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Marco Büsch
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Zürich
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Wann ist schwarz Entsorgen unfair?
Schwarz Entsorgen ist unfair. Ausser, es ist etwas Brauchbares, dann ist es ein bisschen weniger unfair. Zumindest an der Strasse, an der ich wohne.«Schwarz Entsorgen ist unfair, illegal und strafbar.» stand auf dem Plakat der Stadt Zürich geschrieben. Man solle seinen Sperrmüll bitte nicht einfach draussen deponieren und wenn man irgendwo ein solches Mülldepot entdecke, solle man das bitte bei der entsprechenden Telefonnummer melden. Das klingt eigentlich ganz vernünftig, nur in meiner Strasse funktioniert das Ganze ein bisschen anders. Aber tatsächlich: Es funktioniert. Meistens jedenfalls.Es gibt diese eine Folge in der Serie «How I met your mother», in der sie vom Bermuda-Dreieck vor ihrem Haus sprechen: Man stellt zum Beispiel sein altes Sofa an diesen Ort und kaum hat man ihm den Rücken zugedreht, ist es auch schon verschwunden. In üblicher Sitcom-Manier mag das für viele Zuschauer wahrscheinlich übertrieben klingen, aber ich hatte bei dieser Szene einen ziemlich heftigen «Genau-so-ist-es!»-Moment. In unserer Strasse in Wiedikon sammeln sich oft ganze Möbelburgen an, so dass man das Gefühl hat, jemand habe einfach seinen Hausrat auf die Strasse gekippt, aber so schnell wie der vermeintliche «Müll» gekommen ist, verschwindet er auch wieder. Es ist ein ständiger reger Tauschhandel im Gange: So gut wie jeder im Viertel stellt seine Möbel oder Bücher oder was auch immer an die Ecke und irgendjemand nimmt sie dann wieder mit. Manchmal vergehen Stunden bis dies passiert, manchmal sind die Gegenstände bereits schon wieder weg, wenn man sich gemütlich auf den Balkon setzen will, um mal zu beobachten, wer denn nun solche Dinge überhaupt gebrauchen kann. Das Ganze funktioniert natürlich nur, weil sich die meisten Leute nicht zu schade sind, gebrauchte Gegenstände von der Strasse mitzunehmen. Vom wirtschaftlichen Standpunkt her ist es sicher keine schlechte Sache, seine Güter nicht gleich definitiv zu vernichten, wenn sie vielleicht für jemand anderen noch von Nutzen sein können.Bevor ich jetzt aber dieses vermeintliche «System» über den Klee lobe, muss ich es schon noch ein bisschen relativieren: Es geht meistens sehr anarchisch zu und her, fernab von jeglicher Kontrolle und leider hat nicht jedes Ding, welches man nicht mehr will, noch einen Nutzen für jemand anderen – oder zumindest nicht für jemanden in dieser Strasse – und so bleiben Gegenstände manchmal auch liegen. Und besonders wenn es geregnet hat, ist die Chance klein, dass die Güter irgendwann noch auf «natürliche Weise» wegkommen und so ist man später doch erleichtert, wenn die Stadt die Strasse in regelmässigen Abständen wieder säubert, ganz gemäss einer der bekanntesten Theorien der Kriminologie, der «Broken window»-Theorie, welche besagt, dass eine kaputte Fensterscheibe umgehend ausgewechselt werden müsse, ansonsten sähe es so aus, als würde sich niemand im Viertel darum kümmern und das Einschlagen von Fenstern habe keine Konsequenzen. Dies wiederum würde zu weiterem Vandalismus führen und das Viertel schlussendlich in die Verwahrlosung stürzen. Würde die Stadt den Müll also einfach auf der Strasse liegen lassen, hätten die Menschen im Viertel das Gefühl, der Staat würde sich nicht mehr um diese Strasse und um sie kümmern und das Vertrauen in die Obrigkeit würde sinken. Die «Broken window»-Theorie hat zwar einige Anhänger, aber auch ebenso viele Kritiker; zum Beispiel wird kritisiert, dass das Reparieren einer Fensterscheibe nur eine Symptombekämpfung sei und kaum gesellschaftliche Probleme lösen könne. Das mag vielleicht stimmen, aber ich glaube, so ziemlich jeder Mensch hat lieber eine saubere Strasse als eine voller Müll. Ich jedenfalls bin froh, dass die Stadt trotzdem noch ab und zu den Restmüll wegräumt, auch wenn er illegal dort liegt, merci vielmal! Wobei es mich tatsächlich interessieren würde, ob die Stadt in unserer Strasse insgesamt weniger Sperrmüll wegräumt infolge des Tauschhandels als in Strassen, wo die Leute zu bestimmten Terminen all ihren Müll vor die Türe stellen.Natürlich ist unser Tauschhandel an der Strasse kein Gegenpol zur heutigen Wegwerfgesellschaft, es funktioniert ja auch nur bedingt, aber schön wäre es trotzdem. Aber eben: Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist unser Tauschhandel leider zu anarchisch und zu wenig kontrolliert, aber man stelle sich nur mal vor, die Leute würden wirklich nur Gegenstände hinstellen, welche noch brauchbar wären, dann wäre diese Sache tatsächlich eine gute. Vielleicht könnte man sogar an jeder Strasse Boxen aufstellen, wo man Gegenstände reinstellen und rausnehmen könnte; wobei ich glaube, dass sich dies bald zu einer ziemlich einseitigen Angelegenheit entwickeln würde und schlussendlich müsste dennoch die Stadt die übervollen Boxen wieder leeren. Vermutlich ist es doch besser, die brauchbaren Dinge einfach auf Flohmärkten oder Online-Plattformen zu verkaufen und den Rest in die Sperrmüllsammlung zu bringen. Dennoch gibt es gibt mir aber ein wohliges Gefühl, wenn ich daran denke, dass vielleicht gerade jetzt irgendwo ein Kind mit meinen alten Plüschtieren und Legosteinen spielt und diese nicht in einer Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt wurden.
Wann ist schwarz Entsorgen unfair?
Schwarz Entsorgen ist unfair. Ausser, es ist etwas Brauchbares, dann ist es ein bisschen weniger unfair. Zumindest an der Strasse, an der ich wohne.
«Schwarz Entsorgen ist unfair, illegal und strafbar.» stand auf dem Plakat der Stadt Zürich geschrieben. Man solle seinen Sperrmüll bitte nicht einfach draussen deponieren und wenn man irgendwo ein solches Mülldepot entdecke, solle man das bitte bei der entsprechenden Telefonnummer melden. Das klingt eigentlich ganz vernünftig, nur in meiner Strasse funktioniert das Ganze ein bisschen anders. Aber tatsächlich: Es funktioniert. Meistens jedenfalls.
Es gibt diese eine Folge in der Serie «How I met your mother», in der sie vom Bermuda-Dreieck vor ihrem Haus sprechen: Man stellt zum Beispiel sein altes Sofa an diesen Ort und kaum hat man ihm den Rücken zugedreht, ist es auch schon verschwunden. In üblicher Sitcom-Manier mag das für viele Zuschauer wahrscheinlich übertrieben klingen, aber ich hatte bei dieser Szene einen ziemlich heftigen «Genau-so-ist-es!»-Moment. In unserer Strasse in Wiedikon sammeln sich oft ganze Möbelburgen an, so dass man das Gefühl hat, jemand habe einfach seinen Hausrat auf die Strasse gekippt, aber so schnell wie der vermeintliche «Müll» gekommen ist, verschwindet er auch wieder. Es ist ein ständiger reger Tauschhandel im Gange: So gut wie jeder im Viertel stellt seine Möbel oder Bücher oder was auch immer an die Ecke und irgendjemand nimmt sie dann wieder mit. Manchmal vergehen Stunden bis dies passiert, manchmal sind die Gegenstände bereits schon wieder weg, wenn man sich gemütlich auf den Balkon setzen will, um mal zu beobachten, wer denn nun solche Dinge überhaupt gebrauchen kann. Das Ganze funktioniert natürlich nur, weil sich die meisten Leute nicht zu schade sind, gebrauchte Gegenstände von der Strasse mitzunehmen. Vom wirtschaftlichen Standpunkt her ist es sicher keine schlechte Sache, seine Güter nicht gleich definitiv zu vernichten, wenn sie vielleicht für jemand anderen noch von Nutzen sein können.
Bevor ich jetzt aber dieses vermeintliche «System» über den Klee lobe, muss ich es schon noch ein bisschen relativieren: Es geht meistens sehr anarchisch zu und her, fernab von jeglicher Kontrolle und leider hat nicht jedes Ding, welches man nicht mehr will, noch einen Nutzen für jemand anderen – oder zumindest nicht für jemanden in dieser Strasse – und so bleiben Gegenstände manchmal auch liegen. Und besonders wenn es geregnet hat, ist die Chance klein, dass die Güter irgendwann noch auf «natürliche Weise» wegkommen und so ist man später doch erleichtert, wenn die Stadt die Strasse in regelmässigen Abständen wieder säubert, ganz gemäss einer der bekanntesten Theorien der Kriminologie, der «Broken window»-Theorie, welche besagt, dass eine kaputte Fensterscheibe umgehend ausgewechselt werden müsse, ansonsten sähe es so aus, als würde sich niemand im Viertel darum kümmern und das Einschlagen von Fenstern habe keine Konsequenzen. Dies wiederum würde zu weiterem Vandalismus führen und das Viertel schlussendlich in die Verwahrlosung stürzen. Würde die Stadt den Müll also einfach auf der Strasse liegen lassen, hätten die Menschen im Viertel das Gefühl, der Staat würde sich nicht mehr um diese Strasse und um sie kümmern und das Vertrauen in die Obrigkeit würde sinken. Die «Broken window»-Theorie hat zwar einige Anhänger, aber auch ebenso viele Kritiker; zum Beispiel wird kritisiert, dass das Reparieren einer Fensterscheibe nur eine Symptombekämpfung sei und kaum gesellschaftliche Probleme lösen könne. Das mag vielleicht stimmen, aber ich glaube, so ziemlich jeder Mensch hat lieber eine saubere Strasse als eine voller Müll. Ich jedenfalls bin froh, dass die Stadt trotzdem noch ab und zu den Restmüll wegräumt, auch wenn er illegal dort liegt, merci vielmal! Wobei es mich tatsächlich interessieren würde, ob die Stadt in unserer Strasse insgesamt weniger Sperrmüll wegräumt infolge des Tauschhandels als in Strassen, wo die Leute zu bestimmten Terminen all ihren Müll vor die Türe stellen.
Natürlich ist unser Tauschhandel an der Strasse kein Gegenpol zur heutigen Wegwerfgesellschaft, es funktioniert ja auch nur bedingt, aber schön wäre es trotzdem. Aber eben: Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist unser Tauschhandel leider zu anarchisch und zu wenig kontrolliert, aber man stelle sich nur mal vor, die Leute würden wirklich nur Gegenstände hinstellen, welche noch brauchbar wären, dann wäre diese Sache tatsächlich eine gute. Vielleicht könnte man sogar an jeder Strasse Boxen aufstellen, wo man Gegenstände reinstellen und rausnehmen könnte; wobei ich glaube, dass sich dies bald zu einer ziemlich einseitigen Angelegenheit entwickeln würde und schlussendlich müsste dennoch die Stadt die übervollen Boxen wieder leeren. Vermutlich ist es doch besser, die brauchbaren Dinge einfach auf Flohmärkten oder Online-Plattformen zu verkaufen und den Rest in die Sperrmüllsammlung zu bringen. Dennoch gibt es gibt mir aber ein wohliges Gefühl, wenn ich daran denke, dass vielleicht gerade jetzt irgendwo ein Kind mit meinen alten Plüschtieren und Legosteinen spielt und diese nicht in einer Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt wurden.
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Ein Zürcher in... Schaffhausen
Meine letzte Schweizer Städtereise führte mich nach Schaffhausen, dort, wo Zürich noch als «pretty little suburb» bezeichnet wird (gemäss IWC Werbung) und der Lappi die Augen offen halten sollte.
Schaffhausen... Der Kanton, in welchem aufgrund der Stimmpflicht jeweils die höchste Stimmbeteiligung erzielt wird (bei einer Busse von drei Franken für das Nichtabstimmen), oder das Städtchen mit dem dümpelnden Fussballklub und mit «Schaffhausen Vordergasse» für Fr. 1200.-, dem günstigsten Feld im Monopoly. Im Lonely Planet wird Schaffhausen – von Zürich aus – als «easy day trip» beschrieben und als ein Städtchen im deutschen Stil – kein Wunder, bei dieser Nähe zur Grenze. Deswegen ist Schaffhausen sehr wahrscheinlich auch am 1. April 1944 von den Alliierten aus Versehen bombardiert worden und hat wohl deshalb bis heute die traurige Ehre, die einzige Schweizer Stadt zu sein, welche überhaupt je bombardiert wurde. Aus diesem Grund läuten in Schaffhausen immer am 1. April die Glocken, im Gedenken an dieses Ereignis. Aber genug der Geschichtsstunde, es gilt, von meinem Besuch in diesem schönen Städtchen zu berichten.
Mein erstes Ziel war natürlich der Munot , welcher unübersehbar auf einer Anhöhe über der Stadt thront. Es gibt sicherlich prunkvollere Bauten als diese Festung aus dem 16. Jahrhundert, aber gerade wegen ihrer Schlichtheit wirkt sie sehr schweizerisch: Praktisch und unauffällig. Sie wurde zur Verteidigung der Stadt erbaut (dies war aber nur einmal notwendig: 1799 gegen die Franzosen), und kommt ohne den ganzen unnötigen Schnick-Schnack aus, mit dem die Monarchen anderer Länder ihre Burgen immer geschmückt haben. Leider hatte auch das kleine Ladenlokal auf der Burg während der Woche geschlossen und so war es kaum verwunderlich, dass so gut wie keine Touristen auf dem Munot herumfotografierten. Dabei ist die Aussicht vom Munot wirklich den kleinen Aufstieg wert.
Schaffhausen wird nicht umsonst die «Erkerstadt» genannt, alleine in der Vorstadt befinden sich um die 170 Erker, von denen der Lonely Planet zu Recht die Erker am Haus Zum Goldenen Ochsen (Vorstadt 17) und Zum Grossen Käfig (Vorstadt 45) empfiehlt. Am Fronwagplatz steht der Mohrenbrunnen , welcher im Lonely Planet als «Moor Fountain» übersetzt wird, dies scheint mir nicht ganz richtig? Oder doch? (Vielleicht lesen hier ein paar kundigere Leute als ich mit, um Auskunft wird gebeten). Übrigens spazierte ich auf meinem Weg zum Fronwagenplatz an einem McDonalds vorbei und musste doch ein wenig lachen, als ich Zeuge einer etwas skurrilen Szene wurde: Ein Kind forderte seine Mutter einigermassen laut dazu auf, doch bitte die Zigarette wegzuwerfen, Rauchen sei nämlich ungesund und sie habe versprochen, nicht mehr zu rauchen, worauf die Mutter weiterrauchte und das Kind anschrie, es solle doch bitte ein wenig leiser sprechen und überhaupt ginge dies das Kind gar nichts an. Die Mutter entdeckte dann noch Bekannte, welche vor dem McDonalds am Essen waren, leider ein paar Tische weiter hinten, weshalb die Mutter ganz laut brüllen musste, um sich mit ihnen anständig unterhalten zu können – Es fühlte sich an wie ein Nachmittag auf RTL 2.
Nach einigem Umherspazieren durch die engen kleinen Gässchen der Altstadt, bin ich schliesslich auf dem empfohlenen Herrenacker gelandet, «one of Schaffhausen’s prettiest squares». Hier findet alljährlich, jeweils anfangs August, «Das Festival» statt, mit Künstlern wie Silbermond, Katie Melua oder Bligg. Als erster Act für nächstes Jahr sind schon mal Status Quo bestätigt. Das wird sicher seinen ganz eigenen Charme haben, wenn Stadionrock durch enge Altstadt-Gässchen hallt. Bleibt noch zu erwähnen, dass «Das Festival» mittlerweile nicht mehr diesen Namen trägt und entsprechend dem mehrheitlich internationalen Line-Up nun «Stars in Town» heisst ( www.starsintown.ch ). Auf dem Herrenacker war es übrigens auch ohne die grossen Stars ganz angenehm, auf einer Bank zwischen den Bäumen sitzend die Ruhe zu geniessen; hat auch etwas für sich.
Vielleicht tue ich Schaffhausen Unrecht, aber da sass ich nun nach gut zwei Stunden so auf diesem Bänkchen, blätterte durch den Reiseführer und musste mir eingestehen, dass ich eigentlich schon so gut wie alles gesehen hatte, was die paar Seiten im LP so hergeben und so erweiterte ich meine kleine Tour bis zum Rheinfall . Welcher Schweizer kennt ihn nicht, den grössten Wasserfall Europas (insbesondere wegen seiner Breite)? Schon als kleiner Junge durfte ich einmal mit der Fähre zum grossen Felsen in der Mitte des Rheinfalls fahren, um mich mit Wasser vollspritzen zu lassen, und darum genügte es mir diesmal vollkommen, den Wasserfall von weitem zu bewundern. Wie immer bei solchen Attraktionen ist das ganze Drumherum fast noch spannender als die Sache selbst: So posierte ein Brautpaar vor dem Schloss Laufen für allfällige Hochzeitsbilder, während eine Gruppe Asiaten ihnen dabei zuschaute und ebenfalls Fotos von dieser Szene schoss. Die Braut nahm es gelassen und schenkte der Gruppe sogar manchmal ein Lächeln. Ich zog es vor, mich wieder auf die andere Seite des Flusses zu begeben, wo es zwar nicht weniger touristisch zu und her ging, dafür hatte es ein bisschen mehr Platz. Und die Toilette hatte einen Dyson-Airblade-Händetrockner, was will man mehr.
In Kombination mit dem Rheinfall oder auch Stein am Rhein ist Schaffhausen sicherlich einen Tagesausflug wert, ich hatte jedenfalls meine Freude an diesem kleinen Städtchen. Wie so oft auf meinen Reisen zeigte sich die Schweiz auch hier beschaulich und ruhig, fernab jeglicher Zürcher Hektik. Mein Fazit: Dieser Ausflug inklusive Rheinfall war sicherlich kein Reinfall (hohoho!).
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Ein Zürcher in... Luzern
Die zweitletzte Schweizer Städtereise führte mich nach Luzern, schweizerischer geht’s nicht mehr. Touristischer aber manchmal auch nicht.
«Lucerne is stunning, and deservedly popular since the likes of Goethe, Queen Victoria and Wagner savoured her views in the 19th century.» – Öfters mal übertreibt der Lonely Planet Reiseführer, aber in diesem Falle stimme ich mit ihm überein: Bei schönem Wetter ist Luzern wirklich wunderbar idyllisch. Man tritt aus dem Bahnhof und steht gleich am Ufer des See und neben dem Kultur- und Kongresszentrum (kurz KKL; Europaplatz) . Touristen wieseln herum und schiessen Fotos in allen erdenklichen Posen und trotzdem wirkt der Blick auf den See und die Berge äusserst beruhigend auf das hektische Zürcher Gemüt. Dann dreht man sich um, sieht die Kapellbrücke und weiss: Hier ist die Schweiz zuhause. Das Motiv der Kapellbrücke scheint älter als die erste Fotokamera und trotzdem muss auch ich unbedingt ein Foto machen, als echter Tourist hat man seine Pflichten.
Das Überqueren der Reuss über die Kapellbrücke ist ein ständiges Ausweichen vor überenergischen Touristen und oftmals der Versuch, niemandem ins Bild zu laufen, was schwerlich immer klappt. Aber die Gemälde, welche im Giebel des Brückendachs hängen, sind diese kleinere Tortur durchaus wert. Das nächste Ziel war die Spreuerbrücke , welche ihren Namen vom mittelalterlichen Gesetz her trägt, dass nämlich nur dort die Spreu in die Reuss geworfen werden dürfe. Hier trennte sich also quasi die Spreu vom Weizen (haha!). Zwischen den beiden Brücken fand ein Markt statt und ich fand auch den wunderbar finsteren Bogen , welcher wirklich sehr sehr finster ist und ein wenig riecht. Auf einer Tafel steht geschrieben, dass hier ein kleiner Junge die österreichischen Verschwörer der «Luzerner Mordnacht» belauscht habe und «[z]um Schweigen gezwungen, habe er sein Geheimnis in der Trinkstube zu Metzgern dem Ofen verraten». Ich für meinen Teil fand in der dortigen Toilette nur einen Italiener vor, welcher sich gerade in ein enges Goldkostüm zwängte, um wahrscheinlich danach als unbewegliche Goldstatue aufzutreten. Zum Schweigen gezwungen, habe ich danach aber keinem Kind auf dem Markt erzählt, dass diese Statue gar nicht echt ist.
Weiter ging die Reise zum Bourbaki-Panorama (Löwenplatz 11) und zum Gletschergarten (Denkmalstrasse 4) , welche gleich beieinander liegen und mit einem Kombi-Ticket nur 21 Franken Eintritt kosten. Für mich war dies leider ein bisschen zuviel, war ich doch früher schon einmal im Bourbaki-Panorama. Nun, es ist sehenswert, eindeutig, aber nicht zweimal. Das Löwendenkmal ist dafür gratis und umso imposanter: Der 10-Meter lange sterbende Löwe ist ein Meisterwerk der Bildhauerei und ist ein Denkmal für die gefallenen Schweizer Soldaten, welche Louis XVI in der Zeit der französischen Revolution bis zum Tode verteidigten. In einem Land, welches solch einen Wert auf seine demokratische Geschichte und die Wehrhaftigkeit gegen die Monarchie legt, scheint aber ein solches Denkmal doch ein wenig zweifelhaft. Mark Twain soll dieses Denkmal «the saddest and most moving piece of rock in the world» genannt haben und dem kann ich mich nur anschliessen. Ein weiterer Höhepunkt ist das Becken vor dem Denkmal, dessen Boden mit Münzen übersät ist. Ob man nun wie beim Trevi-Brunnen in Rom die Münze mit der linken Hand über die rechte Schulter werfen muss, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, aber das Glitzern der Münzen sah auch so bezaubernd aus.
Um das Verkehrshaus (Lidostrasse 5) machte ich an diesem Tag einen Bogen, wäre dies doch alleine schon einen Tagesausflug wert. Dafür besuchte ich das Strandbad Lido (Lidostrasse 6a) , «perfect for a splash or sunbathe» gemäss dem Reiseführer. Hier begegnete ich dann für einmal mehr Luzernern als Touristen, eine angenehme Abwechslung. Den Abschluss machte ein Besuch auf der Terrasse des Art Deco Hotel Montana , in welchem ich mir zwar keine 1’365-Franken-Suite leistete, dafür aber einen Drink und vor allem die dazugehörige Aussicht über Luzern und den Vierwaldstättersee. Dieser Abstecher ist wirklich zu empfehlen; es fährt sogar eine Zahnradbahn hinauf.
Luzern ist sehr sauber, malerisch, traditionell und herzig und doch modern und touristisch – manchmal fast ein bisschen zu touristisch. Da lobe ich mir mein Zürich, wo nur ab und zu ein grosser Reisecar vor – zum Beispiel – dem Fraumünster anhält und Hunderte fotografierender Asiaten ausspuckt und nach zehn Minuten mit ihnen wieder weiterfährt.
Aber seien wir ehrlich: Wer beinahe nur Orte besucht, welche in einem Reiseführer stehen, der muss sich nicht wundern, wenn er auf andere Touristen trifft. Und überhaupt bin ich froh, wenn die Touristen – nach ihrem Luzerntrip in ihre Heimat zurückgekehrt – einen Fotoabend mit Bildern der Kapellbrücke machen und erzählen, so sähe die Schweiz aus: Ich wünschte mir nämlich manchmal auch, die Schweiz sähe überall so malerisch aus.
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Die Krux des städtischen Seins
Als waschechter Stadtzürcher habe ich mich eigentlich der Städtigkeit verschrieben, jedoch fällt mein Verhalten bei gewissen Begebenheiten manchmal aus diesem Rahmen. Eine kleine Auflistung.
Der Städter gibt sich ja gern städtisch. Zürich ist zwar international betrachtet keine wirklich grosse Stadt, aber national betrachtet immer noch die grösste und das reicht doch meistens aus, um sich ein wenig städtisch zu geben. Hiermit möchte ich aber ein Geständnis ablegen bezüglich einiger Dinge, die eher unstädtisch wirken oder die gar das Städtische ein wenig in Frage stellen. Vielleicht bin ich aber einfach zu wenig hip oder was weiss ich, das könnte natürlich auch sein. Gehen wir über zu meiner kleinen Aufzählung:
– Starbucks-Besuche sind für mich häufig eine kleinere Tortur, aber nicht, weil so ziemlich das Meiste in diesen Läden überteuert ist oder weil man in der Zürcher Innenstadt keine 200 Meter gehen kann, ohne auf eine Filiale zu treffen, sondern wegen der Auswahl: Bei jedem Besuch schaue ich mir lange und konzentriert die Getränkeliste an, nur um dann doch einen grossen Cappuccino zu bestellen. Mir wurde auch schon ein Chai Latte Grüntee mit Sojamilch empfohlen, aber der schmeckt leider auch so wie der Name klingt: Eigen. Sehr eigen. Eher nichts für mich. Vielleicht bin ich einfach zu wenig offen für Neues. Oder mir wurde noch nicht das Richtige empfohlen. Oder ich sollte mich einfach mal durch das ganze Sortiment trinken und am Ende Privatinsolvenz anmelden.
– Es gibt Dinge, welche ich als Stadtzürcher aus Prinzip nicht tue. Dazu gehört unter anderem, dass ich nie einen Franken für die Bezahl-Toiletten am Hauptbahnhof aufwerfen werde. Oder besser: Aufwerfen wollte, denn letzte Woche habe ich dieses Prinzip leider kurzfristig über den Haufen geworfen und wurde bitter enttäuscht: Die Toilette war erstaunlich unsauber und das Personal ausserordentlich unfreundlich. Beim nächsten Mal bleibe ich wohl lieber wieder bei meinen Prinzipien und lasse mir im Burger King den Toiletten-Code geben; die Leistung wird wohl in etwa dieselbe sein.
– Ich habe immer noch lieber ein richtiges Flugticket in der Hand, hebe Geld vom Bankomaten ab, kaufe meine Zugtickets am Ticketautomaten, meine Konzerttickets in einer Ticketeria und mein Lieblingsmagazin am Kiosk, trotz meiner Städtigkeit und der damit eigentlich einhergehenden Verpflichtung, sich immer den Marotten der Moderne hinzugeben. Dennoch gebe ich zu: Wenn dann vor mir alle SBB-Automaten mit Bagpackern besetzt sind, welche nicht ein Wort deutsch oder englisch können, dann wünsche ich mir manchmal, dass ich mir das Ticket online besorgt hätte.
– Immer wenn ich in einem Quartier in Zürich bin, welches ich nicht wie meine Westentasche kenne, kommen Leute auf mich zu und fragen mich nach dem Weg. Ich gebe zu, dass ich in solchen Fällen auch schon so getan habe, als wäre ich ebenfalls ein Tourist, nur um mir die Schmach zu ersparen, als Hobby-Zürcher abgestempelt zu werden. Aber fragt mich doch mal in meinem Quartier, liebe Touristen, dann gebe ich euch gerne Auskunft!
– Letzten Monat war ich das erste Mal auf dem Karlsturm des Grossmünsters. Der Spass kostet zwar vier Franken (für Studenten nur zwei), aber das ist es eindeutig wert und ich bereue es, dass ich nicht schon früher einmal hinauf gestiegen bin. Als nächstes werde ich mich wahrscheinlich einer Führung durch die Altstadt anschliessen oder mich auf eine Limmat-Schiffsfahrt begeben: Zürich ist es allemal wert, neu entdeckt zu werden.
Nun, nach diesen Geständnissen fühle ich mich um einiges erleichtert; ein echt städtischer Stadtmensch zu sein ist halt doch nicht immer so einfach und erfordert häufig ein so weltmännisches Auftreten, dass solche Ausrutscher eigentlich keinen Platz in der eigenen Vita haben dürfen. Vielleicht fällt dem geneigten Leser ja auch noch eine Begebenheit ein, in welcher er sich weit weniger stadtzürcherisch gegeben hat als er es gerne gewesen wäre: Teilen hilft!
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Ein Zürcher in... Fribourg
Fribourg ist keine Weltstadt, aber durchaus eine Tagesreise wert. Besonders wenn man in den Semesterferien einen Tag voller Ruhe und Erholung gebrauchen kann. Ein Besuch im schönen «Free Town».
Wie ich aus meiner vorletzten Reise nach Genf (http://www.ronorp.net/zuerich/stadtleben/stadtleben.20/leben-in-der-stadt.659/stadtgeschichten-zuerich.643/das-warten-hat-ein-ende.405539) schon gelernt habe, gibt es für den SBB-Ticketautomaten kein «Genf», sondern nur ein «Genève». Nach dieser einschneidenden Erfahrung bin dieses Mal gleich dazu übergegangen «Fribourg» als Zielort anzugeben, nun erschienen aber zwei Angaben: Einmal «Fribourg/Freiburg» und einmal «Freiburg», welches aber tatsächlich nochmals dasselbe war, nicht etwas das im Breisgau. Willkommen in «Fribourg/Freiburg», wo die Schweiz wirklich noch bilingue ist und gemäss «Fribourge tourisme» 70 Prozent der Einwohner französisch sprechen und 30 Prozent deutsch. Und tatsächlich: Es ist nicht immer einfach, herauszufinden, ob man jetzt ins Deutsche wechseln darf oder nicht. So standen wir zum Beispiel einige Minuten vor dem Kiosk und rätselten darüber, was denn nun Briefmarke auf französisch genau heisst (le timbre), wurden aber dann von der Verkäuferin auf deutsch angesprochen. Der Lonely Planet meint hierzu: «Nowhere is Switzerland‘s language divide felt more keenly than in Fribourg (Freiburg)». Der Lonely Planet meint aber auch «Fribourg» heisse auf englisch übersetzt «Free Town», diese Meinung teile ich hingegen nicht wirklich, wobei auch ich kein Sprachprofessor bin.
Auf unserer Erkundungstour durch die Strassen von Fribourg stellten wir zuerst fest, dass an diesem sonnigen Samstag Nachmittag kaum Betrieb herrschte, nun gut, es waren ja auch Semesterferien und dies hat wohl einen ziemlich starken Einfluss auf so ein kleines Städtchen, in welchem auf knapp 40‘000 Einwohner 10‘000 Studenten kommen. Als herrlichen Kontrast zur fast schon schläfrigen Ruhe der Innenstadt entdeckten wir einen lustigen kleinen Laden namens Asphalt Kreatorz (Route-Neuve 7) , welcher neben selbstgemachten Shirts und allerlei Graffitizubehör, alte Gameboy- und Playstation-Spiele verkauft und damit wahrscheinlich urbaner ist als die meisten Läden in Zürich es je sein werden. Sogar einen eigenen Blog führt der Laden: asphaltkreatorz.blogspot.ch. Schweizer Kleinstädte sind doch immer wieder für eine Überraschung gut.
Danach galt unser erster Abstecher – dem Lonely Planet folgend – dem Turm der Cathédrale de St Nicolas de Myre (Rues de Chanoises 3) , einer gotischen Kathedrale aus dem 13. Jahrhundert. Der Turm ist mit seinen 74 Metern Höhe ziemlich imposant und bietet eine wunderschöne Aussicht über Fribourg und Umgebung. Er bietet aber auch einen Aufstieg über eine Wendeltreppe mit 368 Stufen, gemäss Lonely Planet. Ein Mädchen, welches uns anfangs entgegenkam, zählte hingegen über 420 Treppenstufen, wobei das Zählen vielleicht durch die ständigen Drehungen ein wenig ungenau wurde. Es sind jedenfalls ziemlich viele Stufen, das kann ich bezeugen – jedoch auch, dass es sich durchaus lohnt!
Alsdann wurde zu Mittag gegessen im Café des Arcades (Rue des Ormeaux 1) , welches seit 1861 «alive and kicking» ist und äusserst gelungene Omelettes und Salate zu fairen Preisen serviert: Die Empfehlung des Lonely Planet kann nur weitergegeben werden. Nach dem Essen weilten wir wenige Minuten in der Franziskanerkirche Église des Cordeliers (Rue de Morat 4) , leider zur falschen Zeit, hätten wir uns doch sonst die Beichte abnehmen lassen können auf deutsch, französisch und sogar polnisch. So ging es ohne Beichte weiter zum Espace Jean Tinguely – Niki de Saint Phalle (Rue de Morat 2) , welches zu dieser Tageszeit zwar kaum besucht war, jedoch gemäss Lonely Planet als «top choice» gilt. Und wahrlich: Neben den faszinierenden Gebilden des Paares und weiterer befreundeter Künstler, erwacht das Kind in einem spätestens dann, wenn man versucht möglichst schnell auf alle roten Knöpfe hintereinander zu drücken, welche die grossen Gebilde in Bewegung versetzen und einen herrlichen Lärm verursachen. Hauptsache die Werke stehen niemals gänzlich still, denn Kunst ist Bewegung oder so ähnlich. Diesem Leitspruch wird hingegen im Musée d‘Art et d‘Histoire (Rue de Morat 12) , welches nebenan liegt, wenig Rechnung getragen und so wird es wohl nur begeisterte Fans der «excellent collection of late-Gothic sculpture and painting» in Extase versetzen, wir begnügten uns jedenfalls schnell einmal damit, im wunderschönen kleinen Park vor dem Museum eine Pause einzulegen.
Als letztes stand ein Rundgang durch die Altstadt Fribourgs auf dem Plan, bei welchem wir die brasserie du belvédère (Grand-Rue 36) entdeckten, welches meines Erachtens im Lonely Planet zu Unrecht nicht unter den Tipps genannt wird, denn sie mag gegen aussen vielleicht einen nicht so schmucken Eindruck machen, aber innen erinnert sie stark an das Cabaret Voltaire und die Aussicht, welche man von der Terrasse aus geniesst, scheint auch einmalig zu sein. Nach einem Besuch auf dem hiesigen Flohmarkt und einer Fahrt mit dem Furnicular (Zahnradbahn) (place du Pertuis) , welche «bags of great Old Town views» beinhaltet hat, wollten wir zum Abendessen im Le Mondial (Rue de l‘Hopital 39) den vom Lonely Planet gerühmten Burger des Hauses zu uns nehmen, jedoch hatte es geschlossen. Das macht ja auch Sinn, denn das Café liegt vis-à-vis der Universität Fribourg und wenn diese geschlossen hat, warum nicht gleich auch selbst schliessen? So blieb als schnelle Lösung nur der Asiate an der Ecke übrig, auch keine schlechte Wahl.
Trotz der geringen Grösse Fribourgs ist das Städtchen durchaus einen Tagesausflug wert, sei es, um den Turm der Kathedrale zu erklimmen, das Tinguely-Museum zu besuchen oder durch die Altstadt zu flanieren: Der Puls der Universitätsstadt scheint in den Semesterferien zwar ein wenig gar langsam zu schlagen, jedoch kann der gemeine Stadtzürcher dies durchaus einmal als wohltuende Pause von der ganzen ultraurbanen Hektik der «Grossstadt» ansehen. Fribourg: Hier, wo die Autos einem noch zu jeder Zeit Vortritt geben und die Kellnerin einem noch auch französisch bestellen lässt, um dann im breitesten berndeutsch zu antworten.
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Das Warten hat ein Ende
Braucht es bei Sicherheitskontrollen am Flughafen eine Überholspur? Oder bei Skiliften? Sollte man sich immer überall Zeit erkaufen können oder ist es manchmal gut, wie jeder andere auch einfach zu warten? Meiner Meinung nach schon.
Letzte Woche habe ich im Tagesanzeiger gelesen, dass es nun am Genfer Flughafen auch «Priority Lanes» geben soll ( http://www.tagesanzeiger.ch/leben/reisen/Fuer-acht-Franken-an-der-Warteschlange-vorbei/story/29990501 ), welche es den Fluggästen gegen einen Aufpreis ermöglichen soll, schneller durch die Sicherheitskontrolle zu gelangen. An und für sich scheint dieses Angebot nicht besonders bedenklich zu sein, denn gerade in Sachen Fliegen ist man sich eine Zwei-/Drei-/Vierklassengesellschaft gewohnt mit First Class und Business Class oder Angeboten wie grösserem Sitzplatzabstand oder Vorrang beim Boarding. Bei uns sind diese Angebote zwar noch nicht überall angekommen, aber besonders in den ultraliberalen angelsächsischen Ländern sind sie gang und gäbe.
Es gibt jedoch auch Kehrseiten bei solchen Angeboten: Michael J. Sandel, welcher in Harvard politische und Moralphilosophie lehrt, hat zu diesem und ähnlichen Themen letztes Jahr das Buch «Was man für Geld nicht kaufen kann» veröffentlicht. In denen prangert er anhand vieler bildhafter Beispiele an, dass die Regeln des Marktes immer mehr auch in Lebensbereiche eingreifen, in welchen sie eigentlich keine oder nur eine geringe Rolle spielen sollten. In einem Interview mit der «Wiener Zeitung» meinte er hierzu: «Je wichtiger Geld ist, ein desto größeres Problem ist es, wenig davon zu haben. Je mehr man für Geld kaufen kann, desto mehr macht sich soziale Ungleichheit bemerkbar»( http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/538050_Dieses-Interview-Unbezahlbar.html ). «Priority Lanes» bei Sicherheitskontrollen scheinen also ein rein moralisches Problem zu sein, wenn überhaupt, jedoch weist Sandel in diesem Falle auf Kritiker hin, welche es als unverantwortlich empfinden, diese «Lanes» auch bei Sicherheitskontrollen einzuführen, denn diese Kontrollen seien zwar mit Unannehmlichkeiten verbunden (für alle), jedoch dienten sie der nationalen Sicherheit und seien somit unumgänglich und könnten deshalb auch nicht im Eiltempo durchgeführt werden.
Ein anderes Beispiel, das Sandel nennt und so gut wie jedem Schweizer mehr als bekannt vorkommen wird, sind die ewigen Warteschlangen bei Skiliften. Man erinnere sich an dieser Stelle an den Kultklassiker «Am Skilift» vom Cabaret Rotstift, ruckzuck zackzack ( http://www.youtube.com/watch?v=8rrFaGNLc5Y )! Neben diesem legendären Ausspruch redete der Deutsche aber auch stets von Organisation und dessen Fehlen an den Schweizer Skiliften. Während es sich bei uns tatsächlich noch nicht wirklich durchgesetzt hat, herrscht mittlerweile in anderen Ländern bei den Skiliften auch eine Zweiklassen-Gesellschaft: Mit einem zünftigen Zuschlag ist es möglich, sich einen Sonderpass zu kaufen, welcher einem erlaubt, die Warteschlangen elegant zum umgehen (bzw. -fahren). Sandel spricht hier von den «Ethik der Warteschlange», welche verloren gehe, denn wo früher Menschen aller Klassen und Schichten gleichermassen anstehen mussten – nach einem äusserst egalitären Prinzip –, spaltet sich die Gesellschaft nun bei diesen neuartig organisierten Skiliften nach dem Prinzip «Geld ist Zeit». Der Deutsche aus dem Stück des Cabaret Rotstifts hätte sicher seine Freude an dieser Organisation gehabt.
Die Regeln des Marktes übernehmen aber auch das Zepter bei eigentlich gut gemeinten Massnahmen: So gibt es auf einigen Freeways in den USA seit Jahren eine Überholspur für Fahrgemeinschaften, die Spur ist also nur für Autos mit mehr als einem Insassen erlaubt. Was eigentlich nach einer klugen Massnahme klingt, um die Menschen dazu zu bringen, beim Autofahren ökologischer zu denken, entpuppte sich als ein Schuss nach hinten hinaus: Sandel schreibt, dass es mittlerweile auf vielen Freeways auch möglich ist, gegen eine Gebühr straffrei auf die Überholspur zu wechseln (ohne Mitfahrer); viel interessanter sind aber die Tricks, welche sich die Autofahrer ausdachten, welche teilweise Obdachlose dafür bezahlten, mit ihnen auf der Überholspur an den einen Ort zu fahren, wo jene dann auf die andere Strassenseite wechselten und dort dasselbe Angebot in die andere Richtung wieder angeboten bekamen.
Sandel beschreibt in seinem Buch noch Dutzende weitere Beispiele für Bereiche, bei denen die Regeln des Marktes diejenigen der Ethik und Moral verdrängt haben, meistens auch zu Lasten der sozialen Gerechtigkeit. Nun hat die Diskussion um die genaue Definition von Begriffen wie Ethik, Moral oder sozialer Gerechtigkeit schon einen ziemlich langen Bart und ich will mir nicht anmassen, an dieser Stelle eine abschliessende Antwort zu geben, wenn es schon Sandel auf fast 300 Seiten nicht schafft. Aber es ist vielleicht ein kleiner Denkanstoss, und jeder kann für sich selbst entscheiden, ob er für die totale Liberalisierung des Lebens ist oder ob es doch Bereiche des Lebens geben sollte, in denen die Regeln des Marktes nichts zu suchen haben. Der Flughafen Zürich verzichtet jedenfalls bis auf weiteres auf eine «priority lane», die Wartezeiten seien auch so sehr moderat.
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