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Maximum Cinema Filmtipp: «Suzume» von Makoto Shinkai

Maximum Cinema Filmtipp: «Suzume» von Makoto Shinkai

«Suzume», der neue Film von «Your Name»-Regisseur Makoto Shinkai, ist eine atemberaubend animierte, thematisch anregende Mischung aus mystischem Abenteuerfilm und berührendem Coming-of-Age-Roadmovie.Ein Text von Alan Mattli, ursprünglich erschienen auf Maximum CinemaWenn farbenprächtige Wolken über einen lichtdurchfluteten Himmel ziehen, mitten im Nirgendwo einsame Türen stehen und Naturkatastrophen drohen, dann besteht kein Zweifel: Makoto Shinkai hat einen neuen Film gemacht. Und das lässt Freund*innen der japanischen Animation aufhorchen: Denn spätestens seit «Your Name» (2016), einer tragikomischen Körpertausch-Romanze voller übernatürlicher Twists und einer atemberaubenden Ästhetik, dürfte Shinkai der international beliebteste Anime-Regisseur diesseits von Hayao Miyazaki («Kiki’s Delivery Service», «Princess Mononoke») und dem von ihm mitbegründeten Studio Ghibli sein.Dass «Your Name», der weltweit zig Box-Office-Rekorde brach und letztendlich fast 400 Millionen Dollar einspielte, hierzulande nicht in die Kinos kam, überraschte kaum: Immerhin galt Anime, das nicht im RTL-2-Nachmittagsprogramm lief, bis vor rund 15 Jahren gerade im deutschsprachigen Raum noch als hoffnungsloses Nischenprodukt – ein Eindruck, dem wohl nicht zuletzt die inzwischen einfacher erhältlichen Werke aus dem Ghibli- und Miyazaki-Katalog Abhilfe schufen. «Weathering with You» (2019), Shinkais nächstem Film, widerfuhr, wohl pandemiebedingt, dasselbe Schicksal wie «Your Name».«Der sechste Langfilm des 50-jährigen Animators und Manga-Künstlers Makoto Shinkai enthält alles, was ihn in den letzten Jahren zu einem Publikumsliebling avancieren liess – von der expressiven Farbpalette und der Teenager-Perspektive bis hin zum mit kreativen Fantasyelementen angereicherten Katastrophenfilmplot.»Also liegt es nun an «Suzume», Shinkais Schweizer Kinorelease-Einstand zu markieren – und das ist, mit Ausnahme der Verspätung, alles andere als bedauernswert. Denn der sechste Langfilm des 50-jährigen Animators und Manga-Künstlers enthält nicht nur alles, was ihn in den letzten Jahren zu einem Publikumsliebling avancieren liess – von der expressiven Farbpalette und der Teenager-Perspektive bis hin zum mit kreativen Fantasyelementen angereicherten Katastrophenfilmplot –, sondern erweist sich auch als erzählerisch zugänglicher als «Your Name» und «Weathering with You».Im Zentrum des Films steht, sinnigerweise, die 17-jährige Suzume (gesprochen von Nanoka Hara), die zusammen mit ihrer Tante Tamaki (Eri Fukatsu) in der Hafenstadt Miyazaki auf der Insel Kyushu im Süden Japans lebt. Als ihr eines Tages der mysteriöse junge Mann Sōta (Hokuto Matsumura) über den Weg läuft, ändert sich ihr beschaulicher Alltag schlagartig: Es stellt sich nämlich heraus, dass Sōta ein sogenannter «Schliesser» ist – ein Anhänger der Shintō-Religion, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch Japan zu reisen und offene Türen zu schliessen. Täte er das nicht, könnte aus der mystischen Welt hinter den Türen ein gigantischer «Wurm» entkommen und potenziell verheerende Erdbeben auslösen. Und genau das passiert in Miyazaki: Suzume öffnet in einer verlassenen Feriensiedlung eine Tür, der wolkenartige Wurm, den offenbar nur sie und Sōta sehen können, durchquert sie, kracht ins Hafenbecken und die Erde bebt – zum Glück nur mittelschwer.Doch nachdem es dem ungleichen Paar gelungen ist, das Tor zwischen den Welten zu schliessen, wird klar, dass das Ganze noch lange nicht ausgestanden ist: Der «Schlussstein», mit dem der Wurm endgültig gebannt werden könnte, hat sich in die sprechende Katze Daijin (Ann Yamane) verwandelt, die ihr steinernes Dasein satthat, Sōtas Seele in einen Kinderstuhl zaubert und sich in Richtung Nachbarinsel davonmacht. Also nehmen Suzume und ihr verwunschener Stuhl die Verfolgung auf: Zusammen reisen sie quer durchs Land, von offener Tür zu offener Tür, und machen dabei jede Menge Bekanntschaften.  Das mag reichlich kompliziert klingen, doch im Vergleich zu «Your Name» und vor allem dem überfrachteten «Weathering with You» gelingt es Shinkai in «Suzume» hervorragend, seine Vorliebe für die technischen Gesetzmässigkeiten von Fantasy-Konstrukten stimmig in den Hintergrund rücken zu lassen und auf die emotionale Zugkraft seiner menschlichen Geschichte zu setzen. Selbst in jenen Momenten, in denen der Film sein Publikum mit allzu vielen neuen Türversiegelungs-Regeln auf einmal bewirft, bleiben die übergeordneten Konflikte problemlos überschaubar: Die Türen müssen geschlossen werden, Sōta muss zurückverwandelt werden, Suzume ist zum ersten Mal in ihrem Leben praktisch auf sich allein gestellt.Obwohl «Your Name» insgesamt wohl der bessere Film ist – nicht zuletzt dank der sorgfältiger ausgearbeiteten (Liebes-)Beziehung, um die sich alles dreht –, zeichnet sich «Suzume» durch seine selbst für Shinkais Verhältnisse raffinierte Genremischung aus. Die Aussicht, dass Japan einmal mehr von geradezu apokalyptischen Erdbeben heimgesucht werden könnte, ist der erzählerische Motor, der Suzume und Sōta in Bewegung hält; doch die besten Momente spielen sich zwischen den spektakulär inszenierten Türschliessungen ab: Ausgehend von ihrem unverhofften Roadtrip durch das moderne Japan, durchläuft die Protagonistin hier eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte, in deren Verlauf sie sich mit ihrer behüteten Jugend und ihren zwiespältigen Gefühlen gegenüber ihrer Tante auseinandersetzen muss.Mehr Film- und Serientipps gibt es auf MaximumCinema.ch«Die besten Momente spielen sich zwischen den spektakulär inszenierten Türschliessungen ab: Ausgehend von ihrem unverhofften Roadtrip durch das moderne Japan, durchläuft die Protagonistin hier eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte.»Diese zwischenmenschlichen Reibungen sind aber weitaus mehr als eine blosse Alibi-Übung, die dem mythologischen Abenteuer von Suzume und Sōta eine emotionale Erdung verleiht. Vielmehr dienen sie Shinkai unter anderem dazu, den shintoistischen Geisterglauben, der dem Film zugrunde liegt, fassbar zu machen: Wenn sich Tamaki und Suzume endlich ihre jahrelang zurückgehaltene Frustration an den Kopf werfen und sich dabei gegenseitig übelst beleidigen, ist das sowohl ein dramatischer Höhepunkt als auch ein Zeichen, dass sie beide von verschiedenen Kami – Naturgeistern und verstorbenen Seelen – «besessen» sind.Überhaupt versucht sich Shinkai hier an einem eindrücklich ambitionierten Porträt seines Heimatlandes, das er mit detailreich gestalteten, atmosphärisch beleuchteten und herrlich kolorierten Bildern liebevoll in Szene setzt. Innerhalb dieses maximal ästhetischen Japans stellt «Suzume» nämlich explizite – und überraschend luzide – Verbindungen zwischen handfesten historischen, sozialen und religiösen Themen her: zwischen den grossen Erdbeben von Kantō 1923 und Tōhoku 2011, zwischen dem langen Schatten dieser Katastrophen und dem Shintō-Glauben an die Beseeltheit der Natur, zwischen der physischen Beschaffenheit des Landes und den Zyklen ökonomischer Booms und Krisen, die Japan in den letzten 80 Jahren durchlebte. Immer wieder führt Sōtas Schliesser-Mission ihn und Suzume in verlassene Bauten, die an vergangene Naturkatastrophen und den wirtschaftlichen Optimismus anderer Generationen erinnern: ein geschlossener Badehaus-Komplex in den Bergen, eine von einem Erdrutsch verschüttete Schule, ein stillgelegter Vergnügungspark ausserhalb der Millionenstadt Kōbe, die überbauten Ruinen des alten Tokio. «Mit dieser anregenden Melange aus magischem Abenteuer, jugendlicher Selbstfindung, leiser Gesellschaftskritik und Anleihen aus der japanischen Shintō-Tradition fordert Shinkai den Vergleich mit dem grossen Studio Ghibli regelrecht heraus – und es ist alles andere als zu seinem Schaden.»Mit dieser anregenden Melange aus magischem Abenteuer, jugendlicher Selbstfindung, leiser Gesellschaftskritik und Anleihen aus der japanischen Shintō-Tradition fordert Shinkai den Vergleich mit dem grossen Studio Ghibli und Filmen wie «Nausicaä of the Valley of the Wind» (1984), «Pom Poko» (1994), «Whisper of the Heart» (1995) und «Spirited Away» (2001) regelrecht heraus – und es ist alles andere als zu seinem Schaden. Man darf sich zwar fragen, wie viele Filme seine Faszination für Naturkatastrophen noch hergibt, bevor sich das Format in der Repetition verliert, doch das ist für den Moment noch Zukunftsmusik: Denn in «Suzume» zementiert Shinkai nicht nur seinen Ruf als herausragender Animator, sondern erweist sich einmal mehr als ein Meister des modernen Märchens.–––Kinostart Deutschschweiz: 13.4.2023Filmfakten: «Suzume» («すずめの戸締まり», «Suzume no Tojimari») / Regie: Makoto Shinkai / Mit: Nanoka Hara, Hokuto Matsumura, Eri Fukatsu, Ryūnosuke Kamiki, Sairi Itō, Ann Yamane, Kotone Hanase, Matsumoto Hakuō II / Japan / 122 MinutenBild- und Trailerquelle: Sony Pictures Releasing Switzerland

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