Frau_Bitterboes
Frau_Bitterboes
FreeÖppis mit Medien. Ausgebildete Schauspielerin. Schreiberlingin. Reisefüdli. Crazy Cat Lady.
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Zürich
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 2: Jeder hat sein Päckchen zu tragen
Ich kann das Packen wirklich nicht mehr länger hinausschieben, deshalb mache ich mich jetzt dran. Das ist aber echt nicht grad ein Hobby von mir. Ich habe das Talent, für jeden Trip ins Ausland das total Falsche mitzunehmen. Jedes Mal, wenn ich im Hotel den Koffer oder Rucksack aufmache, stehen mir die Haare zu Berge und ich denke: "What the fuck hab ich mir bloss dabei gedacht??!!" Wenn es kalt ist, hab ich nur T-Shirts dabei, wenn es warm ist, sicher drei Rollkragenpullover. Wenn' s ins noble Restaurant geht, hab ich nur Jeans anzuziehen und zum Camping hab ich das Abendkleid eingepackt. Ausserdem hab ich nie Medikamente dabei, und natürlich ist dann genau keine Apotheke in der Nähe, wenn man welche bräuchte. Irgendwie konnte ich das Problem bisher vor Ort immer noch irgendwie lösen - meistens mit einem Shoppingtrip (den ich eh auch MIT passendem Kofferinhalt gemacht hätte) oder indem ich mir die fehlenden Dinge bei Mitreisenden auslieh. Aber irgendwie muss ich feststellen, dass mit steigendem Alter die Toleranzschwelle bezüglich Feriengepäck deutlich sinkt. Und deshalb hab ich mir nun vorgenommen, für meine vier Monate in Brasilien ALLES richtig zu machen! Ich will mich FREUEN, wenn ich am ersten Abend in Rio meinen Rucksack aufmache (wenn er denn auch mit mir am selben Ort und zur selben Zeit eintrifft)! Ich will denken: "Super! Genau das und das kann ich jetzt anziehen, das passt perfekt! Zum Glück habe ich das und das mitgenommen!". Ich will in meinem Necéssaire mindestens eine Zahnbürste und einen Haargummi vorfinden. Das Anti-Mückenspray zur Hand haben, wenn es in der Nacht rund um meinen Kopf surrt. Ein Pflaster, wenn ich mich irgendwo schneide. Die Schmerztabletten beim Sonnenstich. Und ich will weder frieren noch unnötig schwitzen. Also gehe ich das Packen dieses Mal anders an. Zum Beispiel habe ich mir einen neuen Rucksack gekauft, obwohl der alte noch tipptopp in Form wäre. Aber mein letzter längerer Backpacker-Trip liegt schon mehr als zehn Jahre zurück, da braucht es einfach ein bisschen frischen Wind, meiner Meinung nach. Jetzt hab ich also einen neuen Rucksack, der genauso aussieht wie der alte, er hat einfach eine andere Farbe (Frauen halt, ist wie mit den Schuhen!) und ist jetzt total ergonomisch zum Rücken oder so (danke auch nochmals dem gut aussehenden Verkäufer, der mir den Rucksack fachgerecht an meine Anatomie angepasst hat! Sein "Du bist ja sehr schlank, aber sicher stark, du kannst auch den mit 30 Liter nehmen" hat mir unglaublich geschmeichelt :-)). Apropos Schuhe: mit denen fing ich an, und der Rucksack war schnurstracks halb voll. Also schränkte ich mich schweren Herzens ein und entschied mich für fünf Paar - was für geübte Globetrotter natürlich immer noch absurd viel ist, wenn man sich deren Tipps in Ratgebern anschaut. Für eine Züri-Tusse aber ist das NICHTS! Und ÄTSCH, ich hab übrigens auch noch ein paar High heels dabei, ihr superduper Profi-Weltreisenden, man kann ja schliesslich nie wissen!!Überhaupt, ich habe nie verstanden, warum man auf Backpacker-Trips scheisse aussehen muss! Da kommen immer alle mit ihren total überteuerten multifunktionalen Klamotten aus dem Outdoor-Shop, die optisch einfach für die Füchse sind. So wasser- und winddichte Jacken aus irgendeinem ganz tollen, atmenden Material, das die NASA für ihre nächste Mars-Mission entwickelt hat, und die Jacke kann man dann auch gleich noch zum Schlafsack umfunktionieren. Oder diese Hosen Marke kongolesische Rebellentruppen mit ganz vielen Taschen von der Hüfte bis zu den Knöcheln, aus denen dank zwei Reissverschlüssen auch mal Shorts werden können - pfui Deibel!!!! Ohne mich!!!!!!! Da bleibt Tussi halt Tussi, ein bisschen Stil muss sein, auch im Dschungel bei den Baumschlangen oder auf dem Berg beim Yeti!Also entscheide ich mich für Kleider, die zwar praktisch und zweckmässig sind, aber auch noch adrett anzuschauen. Ich kann mein Sightseeing oder meine Wanderung durch den Nationalpark ja schliesslich auch in Sandalen machen, die nicht so aussehen, als seien es therapeutische Gesundheitsschuhe gegen meinen Hallux, oder? Und ich kann Shorts tragen ohne riesige Gesäss- und Oberschenkeltaschen, die mich fünfmal fetter machen, nicht wahr? So einen Ratgeber müsste es mal geben: Mit Stil auf den Mount Everest. Oder Klassisch elegant in der Serengeti. Den würd ich mir kaufen.Aber natürlich kann man es auch übertreiben mit dem Stil. Natürlich will ich auf meiner Reise keine Modenschau machen und ich will vor allem nicht auffallen wie eine Schneekönigin in der Wüste. Deshalb lass ich zum Beispiel auch brav den Nagellack zu Hause. Ja, klingt nach Kleinigkeit, aber für mich braucht das im Fall Überwindung! In Rio oder Salvador wären lackierte Fingernägel zwar noch passend, aber wenn ich mir vorstelle, wie ich mit roten Klauen am Amazonas stehe und nach Piranhas Ausschau halte - no go!! Mit muss hingegen mein Nassrasierer inklusive ausreichend Ersatzklingen. Tja, als Mann kann man sich auf Reisen ja problemlos einen Vollbart wachsen lassen, aber als Frau nicht, schon gar nicht an einem brasilianischen Strand!Mit muss auch eine gute Hautcrème, damit ich dann zurück in der Schweiz nicht zwanzig Jahre älter aussehe. In Zürich bleiben dürfen meine Hornhaut-Feile, drei Viertel meiner Schminke (ein Kumpel von mir hatte es treffend ausgedrückt: "Die zerläuft dir ja eh nur in dieser Hitze!") und die Hälfte meiner Haarprodukte (werde ja eh meistens einen Pferdeschwanz tragen, da kann ruhig auch mal alles verfilzt sein). In den Rucksack kommen dann aber doch auch noch ein paar typische Dinge, wie nur Backpacker sie dabei haben: ein Schlafsack aus Seide, eine Stirnlampe (ich habe nicht vor, in irgendwelche Höhlen zu steigen oder des Nachts durch den Wald zu laufen, sie gefiel mir einfach so gut im Laden) und Notfall-Tabletten gegen Malaria (hat mir der Arzt angedreht, ich selber wäre nicht auf die Idee gekommen). Das Sackmesser pack ich ein, weil ich Schweizerin bin, gebraucht habe ich es allerdings noch nie. Und ein Moskito-Netz hab ich mir verkniffen - wie würde wohl meine "Gastmutter" in Rio reagieren, wenn ich das Ding am ersten Abend über mein Bett hängen würde? Lächerliche Vorstellung. So, fertig. Gut, ich werde bis zu meinem Abflug wohl noch fünfmal umpacken, ich nehme mir aber vor, nur auszuwechseln und nicht noch aufzustocken. Dann probieren wir das Ding also mal an: oh Gott, ich sehe aus wie eine genmanipulierte Schildkröte! Dieses Bild hatte ich seit meiner letzten Reise verdrängt. Aber das Traggefühl ist eigentlich ganz angenehm, solange ich nicht fünf Stunden mit dem Ding am Rücken rumlaufen muss. Ich werde also bestimmt nur Trekking-Touren machen, in die auch irgend ein Fahrzeug integriert ist. Stellen wir den Rucksack mal auf die Waage: knapp 15 Kilo. Doch doch, ich bin sehr zufrieden. Lieblingsnachbar, der öfters als Backpacker unterwegs ist, hat mir zwar gesagt: "Es dürfen höchstens 10 Kilo sein". Aber das ist schliesslich auch ein Mann. Und ausserdem hab ich mehr als ein Kilo Schokolade eingepackt, als Geschenk. Die kommt ja dann raus. Meine grosse Flasche Bodylotion wird sich auch leeren, ebenso die Sonnencrème, die Zahnpasta, das Fläschchen Parfüm, das Shampoo und das Duschgel. Am Ende meiner Reise im Frühling wird mein Rucksack also leichter sein als jetzt. Cool, dann kann ich in Brasilien ja noch shoppen gehen!
- Züri-Blog von Frau Bitterbös, Maxim Theater Zürich (2)
Züri-Blog von Frau Bitterbös
Maxim Theater Zürich
Zur Zeit arbeiten wir an einem neuen Stück, zusammen mit dem Lehrhaus Zürich. Première ist voraussichtlich im November 2015.
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ToastydamarakuhnR-Blueevelineleistpatriciafurrerfrida_zhAlice im WunderlandandreahamidaTheMadHatterazaninClaudiaRosaRota
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- Der schönste Ort in der Stadt:
- Mein Bett.
Öppis mit Medien. Ausgebildete Schauspielerin. Schreiberlingin. Reisefüdli. Crazy Cat Lady.
- Der schönste Ort in der Stadt:
- Mein Bett.
- An diesem Ort kann ich mich am besten entspannen:
- In meinem Bett.
- Meine Lieblingsbar:
- Mein Bett.
- Da nehme ich noch einen Schlummi:
- In meinem Bett.
Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 2: Jeder hat sein Päckchen zu tragen
Ich kann das Packen wirklich nicht mehr länger hinausschieben, deshalb mache ich mich jetzt dran. Das ist aber echt nicht grad ein Hobby von mir. Ich habe das Talent, für jeden Trip ins Ausland das total Falsche mitzunehmen. Jedes Mal, wenn ich im Hotel den Koffer oder Rucksack aufmache, stehen mir die Haare zu Berge und ich denke: "What the fuck hab ich mir bloss dabei gedacht??!!" Wenn es kalt ist, hab ich nur T-Shirts dabei, wenn es warm ist, sicher drei Rollkragenpullover. Wenn' s ins noble Restaurant geht, hab ich nur Jeans anzuziehen und zum Camping hab ich das Abendkleid eingepackt. Ausserdem hab ich nie Medikamente dabei, und natürlich ist dann genau keine Apotheke in der Nähe, wenn man welche bräuchte. Irgendwie konnte ich das Problem bisher vor Ort immer noch irgendwie lösen - meistens mit einem Shoppingtrip (den ich eh auch MIT passendem Kofferinhalt gemacht hätte) oder indem ich mir die fehlenden Dinge bei Mitreisenden auslieh. Aber irgendwie muss ich feststellen, dass mit steigendem Alter die Toleranzschwelle bezüglich Feriengepäck deutlich sinkt. Und deshalb hab ich mir nun vorgenommen, für meine vier Monate in Brasilien ALLES richtig zu machen! Ich will mich FREUEN, wenn ich am ersten Abend in Rio meinen Rucksack aufmache (wenn er denn auch mit mir am selben Ort und zur selben Zeit eintrifft)! Ich will denken: "Super! Genau das und das kann ich jetzt anziehen, das passt perfekt! Zum Glück habe ich das und das mitgenommen!" . Ich will in meinem Necéssaire mindestens eine Zahnbürste und einen Haargummi vorfinden. Das Anti-Mückenspray zur Hand haben, wenn es in der Nacht rund um meinen Kopf surrt. Ein Pflaster, wenn ich mich irgendwo schneide. Die Schmerztabletten beim Sonnenstich. Und ich will weder frieren noch unnötig schwitzen.
Also gehe ich das Packen dieses Mal anders an. Zum Beispiel habe ich mir einen neuen Rucksack gekauft, obwohl der alte noch tipptopp in Form wäre. Aber mein letzter längerer Backpacker-Trip liegt schon mehr als zehn Jahre zurück, da braucht es einfach ein bisschen frischen Wind, meiner Meinung nach. Jetzt hab ich also einen neuen Rucksack, der genauso aussieht wie der alte, er hat einfach eine andere Farbe (Frauen halt, ist wie mit den Schuhen!) und ist jetzt total ergonomisch zum Rücken oder so (danke auch nochmals dem gut aussehenden Verkäufer, der mir den Rucksack fachgerecht an meine Anatomie angepasst hat! Sein "Du bist ja sehr schlank, aber sicher stark, du kannst auch den mit 30 Liter nehmen" hat mir unglaublich geschmeichelt :-)).
Apropos Schuhe: mit denen fing ich an, und der Rucksack war schnurstracks halb voll. Also schränkte ich mich schweren Herzens ein und entschied mich für fünf Paar - was für geübte Globetrotter natürlich immer noch absurd viel ist, wenn man sich deren Tipps in Ratgebern anschaut. Für eine Züri-Tusse aber ist das NICHTS! Und ÄTSCH, ich hab übrigens auch noch ein paar High heels dabei, ihr superduper Profi-Weltreisenden, man kann ja schliesslich nie wissen!!
Überhaupt, ich habe nie verstanden, warum man auf Backpacker-Trips scheisse aussehen muss! Da kommen immer alle mit ihren total überteuerten multifunktionalen Klamotten aus dem Outdoor-Shop, die optisch einfach für die Füchse sind. So wasser- und winddichte Jacken aus irgendeinem ganz tollen, atmenden Material, das die NASA für ihre nächste Mars-Mission entwickelt hat, und die Jacke kann man dann auch gleich noch zum Schlafsack umfunktionieren. Oder diese Hosen Marke kongolesische Rebellentruppen mit ganz vielen Taschen von der Hüfte bis zu den Knöcheln, aus denen dank zwei Reissverschlüssen auch mal Shorts werden können - pfui Deibel!!!! Ohne mich!!!!!!! Da bleibt Tussi halt Tussi, ein bisschen Stil muss sein, auch im Dschungel bei den Baumschlangen oder auf dem Berg beim Yeti!
Also entscheide ich mich für Kleider, die zwar praktisch und zweckmässig sind, aber auch noch adrett anzuschauen. Ich kann mein Sightseeing oder meine Wanderung durch den Nationalpark ja schliesslich auch in Sandalen machen, die nicht so aussehen, als seien es therapeutische Gesundheitsschuhe gegen meinen Hallux, oder? Und ich kann Shorts tragen ohne riesige Gesäss- und Oberschenkeltaschen, die mich fünfmal fetter machen, nicht wahr? So einen Ratgeber müsste es mal geben: Mit Stil auf den Mount Everest . Oder Klassisch elegant in der Serengeti . Den würd ich mir kaufen.
Aber natürlich kann man es auch übertreiben mit dem Stil. Natürlich will ich auf meiner Reise keine Modenschau machen und ich will vor allem nicht auffallen wie eine Schneekönigin in der Wüste. Deshalb lass ich zum Beispiel auch brav den Nagellack zu Hause. Ja, klingt nach Kleinigkeit, aber für mich braucht das im Fall Überwindung! In Rio oder Salvador wären lackierte Fingernägel zwar noch passend, aber wenn ich mir vorstelle, wie ich mit roten Klauen am Amazonas stehe und nach Piranhas Ausschau halte - no go!!
Mit muss hingegen mein Nassrasierer inklusive ausreichend Ersatzklingen. Tja, als Mann kann man sich auf Reisen ja problemlos einen Vollbart wachsen lassen, aber als Frau nicht, schon gar nicht an einem brasilianischen Strand!
Mit muss auch eine gute Hautcrème, damit ich dann zurück in der Schweiz nicht zwanzig Jahre älter aussehe.
In Zürich bleiben dürfen meine Hornhaut-Feile, drei Viertel meiner Schminke (ein Kumpel von mir hatte es treffend ausgedrückt: "Die zerläuft dir ja eh nur in dieser Hitze!" ) und die Hälfte meiner Haarprodukte (werde ja eh meistens einen Pferdeschwanz tragen, da kann ruhig auch mal alles verfilzt sein).
In den Rucksack kommen dann aber doch auch noch ein paar typische Dinge, wie nur Backpacker sie dabei haben: ein Schlafsack aus Seide, eine Stirnlampe (ich habe nicht vor, in irgendwelche Höhlen zu steigen oder des Nachts durch den Wald zu laufen, sie gefiel mir einfach so gut im Laden) und Notfall-Tabletten gegen Malaria (hat mir der Arzt angedreht, ich selber wäre nicht auf die Idee gekommen). Das Sackmesser pack ich ein, weil ich Schweizerin bin, gebraucht habe ich es allerdings noch nie. Und ein Moskito-Netz hab ich mir verkniffen - wie würde wohl meine "Gastmutter" in Rio reagieren, wenn ich das Ding am ersten Abend über mein Bett hängen würde? Lächerliche Vorstellung.
So, fertig. Gut, ich werde bis zu meinem Abflug wohl noch fünfmal umpacken, ich nehme mir aber vor, nur auszuwechseln und nicht noch aufzustocken. Dann probieren wir das Ding also mal an: oh Gott, ich sehe aus wie eine genmanipulierte Schildkröte! Dieses Bild hatte ich seit meiner letzten Reise verdrängt. Aber das Traggefühl ist eigentlich ganz angenehm, solange ich nicht fünf Stunden mit dem Ding am Rücken rumlaufen muss. Ich werde also bestimmt nur Trekking-Touren machen, in die auch irgend ein Fahrzeug integriert ist.
Stellen wir den Rucksack mal auf die Waage: knapp 15 Kilo. Doch doch, ich bin sehr zufrieden. Lieblingsnachbar, der öfters als Backpacker unterwegs ist, hat mir zwar gesagt: "Es dürfen höchstens 10 Kilo sein". Aber das ist schliesslich auch ein Mann. Und ausserdem hab ich mehr als ein Kilo Schokolade eingepackt, als Geschenk. Die kommt ja dann raus. Meine grosse Flasche Bodylotion wird sich auch leeren, ebenso die Sonnencrème, die Zahnpasta, das Fläschchen Parfüm, das Shampoo und das Duschgel. Am Ende meiner Reise im Frühling wird mein Rucksack also leichter sein als jetzt.
Cool, dann kann ich in Brasilien ja noch shoppen gehen!
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Eine Züri-Tussi in Brasilien, Teil 1: Pronta? Pronta!
Ok.
Meine Untermieterin hat den Schlüssel (mein SCHAATTZZZZZ!).
Die Post ist umgeleitet (danke fürs Rechnungen bezahlen, Mami und Papi!).
Die Zeitungs-Abos unterbrochen (hoffentlich funktioniert's auch mal, so zur Abwechslung!).
Die Frist für die nächste Steuererklärung verlängert (iiiikks, mir graut's jetzt schon wieder vor dem Ausfüllen!).
Die Kündigung fürs Monats-GA bereits ausgedruckt und im Couvert (wahrscheinlich vergess ich aber eh, es am letzten Tag abzuschicken).
Auf der Arbeit ist alles geregelt (bitte meinen Lohn pünktlich zahlen, auch wenn ich nicht im Büro bin, gell?).
Wohin ich meinen Laptop und meine persönlichsten Sachen in Sicherheit bringe, steht fest (danke, Lieblingsnachbar!).
Ich bin gegen Gelbfieber und Typhus geimpft (Gott, man könnte ja meinen, ich gehe zu den Yanomami-Indianern in den Urwald!).
Die Sonnencrème ist gekauft (wehe, ich brauch die nicht!).
Die Reiseversicherung ist abgeschlossen (wehe, ich brauch die!).
Das Basic-Português sitzt (danke, www.babbel.com!).
Das Portugiesisch-Wörterbuch zur Vertiefung liegt parat (dammi, ist das Ding schwer!).
Der Lonely Planet auch (jaaaaaaa, ich weiss, voll Klischee, na und?!).
Die Batterie meiner Digi-Cam ist aufgeladen (glaub's).
Und der Rucksack ist… ok, noch leer. Das Packen hebe ich mir als finale Disziplin noch etwas auf.
Aber sonst wäre alles vorbereitet. So vorbereitet, wie es bei mir halt sein kann. Denn eigentlich hasse ich es, Reisen bis ins Detail zu planen. Das macht mich nervös! Ausserdem bin ich auch einfach zu faul dafür. Ich hab's gern spontan. Solange geklärt ist, wo ich nach meiner Ankunft in der Fremde die erste Nacht schlafen kann, bin ich eigentlich zufrieden. Und die liebe Schwiegermama meiner Freundin in Rio ist ja unterrichtet, dass sie mich zwei Monate lang beherbergen darf. Deshalb bin ich schon mal ziemlich beruhigt.
Ziemlich.
Ich hoffe ja nicht, dass ich in Brasilien vier Monate lang darüber nachdenken muss, ob meine Wohnung in Zürich gerade abbrennt. Ob meine Zimmerpflanzen schon tot sind. Ob 2390437902 Zeitungen meinen Briefkasten verstopfen. Ob nicht doch irgendwo eine Rechnung liegen bleibt und ich am Ende noch betrieben werde. Ob mein Arbeitgeber während meiner Abwesenheit entscheidet: ohne die ist's eigentlich eh besser.
Nein, bestimmt nicht. In Brasilien werde ich total abgelenkt sein mit Samba, Capoeira, Caipirinha, Corcovado, Karneval und Fejioada.
Das ist auch in etwa das, was ich von diesem Land schon kenne. Wie gesagt, Vorbereitung ist nicht gerade meine Stärke. Aber schliesslich ist es spannend, wenn man irgendwohin kommt, wo man noch nie war, und einfach alle Eindrücke so ungehindert auf einen einplätschern, ohne dass man schon voreingenommen ist. Und das war eben eine der Bedingungen, als ich mich für diese Auszeit entschied: es musste ein Land sein, in dem ich noch nie war.
Check!
Weitere Bedingungen: Ich will eine Sprache lernen, die ich noch nicht kann.
Check!
Es muss von Dezember bis März warm sein.
Check.
Das Meer muss nah sein.
Check!
Tja, und so kristallisierte sich dann halt irgendwann Brasilien heraus. Und auch wenn ich noch gar keine Ahnung habe, ich konnte mir doch schon ein bisschen ein Bild machen. Denn Tipps und Mahnungen von Kennern habe ich in Hülle und Fülle erhalten (meistens ungefragt):
"Brasilie? Chunnsch mer dänn ja nöd schwanger zrugg!" Aha, das südamerikanische Land scheint also besonders fruchtbar zu sein!
"Rio? Ui nei, weisch wie gföhrlich! Deet wirsch sicher überfalle und usgraubt!" Hat man mir vor Indien, Rumänien, Rom und New York auch schon gesagt. Ist aber nix passiert.
"Nimmsch dänn gnueg Imodium mit!" Ich habe NIE Durchfall. Nur das Gegenteil, wenn ihr's grad wissen wollt.
"Was, du gahsch elei? Was machsch dänn di ganz Ziit?"
Ähm, wohl dasselbe, das ich auch zusammen mit einer Horde anderer tun würde: essen, schlafen, lesen, herumlaufen, an den Strand gehen, feiern, Dinge anschauen, Bus fahren und so. Ausserdem hat Brasilien knapp 200 Millionen Einwohner - der eine oder andere wird sich da wohl schon mal mit mir abgeben.
"Du bringsch dänn sicher en Brasilianer hei!"
Natürlich. Ich brachte ja auch immer einen Italiener, Griechen, Australier, Inder und Romand nach Hause, wenn ich da war.
"Chasch scho Spanisch?"
Ja. Das wird mir in Brasilien aber nicht viel nützen.
"Nei, du muesch an Foz do Iguaçu, au wenn's mega touristisch isch!"
Oh, pardon! Na dann.
Wie auch immer.
Ich lasse mich überraschen. Es gibt eh kein Zurück mehr. Anfang Dezember geht der Flieger. Meine Untermieterin zieht ein. Auf den nächsten vier Arbeitsplänen komm ich nicht vor. Die Portugiesisch-Schule ist schon bezahlt. Und hier wird's langsam kalt - ich bin bereit zu gehen!
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Bitter/Bös: Zum Haare Raufen: Alles hat zwei Seiten oder zwei Freundinnen Mitte 30 gehen mit dem Leben um
Frau Bös sitzt in ihrem Lieblingscafé in der Stadt Zürich. Mittlerer Preis, immer gut besucht, bester Latte Macchiato. Sie wartet auf ihre Freundin. Frau Bitter hat Verspätung. Als sie endlich das Café betritt, trägt sie einen lächerlich grossen Hut. Sie hält den Kopf gesenkt, als ob sie sich schämen würde, und ist sichtlich froh, dass sie nicht lange nach dem Tisch mit Frau Bös suchen muss.
„Oh mein Gott“, kommentiert diese lakonisch, als sich ihre Freundin hastig setzt, ihren Mantel abstreift, den Hut aber auflässt. „Ich muss sagen, du siehst so richtig scheisse aus. Was soll denn dieser alberne Deckel auf deinem Kopf?“
„Sprich doch nicht so laut!“, zischt Frau Bitter sie durch ihre zusammengepressten Lippen an, das Kinn immer noch fast auf der Brust. „Ich hab ein echtes Problem! Ich wäre heute Morgen beinahe in Ohnmacht gefallen, als ich mich im Spiegel betrachtet habe!“
„Erst heute Morgen?“ Frau Bös kann sich ein lautes, heiseres Lachen nicht verkneifen. Der Tisch kommt ins Wackeln, und ein bisschen Schaum ihres Latte Macchiato landet auf ihrer weissen Bluse. „Oh, fuck!“, entfährt es ihr noch lauter als das Lachen, und nun haben die beiden Frauen definitiv die Aufmerksamkeit aller Cafébesucher auf ihrer Seite.
„Jetzt reiss dich doch mal zusammen!“, Frau Bitter schaut sich nervös um und zieht den Hut noch etwas tiefer ins Gesicht. „Es ist mir schon peinlich genug! Meinst du etwa, mir gefällt dieses Ding? Aber du glaubst ja nicht, was ich heute Morgen gefunden habe, Marianne!“ Frau Bitter lehnt sich über den Tisch, kuckt verschwörerisch nach links und rechts und lässt dann die Bombe platzen: „Graue Haare! Ein ganzes Dutzend! Mindestens! Mit Mitte 30! Das – das ist doch nicht normal, oder? Oh Gott, ich werde offiziell alt, Marianne – alt!!“
Frau Bös schüttelt ungläubig den Kopf, während sie versucht, mit ihrer Serviette den Kaffeefleck auf der Bluse wegzureiben – ohne Erfolg: „Sag mal, willst du mich eigentlich verarschen?? Und deswegen kreuzt du heute auf wie die Queen? Mein Gott, dann färb die Haare halt, wenn dich das so stört!!“
Frau Bitter ist entsetzt: „Weißt du denn nicht, wie verdammt schädlich das für die Haare ist? Und ausserdem sieht das doch jeder sofort, wenn es nicht die natürliche Farbe ist. Das finde ich – peinlich!“
„Peinlicher als dieses Monster aus Filz auf deinem Kopf?“, Frau Bös verzieht ihren Mund zu einem hämischen Grinsen. „Ehrlich, sogar mit Glatze sähest du hübscher aus als jetzt.“ Der Kellner kommt. Frau Bitter ist sorgsam darauf bedacht, ihn unter ihrem Hut nicht anzusehen, so unangenehm ist ihr ihre Aufmachung. „Eine Schale, bitte. Mit Assugrin.“ Ihre Freundin kann es nicht lassen: „Eine Schale, wie die auf ihrem Kopf, bitte: gross und geschmacklos!“ Frau Bös und der Kellner tauschen ein Lachen.
„Danke, du bist wirklich eine Freundin!“, herrscht Frau Bitter ihr Gegenüber an. Frau Bös lässt von ihrem Kaffeefleck ab und drapiert stattdessen ihre Halstuch kunstvoll darüber.
„Jetzt mal im Ernst, Monika. Du machst dich lächerlich mit deinem Problemchen. Graue Haare – na und? Stirbst du daran? Nein! Und ausserdem finde ich deinen hängenden Arsch viel schlimmer als deine Frisur.“
Frau Bitter stockt für ein paar Sekunden. Dann wandern ihre Augen ungewollt hinunter zu ihrem Allerwertesten. Sie zieht den Kopf zurück, als sie es bemerkt.
„Meinst du das jetzt ernst? Mein Arsch... mein Arsch sieht scheisse aus??“
„Nicht so scheisse wie deine Krähenfüsse.“
Frau Bitter zuckt zusammen, und es entfährt ihr ein kehliger Laut. Mit den Fingern ihrer rechter Hand tastet sie die Haut um ihre Augen ab, und blickt dabei verstohlen zu den Nachbarstischen hinüber, um sich zu vergewissern, ob den anderen Leuten ihre Falten auch schon aufgefallen sind.
„Oh Gott, Marianne, ist es denn wirklich so schlimm?“. Frau Bitter ist den Tränen nahe. „Ich meine, ich fühl mich doch noch total jung. Seh ich echt so alt aus?“
Frau Bös seufzt und erbarmt sich schliesslich. Sie verkneift sich die letzten bissigen Kommentare, die sie eigentlich noch auf der Zunge hätte, und tätschelt stattdessen ihrer Freundin liebevoll die Wange. „Nein, du Dummerchen, du siehst super aus. Und benehmen tust du dich eh wie ein Teenager,“ sie kuckt auf ihre Armbanduhr und trinkt dann hastig ihre Tasse aus, „da ist es doch gut, zeigt sich deine Reife wenigstens ein bisschen in deinen Haaren“ Frau Bös steht auf und zieht sich ihren Mantel an. Dabei beobachtet sie zufrieden, wie sich Frau Bitter langsam entspannt und in ihrem Stuhl zurücklehnt, dabei aber ein bisschen schnieft.
„So, und jetzt entschuldige mich bitte, Schätzchen, ich muss los.“ Sie drückt Frau Bitter einen Kuss auf die Wange und geht. Frau Bös hat nämlich noch einen längeren Termin beim Coiffeur. Und bei der Kosmetikerin.
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Bitter/Bös: Das Puff mit dem Puff: Alles hat zwei Seiten oder zwei Freundinnen Mitte 30 gehen mit dem Leben um
Frau Bitter und Frau Bös schlendern der Langstrasse im Zürcher Kreis 4 entlang. Zahlreiche Leuchtschriften versprechen den schnellen Sex, leicht bekleidete Damen stehen an den Eingängen von dubiosen Bars, und dazwischen schleichen Männer jeden Alters und jeder sozialen Schicht möglichst unauffällig herum.
„Das ist schon schlimm“, sagt Frau Bitter, als sie gerade einen Strip-Schuppen passieren und ihr Blick auf die Fotos der halbnackten Tänzerinnen neben der Tür fällt, „wenn man sich als Frau so verkaufen muss. Ich könnte das nie!“
„Oh, doch“, Frau Bös grinst ihre Freundin hämisch an, „glaub mir: wenn du keine andere berufliche Möglichkeit hättest, würdest du das auch machen. Ausserdem finde ich das gar nicht die schlimmste Art, sein Geld zu verdienen. Mich würde es viel mehr ankotzen, wenn ich die Villa von irgend so einem reichen Sack putzen oder an der Kasse eines Billig-Discounters sitzen müsste!“
Frau Bitters blaue Augen blicken ungläubig. „Spinnst du? Du würdest lieber nackt an einer Stange tanzen und dich von besoffenen Unbekannten begrabschen lassen?“
„Nein. Das ist mir zu doof. Ich würde dann schon das volle Programm bieten.“
Frau Bitter runzelt die Stirn und streicht sich eine braune Strähne aus dem Gesicht.
„Na, Sex natürlich!“, Frau Bös bleibt stehen und zeigt auf ein Fenster am Gebäude auf der anderen Strassenseite. „Weil, da bist du wenigstens nicht so ausgestellt. Du verziehst dich mit dem Typen einfach auf ein Zimmer, versuchst, selber ein bisschen Spass zu haben und kassierst dann ab – aber richtig. ICH wär teuer!“ Sie pustet sich ihren dunklen Pony aus der Stirn und schaut ihre Freundin herausfordernd an. Ein paar Männer haben sich zu den beiden Frauen umgedreht, weil Frau Bös’ Stimme natürlich wieder einmal ein wenig zu laut gewesen war. Frau Bitter fühlt sich unwohl, und setzt sich wieder in Bewegung, diesmal ist ihr Gang schneller als zuvor.
„Das kann ich nicht glauben, Marianne“, sie zieht sich die Kapuze ihres Parkas über den Kopf, um sich ein bisschen unsichtbarer zu fühlen. „Du würdest wirklich so mir nichts, dir nichts deinen Körper verkaufen? Das ist doch entwürdigend, eklig ist das!“
„Wieso eklig?“, Frau Bös packt ihre Freundin an der Schulter und zwingt sie so, etwas langsamer zu gehen, „hattest du etwa noch nie Sex?“
„Doch! Aber nicht für Geld! Und mit Männern, die ich mir selbst ausgesucht habe und die mir etwas bedeuten!“
Ein heiseres Lachen kommt aus Frau Bös’ Kehle, und erneut drehen sich Leute auf der Strasse nach ihr um. „Monika, bitte, jetzt tu nicht so romantisch! Sex ist einfach nur ein körperlicher Akt, der die Lust befriedigen soll. Nichts weiter!“
„Aber Sex ist kein Geschäft!“
„Doch, seit tausenden von Jahren, meine Liebe, seit tausenden von Jahren. Und warum soll man daraus nicht Profit schlagen, wenn man kann?“
Die beiden Mittdreissigerinnen kommen an einem Sex-Shop vorbei. Im Schaufenster sind Pornofilme mit klingenden Titeln ausgestellt.
Frau Bitter muss schlucken. „Wusstest du, dass in der Schweiz bereits 16-jährige in sogenannten Etablissements arbeiten dürfen? Sie können sich also quasi legal in den Schulferien ein Taschengeld als Prostituierte verdienen!“
„Ja, und? Ich finde das in Ordnung, wenn sie das wollen. Mit 16 bist du alt genug, um Entscheidungen zu treffen, in diesem Alter musst du dich ja eh für eine Ausbildung entscheiden. Und Nutte ist ein Beruf wie Coiffeuse oder Informatikerin – solange keine Frau zu diesem Beruf gezwungen wird, ist das doch völlig ok.“
„Und all die Frauen aus Ungarn oder der Ukraine, die von Schleppern gezwungen werden, hier in Zürich anzuschaffen?“
Frau Bös zuckt mit den Schultern. „Das ist eine Sauerei und Sache der Justiz. Ich sage ja: wenn Frauen zu irgendwas gezwungen werden, geht das gar nicht! Aber wenn sich jemand freiwillig dafür entscheidet, mit Sex sein Geld zu verdienen, dann geht das die anderen nichts an. Es ist nicht verwerflich, es hat nichts mit Moral zu tun, es ist keine Schande – es ist einfach ein Job!“
Am Helvetiaplatz verabschieden sich die beiden Frauen, denn sie müssen beide in unterschiedliche Richtungen. Frau Bitter steigt ins Tram, Frau Bös durchquert weiter das Rotlicht-Viertel.
Plötzlich tritt ihr ein älterer Herr mit Bierbauch, randloser Brille und schütterem Haar auf dem Trottoir entgegen. „Hey! Wieviel?“, zischt er ihr zu.
Frau Bös bleibt ruckartig stehen und blitzt den Mann mit ihren schwarzen Augen an. „Was fällt dir eigentlich ein, du verdammter Lustmolch!!!!“, schreit sie los, das Gesicht puterrot, „sehe ich etwa aus wie eine scheiss Hure??!!! Sehe ich aus, als würde ich es freiwillig mit dir treiben wollen???!!!! Willst du etwa behaupten, dass ich hier billig rumlaufe und meine Titten raushängen lasse??!!“, sie klopft sich mit beiden Händen auf die Brust. Dem älteren Herrn ist die Sache sichtlich peinlich, er spürt die Blicke der anderen Passanten auf sich und geht schnellen Schrittes wortlos davon.
„Quatsch mich ja NIE MEHR an!!!“, schreit ihm Frau Bös völlig ausser sich hinterher, „und geh gefälligst in ein Puff, aber sicher nicht zu einer anständigen Frau wie mir!!! DU SAUHUND!!!!!!!!!“
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Bitter/Bös: Fishing for compliments: Alles hat zwei Seiten oder zwei Freundinnen Mitte 30 gehen mit dem Leben um
Frau Bitter und Frau Bös sitzen im Wohnzimmer von Frau Bös’ Wohnung in der Stadt Zürich. 2,5 Zimmer, Trend-Quartier, gerade noch bezahlbar. Die beiden Frauen sitzen dicht gedrängt auf dem Sofa, Frau Bös hat ihren Laptop auf den Knien.
„Ich weiss nicht, was ich falsch mache, Monika! Aber ich werde tagtäglich überschwemmt mit diesem Mist! Kuck dir das an!“, Frau Bös klickt auf den Spam-Ordner in ihrem Mail-Account. Eine lange Liste von Mitteilungen mit eher dubiosen Titeln erscheint. Frau Bitter liest laut vor: „Russian dating – date hot russian women“. Frau Bös verdreht die Augen: „Bin ich lesbisch?!“
„UGG Boots 3 days special – 80% off.“
„UGG Boots sind ugly!“
„Jill K.: Can you add me as a contact?“
„Nein!“
„Sarah G: Yay me, I joined and have a membership now!“
„Lucky you – interessiert mich das?“
„Truck driving jobs – great pay and training.“
„Ähm – danke, aber NEIN, danke?!
„HealthNut55302xx7: Miracle magic diet pill.“
„Ich bin nicht fett!!“
Frau Bitter runzelt die Stirn: „Sag mal, Marianne, was für Seiten kuckst du dir denn so an im Internet?“
„Ganz bestimmt keine mit Diätpillen, hässlichen Schuhen oder doofen Weibern! Was glaubst du denn?“, Frau Bös knufft ihre Freundin in die Seite und pustet sich ihren dunklen Pony aus der Stirn – wie immer, wenn sie sich aufregt.
„Ich mein ja nur“, Frau Bitter kuckt wieder auf den Laptop auf Frau Bös’ Schoss, „bei so viel Spam, das ist ja Wahnsinn. Zum Beispiel das: Lisa N.: I found your profile on facebook. I think you’re hot!“
„Oh, ich bin gerührt. I think you’re NOT!“, Frau Bös tippt mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. „Und ich bin gar nicht auf Facebook!“
„Christina R.: I think we live pretty close together.“
„Na, das hoffe ich aber nicht!“
„Laura S.: Your profile says, you like hot wax.“
„Dein Profil sagt mir, du willst ein paar in die Fresse!“
„Help for depression.“
„Ja, das brauche ich tatsächlich bald, wenn das so weitergeht!“
„Monica: My husband is out of town – view my pics!“
„Soll ich kotzen?! Und ich bin übrigens immer noch nicht lesbisch!“
„Megan B.: I wasn’t ignoring you.“
„Aber ich dich!“
„Recent wall activity – view profile now!“
„Was denn für eine Wand?“, Frau Bös runzelt die Stirn.
„Nein“, Frau Bitter muss ein bisschen lachen, „eine Wall hat man bei Facebook. Aber dort bist du ja nicht.“
„Na, eben!
„Cougar dating – rich women seeking love.“
„Oh, mann, echt! Steht irgendwo in diesem Scheiss www geschrieben, ich stehe auf Frauen oder sei ein Mann??!!“ Frau Bös klappt schwungvoll ihren Laptop zu und wirft ihn auf den Couchtisch vor sich. Ihre Freundin macht es sich auf dem Sofa wieder ein bisschen bequemer. „Du musst da wirklich was dagegen unternehmen, das nervt ja total“, meint sie mit ernstem Blick, „lade dir doch ein gutes Anti-Virus-Programm runter.“
„Hab ich doch schon längst! Bringt aber offensichtlich nichts!“
„Ich weiss nicht“, Frau Bitter streicht sich ihre braunen Wellen hinter die Ohren, „meins funktioniert wunderbar. Ich habe jedenfalls keine so komischen Mails.“
„Echt nicht?“, Frau Bös’ Augen verengen sich zu misstrauischen Schlitzen, während Frau Bitter ihren Kopf schüttelt und die Lippen schürzt.
„Nee, wirklich nicht. Und ich erledige ja sonst echt alles im Netz, ich hinterlasse also sicher meine Spuren. Aber ich kriege nur ernst gemeinte, wichtige Mails. Von meiner Bank, beispielsweise. Hat mich grad gestern darauf hingewiesen, dass ich die 100'000. E-Banking-Kundin bei ihnen sei! Jetzt wollen sie mir ein Sparkonto mit 5000 Franken drauf schenken! Ich musste ihnen nur die Kopie meines Passes zusenden und meine Bank-Daten per Formular bestätigen! Cool, nicht??“
Frau Bös öffnet den Mund, um etwas zu sagen. Aber die strahlende Freude im Gesicht ihrer Freundin lässt sie verstummen.
Und irgendwie findet sie ihre Spamflut plötzlich gar nicht mehr so schlimm.
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Bitter/Bös: Das bisschen Herbst!: Alles hat zwei Seiten oder zwei Freundinnen Mitte 30 gehen mit dem Leben um
Frau Bitter und Frau Bös sitzen in ihrem Lieblingsrestaurant in Zürich. Mittlerer Preis, grosse Portionen, währschafte Küche. Die beiden Frauen essen zu Mittag, einsam an einem Tisch draussen auf der überdachten Veranda – im Oktober. Es nieselt, die Temperaturen sind knapp noch zweistellig und ein grauer Nebel liegt über allem. Frau Bitter hat ihre Lederjacke und den Schal gar nicht erst ausgezogen. Sie rührt ziemlich lustlos in ihrer heissen Kürbissuppe, während Frau Bös ihr demonstrativ in einem dünnen Sweat-Shirt gegenübersitzt und sich einen grossen gemischten Salat reinschaufelt.
„Marianne“, Frau Bitter lockert etwas ihren Schal, damit er ihren Mund nicht mehr verdeckt, „können wir nicht doch lieber reingehen? Mir ist wirklich kalt.“
Frau Bös kuckt gar nicht erst auf von ihrem Teller, sondern macht nur mit der linken Hand eine Stop-Bewegung wie ein Verkehrspolizist an einer Kreuzung, während sie mit der Gabel in der rechten Hand ein paar Maiskörner auflädt. „Müssen wir das wirklich noch einmal diskutieren, Monika? Jetzt stell dich nicht so an!“
„Aber es ist tiefer Herbst...“
„Es ist sehr später Spätsommer!!“, Frau Bös lässt die Gabel in ihren Teller scheppern und schaut ihre Freundin wütend an. „Und ich weigere mich, im Spätsommer drinnen zu sitzen!“
Frau Bitter lässt von ihrer Suppe ab und verschränkt die Arme, in der Hoffnung, so etwas wärmer zu bekommen. Den Schal zieht sie sich wieder bis unter die Nase. „Dann zieh wenigstens eine Jacke an. Du holst dir ja sonst noch den Tod.“
„Hab keine mit.“ Frau Bös beginnt wieder zu essen.
„Vielleicht können wir fragen, ob sie so einen Wärmepilz haben. Den könnten sie dann neben uns hinstellen“.
„Ich hab warm genug.“
Frau Bitter verdreht die Augen. Ein kalter Windstoss zerzaust ihr die langen, braunen Wellen. „Dann bestell ich mir jetzt eine heisse Schokolade“, murmelt sie durch den dicken Stoff vor ihren Lippen.
„Spinnst du?? Im Sommer?!“, schmatzt Frau Bös laut, den Mund voller Salat. Ein paar Passanten, die mit Regenschirmen am Restaurant vorbeigehen, drehen neugierig ihre Köpfe.
„Es ist Herbst, Marianne, HERBST!!! Jetzt akzeptier das doch endlich!“
„Es ist Herbst, wenn ICH das sage!“, Frau Bös’ Augen blitzen wieder, und sie bläst sich kauend den dunklen Pony aus der Stirn, wie sie es immer tut, wenn sie sehr erregt ist. Ihre Freundin versucht sie zu beschwichtigen, um nicht noch mehr neugierige Blicke auf sich zu ziehen.
„Ist ja gut. Jetzt sei doch nicht so. Herbst ist doch gar nicht so schlimm. Kuck dir nur mal die Bäume an mit diesen hübschen bunten Blättern.“
„Ich seh keine Bäume vor lauter Nebel. Ich seh nur grau.“
„Es wird doch wieder Sommer, Marianne. Dauert gar nicht so lange.“
Frau Bös unterbricht ihr Kauen für einige Sekunden und blickt auf. Ihre Stirn wirft tiefe Falten. „Nein. Es liegen ja nur Herbst, Winter und Frühling dazwischen. Wie doof bist du eigentlich?“
Wieder fegt ein eisiger Windstoss über die Veranda. Frau Bös lässt sich in ihrem dünnen Oberteil nichts anmerken, aber Frau Bitter vergräbt ihr Gesicht noch tiefer im Schal. „Du kannst die Jahreszeiten nicht ändern.“
„Will ich ja auch gar nicht. Wie du siehst, sitz ich auch bei Regen und Wind draussen. Kein Problem.“
„Jetzt sei doch nicht so miesepetrig!“, Frau Bitter beugt sich über den Tisch und schaut ihrem Gegenüber eindringlich in die Augen. “Freu dich doch auf nächstes Jahr, wenn es wieder Sommer wird und wir wieder jeden Abend am See sitzen können mit einem Bier in der Hand. Da ist das bisschen Herbst jetzt doch ein Klacks dagegen!“
Frau Bös hat ihren Salat aufgegessen. Sie legt die Gabel neben den Teller und wischt sich mit der Serviette die Saucenreste von den Mundwinkeln. Als sie den letzten Bissen runtergeschluckt hat, lehnt sie sich zurück und verschränkt die Arme.
„Jetzt begreif es endlich: ich hasse Herbst. Ich hasse eigentlich alles, was nicht Sommer ist. Also, hör endlich auf, mich wie ein Kind zu behandeln!“, sie äfft ihre Freundin mit einer albernen Stimme nach: „ Zieh dich warm an, Schatz! Und trink jetzt deine heisse Milch, sonst erkältest du dich noch! Nächstes Jahr gibt’s dann wieder Glacé in der Badi ! Ehrlich, du bist so albern, Monika! Ein bisschen Oktober, und du machst schon schlapp!“
Frau Bitter seufzt laut, rutscht etwas tiefer in ihren Stuhl und vergräbt fast ihr ganzes Gesicht im Schal. Ihr ist einmal mehr klar geworden, dass Frau Bös ihre Argumente nicht akzeptieren wird.
Dafür akzeptiert sie dann den Blumenstrauss, den Frau Bitter ihr eine Woche später ins Spital mitbringt. Frau Bös liegt dort mit einer Lungenentzündung im Bett, das weisse Laken bis über die Nase hochgezogen.
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