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Marco Büsch
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Zürich
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Dusche im Wohnzimmer
Nach einem kurzen Intermezzo in einer befristeten Wohnung geht es nun in Runde zwei in Sachen Wohnungssuche in Zürich. Und wieder sind viele lustige Räumlichkeiten und Menschen dabei: Ein Bericht von der Front.Es ist wieder soweit: Nach kaum einem dreiviertel Jahr in einer befristeten Wohnung geht es nun in die zweite Runde der Wohnungssuche; auf die Suche nach einer günstigeren, grösseren und vor allem unbefristeten Wohnung. Oder einfach überhaupt eine Wohnung innerhalb der Stadtgrenzen zu finden. Wieder wurden einige Wohnungen besichtigt und es kann wiederum von einigen Skurrilitäten berichtet werden. Ganz nach dem Motto: Wenn schon keine Wohnung finden, dann wenigstens darüber lachen.Hiess die letzte Wohnungs-Kolumne noch «Dusche in der Küche» (http://marcobuesch.wordpress.com/2013/11/11/dusche-in-der-kuche/), so kann ich diese nun mit gutem Gewissen «Dusche im Wohnzimmer» nennen, denn tatsächlich: Es geht noch ein wenig absurder. Nachdem ich die letzte Kolumne veröffentlicht hatte, kamen einige Leute auf mich zu und belehrten mich eines Besseren, nämlich, dass Duschen in Küchen früher keine Seltenheit waren, damals, als die Menschen noch mit weniger zufrieden waren. Nun, das mag sein, aber mittlerweile kann ich erwidern, ich habe auch «Dusche im Wohnzimmer» gesehen. Und wir haben uns dafür beworben, weil günstig, gute Lage und eigentlich alles tipptopp, ausser halt «Dusche im Wohnzimmer». Ich frage mich zwar noch immer, ob unser Fernseher und die anderen technischen Geräte das aushalten würden, aber wie sagt die Jugend so schön: YOLO. Leider ist die Dusche nur zwei Meter hoch, das heisst bei meiner Grösse wieder einmal auf meinen Traum von einer Dusche zu verzichten, bei der ich mich einfach drunterstellen kann, um über das Leben an und für sich zu sinnieren. Aber so ist das halt: Wohnungssuche in Zürich heisst Kompromisse eingehen. Und zwar solange, bis man nicht mehr weiss, was man eigentlich gewollt hat.Das klingt jetzt vielleicht, als hätte ich genaue Vorstellungen von meiner Traumwohnung. Das stimmt so nicht. Auch in der zweiten Runde Wohnungssuche stolpere ich meistens mit 30 anderen Personen in eine Wohnung hinein und versuche von jedem Raum ein Föteli für den Mitbewohner zu machen, wobei man meistens nicht sehr viel vom Raum sieht, weil so viele Menschen darin sind. Aber eine genaue Idee, auf was ich jetzt genau achten müsste, habe ich nicht. Mein Vorstellungsvermögen ist auch ein wenig beschränkt: Wenn ich zum Beispiel in einem Kinderzimmer stehe, wo gerade ein Baby in seinem Bettchen schläft (Chapeau, dies während einer Wohnungsbesichtigung!), dann kann ich mir schlecht vorstellen, wie das dann unser Wohnzimmer sein könnte. Und ich suche auch nicht nach genügend Steckdosen oder vermesse den Raum genauer. Vielmehr bekomme ich irgendwann ein wenig Platzangst, weil so viele Menschen in die Wohnung drängen. Bei meiner letzten Besichtigung war der Verwalter ganz erstaunt über den Andrang, er habe mit viel weniger Interessenten gerechnet; letzte Woche habe er zu einer Wohnungsbesichtigung in Dübendorf geladen und da seien nur zwölf Nasen aufgetaucht. Eine Frau neben mir, welche sich auch brennend für die Erklärung des Verwalters interessierte, warum er denn nur zwölf Anmeldungsformulare mitgebracht habe, fing hysterisch an zu kichern und machte dann einige abfällige Bemerkungen über den Verwalter. Aber dieser hat schon recht: Dübendorf und Zürich, ist doch alles dasselbe, wächst sowieso alles irgendwann zusammen. Nur, ich würde halt doch lieber in Zürich wohnen. Bitte.Eine weitere Wohnung war auch superschön, alles hat gepasst, nur im ersten Stock stand eine alte Frau am Fenster und schaute finster drein. Sie öffnete dann auch das Fenster und schrie, wir sollen nicht einen solchen Lärm machen und wieder verschwinden. Wir Ausländer. Ich weiss jetzt nicht genau, ob ich mich da bewerbe, bei solchen Nachbarn. Es ist zwar eine Genossenschaftswohnung, aber ich bezweifle, ob ich wirklich ein Genosse dieser Frau werden will. Aber vielleicht ist das einfach auch nur ein Trick, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Vielleicht tritt diese Frau sonst nur auf Jahrmärkten in Geisterbahnen auf, um Leute zu erschrecken, und die Genossenschaft hat sie nun für diese Wohnungsbesichtigung angeheuert. Aber ehrlich gesagt bezweifle ich das sehr stark. Ich hoffe jedenfalls , es würde dann einen klar geregelten Waschplan geben, damit mir diese Frau niemals in der Waschküche begegnen täte.Nun denn, auf dem Wohnungsmarkt hat sich immer noch nichts geändert, weiterhin kämpfen Tausende von Interessenten darum, eine Wohnung in unserer schönen Stadt zu bekommen – und ich mittendrin. Ich hoffe nur, die Dusche im Wohnzimmer schreckt viele ab, diese Wohnung wäre nämlich wirklich ganz okay. Meine Traumwohnung kann ich mir ja auch noch beim nächsten Mal suchen.
Dusche im Wohnzimmer
Nach einem kurzen Intermezzo in einer befristeten Wohnung geht es nun in Runde zwei in Sachen Wohnungssuche in Zürich. Und wieder sind viele lustige Räumlichkeiten und Menschen dabei: Ein Bericht von der Front.
Es ist wieder soweit: Nach kaum einem dreiviertel Jahr in einer befristeten Wohnung geht es nun in die zweite Runde der Wohnungssuche; auf die Suche nach einer günstigeren, grösseren und vor allem unbefristeten Wohnung. Oder einfach überhaupt eine Wohnung innerhalb der Stadtgrenzen zu finden. Wieder wurden einige Wohnungen besichtigt und es kann wiederum von einigen Skurrilitäten berichtet werden. Ganz nach dem Motto: Wenn schon keine Wohnung finden, dann wenigstens darüber lachen.
Hiess die letzte Wohnungs-Kolumne noch «Dusche in der Küche» ( http://marcobuesch.wordpress.com/2013/11/11/dusche-in-der-kuche/ ), so kann ich diese nun mit gutem Gewissen «Dusche im Wohnzimmer» nennen, denn tatsächlich: Es geht noch ein wenig absurder. Nachdem ich die letzte Kolumne veröffentlicht hatte, kamen einige Leute auf mich zu und belehrten mich eines Besseren, nämlich, dass Duschen in Küchen früher keine Seltenheit waren, damals, als die Menschen noch mit weniger zufrieden waren. Nun, das mag sein, aber mittlerweile kann ich erwidern, ich habe auch «Dusche im Wohnzimmer» gesehen. Und wir haben uns dafür beworben, weil günstig, gute Lage und eigentlich alles tipptopp, ausser halt «Dusche im Wohnzimmer». Ich frage mich zwar noch immer, ob unser Fernseher und die anderen technischen Geräte das aushalten würden, aber wie sagt die Jugend so schön: YOLO. Leider ist die Dusche nur zwei Meter hoch, das heisst bei meiner Grösse wieder einmal auf meinen Traum von einer Dusche zu verzichten, bei der ich mich einfach drunterstellen kann, um über das Leben an und für sich zu sinnieren. Aber so ist das halt: Wohnungssuche in Zürich heisst Kompromisse eingehen. Und zwar solange, bis man nicht mehr weiss, was man eigentlich gewollt hat.
Das klingt jetzt vielleicht, als hätte ich genaue Vorstellungen von meiner Traumwohnung. Das stimmt so nicht. Auch in der zweiten Runde Wohnungssuche stolpere ich meistens mit 30 anderen Personen in eine Wohnung hinein und versuche von jedem Raum ein Föteli für den Mitbewohner zu machen, wobei man meistens nicht sehr viel vom Raum sieht, weil so viele Menschen darin sind. Aber eine genaue Idee, auf was ich jetzt genau achten müsste, habe ich nicht. Mein Vorstellungsvermögen ist auch ein wenig beschränkt: Wenn ich zum Beispiel in einem Kinderzimmer stehe, wo gerade ein Baby in seinem Bettchen schläft (Chapeau, dies während einer Wohnungsbesichtigung!), dann kann ich mir schlecht vorstellen, wie das dann unser Wohnzimmer sein könnte. Und ich suche auch nicht nach genügend Steckdosen oder vermesse den Raum genauer. Vielmehr bekomme ich irgendwann ein wenig Platzangst, weil so viele Menschen in die Wohnung drängen. Bei meiner letzten Besichtigung war der Verwalter ganz erstaunt über den Andrang, er habe mit viel weniger Interessenten gerechnet; letzte Woche habe er zu einer Wohnungsbesichtigung in Dübendorf geladen und da seien nur zwölf Nasen aufgetaucht. Eine Frau neben mir, welche sich auch brennend für die Erklärung des Verwalters interessierte, warum er denn nur zwölf Anmeldungsformulare mitgebracht habe, fing hysterisch an zu kichern und machte dann einige abfällige Bemerkungen über den Verwalter. Aber dieser hat schon recht: Dübendorf und Zürich, ist doch alles dasselbe, wächst sowieso alles irgendwann zusammen. Nur, ich würde halt doch lieber in Zürich wohnen. Bitte.
Eine weitere Wohnung war auch superschön, alles hat gepasst, nur im ersten Stock stand eine alte Frau am Fenster und schaute finster drein. Sie öffnete dann auch das Fenster und schrie, wir sollen nicht einen solchen Lärm machen und wieder verschwinden. Wir Ausländer. Ich weiss jetzt nicht genau, ob ich mich da bewerbe, bei solchen Nachbarn. Es ist zwar eine Genossenschaftswohnung, aber ich bezweifle, ob ich wirklich ein Genosse dieser Frau werden will. Aber vielleicht ist das einfach auch nur ein Trick, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Vielleicht tritt diese Frau sonst nur auf Jahrmärkten in Geisterbahnen auf, um Leute zu erschrecken, und die Genossenschaft hat sie nun für diese Wohnungsbesichtigung angeheuert. Aber ehrlich gesagt bezweifle ich das sehr stark. Ich hoffe jedenfalls , es würde dann einen klar geregelten Waschplan geben, damit mir diese Frau niemals in der Waschküche begegnen täte.
Nun denn, auf dem Wohnungsmarkt hat sich immer noch nichts geändert, weiterhin kämpfen Tausende von Interessenten darum, eine Wohnung in unserer schönen Stadt zu bekommen – und ich mittendrin. Ich hoffe nur, die Dusche im Wohnzimmer schreckt viele ab, diese Wohnung wäre nämlich wirklich ganz okay. Meine Traumwohnung kann ich mir ja auch noch beim nächsten Mal suchen.
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Politisches Marketing im Briefkasten
Wir kennen es von amerikanischen Wahlkämpfen: Politisches Marketing ist wichtig. Es wird auch bei uns immer wichtiger. Eine kleine Laien-Analyse der politischen Prospekte, Zeitungen und Faltblätter, welche in meinem Briefkasten gelandet sind.
Zurzeit wird der Schweizer Bürger wieder einmal bombardiert mit Abstimmungs- und Wahlwerbung. An allen Ecken und Enden wird versucht, auf das eigene Thema aufmerksam zu machen, welches die entsprechende Partei im Moment am meisten beackert. Ich habe einige dieser Flyer und «Zeitungen» herausgepickt und werde versuchen herauszufinden, was sie mir denn genau sagen wollen. Also nicht unbedingt inhaltlich, sondern eher sprachlich und von der Aufmachung her.
– Beginnen wir mit dem kurz gehaltenen Flyer des überparteilichen Komitees «Ja zur Kirchensteuerinitiative», welche – man glaubt es kaum – dafür wirbt, dass man doch bitte mit «Ja» für die Kirchensteuerinitiative stimmt. Die Sache ist aber schwerer verständlich als man zu Beginn meint: Das Komitee will zwar, dass das Stimmvolk «Ja» zur Kirchensteuerinitiative sagt, damit meinen sie aber «Nein» zur Kirchensteuer für juristische Personen. Man muss also «Ja» stimmen, wenn man «Nein» sagen will. Merci vielmal, dass sie uns Stimmbürgern zutrauen, hier noch den Durchblick zu behalten. Da hätten sich die Initianten, die Jungfreisinnigen Zürich, in Sachen «Vereinfachung der Fragestellung» vielleicht doch ein wenig mehr an der SVP orientieren sollen als an der Mutterpartei. Nun denn, immerhin kam ein parteiübergreifendes Komitee zustande, wenn auch in erster Linie nur zwischen SVP und FDP. Zugute halten kann man dem Komitee aber, dass sie eine formidable übersichtliche Internetseite zu ihrem Anliegen erstellt haben und dafür auch bei Google einen Anzeigenplatz ersteigert haben. Das dürfte wohl der Einfluss der Piratenpartei gewesen sein, welche die Initiative zusätzlich unterstützen. Und der Spruch auf dem Flyer ist auch ziemlich keck geraten: «Verkauft Ihr Metzger reformierte Bratwürste? Wohl kaum.»
http://kirchensteuer-zh.ch/
– Dann wäre da noch ein Faltblatt der SP, welche auf der Titelseite für Marie Schurr als Bezirksgerichtspräsidentin und für den Mindestlohn wirbt. Vielleicht wirbt sie auch mit Marie Schurr für den Mindestlohn. Oder der Mindestlohn wirbt mit Marie Schurr. Es wird einem nicht gänzlich klar, ob die beiden Anliegen jetzt einen direkten Zusammenhang haben oder nicht. Es gilt jedenfalls: Geradlinig, kompetent, sozial. Und der Schirm, der für den Lohnschutz bei der Mindestlohninitiative steht, erinnert mich an den Zahn mit dem Schirmchen auf den Kaugummipackungen. Sind die bösen Firmen, welche zu wenig zahlen, dann die Karies? Jedenfalls habe ich nun eine Kindheitserinnerung, welche ich damit verbinden kann: Der Schirm wird mir im Kopf bleiben. Aber seien wir nicht so, der restliche Prospekt ist wirklich gelungen: Er ist übersichtlich, klar formuliert, neben jedem Anliegen ist ein Gesicht abgedruckt, um das Ganze persönlicher zu gestalten und auf der Hinterseite sind sogar noch einmal die Abstimmungsparolen aufgelistet für diejenigen, welche das Faltblatt nicht entfalten konnten oder nach mehr als zehn gelesenen Worten eingeschlafen sind. Sogar mit QR-Code: Lago mio, geht die SP mit der Zeit!
http://www.sp-zuerich.ch/
– Kommen wir zu den Zeitungen: Da wäre zum einen die 20Min-Imitation von der UNIA, welche – nicht verwunderlich – für ein «Ja» zur Mindestlohn-Initiative wirbt. Die Verpackung ist gut gewählt, denn das «20Min» ist bekannt als Gratiszeitung und für jeden erhältlich – das sollte der Mindestlohn auch sein. Hoffentlich wird der Mindestlohn dann nicht achtlos weggeschmissen und liegt überall herum. Aber halt! Die UNIA versucht uns gleich auf der Titelseite zu erklären, dass es bei dieser Abstimmung nicht um den Mindestlohn geht, sondern um den Lohnschutz! Dementsprechend wird für dieses Wort auch überall mitgeworben und sogar die Internetseite der Kampagne heisst lohnschutz.ch. Wem das jetzt alles immer noch ein wenig zu abstrakt ist, keine Angst, die UNIA hat über alle Seiten hinweg ganz viele Gesichter abgedruckt, welche die Geschichte viel persönlicher machen. Sogar Bruce Willis hat seinen Weg in die kleine Zeitung gefunden und wirbt für die Unterwäsche von «Zimmerli of Switzerland». Aber die UNIA weist darauf hin, dass dieser wahrscheinlich nicht weiss, dass die Firma ihre Arbeitskräfte ausnutzt. Nun, er weiss wahrscheinlich auch nicht, dass er Werbeträger für diese Firma geworden ist. Es werden auch andere Firmen an den Pranger gestellt, wie das Zürcher Edelhotel «Baur au Lac» oder das Modeunternehmen «Tally Weijl». Das schafft eine ungemütliche Nähe. der Begriff «Mindestlohn» bleibt nicht mehr abstrakt, wir wissen jetzt, dass, wenn wir «Nein» stimmen, wir schuld sind, dass die im Hotel und im Kleiderladen weiterhin zu wenig zum Leben verdienen. Und wem das immer noch eine zu grosse unbekannte Masse ist, dem wird spätestens bei Fortunato Piraino, Bauarbeiter, das Herz weich werden. Er schreibt davon, wie er und seine Frau sich kaum eine Wohnung und schon gar nicht das anständige Stück Fleisch am Wochenende leisten können. Das kann nicht sein! Gebt diesem Mann sein anständiges Stück Fleisch, denn er hat es verdient! Demgegenüber werden die Gegner, wie Roman Burger es auf der Hinterseite treffend formuliert, wieder Angst und Furcht verbreiten, die Schweizer Unternehmen werden wegen dieser zusätzlichen Last zusammenbrechen, besonders die KMU, und dann wird es auch der Schweiz nicht gut gehen und das wollen wir doch nicht. Nun, wir werden sehen ob die persönlichen Beispiele der UNIA oder die diffuse Angstmacherei der Gegner sich durchsetzen wird. Wir wissen nur: Bruce Willis trägt «Zimmerli of Switzerland». Was diese Firma der UNIA wohl zugesteckt hat für die Gratiswerbung?
http://www.lohnschutz.ch/
– Die andere Zeitung wurde vom «Gripen Ja»-Lager verschickt und will uns von vorne bis hinten nur eines klar machen: Es geht hier nicht, ich wiederhole, NICHT um den Gripen bei der Abstimmung am 18. Mai, nein, es geht um viel mehr, es geht um die nationale Sicherheit! Und wer nicht für die Sicherheit ist, ist gegen die Sicherheit, ist gegen die Schweiz, ist ein Landesverräter, so scheint zwischen den Zeilen hindurch. Das Komitee ist zwar – wie so oft – parteiübergreifend, aber die Machart der Kampagne lässt schwer auf die Federführung der SVP deuten. Vielleicht ist es auch nur der Untertitel der Zeitung: «Zeitung für alle Schweizerinnen und Schweizer». Auf der Titelseite kommt zusätzlich die schöne Frau Favre Accola zu Wort, welche hier aber nicht als Frau des Skirennfahrers Paul Accola oder als Parteisekretärin der SVP Graubünden vorgestellt wird, sondern als dreifache Mutter und KMU-Unternehmerin. Fassen wir zusammen: Sie hat drei Kinder, sorgt sich also um die Zukunft. Sie ist KMU-Unternehmerin, also keine Sozialschmarotzerin, sondern erfolgreiche Businessfrau. Und sie ist eine Frau. Die Frauen müssen ja besonders geködert werden bei dieser Abstimmung, weil sie den Militärbetrieb eh nicht kennen und sonst nicht abstimmen gehen und wie geht das besser, als mit einer anderen Frau, einer Mutter, einer erfolgreichen noch dazu. Bravo, gut gemacht! Von dieser Frau wird man sicher weiterhin viel hören, falls sie keine Leichen im Keller hat, denn wer sonst ist Parteisekretärin, Vorstandsmitglieder einer Molkerei, mit Paul Accola verheiratet, Mitbegründerin einer Kulturplattform und an der Uni Fribourg tätig: Diese Frau spricht einfach fast jeden Schweizer Bürger irgendwie an. Zumindest auf dem Papier. Aber genug davon, gehen wir ans Eingemachte: Es werden Grafiken gezeigt von Dingen, welche alle mehr kosten als der Gripen. Zum Beispiel die Soziale Wohlfahrt, der Verkehr, die Bildung und Forschung. Das ist verrückt, alle diese Dinge bringen doch kaum so viel Nutzen wie ein Gripen, geschweige denn 22? Es wird eine Hunderternote gezeigt, welche der Bund ausgibt, und dann mit der Lupe die 15 Rappen, welche die Gripen davon ausmachen prozentual. Aber wie der geneigte SVP-Bauer so schön sagen: Auch Kleinvieh macht Dreck. Mein Lieblingsartikel bleibt aber «Die weltweite Unsicherheit nimmt zu», in welchem vom fehlenden Trinkwasser, vom wachsenden Ressourcenbedarf und von einer enormen Waffenproduktion die Rede ist. Um diesen Dingen entgegenzuwirken brauchen wir unbedingt die Gripen! Besonders bei der Bekämpfung der enormen Waffenproduktion! Nun aber weg von weiteren inhaltlichen Kommentaren, ein grosser Pluspunkt des Extrablattes ist sicher, dass sich gleich drei Bundesräte darin für den Gripen aussprechen: Maurer, Burkhalter und Leuthard. Doris Leuthard als seit jeher beliebteste Bundesrätin spielt hier sicher die herausragende Rolle, weil erstens Frau, zweitens nicht rechts, sondern Mitte und drittens eher bekannt für sachliches Politisieren als für Polemik. Dann wäre da noch die Karte, auf denen anhand des «Global Peace Index» vermeintliche Krisenherde in und rund um Europa aufgezeigt werden und welche die Gripen für uns unvermeidlich machen. Zudem gibt es eine als Wettbewerb getarnte Infobox, bei der man sich immer für ein gutes Dafür-Argument und gegen ein schlechtes Dagegen-Argument entscheiden muss, um am Ende vielleicht einen Alpen-Rundflug zu gewinnen. Leider nicht mit dem Gripen, den gibt es bis jetzt ja nur auf dem Papier.
http://www.gripen-ja.ch/de/willkommen.html
Es bleiben mir ein, zwei Dinge zu den Kampagnen zu schreiben: Erstens mag es einem vielleicht gefallen oder nicht, die SVP ist ihren politischen Gegnern in Sachen politischem Marketing immer noch einige Meilen voraus. Ich meine damit nicht ihr vielfach höheres Budget, ihre dadurch höhere Reichweite oder gar die stark vereinfachten Inhalte: Es sind ganz einfache Dinge, wie eine Banknote in eine Zeitung kopieren und zeigen, wie viel für den Gripen verwendet wird. Oder statt einer stinknormalen Infobox einen Wettbewerb daraus konstruieren. Den Leuten wird einfach etwas geboten, man gibt ihnen, was sie wollen. Natürlich ist dies vielfach populistisch, aber wenn ich mir die Kampagnen der anderen Parteien, Gewerkschaften und überparteilichen Komitees so ansehe, glaube ich, ein wenig Populismus würde ihnen nicht schlecht stehen. Und ich meine damit nicht inhaltlichen Populismus, sondern bei den Mitteln, welche verwendet werden. Eine Kirchensteuerinitiative sollte einfach nicht so heissen, sondern unter dem Motto laufen: «NEIN zur Kirchensteuer für Firmen!». Die SP hingegen hat vieles richtig gemacht, Marie Schurr und ein «Ja zum Mindestlohn» vermeintlich miteinander zu verbinden wirkt hingegen ein wenig eigen. Die UNIA macht wahrscheinlich unfreiwillig Werbung für «Zimmerli of Switzerland» und spannt dafür Bruce Willis ein: Wieso nicht einfach bei uns bleiben und die Hollywood-Promis Hollywood-Promis sein lassen. Nichtsdestotrotz haben die anderen Parteien viel an Vorsprung gut gemacht, welchen die SVP in Sachen politischem Marketing hatte, sodass die Wahl- und Abstimmungskämpfe tatsächlich immer spannender werden. Und die Briefkästen leider auch immer voller. Nun denn, gehen wir alle abstimmen am 18. Mai und bereiten uns dann bereits auf die nächste Abstimmung vor, Ecopop und Co. lassen grüssen. Es bleibt spannend.
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Im Wagen vor mir
Manchmal spielt einem der Zufall einen Streich. Oder ist es doch kein Zufall? Eine Kolumne über die Ängste auf einer Tramfahrt zwischen Kunsthaus und Unispital.
Gestern stand ich an einer Haltestelle und wartete auf den 31er-Bus, als eine junge Frau im gleichen Alter sich zu mir gesellte und mitwartete. Ich bin ziemlich sicher, dass ich sie nicht kannte, so sicher, wie man sich ohne eine Brille, obwohl man eigentlich eine aufhaben müsste, eben sein kann. Der Bus kam und wir stiegen beide ein. Soweit, so unspektakulär. Ich stieg beim Kunsthaus aus und bewegte mich hinüber zur Tramhaltestelle, denn ich musste mit dem 9er-Tram hoch zum Unispital. Und wieder gesellte sich die Frau zu mir, setzte sich sogar neben mich auf die Bank. ich kombinierte scharf: Sie war wohl auch ausgestiegen. Das gibt es, das ist nichts Ungewöhnliches. Wir warteten also zusammen. Das 8er-Tram rollte heran und fuhr weiter, sie blieb sitzen. Das 5er-Tram rollte heran und fuhr weiter, sie blieb sitzen. Das 9er-Tram rollte heran und wir stiegen beide ein. Jetzt bekam ich langsam ein mulmiges Gefühl: Was wäre, wenn sie auch beim Unispital aussteigen würde? Wie müsste man vorgehen? Was wäre zu tun? Verfolgt sie mich? Solche Gedanken sind lächerlich, ich leide doch nicht unter Verfolgungswahn, diese Frau ist zweimal mit mir in dasselbe öffentliche Verkehrsmittel eingestiegen, das wird ja wohl nichts bedeuten. Die fährt sowieso weiter, sieht mir nach einer Uni-Irchel-Biologie-Studentin aus. Ich weiss nicht mehr, warum ich sie den Biologiestudenten zuordnete, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie wohl erst dort oben aussteigen würde.
Nun, ich würde ja wohl kaum darüber schreiben, wenn sie nicht auch mit mir beim Unispital ausgestiegen wäre. Sie überquerte die Strasse und zielte in Richtung Unispital. Ich versuchte mich zu beruhigen: Die ETH ist ja auch dort vorne. Und die Uni auch. Vielleicht gibt es im Uni Zentrum auch Biologie-Vorlesungen. Es muss jedenfalls nichts heissen, dass sie sich in dieselbe Richtung bewegt wie meine Wenigkeit, zumal sie sich vor mir befindet und es jetzt vielmehr so aussehen könnte, als würde ich ihr folgen. Ich überlegte mir, dass sie vielleicht genau die gleichen Gedanken hatte und dachte, ich würde sie verfolgen. Ich verlangsamte meine Schritte ein wenig, sie jedoch blieb stehen und war mit ihrem Handy beschäftigt. So konnte ich nicht weiter mit einem Sicherheitsabstand hinter ihr gehen und musste mich an ihr vorbeibewegen, während ich angestrengt versuchte, sie auf keinen Fall anzusehen und ihr damit das Gefühl zu geben, ich verfolge sie oder wolle etwas von ihr. Sie guckte auch weg, kam aber wieder in Bewegung, kaum hatte ich sie passiert. Und ich dachte mir: Das ist es jetzt also, du bist verrückt geworden und hast jetzt eine ausgewachsene Paranoia. Man hört es ja immer wieder: Genie und Wahnsinn liegen so nah beieinander. Immerhin könnte es endlich ein Beweis dafür sein, dass ich ein Genie bin. Ein verrücktes zwar, aber immerhin ein Genie. Gleichzeitig trieb mir der Gedanke den Schweiss auf die Stirn, dass die Chance bestand, dass ich wirklich von der Frau verfolgt würde. Was sollte ich tun? Mich umdrehen und sie damit konfrontieren? Die Karten auf den Tisch legen? Und welche Karten genau? Und wenn sie doch nicht hinter mir her war, mich fürchterlich blamieren? Vielleicht würde sie aber auch ein Samuraischwert ziehen und zum Nahkampf übergehen und wir würden uns eine Verfolgungsjagd durch ganz Zürich liefern. Ich beschloss, mich ruhig zu verhalten und die Situation weiterhin genau zu beobachten und zu analysieren.
Ich betrat also das Unispital und meine Befürchtungen wurden bittere Wahrheit: Sie verfolgte mich nun doch, kam gleich hinter mir auch zur Türe herein. Jetzt wurde es wohl Zeit für mich zu handeln. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Ob verrückt, wirklich verfolgt oder reiner Zufall: Es würde sich jetzt entscheiden, der Moment der Wahrheit war gekommen. Ich steckte meine Hand in die Hosentasche, nahm mein iPhone hervor und tat so als würde ich mir nochmals etwas ganz Wichtiges ansehen, so dass sie vor mir an den Infoschalter konnte. Die Frau ging ohne eine besondere Regung oder ein geheimes Zeichen an mir vorbei, fragte die Dame am Schalter nach Auskunft und verschwand dann in irgendeinem Trakt. Dann kam ich an die Reihe, ich erfuhr, dass ich in die entgegengesetzte Richtung musste und mein Körper entspannte sich wieder. Erleichterung machte sich breit: Ich war wohl doch nicht das Ziel einer Verfolgung gewesen. Gleichzeitig wurde mir klar, dass ich wohl nicht wichtig genug bin, um verfolgt zu werden, worüber ich auch ein wenig enttäuscht war. Wobei die Frau froh sein konnte, dass ich nicht meine Kinderjudokünste von vor 15 Jahren auspacken musste. Da hätte sie schön gestaunt. Immerhin habe ich es bis zum halbgrünen Gürtel geschafft! Nun, es ist vielleicht besser so, wie es gekommen ist, ich muss aber zugeben: Ein bisschen Paranoia war da schon dabei. Deutet das jetzt auf ein klein bisschen Genie hin? Das hoffe ich doch. Bis dahin höre ich mir den alten Schlagerklassiker «Im Wagen vor mir» von Henry Valentino nochmals an und beruhige mich mit dem Gedanken, dass wohl nicht nur ich mich manchmal verfolgt fühle; vielleicht war die Biologiestudentin ja auch ganz froh drum, dass ich sie ebenfalls nicht verfolgt habe.
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Klassentreffen: Hoffentlich ohne Anna Odell
Nach neun Jahre ist es soweit: Ich sehe meine alten Gspänli aus gemeinsamen Schulzeiten wieder. Es wird gelacht, geredet und Erinnerungen werden ausgetauscht. Nur den Anna Odell macht hoffentlich niemand.
Jetzt bin ich noch nicht einmal 25 und fühle mich teilweise schon richtig alt. Ich verstehe nicht mehr alle Jugendbegriffe, habe nicht mehr jedes neue Youtube-Video bereits gesehen und auch die bekannten Fussballer und Schauspieler sind vielfach schon jünger als ich. Und dann fragt mich eine ehemalige Klassenkameradin für ein Klassentreffen an, es sei doch auch schon wieder neun Jahre her. Tatsächlich.
Klassentreffen sind immer eine Reise in die eigene Vergangenheit. Man fragt sich, was wohl aus den anderen geworden ist. Trotz den ganzen social media Sachen weiss man es am Ende ja doch nicht so richtig, ausser bei den paar wenigen, denen man noch ab und zu über den Weg läuft. Sind die Gescheiten nun alle Studierte? Sind die Sportlichen Sportler geworden? Die Schönen Models? Haben manche vielleicht schon geheiratet? Redet man mit denen darüber, wie sie für diesen Abend noch einen Babysitter organisieren mussten? Ich weiss es nicht, aber zwangsläufig wird sicher ein Vergleich stattfinden: Wer hat es wohl wie gut gemeistert? Von wem hätte man mehr erwartet, von wem ist man überrascht? Bin ich selbst vielleicht eher eine Enttäuschung für die anderen? Hat man sich verändert? Das können wohl die Leute am besten einschätzen, welche einen vor neun Jahren das letzte Mal gesehen haben. Ich weiss noch, dass ich mich damals von einigen Leuten in der Klasse nicht verabschiedet hatte, weil man sich am Nachmittag noch im Schwimmbad treffen wollte, ich dann aber nicht hinging, weil ich lieber mit einem Kumpel in die Stadt gehen wollte und mir dachte, dass ich diese Leute sowieso ab und an sehen werde, Zürich ist ja nicht so gross. Nun, dieses Treffen wird nach neun Jahren das erste Mal sein, dass ich sie wiedersehen werde. Und ich werde versuchen, mich dieses Mal bei jedem anständig zu verabschieden, sonst hätte ich ja in den letzten neun Jahren kaum etwas gelernt.
Aber diese Gefahr ist gross: Man hat vielleicht viel dazugelernt in all den Jahren und fällt dann trotzdem wieder in alte Gewohnheiten zurück wie zur Schulzeit. Die gleichen Dynamiken entstehen wieder, die Grüppchen bilden sich, die Einzelgänger bleiben alleine, man wird wieder zum Kind. Hier würde vielleicht eine Art Speed-Dating viel helfen: Jeder muss mit jedem zwei Minuten reden, dann wird zum Nächsten gewechselt. So würde ein Rahmen geschaffen, innerhalb dessen man mit jedem mindestens einmal reden muss. Sogar mit denen, mit welchen man an diesem Tag wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt spricht. Aber auch wenn es derartiges vielleicht nicht geben wird, habe ich mir vorgenommen, zumindest teilweise aus meinem angestammten Grüppchen auszubrechen und mit ehemaligen Mitschülern zu sprechen, mit welchen ich sonst kaum zu tun hatte. Vielleicht werde ich sogar ein wenig wehmütig, weil man vielleicht doch mehr gemeinsam hat, als man vor neun Jahren angenommen hatte.
Vor was ich trotz allem ein wenig Bammel habe: Ich habe letzte Woche «The reunion» von Anna Odell geschaut, einer Filmkünstlerin, welche bekannt wurde mit einem Film, bei dem sie ihren eigenen Selbstmordversuch auf einer Brücke nochmals nachspielt und aufarbeitet. In «The reunion» geht es dagegen um ein Klassentreffen: An das wirkliche Klassentreffen wurde sie gar nicht eingeladen und so dreht sich der Film darum, was geschehen wäre, wenn sie teilgenommen hätte. In einem zweiten Teil konfrontiert sie die ehemaligen Klassenkameraden mit dem «was wäre, wenn»-Film, welcher ziemlich heftig ausfällt, denn Odell hält an diesem Treffen eine ungeschönte Rede über ihre Schulzeit als Mobbingopfer und wird schlussendlich von den anderen vor die Tür gesetzt. Schon während des Films kommt man selbst ins Grübeln, ob es das in der eigenen Klasse auch gegeben hat, ob man selbst Opfer oder Täter war. Besonders wenn ein Klassentreffen ansteht. Klassentreffen sind ja in erster Linie dazu da, in gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen, wobei dann jedem wieder andere Details geblieben sind und man das grosse Ganze wie ein Puzzle zusammensetzen muss. In der Einladung zu meinem Klassentreffen war zum Beispiel von einer Nachtkerze die Rede, wobei ich mich partout nicht erinnern kann, was es mit dieser auf sich hatte. Da wird mir wohl jemand anders dann auf die Sprünge helfen müssen. Neben all den guten Erinnerungen, gibt es aber sicher auch solche, die mit den Jahren eher verdrängt wurden, wie es das Gehirn ja so gerne macht. Mir wurde zum Teil schon von Streichen erzählt, die mir gespielt wurden, welche als ganz schlimm empfunden wurden, ich konnte mich aber kaum erinnern und wenn, dann nicht mit einem wirklich negativen Gefühl. Andererseits wurde mir auch von Streichen berichtet, bei denen ich dabei gewesen sein soll, welche ich aber anscheinend geschickt verdrängt habe, weil mir das schon ein wenig peinlich war. Das Gehirn ist also kein sicherer Freund bei lückenlosen Erinnerungen an die Vergangenheit und so bleibt doch ein kleines, aber mulmiges Gefühl, dass vielleicht doch jemand den Anna Odell machen könnte an unserem Klassentreffen. Im Gegensatz zu den meisten Personen im Film würde ich aber versuchen, mir alles anzuhören und mich gegebenenfalls entschuldigen, ansonsten wäre ich ja kaum besser als der neun Jahre jüngere Jugendliche, der ich damals war.
Ich schaue also mit einem freudigen und einem ein wenig ängstlichen Auge auf dieses Klassentreffen. Eine besondere Freude wird mir sein, unseren alten Klassenlehrer wiederzusehen, nur um ihm zu zeigen, dass doch ein wenig etwas aus mir geworden ist. Auch wenn mich seine Meinung überhaupt nicht mehr interessiert. Imfall. Und ich will von ihm dann seinen bekannten Ausspruch «Das kann doch nicht sein!» hören. Dann vielleicht zum ersten Mal in einem positiven Sinne. Und dann vielleicht auch gleich noch sein nicht minder bekanntes «Und tschüss! Kannst gleich gehen!», wenn er jemanden vor die Tür stellte. Wobei ich mich dieses Mal nicht vor die Tür stellen lassen werde, garantiert nicht! Es wird auf alle Fälle ein spannendes Treffen, denn dies sind ja auch oft kleine Therapieabende mit dem Thema «Aufarbeitung der eigenen Schulzeit».
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Fernsehen macht blöd, aber auch Spass
Ich wollte eine Kolumne über das Fernsehen schreiben und welche Form wäre geeigneter, als eine wilde Aufzählung von verschiedensten Informationen – so, wie das Durchzappen beim Fernsehen. Ich wünsche gute Unterhaltung.
Gestern haben wir es geschafft und uns nach Monaten endlich ein Fernsehkabel zugelegt, womit wir nun fernsehen konnten. Auch damit die Billag-Gebühren amortisiert werden. Es kamen uralte «How I met your Mother»- und «Big Bang Theory»-Folgen, auf Deutsch. Dazu ein bisschen Promidinner, mit Promis, welche ich nicht kannte. Nach 20 Minuten musste ich den Fernseher wieder ausschalten. Das soll jetzt kein Billag-Fernsehen-TrashTV-Bashing werden, ich habe nur festgestellt, dass ich das Fernsehen in seiner eigentlichen Form nicht mehr brauche. Es folgt eine kleine Auflistung, was mir sonst noch zum Thema «Fernsehen» einfällt.
– Fernsehen nervt im Zeitalter des Internets so sehr, weil man nicht schauen kann, was man will, sondern schauen muss, was kommt. Mit Werbung. Synchronisiert. Wobei ich letztens auf sf.tv, pardon auf srf.ch, war und mir seit langem wieder einmal einen Tatort ansehen wollte, am Nachmittag. Funktioniert nicht: Tatort darf man erst ab 20:00 Uhr schauen, weil jugendgefährdend. Danke für diesen Schutz, wieso nicht einfach ein „Sind Sie schon 18 oder nicht“-Fenster? Das ist in etwa so wirksam wie eine Zeitschranke.
– Ich bin auf ein spannendes Paper eines gewissen Jeff Garmany von der University of Arizona gestossen: Er hatte ein Jahr in Pirambu verbracht, eine der gefährlichsten Favelas von Fortaleza, einer grösseren Stadt in einer der gefährlichsten Regionen von Brasilien, also ziemlich gefährlich. Er schrieb darüber, wie dort zu jeder Tages- und Nachtzeit der Fernseher laufe und ihn das ziemlich genervt habe. Bis ihm ein interessanter Aspekt betreffend des Fernsehschauens der Favela-Bewohner auffiel, beziehungsweise fiel ihm die Wirkung des Fernsehens auf. Obwohl in Pirambu keine Polizei anwesend ist, Drogenbanden das Gebiet regieren und die Menschen vom Staat kaum Unterstützung erhalten, sondern vielmehr dauernde Repressionen erfahren müssen, halten sich die meisten Bewohner trotzdem an die geltenden Gesetze. Garmany meint nun, dass dies deshalb so sei, weil sich die Bewohner der Favelas an den Nachrichten im Fernsehen orientieren würden, da diese erstens immer berichten würden, dass es in anderen Teilen der Stadt oder des Landes noch schlimmer zu und her gehe und zweitens, weil die Kommentatoren die Bevölkerung immer ins Gebet nähmen, selbst für eine bessere Gesellschaft zu sorgen mit mehr Wohlstand und Sicherheit. Der Staat getraut sich zwar nicht mehr in die Favelas, gibt aber so weiterhin per Fernsehen die einzuhaltenden Werte vor. Andere Studien haben auch schon ähnliche Schlüsse gezogen im Bezug auf die sinkende Geburtenrate in Brasilien: Da in Telenovelas, welche ein Grossteil der Bevölkerung sich ansieht, die Familien eher klein sind, orientieren sich viele Brasilianer daran und wollen nun auch eher kleinere Familien haben. Es gibt dazu auch Studien aus den USA, welche davon ausgehen, dass die Zahl der minderjährigen Mütter deutlich zurückgegangen ist, seit die MTV-Sendungen «16 and pregnant» und «Teen mom» über die Bildschirme flackern. Das sind sicherlich interessante Befunde, ich hoffe nur, dass wir uns hier wertetechnisch nicht alle zu sehr an Sendungen wie «Dschungelcamp» oder «Bachelor» orientieren, sonst könnte das dann ein wenig problematisch werden.
– Unter dem Motto «Fernsehen macht blöd, aber unglaublich viel Spass» zeigt der Fernsehmoderator Philipp Walulis in der nach ihm benannten Sendung «Walulis sieht fern» auf EinsPlus und NDR (und auf youtube), wie Fernsehen gemacht wird. Da wird so ziemlich jede Art von Sendung auf die Schippe genommen. Vom «Tatort» zu «Bauer, ledig, sucht Frau» bis zu den Dauerwerbesendungen wird alles durchanalysiert und auf der Metaebene zerstückelt. Das macht Spass, denn die Medienparodie und Satire ist gut gemacht, sympathisch moderiert und hat zudem 2012 den Grimme-Preis gewonnen. Nur, um dann beinahe abgesetzt zu werden; war wohl ein wenig zuviel der Ehrlichkeit für die Intendanten des deutschen Fernsehens.
– Zum Schluss empfehle ich einen meiner Lieblings-Channels auf youtube, welcher auf diese Weise sicher nie im Fernsehen laufen würde: «Shore, Stein, Papier». Das Konzept ist denkbar einfach: Ein Heroinsüchtiger aus Hannover erzählt seine Lebensgeschichte mit seinen wenigen Hochs und vielen Tiefs. Dabei sitzt der gute Mann ganz einfach an einem Holztisch, raucht, trinkt Kaffee, ist mal gut drauf, ein andermal sieht man ihm an, dass er wohl einen Rückfall hatte, und erzählt aus seinem Leben, als würde er es nicht der Kamera, sondern einem Kumpel erzählen, so als Selbsttherapie. Dabei lebt die Serie vor allem von seinem namenlosen Erzähler, welcher sehr authentisch wirkt und seine Geschichten überraschend ungeschönt mit uns teilt: So lässt er uns stets an seinen Gedanken teilhaben, wann er im Gefängnis wirklich clean werden wollte und wann es ihm nur darum ging, möglichst schnell während der Therapie abzuhauen. Oder wie stolz er sich immer noch zeigt, weil ihm als Einbrecher ein Bruch besonders gut gelungen ist. Das mag für sich allein vielleicht falsch klingen, unterstreicht aber seine Authentizität und kommt sicher besser an als jeder Anti-Drogen-Film mit erhobenem Zeigefinger. Für solche Formate liebe ich das Internet.
Dieser Text hatte jetzt zwar auch ein wenig etwas von einem nachmittagslangem wilden Umherzappen vor dem Fernseher, bei dem man ziellos Information um Information aufnimmt, doch hoffe ich, dass hier etwas mehr hängenbleibt. Ansonsten ist das auch okay, hauptsache Sie schauen beim nächsten Mal wieder rein. Jetzt würde ich gerne einen Cliffhanger einbauen, mir fällt nur keiner ein. Ich wünsche trotzdem viel Vergnügen mit meinen Anspieltipps.
Garmany, Jeff (2009): http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/14649360903205132#.U0q0nsdGQQg
Walulis sieht fern: https://www.youtube.com/user/walulissiehtfern
Shore, Stein, Papier: https://www.youtube.com/watch?v=fDzBZawSXRk&list=PLpr-NGsAGodEbDePSO3wivni39lgdLQjW
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Der Bus hält und die Tür bleibt zu.
Wieder einmal sitze ich in einem Bus fest und es ist heiss und ich will nach Hause und ich schreibe über mitgelauschte Gespräche in öffentlichen Verkehrsmitteln und Grenzen.
Es ist heiss, es ist stickig, ich würde gerne möglichst schnell nach Hause, aber nein, ich sitze im 31er-Bus fest. Zwischen Kreuzplatz und Kunsthaus. Und ich hätte es wissen müssen, denn es ist praktisch täglich so: Der Bus hat auf dieser Strecke keine Möglichkeit zu überholen und steht meistens ungefähr 15 Minuten im Stau. Dabei könnte ich eigentlich auch den 11er nehmen, um nach Hause zu kommen, aber der 31er kommt immer zuerst. Und ich will ihm immer auch noch eine Chance geben. Weil eigentlich ist er mein heimlicher Lieblingsbus, der 31er. Hier trifft sich ganz Zürich und bespricht die komischsten Dinge. So zum Beispiel an besagtem Nachmittag, als zwei junge Frauen über den Alkoholkonsum einer dritten (nicht anwesenden) jungen Frau sprachen und die eine etwas angewidert meinte, dass besagte Frau schon ein ziemlicher Alki sei, denn sie trinke auch unter der Woche. Und eine Bitch sei sie sowieso. Die macht‘s nämlich mit jedem. Sogar mit dem Michi, diesem Grüsel. Naja, also jedenfalls finde ich das eine interessante Grenze, die hier gezogen wird: Alkoholiker ist, wer auch unter der Woche trinkt. So einfach ist das. Am Wochenende ist die Menge dann auch völlig irrelevant, denn: Wochenende ist Wochenende. What happens im Wochenende, stays im Wochenende. Oder so.
Grenzenziehen finde ich grundsätzlich eine spannende Angelegenheit: Wo setzt man persönlich seine Grenzen und wieso setzen sie andere Menschen anders und wie finden wir dann trotzdem meistens einen Konsens. Oftmals festigen Gesetze die Grenzen, zu welchen man sich gesamtgesellschaftlich durchgerungen hat. Oder zumindest die Politiker. Welche wir wiederum gewählt haben. Nun denn, jedenfalls fand ich eine Grenzziehung verblüffend, von welcher ich letzten Monat im Zivildienst-Kurs «Betreuung von Jugendlichen» gehört hatte: Man stelle sich vor, ein 15-jähriges Mädchen sitzt traurig auf seinem Bett. Man kommt hinzu und will es trösten. Man setzt sich neben das Mädchen auf das Bett und redet ihr gut zu. So weit, so legal. Nun möchte man dem Mädchen vielleicht den Arm um die Schulter legen, um es zu beruhigen. Das ist nicht grundsätzlich verboten, es kommt aber darauf an, was das Mädchen trägt: Wenn es ein Shirt anhat, welches über die Schultern geht, dann ist es kein Problem, sobald das Mädchen aber ein ärmelloses Shirt trägt und man somit die nackte Haut der Schulter berührt, ist das Arme-um-die-Schulter-Legen verboten. Also natürlich nur für Männer. Das fand ich deshalb so verblüffend, weil hier ungefähr drei Millimeter Stoff entscheiden, ob man – plakativ ausgedrückt – ein Sexualstraftäter oder ein guter Pädagoge ist. Aber irgendwo muss man die Grenze ja ziehen und hier sind nun mal per Gesetz diese drei Millimeter die Grenze.
Eine weitere interessante Grenzziehung findet bei der Bettelei statt: In Zürich ist das Betteln auf öffentlichem sowie privatem Grund verboten. Das öffentliche Musizieren für Geld ist jedoch in einem gewissen Rahmen erlaubt, sofern es in einem markierten Gebiet rund um das Seebecken geschieht, der Musikant alle 20 Minuten seinen Standort wechselt und die Ruhezeiten einhält. Theoretisch hiesse das, jeder Bettler könnte sich einfach an den See setzen und dort mit einem Holzstöckchen auf eine Dose schlagen und dies als Musik verkaufen. Das ist ein Problem, welches die Stadt Biel wie folgt gelöst hat: In Biel muss jeder Strassenmusikant zuerst bei der Gewerbepolizei zu einem Casting erscheinen, um den Polizisten vorzuspielen. So werde ein gewisses Mass an musikalischer Qualität gewährleistet. Ob jetzt ein Polizist die richtige Person ist, um musikalische Qualität zu bescheinigen, das sei dahingestellt, aber das Konzept hat durchaus Potential. In Winterthur wiederum dürfen nur zwei Bands pro Tag öffentlich musizieren. Melden sich mehr als zwei Bands, wird ausgelost. Und so steckt jeder Kanton und jede Stadt den Rahmen für Strassenmusikanten und Bettler wieder ein wenig anders und jede Grenzziehung führt zu anderen Ergebnissen. Mir blieb zum Beispiel ein Besuch in Solothurn in sehr guter Erinnerung, weil es dort einige wunderbare Strassenmusikanten-Bands zu hören gab. In Zürich undenkbar. Dafür sind wir in den Städterankings immer ganz weit oben aufgrund von Sauberkeit, Ruhe und Ordnung. Das ist auch etwas.
Irgendwo müssen immer Grenzen gesetzt werden, welche die einen dann gut finden, während sie den anderen wiederum nicht passen. Dies mag zwar wie eine Binsenwahrheit klingen, in manchen Momenten ist sie aber nur allzu wahr: So kam meine Geduld doch auch an ihre Grenzen, als der Busfahrer im Stau stehend zwischen Kreuzplatz und Kunsthaus auf keinen Fall die Türen öffnen wollte, obwohl der Bus keine fünf Meter vor der Haltestelle stand und dort sogar ein Trottoir vorhanden war. Vorschriften sind Vorschriften. Und ein Bus ohne funktionierende Klimaanlage ist ein Bus ohne funktionierende Klimaanlage. Ich mag Grenzen ja wirklich, aber nicht, wenn sie mich meinerseits an meine Grenzen bringen!
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