, wie die Brasilianer mit den Novela-Figuren mitlitten! Da wurde laut in die Hände geklatscht, wenn es mal wieder zu einer überraschenden Wende kam, besonders bösartige Figuren wurden als piranha oder gar filho da puta beschimpft, besonders hübsche mit anzüglichen Bemerkungen überhäuft, und natürlich war man sich auch in punkto Überzeugungskraft der Darsteller nicht immer einig, was zu heftigen Diskussionen führte.
Ich habe ja nun leider nur noch das letzte Viertel von "Amor á vida" mitgekriegt und das auch nur sehr sporadisch. Dazu kommt, dass mein Portugiesisch halt immer noch eher rudimentär ist (aber Telenovelas helfen super beim Lernen, vor allem, wenn man dazu noch die Untertitel für Taubstumme aufschaltet!), aber ich versuche, hier mal zusammenzufassen, was ich so mitbekommen habe:
Also, im Mittelpunkt steht eine vermögende brasilianische Familie (irgendwie gehört ihnen ein Spital oder so) und deren Freunde. Da ist das Familienoberhaupt, der Patriarch, dessen Namen ich jetzt grad vergessen habe. Er verlässt seine Frau für die viel jüngere Aline. Diese hingegen will eigentlich nur sein Geld, weshalb sie ihm Gift ins Essen kippt, worauf der Patriarch erblindet und total von ihr abhängig wird. Aline schottet ihn von seiner Familie ab und spielt ihm ihre grosse Liebe vor, hat aber natürlich eigentlich einen jungen Geliebten, Ninho. Der steckt mit ihr unter einer Decke, und mit dem knutscht und knuddelt sie dann auch immer hemmungslos neben ihrem Ehemann, denn der sieht ja nichts und bleibt somit sprichwörtlich im Dunkeln (wobei ich sehr bezweifle, dass man Küsse und Schritte und so nicht auch deutlich HÖRT, vor allem, wenn man blind ist). Nur manchmal schreckt er auf und sagt Dinge wie: "Oh, ich spüre da schon wieder so eine Präsenz...", und Aline dann so in der Art: "Jaja, da ging grad der Gärtner vorbei...". Fies.
Der Patriarch hat zwei Kinder. Felix ist schwul und mit Niko zusammen (die beiden werden übrigens von Heteros gespielt, und zwar extra tuntig, sie sind die Lieblinge vieler Zuschauer). Ausserdem war er wohl früher mal ganz ein schlimmer Finger, er warf sogar das Baby seiner Schwester Paloma in den Müll (kein Witz, sah ich in der Retrospektive!) und stahl und betrog, worauf ihn Paloma aus dem Spital feuerte. Niko, Felixes Freund, hingegen war früher mal mit einem anderen Typen zusammen. Die beiden liessen sich per Leihmutter zu Vätern machen, aber die Leihmutter spannte Niko darauf den Typen einfach aus und behielt das Kind. Der Typ war dann eine Zeit lang also nicht mehr schwul, bis er merkte, dass er das doch nicht konnte und die Frau sowieso nicht ganz dicht im Kopf war. Da verliess er sie, worauf sich die Frau einem neuen schwulen Pärchen als Leihmutter anbot und sich dort wieder dem besser Aussehenden an den Hals warf. Aber diesmal vermasselt ihr Niko die Tour, aus Rache.
Jedenfalls, Felix und seine Schwester Paloma können die Aline, die neue Frau ihres Vaters, überhaupt nicht ausstehen (und sich selber übrigens auch nicht, eben, wegen Baby in den Müll und so) und vermuten, dass da etwas faul ist am Ganzen. Aber der Patriarch will nicht hören, er ist sprichwörtlich blind vor Liebe. Aber dann eines Tages, ich weiss ehrlich gesagt auch nicht so recht warum, wendet sich Aline auch gegen ihren Geliebten Ninho und rammt dem ein Messer in die Brust (er überlebt). Sie will ausser Landes fliehen, aber Felix und Paloma kommen ihr auf die Schliche, sie wird noch am Flughafen verhaftet und kommt ins Gefängnis (Ninho auch). Dort gesteht sie dann ihrem liebestollen Patriarchen, dass sie ihn fertig machen wollte, weil er schuld am Tod ihrer Mutter war. Die war nämlich vor x Jahren ebenfalls die Geliebte des Patriarchen, kam aber bei einem Autounfall ums Leben, und Aline glaubt, der Patriarch sei daran schuld. Allerdings stellt sich dann heraus, dass nicht er, sondern seine Ex-Frau die Bremsen am Auto präparieren liess, aus Eifersucht, weil sie wusste, dass er eine Geliebte hatte (übrigens ist die Gehörnte nun ebenfalls mit einem 50 Jahre jüngeren Toyboy verheiratet).
Gut, und dann gibt es da noch die junge, hübsche Linda. Sie wird von ihrer Familie total überbehütet, da sie Authistin ist, aber meiner Meinung nach stellt die Schauspielerin eine geistig schwer Behinderte dar, die auf dem Niveau einer Achtjährigen stehengeblieben ist. Trotzdem verliebt sich ein sehr gut aussehender Anwalt in sie, Raffael, und mit seiner Hilfe wird Linda selbständiger, sie traut sich nun mehr zu, bricht von zu Hause aus, beginnt zu malen - und verliert ihre Unschuld.
Im grossen Finale, das wohl halb Brasilien vor die Fernseher zog (und zwar nicht nur zu Hause, am Strand oder im Lanchonete gibt´s natürlich auch Fernseher), heiraten Linda und Raffael natürlich mit grossem Pompom (ich weiss nicht so recht, für mich war es ein bisschen so, als würde ein Kind vor den Altar geführt, das keine Ahnung hat, was es da überhaupt macht...).
Die rachsüchtige Aline versucht, aus dem Gefängnis auszubrechen, dummerweise wird der Strom am Zaun nicht rechtzeitig abgeschaltet, worauf sie beim Rüberklettern kläglich an Elektroschocks verendet.
Ihr Mann, der Patriarch, ist über ihr Geständnis so sehr erschüttert, dass er einen Schlaganfall erleidet und anschliessend im Rollstuhl sitzt. Er wird nie mehr glücklich, obwohl sich auf wunderbare Weise seine Sehkraft wieder herstellt. Felix, sein verhasster Sohn (weil er schwul ist?), beschliesst, sein Leben total zu ändern und sich um seinen Vater zu kümmern. Er zieht mit ihm ins Strandhaus der Familie und umsorgt ihn liebevoll.
Überhaupt könnte das Happyend nicht happier sein: Paloma vergibt Felix seine Sünden und bringt einen Stammhalter zur Welt, der Patriarch und sein Sohn gestehen sich gegenseitig ihre Liebe, die authistische Linda präsentiert die erste Ausstellung ihrer Bilder (sie kann fast alle verkaufen), mehrere andere Paare finden auch wieder zueinander und jede Novela-Figur hat mindestens einmal geweint. Aber das Aufregendste am gesamten Ende von "Amor á vida": Felix und Niko küssen sich zum ersten Mal auf der Leinwand!! Es ertönte ein verzücktes "Aaaaaaahhhhhhh!" durch die gesamte Favela und es wurde in vielen Wohnungen hörbar Beifall geklatscht.
Meine brasilianische Familie war sehr gerührt und zufrieden mit diesem Finale der Telenovela. Kaum ertönt die Schlussmelodie, wird auch schon herumtelefoniert: " Assistiu o final? Foi legal, não? Ai, tive que chorar tanto!".
Ja, weinen muss ich jetzt auch ein bisschen, aber nicht wegen "Amor á vida", sondern weil ich Rio de Janeiro Tschüss sagen muss. Manchmal werden die Telenovelas in Brasilien verlängert, wenn sie besonders erfolgreich waren. Ich hoffe deshalb auch, dass ich Rio nicht zum letzten Mal gesehen habe.
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 11: Choque cultural
Rio de Janeiro, am Strand.
Der Brasilianer mustert mich von oben bis unten und sagt:
"Ich finde, du hast einen brasilianischen bunda ."
Ich: "Will heissen?"
Er: "Gross."
Ich: "... toll... obrigada ..."
Er: "Was ist?"
Ich: "Du kannst mir doch nicht sagen, ich hätte einen fetten Arsch!"
Er: "Wieso nicht?? Das ist ein mega Kompliment!!"
Ich: "Doch nicht für eine Europäerin! Wir wollen alle dünn sein!"
Er: "Hä?? Ihr wollt freiwillig einen kleinen Arsch?? Ihr spinnt doch!!"
Ich: "Ist aber so. Wir wollen höchstens einen grossen Busen."
Er: "Versteh ich nicht. Brüste sind total überwertet."
Ich: "Whatever. Á propósito , wie redest du eigentlich mit mir? Ich könnte im Fall deine Mutter sein! Tatsächlich, wenn ich es mir so überlege, wären wir beide in der Favela aufgewachsen, dann WÄRE ich jetzt deine Mutter!". Ich lache, er stockt.
"Das kann nicht sein! Mitte dreissig? Unmöglich!"
Ich: "Doch."
Er: "Wow! Bei euch da drüben muss was im Wasser sein! Ich meine, wenn Frauen HIER Mitte dreissig sind, dann sehen sie auch so aus."
Ich: "Du meinst alt."
Er: "Genau."
Ich: "Obrigada."
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Leider liegt das Fett nicht nur in deinem Arsch an, aber auch in der Vorurteile Mauer, die schamlos deinen Text beeinflusst.
Bitte weniger Aufmerksamkeit auf deinen unteren Teilen und mehr nach oberen!
Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 10: Ordem e progresso 2
Bom dia! Willkommen zum zweiten Teil meiner Serie "Was mich so an Rio de Janeiro stört" oder besser gesagt, was für mich hier als Zürcherin ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist. Ich habe mich ja schon als Fan dieser grossartigen Stadt geoutet, also darf ich jetzt auch mal ein bisschen lästern... :-) Disculpe, amor!
Nun, Brasilien ist nicht die Schweiz, das wissen wir ja schon. Und zum Glück! Denn sonst hätte ich ja nicht verreisen müssen. Ich kann mich sehr gut neuen Umständen anpassen, eigentlich zieht es mich ja auch aus genau diesem Grund immer mal wieder ins Ausland: ich will auch mal ANDERS Leben als gewohnt. Andere Länder, andere Sitten. Ich nehm´s gelassen, wenn es halt auch mal nicht nach meinem Gusto läuft. Meistens. Denn hier in Rio gibt es EINEN Ort, an dem ich mich wirklich immer wieder zusammenreissen muss und mir so einen blöden, spiessigen, typisch schweizerischen Kommentar à la "Also, bei uns ginge das dann im Fall nicht!!" nur mit sehr viel Mühe verkneifen kann: an der Kasse.
Jawoll, hier wird das Sprichwort "Zeit ist Geld" irgendwie andersrum gedeutet: während in Zürich alles so schnell wie möglich erledigt werden muss und Schnelligkeit zudem als höflich und respektvoll gilt, macht man in Brasilien lieber so langsam wie möglich, denn schliesslich wird man ja für die ArbeitsZEIT bezahlt und nicht für die ArbeitsGESCHWINDIGKEIT . So lernte ich wohl oder übel, dass man für seine täglichen Besorgungen hier genügend Zeit einplanen muss. Bloss nicht noch kurz, bevor der Bus fährt, ein Cocci kaufen gehen, und das mit dem "Ich gang mir no schnäll es Znacht go hole" grad von Anfang an vergessen - in Rios Läden, Lanchonetes und Supermärkten geht nichts kurz und schnell!
Ein alltägliches Beispiel:
In einer Filiale im Zona Sul , einer von Rios Supermarktketten. Der Tag neigt sich dem Feierabend zu, vor den Kassen drängen sich lange Menschenschlangen. Aber aus irgendeinem Grund, der mir persönlich nicht ersichtlich ist, sind von den sieben Kassen nur vier geöffnet. Ich hab nur wenige Sachen im Körbli, also stelle ich mich natürlich hinter der caixa rápido an, kennt man ja auch nicht anders in Zürich, wenn man sich nur mal schnell einen kleinen Snack besorgen und nicht hinter den bumsvollen Einkaufswagen fünfköpfiger Familien warten will.
Es geht aber alles andere als rápido voran. Vor mir ist eine ältere Frau an der Reihe. Unter anderem kauft sie eine Flasche Mineralwasser. Aber der Preis, der auf dem Bildschirm vor der Kassiererin erscheint, passt ihr nicht. Es habe doch geheissen, dieses Wasser sei em liquidação , also in Aktion. Die Kassiererin runzelt die Stirn und sieht sich die Flasche von allen Seiten an. Nein, meint sie, das sei nicht die richtige Marke. Sie wolle aber das Wasser mit Rabatt, so die Kundin. Die Kassiererin zögert einen laaaaangen Moment, dann ruft sie einer Berufskollegin. Nun stehen sie beide über der ominösen Flasche und diskutieren. Die zweite Verkäuferin nimmt das Wasser schliesslich mit und verschwindet irgendwo zwischen den Regalen. Man wartet. Ich seufze extra laut, damit auch ja alle merken, dass ich mich nerve und es pressant habe. Aber keiner reagiert, die Schlange steht immer noch brav und ohne zu murren an. Schliesslich kommt die Verkäuferin zurück (und sie hat es nicht gerade eilig), eine neue Wasserflasche in der Hand. Sie gibt sie der ersten Verkäufern und diese streckt das Wasser der Kundin hin. Die Frau kuckt es sich misstrauisch an. Ob denn das nun auch wirklich die richtige Marke sei. Ja, sicher. Aber ob das Wasser auch ja ohne Kohlensäure sei. Die Verkäuferin beäugt prüfend die Etikette. Jaja, sem gas , alles gut. Endlich bezahlt die Kundin, doch mit einer zu grossen Note. Die Kassiererin hat nicht genügend Rückgeld. Wieder muss die zweite Verkäuferin ran und etwas Münz organisieren. Auch das dauert. Endlich sind beide Seiten zufrieden, und die Kassiererin verpackt den Einkauf noch in mehrere kleine Plastiktüten, ganz langsam und genau. Ich trete von einem Bein auf das andere und gebe mir die grösste Mühe, auch ja einen besonders angepissten Gesichtsausdruck zu haben. Aber ich bleibe auch diesmal unbemerkt.
Endlich bin ich dran mit Zahlen. Die übliche Frage nach der "Cumulus"-Karte des Zona Sul verneine ich kopfschüttelnd. Die Verkäuferin streckt mir meinen Pfirsich entgegen.
"Ist das ein pêssego ?"
"Ja. (Was denn sonst, etwa eine Wassermelone??)"
"Was für einer? Nacional oder importado ?"
"Nacional", lüge ich, denn die sind billiger. Aber das Ganze ist noch nicht ausgestanden, meiner Banane ergeht es nämlich nicht viel besser:
" D' á gua oder prata ?"
"Hä?"
"D' água oder prata?"
"... " - ich kombiniere blitzschnell in meinem Gehirn: á gua bedeutet "Wasser", darin kann man Bananen kochen, sie spricht also wahrscheinlich von Kochbananen. Prata kommt vielleicht von prato, und das heisst "Teller", die Banane ist also wahrscheinlich zum sofort Essen gedacht, was ich ja auch vorhabe. Also:
"Prata." (meine Kombination ist übrigens kreuzfalsch, mein Fehler, aber das ist egal, es hätte am nachfolgenden Prozess auch nichts geändert.)
Der Preis erscheint auf dem Bildschirm. Ich zahle.
"Haben Sie 50 Centavos?".
Caralho!!! Hab ich natürlich nicht, aber zum Glück die Kassiererin von nebenan. Jetzt steckt die Verkäuferin auch meine Waren in Plastiksäcke, das Guaraná Zero in einen, die Banane in einen anderen und die beiden Pfirsiche in einen dritten.
"Não preciso de sacolas ", beteuere ich.
"Nein?", die Kassiererin mustert mich kritisch. Ich weise mit dem Kopf auf die anderen drei Säcke, die ich bereits in der Hand habe.
"Das passt noch da rein."
Sie ist zufrieden und wünscht mir einen schönen Abend.
Auf dem Weg zur "Bushaltestelle" überkommt mich plötzlich die unbändige Lust auf ein Glacé. Aber natürlich habe ich aus der vorangegangenen Erfahrung gelernt und begebe mich deshalb in ein Schnellimbiss-Restaurant.
SCHNELLimbiss, t´entendeu ?
Ich bestelle an der Theke das Glacé, und nachdem das mit dem "Cornet oder Kübeli" geklärt ist, bekomme ich es auch. Aber als ich zahlen will, verweist mich der Glacémann auf seine Arbeitskollegin, die einen halben Meter neben ihm steht. Aha, Arbeitsteilung the brazilian way, ich verstehe, ordem e progresso halt. Na, gut, von mir aus. Ich muss nochmals anstehen, denn vor der Frau warten bereits drei andere zahlungswillige Kunden. Sie berappen ihren Burger oder ihren Becher Matte allesamt mit der Kreditkarte. Das dauert ewig. Endlich bin ich an der Reihe.
"Ich zahle ein Glacé."
Ja, das muss ich sagen, denn man sieht´s nicht mehr. Damit mir das Ding in der Hand nicht noch vollständig wegschmilzt und auf meinem T-Shirt landet, habe ich es bereits gegessen. Ehrlich gesagt, die Zeit, in der ich an der Kasse angestanden bin, hätte auch gereicht, um noch drei weitere Glacés zu schlecken.
Und so oder ähnlich geht das überall, wo man sich etwas kaufen will in Rio. Als Gringa und Gringo braucht man hier ungewöhnlich viel Geduld und Zeit - ich bin aber auch schon entnervt wieder davongelaufen, muss ich zugeben. Auch nach fast zwei Monaten komme ich halt immer noch nicht aus dem Modus "Ich bin us Züri, ich ha's fall pressant!" heraus.
Meine brasilianischen "Eltern" lachen darüber, wenn ich ihnen von solchen Erlebnissen erzähle. Oder wenn ich ihnen erkläre, dass in der Schweiz die Apothekerin nicht seelenruhig Kuchen essen kann, während sie mir das Anti-Grippe-Mittel verkauft (fuck you, Air Condition!!). Brasilianer seien eben von Natur aus faul, finden meine Gastgeber und zucken mit den Schultern. Das haben jetzt aber wirklich SIE gesagt. Für mich hingegen hat das Ganze nichts mit faul oder fleissig zu tun (und ich bezweifle sowohl, dass es ganze Nationen gibt, die fauler sind als andere, als auch dass Faulheit angeboren ist). Es ist einfach nur, wie man so schön sagt, eine andere Mentalität, eine andere Auffassung von Service. "Schnell" bedeutet in Brasilien nicht automatisch "gut" wie bei uns, und als Kunde wird man hier nicht überall mit Samthandschuhen angefasst oder auf Händen getragen - was ich wiederum eigentlich sehr sympathisch finde. Aber eben, wenn man aus der Schweiz kommt, dann muss man sich erst einmal an den brazilian way gewöhnen, ist so. Heimweh habe ich trotzdem kein bisschen.
Letztens habe ich mir ein Päckli Kaugummi gekauft (wofür ich selbstverständlich wieder eine Plastiktüte bekam). Es hat ganze viereinhalb Minuten gedauert, ich habe extra auf die Uhr geschaut.
Tja, und als ich gestern nach Hause in die Favela kam, eröffnete mir Mama, dass der Hund meine hart erwirtschafteten Kaugummi gefunden und gefressen habe. Auf meinem Bett, wie immer.
CARALHO!!!
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Use seu intelecto para mais do que saber a diferença entre banana.
Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 9: Ordem e progresso 1
Ich sitze wieder mal im Internet-Laden in meiner Favela, zusammen mit einem Dutzend fünf- bis zehnjähriger Knirpse, die an den anderen Computern um mich herum die übelsten Ballerspiele zocken - so laut, dass es mir weh tut in den Ohren. Und ich bin wieder mal sehr dankbar, habe ich damals in der Migros Klubschule das Zehn-Finger-System gelernt, denn auf meinen Tasten sind die Zeichen kaum mehr erkennbar, meine Finger finden sie zum Glück automatisch... eine angenehme Art, den superheissen Sommerabend hier in Rio ausklingen zu lassen!
Womit wir beim Thema meiner Serie wären: Rio de Janeiro ist schön, faszinierend, fröhlich, warm (vor allem jetzt im Janeiro), und doch funktioniert halt nicht alles ganz so, wie es meiner Meinung nach sollte in einem Land, das bald die Fussball-WM und später die Olympischen Spiele austragen wird. Und das 200 Millionen Einwohner hat.
Jep, ihr erratet es schon, es geht im ersten Teil mal wieder um den hiesigen ÖV, den ich immer noch tagtäglich benutze. Mit Freude, muss ich sagen, denn langsam hab ich den Kniff raus! Ich weiss jetzt, welche Busse mich wohin bringen und wie ich es schaffe, einen zu erwischen, der nicht ganz so hoffnungslos überfüllt ist. Denn es gibt fast nichts Schöneres, als in einem Rio-Bus am offenen Fenster sitzen zu können, den kühlen Fahrtwind in den Haaren und ohne Angst, bei der nächsten Kurve unerwartet auf seinen Mit-Passagieren zu liegen, was einem stehend nämlich nicht selten passiert. Puta que pariu!
Trotzdem, im Grossen und Ganzen hat der ÖV hier noch einiges an Verbesserungspotential. Und das fängt schon beim Einsteigen an: so weit muss man erstmal kommen. In Rio gibt es kaum amtliche Bushaltestellen, man muss den Bus selber anhalten, indem man am Strassenrand Handzeichen gibt. Das kann man allerdings auch nicht ganz überall, wie ich gemerkt habe, ich verstehe aber wirklich nicht, wie man sieht, wo eine "Haltestelle" ist und wo nicht, deshalb kucke ich einfach immer zuerst, wo schon andere Leute auf den Bus warten und geselle mich dann dazu.
Die nächste Schwierigkeit: man kann nur ganz vorne rein und nur ganz hinten raus. Wenn man einsteigt, dann zahlt man sein Ticket direkt beim Chauffeur. Das dauert natürlich ewig, denn wer hat schon die 2 Reais 75 immer grad genau abgezählt zur Hand? Der Chauffeur muss also erst mal all das Geld einziehen und Rückgeld raussuchen. Und manchmal muss er dazu gleichzeitig auch noch fahren. Damit erklärt sich auch, warum er gelegentlich schon anfährt, wenn ich noch auf dem Trittbrett stehe - multitask ist halt nicht jedermanns Sache. Natürlich habe ich mir, ganz Schweizerin, eine cartão zugelegt, also eine Art ZVV-Abo für Rio, das man immer wieder aufladen kann und so nicht erst nach Münz in seinen Taschen suchen muss, wenn man Bus fahren will. Die Karte hält man dann so an einen Scanner. Und hält. Und hält. Und hält... bis es grün wird. Tja, die cartão macht´s nicht schneller, aber ein bisschen praktischer...
No entanto , wenn man dann also mal bezahlt hat, kann man das Drehkreuz zu den Sitzplätzen passieren. Ja, richtig, ein Drehkreuz im Bus. Super angenehm, sich bei voller Fahrt da durchzuzwängen. Noch angenehmer, wenn man dick, alt oder Elternteil ist. Kinder bis 5 fahren nämlich gratis, allerdings muss man sie dazu erstmal über das Drehkreuz hieven. Übrigens: nein, Kinderwagen passen hier nirgends rein. Einkaufstaschen eigentlich auch nicht. Für Rollstühle ist meistens ein Platz reserviert, aber ich habe noch nie einen gesehen. Verständlicherweise.
Manchmal gibt es beim Drehkreuz einen cobrador , der thront dort auf seinem erhöhten Sitz und lässt sich anstelle des Chauffeurs bezahlen. Das macht die Sache aber nicht schneller oder weniger gefährlich, denn meistens plaudert der cobrador munter mit dem Chauffeur, was nicht gerade zu dessen Konzentration beiträgt. Ich weiss auch nicht genau, wie in Rio die Fahrschule für angehende Buschauffeure aussieht und ich sehe nirgends Tafeln mit Geschwindigkeitsbegrenzungen. Allerdings scheint hier nicht die Devise zu gelten, lieber etwas langsamer, dafür sicherer. Nein, wenn es freie Fahrt gibt (wobei das sehr selten ist, meistens geht´s im Schrittempo durch das Verkehrschaos), dann wird zünftig auf die Tube gedrückt. So zünftig, dass ich schon ein paar Mal Angst hatte, jetzt dann grad von der Klippe ins Meer zu stürzen, denn der Bus kippt in einer engen Kurve schon mal bedrohlich auf die Seite. Ich stelle mir dann vor, was das für seltsame Schlagzeilen in den brasilianischen Medien geben würde: "Bus auf dem Weg zur Copacabana verunfallt. 150 Tote (bei nur 80 Plätzen), darunter eine Ausländerin (in meinem Bus aus der Favela, der sinnigerweise auch noch Rocinha passiert, treffe ich nie Nicht-Brasilianer an). Naja, diese Gedanken schiebe ich dann aber immer ganz schnell wieder zur Seite. Aber ihr seht, es ist viel angenehmer, wenn man in einem Bus in Rio de Janeiro sitzen kann, wenn man sich nicht die ganze Fahrt über krampfhaft an die Stangen klammern und wie beim Surfen die ganze Zeit sein Gewicht verlagern will, um aerodynamisch zu bleiben.
Aber das Schwierigste kommt erst noch zum Schluss, wenn man aussteigen will. Wohlgemerkt, man sollte genau wissen, WO man raus will. Man tut gut daran, sich ein paar Gebäude oder Strassentafeln zu merken, denn eben, normale Bushaltestellen my ass. Der Bus hält, wenn man den Knopf drückt oder an der Schnur unter der Decke zieht (ich hab den Unterschied noch nicht herausgefunden) - also, dann hält er MEISTENS und macht die hintere Türe auf. Manchmal aber auch nicht, dann wird es ziemlich unruhig im Bus. Die Passagiere, die rauswollen, schreien von hinten ungehalten zum Chauffeur nach vorne ( "Motorista, pare!!!!" ), und sie bekommen eigentlich auch immer, was sie wollen.
Jedenfalls, wenn man also rauswill, dann muss man sich früh genug durch den Bus nach hinten zwängen ("Com licença! Com liceeennnççaaaa!!! Ai, disculpe!!") , denn durch das Drehkreuz vorne kann man nicht mehr und andere Türen gibt es meistens nicht. Das Ganze ist also ein bisschen tricky und unbequem, und wie gesagt, diese Umstände bescheren mir nicht selten einen ungeplanten, längeren Spaziergang - die Züritusse hat eben keinen guten Orientierungssinn und steigt öfters mal zu früh oder zu spät aus.
Also, ich fasse zusammen: Busfahren braucht hier Zeit und Nerven. Meiner Meinung nach aber völlig unnötigerweise! Es wäre ganz einfach: Das Drehkreuz muss weg, mann muss vorne UND hinten ein- und aussteigen können und das Ticket schon vor der Fahrt parat haben. Oder könnt ihr euch wirklich vorstellen, dass während der WM tausende Fussballfans aus aller Welt erst vor dem Chauffeur stundenlang Schlange stehen, um überhaupt mal IN den Bus zu gelangen? Und wie sie dann alle wieder rauskommen, vor allem am richtigen Ort, das möchte ich mir erst gar nicht vorstellen...
Ausserdem braucht es dringend ein paar Busse mehr, denn sie sind viel zu überfüllt. Manchmal kommen sie kaum mehr den Hügel hinauf, den Leblon von der Barra da Tijuca trennt, so schwer sind sie. Ich habe nicht nur einmal erlebt, wie am steilen Hang plötzlich der Motor versagte. Bis jetzt war es immer nur der Motor, nicht die Bremse, zum Glück...
Übrigens motze nicht nur ich als verwöhnte Schweizerin über den brasilianischen ÖV, sondern auch die Brasilianer selber. Sie finden ihre Busse auch unmöglich, nehmen die ewige Warterei und die halsbrecherischen Fahrten in den viel zu heissen Sardinenbüchsen aber gelassen, schliesslich sind sie es sich gewöhnt. Aber ich hoffe schon, dass Rio noch rechtzeitig zur WM mit dem Ausbau der U-Bahn fertig wird, denn auch der wurde in der Vergangenheit immer wieder verschoben. Naja, was heisst "bis zur WM", eigentlich hoffe ich, dass das Ganze überhaupt fertig wird, denn es soll ja nicht nur den Touristen dienen, sondern vor allem den cariocas! Es ist eh eine Schande, gibt es die ganzen Baustellen in dieser Stadt nur wegen dieses doofen sportlichen Grossanlasses, offenbar sind es die Einwohner der Regierung sonst nicht wert!
Aber eben, ein Lob der U-Bahn, die funktioniert eigentlich tipptopp, ausser, dass es sie bis jetzt nur im Ostteil der Stadt gibt, was wenig Sinn macht. Und ok, manchmal fährt auch mal eine U-Bahn vor, öffnet die Türen nicht, und fährt dann leer wieder weg, was ich auch nicht so ganz verstehe. Und ich brauche eine extra cartão dafür, die für den Bus geht nämlich wirklich NUR für den Bus, so eine Art GA wäre noch ganz angenehm. Aber das kann ich noch alles ganz gut hinnehmen...
Ich will mich auch nicht nur beschweren, denn eigentlich fahre ich in Rio echt ganz gerne mit dem ÖV. Vor allem im Bus ist es immer wieder interessant. Hier die Top 3 meiner Lieblingsszenen:
1. Auf den beiden Plätzen schräg neben mir sitzen eine Mutter und ihre zwei Töchter, so 2 und 5 Jahre alt. Die Kleinere muss plötzlich kotzen, und zwar so richtig! Der ganze Brei ergiesst sich über die Mutter, die Schwester und sie selber, eine Riesensauerei! Während ich mich mit Würgegefühlen abwenden muss, bleibt die Mutter ganz ruhig, ja, muss sich sogar ein Lächeln verkneifen. Sie nimmt ihr Strandtuch, dass sie glücklicherweise gerade dabei hat (ironischerweise in Form der brasilianischen Flagge ordem e progresso ), putzt sich und die Kinder so gut es geht damit sauber, und dann hat sich das Thema auch schon erledigt. Kein Geglotze, kein Geschrei, keine Tränen. Ich staune.
2. Der Bus muss mal wieder eine Vollbremsung machen. Eine Frau, die vor mir eingeschlafen ist, rutscht von ihrem Sitz und landet unsanft auf ihrem bum bum . Sauer ist sie aber nicht, sie muss lachen.
3. Ich steige ein, und das Innere des Busses ist mit bunten Ballonen geschmückt. Es ist kein Feiertag, Karneval hat noch nicht begonnen, ich habe nicht Geburtstag und der Chauffeur auch nicht. Keiner weiss, wieso da Ballone hängen, aber sie sind da.
Der ÖV in Rio ist scheisse, aber irgendwie lustig.
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