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Maximum Cinema Filmtipp: «Suzume» von Makoto Shinkai
«Suzume», der neue Film von «Your Name»-Regisseur Makoto Shinkai, ist eine atemberaubend animierte, thematisch anregende Mischung aus mystischem Abenteuerfilm und berührendem Coming-of-Age-Roadmovie.Ein Text von Alan Mattli, ursprünglich erschienen auf Maximum CinemaWenn farbenprächtige Wolken über einen lichtdurchfluteten Himmel ziehen, mitten im Nirgendwo einsame Türen stehen und Naturkatastrophen drohen, dann besteht kein Zweifel: Makoto Shinkai hat einen neuen Film gemacht. Und das lässt Freund*innen der japanischen Animation aufhorchen: Denn spätestens seit «Your Name» (2016), einer tragikomischen Körpertausch-Romanze voller übernatürlicher Twists und einer atemberaubenden Ästhetik, dürfte Shinkai der international beliebteste Anime-Regisseur diesseits von Hayao Miyazaki («Kiki’s Delivery Service», «Princess Mononoke») und dem von ihm mitbegründeten Studio Ghibli sein.Dass «Your Name», der weltweit zig Box-Office-Rekorde brach und letztendlich fast 400 Millionen Dollar einspielte, hierzulande nicht in die Kinos kam, überraschte kaum: Immerhin galt Anime, das nicht im RTL-2-Nachmittagsprogramm lief, bis vor rund 15 Jahren gerade im deutschsprachigen Raum noch als hoffnungsloses Nischenprodukt – ein Eindruck, dem wohl nicht zuletzt die inzwischen einfacher erhältlichen Werke aus dem Ghibli- und Miyazaki-Katalog Abhilfe schufen. «Weathering with You» (2019), Shinkais nächstem Film, widerfuhr, wohl pandemiebedingt, dasselbe Schicksal wie «Your Name».«Der sechste Langfilm des 50-jährigen Animators und Manga-Künstlers Makoto Shinkai enthält alles, was ihn in den letzten Jahren zu einem Publikumsliebling avancieren liess – von der expressiven Farbpalette und der Teenager-Perspektive bis hin zum mit kreativen Fantasyelementen angereicherten Katastrophenfilmplot.»Also liegt es nun an «Suzume», Shinkais Schweizer Kinorelease-Einstand zu markieren – und das ist, mit Ausnahme der Verspätung, alles andere als bedauernswert. Denn der sechste Langfilm des 50-jährigen Animators und Manga-Künstlers enthält nicht nur alles, was ihn in den letzten Jahren zu einem Publikumsliebling avancieren liess – von der expressiven Farbpalette und der Teenager-Perspektive bis hin zum mit kreativen Fantasyelementen angereicherten Katastrophenfilmplot –, sondern erweist sich auch als erzählerisch zugänglicher als «Your Name» und «Weathering with You».Im Zentrum des Films steht, sinnigerweise, die 17-jährige Suzume (gesprochen von Nanoka Hara), die zusammen mit ihrer Tante Tamaki (Eri Fukatsu) in der Hafenstadt Miyazaki auf der Insel Kyushu im Süden Japans lebt. Als ihr eines Tages der mysteriöse junge Mann Sōta (Hokuto Matsumura) über den Weg läuft, ändert sich ihr beschaulicher Alltag schlagartig: Es stellt sich nämlich heraus, dass Sōta ein sogenannter «Schliesser» ist – ein Anhänger der Shintō-Religion, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch Japan zu reisen und offene Türen zu schliessen. Täte er das nicht, könnte aus der mystischen Welt hinter den Türen ein gigantischer «Wurm» entkommen und potenziell verheerende Erdbeben auslösen. Und genau das passiert in Miyazaki: Suzume öffnet in einer verlassenen Feriensiedlung eine Tür, der wolkenartige Wurm, den offenbar nur sie und Sōta sehen können, durchquert sie, kracht ins Hafenbecken und die Erde bebt – zum Glück nur mittelschwer.Doch nachdem es dem ungleichen Paar gelungen ist, das Tor zwischen den Welten zu schliessen, wird klar, dass das Ganze noch lange nicht ausgestanden ist: Der «Schlussstein», mit dem der Wurm endgültig gebannt werden könnte, hat sich in die sprechende Katze Daijin (Ann Yamane) verwandelt, die ihr steinernes Dasein satthat, Sōtas Seele in einen Kinderstuhl zaubert und sich in Richtung Nachbarinsel davonmacht. Also nehmen Suzume und ihr verwunschener Stuhl die Verfolgung auf: Zusammen reisen sie quer durchs Land, von offener Tür zu offener Tür, und machen dabei jede Menge Bekanntschaften. Das mag reichlich kompliziert klingen, doch im Vergleich zu «Your Name» und vor allem dem überfrachteten «Weathering with You» gelingt es Shinkai in «Suzume» hervorragend, seine Vorliebe für die technischen Gesetzmässigkeiten von Fantasy-Konstrukten stimmig in den Hintergrund rücken zu lassen und auf die emotionale Zugkraft seiner menschlichen Geschichte zu setzen. Selbst in jenen Momenten, in denen der Film sein Publikum mit allzu vielen neuen Türversiegelungs-Regeln auf einmal bewirft, bleiben die übergeordneten Konflikte problemlos überschaubar: Die Türen müssen geschlossen werden, Sōta muss zurückverwandelt werden, Suzume ist zum ersten Mal in ihrem Leben praktisch auf sich allein gestellt.Obwohl «Your Name» insgesamt wohl der bessere Film ist – nicht zuletzt dank der sorgfältiger ausgearbeiteten (Liebes-)Beziehung, um die sich alles dreht –, zeichnet sich «Suzume» durch seine selbst für Shinkais Verhältnisse raffinierte Genremischung aus. Die Aussicht, dass Japan einmal mehr von geradezu apokalyptischen Erdbeben heimgesucht werden könnte, ist der erzählerische Motor, der Suzume und Sōta in Bewegung hält; doch die besten Momente spielen sich zwischen den spektakulär inszenierten Türschliessungen ab: Ausgehend von ihrem unverhofften Roadtrip durch das moderne Japan, durchläuft die Protagonistin hier eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte, in deren Verlauf sie sich mit ihrer behüteten Jugend und ihren zwiespältigen Gefühlen gegenüber ihrer Tante auseinandersetzen muss.Mehr Film- und Serientipps gibt es auf MaximumCinema.ch«Die besten Momente spielen sich zwischen den spektakulär inszenierten Türschliessungen ab: Ausgehend von ihrem unverhofften Roadtrip durch das moderne Japan, durchläuft die Protagonistin hier eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte.»Diese zwischenmenschlichen Reibungen sind aber weitaus mehr als eine blosse Alibi-Übung, die dem mythologischen Abenteuer von Suzume und Sōta eine emotionale Erdung verleiht. Vielmehr dienen sie Shinkai unter anderem dazu, den shintoistischen Geisterglauben, der dem Film zugrunde liegt, fassbar zu machen: Wenn sich Tamaki und Suzume endlich ihre jahrelang zurückgehaltene Frustration an den Kopf werfen und sich dabei gegenseitig übelst beleidigen, ist das sowohl ein dramatischer Höhepunkt als auch ein Zeichen, dass sie beide von verschiedenen Kami – Naturgeistern und verstorbenen Seelen – «besessen» sind.Überhaupt versucht sich Shinkai hier an einem eindrücklich ambitionierten Porträt seines Heimatlandes, das er mit detailreich gestalteten, atmosphärisch beleuchteten und herrlich kolorierten Bildern liebevoll in Szene setzt. Innerhalb dieses maximal ästhetischen Japans stellt «Suzume» nämlich explizite – und überraschend luzide – Verbindungen zwischen handfesten historischen, sozialen und religiösen Themen her: zwischen den grossen Erdbeben von Kantō 1923 und Tōhoku 2011, zwischen dem langen Schatten dieser Katastrophen und dem Shintō-Glauben an die Beseeltheit der Natur, zwischen der physischen Beschaffenheit des Landes und den Zyklen ökonomischer Booms und Krisen, die Japan in den letzten 80 Jahren durchlebte. Immer wieder führt Sōtas Schliesser-Mission ihn und Suzume in verlassene Bauten, die an vergangene Naturkatastrophen und den wirtschaftlichen Optimismus anderer Generationen erinnern: ein geschlossener Badehaus-Komplex in den Bergen, eine von einem Erdrutsch verschüttete Schule, ein stillgelegter Vergnügungspark ausserhalb der Millionenstadt Kōbe, die überbauten Ruinen des alten Tokio. «Mit dieser anregenden Melange aus magischem Abenteuer, jugendlicher Selbstfindung, leiser Gesellschaftskritik und Anleihen aus der japanischen Shintō-Tradition fordert Shinkai den Vergleich mit dem grossen Studio Ghibli regelrecht heraus – und es ist alles andere als zu seinem Schaden.»Mit dieser anregenden Melange aus magischem Abenteuer, jugendlicher Selbstfindung, leiser Gesellschaftskritik und Anleihen aus der japanischen Shintō-Tradition fordert Shinkai den Vergleich mit dem grossen Studio Ghibli und Filmen wie «Nausicaä of the Valley of the Wind» (1984), «Pom Poko» (1994), «Whisper of the Heart» (1995) und «Spirited Away» (2001) regelrecht heraus – und es ist alles andere als zu seinem Schaden. Man darf sich zwar fragen, wie viele Filme seine Faszination für Naturkatastrophen noch hergibt, bevor sich das Format in der Repetition verliert, doch das ist für den Moment noch Zukunftsmusik: Denn in «Suzume» zementiert Shinkai nicht nur seinen Ruf als herausragender Animator, sondern erweist sich einmal mehr als ein Meister des modernen Märchens.–––Kinostart Deutschschweiz: 13.4.2023Filmfakten: «Suzume» («すずめの戸締まり», «Suzume no Tojimari») / Regie: Makoto Shinkai / Mit: Nanoka Hara, Hokuto Matsumura, Eri Fukatsu, Ryūnosuke Kamiki, Sairi Itō, Ann Yamane, Kotone Hanase, Matsumoto Hakuō II / Japan / 122 MinutenBild- und Trailerquelle: Sony Pictures Releasing Switzerland
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Maximum Cinema Filmtipp: «Suzume» von Makoto Shinkai
«Suzume», der neue Film von «Your Name»-Regisseur Makoto Shinkai, ist eine atemberaubend animierte, thematisch anregende Mischung aus mystischem Abenteuerfilm und berührendem Coming-of-Age-Roadmovie. Ein Text von Alan Mattli, ursprünglich erschienen auf Maximum Cinema
Wenn farbenprächtige Wolken über einen lichtdurchfluteten Himmel ziehen, mitten im Nirgendwo einsame Türen stehen und Naturkatastrophen drohen, dann besteht kein Zweifel: Makoto Shinkai hat einen neuen Film gemacht. Und das lässt Freund*innen der japanischen Animation aufhorchen: Denn spätestens seit «Your Name» (2016), einer tragikomischen Körpertausch-Romanze voller übernatürlicher Twists und einer atemberaubenden Ästhetik, dürfte Shinkai der international beliebteste Anime-Regisseur diesseits von Hayao Miyazaki ( «Kiki’s Delivery Service» , «Princess Mononoke» ) und dem von ihm mitbegründeten Studio Ghibli sein.
Dass «Your Name», der weltweit zig Box-Office-Rekorde brach und letztendlich fast 400 Millionen Dollar einspielte, hierzulande nicht in die Kinos kam, überraschte kaum: Immerhin galt Anime, das nicht im RTL-2-Nachmittagsprogramm lief, bis vor rund 15 Jahren gerade im deutschsprachigen Raum noch als hoffnungsloses Nischenprodukt – ein Eindruck, dem wohl nicht zuletzt die inzwischen einfacher erhältlichen Werke aus dem Ghibli- und Miyazaki-Katalog Abhilfe schufen. «Weathering with You» (2019), Shinkais nächstem Film, widerfuhr, wohl pandemiebedingt, dasselbe Schicksal wie «Your Name».
«Der sechste Langfilm des 50-jährigen Animators und Manga-Künstlers Makoto Shinkai enthält alles, was ihn in den letzten Jahren zu einem Publikumsliebling avancieren liess – von der expressiven Farbpalette und der Teenager-Perspektive bis hin zum mit kreativen Fantasyelementen angereicherten Katastrophenfilmplot.»
Also liegt es nun an «Suzume» , Shinkais Schweizer Kinorelease-Einstand zu markieren – und das ist, mit Ausnahme der Verspätung, alles andere als bedauernswert. Denn der sechste Langfilm des 50-jährigen Animators und Manga-Künstlers enthält nicht nur alles, was ihn in den letzten Jahren zu einem Publikumsliebling avancieren liess – von der expressiven Farbpalette und der Teenager-Perspektive bis hin zum mit kreativen Fantasyelementen angereicherten Katastrophenfilmplot –, sondern erweist sich auch als erzählerisch zugänglicher als «Your Name» und «Weathering with You».
Im Zentrum des Films steht, sinnigerweise, die 17-jährige Suzume (gesprochen von Nanoka Hara ), die zusammen mit ihrer Tante Tamaki ( Eri Fukatsu ) in der Hafenstadt Miyazaki auf der Insel Kyushu im Süden Japans lebt. Als ihr eines Tages der mysteriöse junge Mann Sōta ( Hokuto Matsumura ) über den Weg läuft, ändert sich ihr beschaulicher Alltag schlagartig: Es stellt sich nämlich heraus, dass Sōta ein sogenannter «Schliesser» ist – ein Anhänger der Shintō-Religion, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch Japan zu reisen und offene Türen zu schliessen. Täte er das nicht, könnte aus der mystischen Welt hinter den Türen ein gigantischer «Wurm» entkommen und potenziell verheerende Erdbeben auslösen. Und genau das passiert in Miyazaki: Suzume öffnet in einer verlassenen Feriensiedlung eine Tür, der wolkenartige Wurm, den offenbar nur sie und Sōta sehen können, durchquert sie, kracht ins Hafenbecken und die Erde bebt – zum Glück nur mittelschwer.
Doch nachdem es dem ungleichen Paar gelungen ist, das Tor zwischen den Welten zu schliessen, wird klar, dass das Ganze noch lange nicht ausgestanden ist: Der «Schlussstein», mit dem der Wurm endgültig gebannt werden könnte, hat sich in die sprechende Katze Daijin ( Ann Yamane ) verwandelt, die ihr steinernes Dasein satthat, Sōtas Seele in einen Kinderstuhl zaubert und sich in Richtung Nachbarinsel davonmacht. Also nehmen Suzume und ihr verwunschener Stuhl die Verfolgung auf: Zusammen reisen sie quer durchs Land, von offener Tür zu offener Tür, und machen dabei jede Menge Bekanntschaften.
Das mag reichlich kompliziert klingen, doch im Vergleich zu «Your Name» und vor allem dem überfrachteten «Weathering with You» gelingt es Shinkai in «Suzume» hervorragend, seine Vorliebe für die technischen Gesetzmässigkeiten von Fantasy-Konstrukten stimmig in den Hintergrund rücken zu lassen und auf die emotionale Zugkraft seiner menschlichen Geschichte zu setzen. Selbst in jenen Momenten, in denen der Film sein Publikum mit allzu vielen neuen Türversiegelungs-Regeln auf einmal bewirft, bleiben die übergeordneten Konflikte problemlos überschaubar: Die Türen müssen geschlossen werden, Sōta muss zurückverwandelt werden, Suzume ist zum ersten Mal in ihrem Leben praktisch auf sich allein gestellt.
Obwohl «Your Name» insgesamt wohl der bessere Film ist – nicht zuletzt dank der sorgfältiger ausgearbeiteten (Liebes-)Beziehung, um die sich alles dreht –, zeichnet sich «Suzume» durch seine selbst für Shinkais Verhältnisse raffinierte Genremischung aus. Die Aussicht, dass Japan einmal mehr von geradezu apokalyptischen Erdbeben heimgesucht werden könnte, ist der erzählerische Motor, der Suzume und Sōta in Bewegung hält; doch die besten Momente spielen sich zwischen den spektakulär inszenierten Türschliessungen ab: Ausgehend von ihrem unverhofften Roadtrip durch das moderne Japan, durchläuft die Protagonistin hier eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte, in deren Verlauf sie sich mit ihrer behüteten Jugend und ihren zwiespältigen Gefühlen gegenüber ihrer Tante auseinandersetzen muss.
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«Die besten Momente spielen sich zwischen den spektakulär inszenierten Türschliessungen ab: Ausgehend von ihrem unverhofften Roadtrip durch das moderne Japan, durchläuft die Protagonistin hier eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte.»
Diese zwischenmenschlichen Reibungen sind aber weitaus mehr als eine blosse Alibi-Übung, die dem mythologischen Abenteuer von Suzume und Sōta eine emotionale Erdung verleiht. Vielmehr dienen sie Shinkai unter anderem dazu, den shintoistischen Geisterglauben, der dem Film zugrunde liegt, fassbar zu machen: Wenn sich Tamaki und Suzume endlich ihre jahrelang zurückgehaltene Frustration an den Kopf werfen und sich dabei gegenseitig übelst beleidigen, ist das sowohl ein dramatischer Höhepunkt als auch ein Zeichen, dass sie beide von verschiedenen Kami – Naturgeistern und verstorbenen Seelen – «besessen» sind.
Überhaupt versucht sich Shinkai hier an einem eindrücklich ambitionierten Porträt seines Heimatlandes, das er mit detailreich gestalteten, atmosphärisch beleuchteten und herrlich kolorierten Bildern liebevoll in Szene setzt. Innerhalb dieses maximal ästhetischen Japans stellt «Suzume» nämlich explizite – und überraschend luzide – Verbindungen zwischen handfesten historischen, sozialen und religiösen Themen her: zwischen den grossen Erdbeben von Kantō 1923 und Tōhoku 2011 , zwischen dem langen Schatten dieser Katastrophen und dem Shintō-Glauben an die Beseeltheit der Natur, zwischen der physischen Beschaffenheit des Landes und den Zyklen ökonomischer Booms und Krisen, die Japan in den letzten 80 Jahren durchlebte. Immer wieder führt Sōtas Schliesser-Mission ihn und Suzume in verlassene Bauten, die an vergangene Naturkatastrophen und den wirtschaftlichen Optimismus anderer Generationen erinnern: ein geschlossener Badehaus-Komplex in den Bergen, eine von einem Erdrutsch verschüttete Schule, ein stillgelegter Vergnügungspark ausserhalb der Millionenstadt Kōbe, die überbauten Ruinen des alten Tokio.
«Mit dieser anregenden Melange aus magischem Abenteuer, jugendlicher Selbstfindung, leiser Gesellschaftskritik und Anleihen aus der japanischen Shintō-Tradition fordert Shinkai den Vergleich mit dem grossen Studio Ghibli regelrecht heraus – und es ist alles andere als zu seinem Schaden.»
Mit dieser anregenden Melange aus magischem Abenteuer, jugendlicher Selbstfindung, leiser Gesellschaftskritik und Anleihen aus der japanischen Shintō-Tradition fordert Shinkai den Vergleich mit dem grossen Studio Ghibli und Filmen wie «Nausicaä of the Valley of the Wind» (1984), «Pom Poko» (1994), «Whisper of the Heart» (1995) und «Spirited Away» (2001) regelrecht heraus – und es ist alles andere als zu seinem Schaden. Man darf sich zwar fragen, wie viele Filme seine Faszination für Naturkatastrophen noch hergibt, bevor sich das Format in der Repetition verliert, doch das ist für den Moment noch Zukunftsmusik: Denn in «Suzume» zementiert Shinkai nicht nur seinen Ruf als herausragender Animator, sondern erweist sich einmal mehr als ein Meister des modernen Märchens.
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Kinostart Deutschschweiz: 13.4.2023
Filmfakten: «Suzume» (« すずめの戸締まり », «Suzume no Tojimari») / Regie: Makoto Shinkai / Mit: Nanoka Hara, Hokuto Matsumura, Eri Fukatsu, Ryūnosuke Kamiki, Sairi Itō, Ann Yamane, Kotone Hanase, Matsumoto Hakuō II / Japan / 122 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Sony Pictures Releasing Switzerland
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Maximum Cinema Filmtipp: «Broker» von Hirokazu Kore-eda
In «Broker» hilft eine junge Mutter zwei Menschenhändlern dabei, ihr Baby zu verkaufen. Was nach geschmackloser schwarzer Komödie klingt, ist – «Shoplifters»-Regisseur Hirokazu Kore-eda sei Dank – ein ebenso berührendes wie unterhaltsames Roadmovie über eine vom Leben zusammengewürfelte Fast-Familie. Text: Alan Mattli. Ursprünglich erschienen auf Maximum Cinema.
Es heisst, Freund*innen kann man sich aussuchen, aber Familie hat man, ob man nun will oder nicht. Etwas anders sieht das im Kino von Hirokazu Kore-eda aus. Hier sind familiäre Einheiten selten an biologische Verwandtschaften gebunden; was zählt, sind die emotionalen Bindungen oder aber die Zwecksgemeinschaft: Kore-edas wohl bekanntester Film, der Palme-d’or-Gewinner «Shoplifters» (2018), handelt von einer Familie von Ladendieb*innen, deren Verwandtschaftsgrade nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Doch schon vorher dominierte diese Idee das Schaffend es japanischen Regisseurs: In «Nobody Knows» (2004) stehen vier Halbgeschwister im Mittelpunkt, von denen jedes einen anderen Vater hat. In «Like Father, Like Son» (2013) erfährt ein Ehepaar, dass ihr Sohn nach der Geburt versehentlich vertauscht wurde. «Our Little Sister» (2015) erzählt von vier Schwestern, die nach dem Tod ihres entfremdeten Vaters ihre Beziehung zueinander neu aushandeln.
Mit «Broker» , Kore-edas neuestem Film, scheint dieses thematische Interesse an «gefundenen Familien» einen vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben: Ausgangspunkt ist Moon So-young ( Lee Ji-eun , auch bekannt als Sängerin IU ), eine junge Frau, die ihr Baby Woo-sung ( Park Ji-yong ) vor der Babyklappe einer Kirche in Busan hinterlegt. Das wiederum erfreut den Wäschereibesitzer Ha Sang-yeon ( Song Kang-ho ) und die Kirchenputzhilfe Dong-soo ( Gang Dong-won ): Die beiden haben nämlich ein einträgliches Geschäft daraus gemacht, Babys aus der Babyklappe zu stehlen und an Paare zu verkaufen, die den langwierigen legalen Adoptionsprozess umgehen wollen oder wegen gesetzlicher Einschränkungen – etwa für gleichgeschlechtliche Paare oder Immigrant*innen mit prekärem Aufenthaltsstatus – gar nicht erst als Adoptiveltern infrage kommen.
Dass diese Mischung aus menschlichem Drama und Gangster-Roadmovie mit komödiantischen Einschlägen nicht zu einer bizarren Genre- und Tonfall-Karambolage verkommt, sondern als sanftes, berührend empathisches Sozialrealismus-Märchen über Familienbande und das Überleben im Prekariat in Erinnerung bleibt, ist vor allem Kore-edas sorgfältiger Figurenzeichnung und den herausragenden Schauspieler*innen geschuldet. Denn obwohl sie die Leinwand mit Song Kang-ho teilen, dem wohl besten Charakterdarsteller des Gegenwartskinos, gelingt es Gang Dong-won, Lee Ji-eun und Bae Doona mühelos, nicht von Songs Charisma überstrahlt zu werden: Gerade Bae nutzt ihre vergleichsweise wenigen Szenen optimal, um ein anregend zwiespältiges Bild einer Polizistin zu zeichnen, welche die Voreingenommenheit des Gesetzes – die Praxis, Jagd auf kleine Fische wie Sang-yeon und Dong-soo zu machen, anstatt das Problem an der Wurzel, der sozialen Ungleichheit zu bekämpfen – mehr oder weniger bewusst zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen weiss.
«Der Preis, den ‹Broker› für diese ordentlichen dramaturgischen Bögen bezahlt, ist, dass das Ganze letztlich ein wenig zu rund, ein bisschen zu konventionell bittersüss wirkt.»
Der Preis, den «Broker» für diese ordentlichen dramaturgischen Bögen bezahlt, ist, dass das Ganze letztlich ein wenig zu rund, ein bisschen zu konventionell bittersüss wirkt. Die vielen unausgesprochenen Konflikte werden in einer visuell klar markierten Reihe von Szenen abgehandelt: Figuren sitzen sich an Tischen und in Riesenradgondeln gegenüber und trauen sich endlich, ihre Ängste und Probleme mit einem anderen Menschen zu teilen. Das Schaffen von zwischenmenschlichen Verbindungen wird von Händen symbolisiert, die von ausserhalb des Bildrahmens in die Einstellung hineinreichen und den Kontakt zur anderen Person suchen.
«‹Broker› mag kein ‹Shoplifters› sein – doch er ist eine unterhaltsame, anrührende, oft überraschend verspielte und grandios gespielte Variation auf die Themen, die Kore-eda schon seit Jahrzehnten umtreiben.»
Wohlverstanden, diese Szenen sind alles andere als unangebracht oder gar plump. Im Gegenteil: Die Riesenradsequenz ist eine Demonstration von Kore-edas grössten Stärken als Autor und Regisseur. Doch sie wirkt eben auch wie eine Drehbuchfunktion, wie der obligate kathartische Moment, der das Ende des Abenteuers einläutet – selbst wenn die Schlussfolgerungen, zu denen die Figuren dabei gelangen, sich nicht ganz aus den vorangegangenen Ereignissen erschliessen. So ganz wollen Komödie und Drama hier letzten Endes doch nicht zueinanderfinden.
Im grösseren Zusammenhang führt dies aber lediglich zur Feststellung, dass «Broker» nicht Kore-eda in Höchstform ist. Doch selbst in unvollkommener Form ist Kore-eda besser als manch andere*r Regisseur*in. «Broker» mag kein «Shoplifters» sein – doch er ist eine unterhaltsame, anrührende, oft überraschend verspielte und grandios gespielte Variation auf die Themen, die Kore-eda schon seit Jahrzehnten umtreiben.
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Kinostart Deutschschweiz: 22.12.2022
Filmfakten: «Broker» (« 브로커 », «Beurokeo») / Regie: Hirokazu Kore-eda / Mit: Song Kang-ho, Gang Dong-won, Lee Ji-eun, Bae Doona, Lee Joo-young, Im Seung-soo, Park Ji-yong / Südkorea / 129 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2022 Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.
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Maximum Cinema Filmtipp: «Marcel the Shell with Shoes on» von Dean Fleischer-Camp
Eine kleine Muschel erklärt uns das Leben. Dean Fleischer-Camps Stop-Motion-Mockumentary «Marcel the Shell with Shoes on» ist ein bezaubernder Film, der den Blick für das Kleine, das Alltägliche schärft und einen mit einem wohligen Gefühl zurücklässt.
Von Olivier Samter auf MaximumCinema.ch
Nachdem sie mit drei erfolgreichen Kurzfilmen das Internet im Sturm eroberten, bringen die beiden Filmemacher*innen Dean Fleischer-Camp und Jenny Slate «Marcel the Shell with Shoes on» auf die grosse Leinwand. Wie schon die gleichnamigen YouTube-Hits dreht sich auch der Kinofilm um den Filmemacher Dean (Dean Fleischer-Camp), der in einem Airbnb auf die kleine sprechende Muschel Marcel (Stimme: Jenny Slate) trifft. Marcel hat es sich im Haus zusammen mit seiner Grossmutter Connie (Stimme: Isabella Rossellini ) gemütlich eingerichtet – einzig die Putzfrau, die einmal pro Woche vorbeischaut, bringt sein Leben durcheinander. Doch Marcel und Connie waren nicht immer allein – und mit Deans Hilfe versucht Marcel endlich, seine verschollene Familie wiederzufinden.
«Selbst im Grossen und Sensationellen gelingt es den Macher*innen die Freude am Alltäglichen und Kleinen nicht zu verlieren.»
Fleischer-Camp und Slate ergänzen das Konzept der 2010, 2011 und 2014 geposteten Kurzfilme – eine lose Aneinanderreihung von Beobachtungen und pseudophilosophischen Einschätzungen von Marcel – um einen Plot, der dem Ganzen eine gewisse Tiefe verleiht, ohne den Figuren die Luft abzuschnüren. Ist die Geschichte um den über Nacht zum Star gewordenen Marcel manchmal ein, zwei Hausnummern zu gross? Vermutlich. Doch das tut dem Unterhaltungswert von «Marcel the Shell with Shoes on» keinen Abbruch – denn selbst im Grossen und Sensationellen gelingt es den beiden Macher*innen, die hier zusammen mit Nick Paley und Elisabeth Holm auch das Drehbuch schrieben, die Freude am Alltäglichen und Kleinen nicht zu verlieren.
Bestes Beispiel dafür ist eine Szene, in der Marcel Kommentare auf YouTube zu seinem Erfolg durchliest. Ein an sich entscheidender Moment, zeigt er doch, dass die kleine Muschel beim Internetpublikum ankommt und über Nacht zum Star wird. Für die Macher*innen hingegen ist es einmal mehr eine Gelegenheit, um zu zeigen, dass Marcel auf ganz andere, scheinbar unwesentliche Dinge achtet. Und so folgt denn auch eine zynische Tirade darüber, warum zum Teufel jemand die Worte «Peace & Love» in eine Kommentarspalte schreibt – als ob es irgendeine Person gäbe, die diesem Ansinnen nicht zustimmen würde. «No, sorry, I’m a real war person.»
Dieses klare Gespür für die eigene Vision und ihre Stärken zeigt sich auch bei der Animation von «Marcel the Shell with Shoes on». Zu diesem Zweck wurde mit Kirsten Lepore eine etablierte Filmemacherin verpflichtet, die sich unlängst mit schrägen Kurzfilmen wie «Hi Stranger» (2016) oder der Marvel -Serie «I Am Groot» (2022– ) einen Namen machte. Lepore bleibt dem unaufgeregten, haptischen Look der Vorlage treu, holt dabei jedoch technisch das Maximum heraus – und nicht selten fragt man sich: Wie um Himmels Willen haben die zuständigen Animator*innen das gemacht?
«Marcel the Shell with Shoes on», der Überraschungsfilm des diesjährigen Fantoche , ist ein Film, der einen in seinen Bann zieht, und der zum Entdecken und Erkunden einlädt. Dean Fleischer-Camp gelingt mit seinem Erstling, was anderen Kurzfilm-zu-Langfilm-Adaptionen selten glückt: den Charme der Vorlage beizubehalten, gleichzeitig aber auch neue Elemente hinzuzufügen und so nicht zuletzt den veränderten filmischen Ansprüchen des Langfilmformats gerecht zu werden. Und allein schon deshalb ist «Marcel the Shell with Shoes on» der bezauberndste Animationsfilm der letzten Jahre.
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Kinostart Deutschschweiz: 3.11.2022
Filmfakten: «Marcel the Shell with Shoes on» / Regie: Dean Fleischer-Camp / Mit: Jenny Slate, Dean Fleischer Camp, Isabella Rossellini, Rosa Salazar, Thomas Mann, Lesley Stahl / USA / 90 Minuten
Bild- und Trailerquelle: A24 (Trailer), Seattle International Film Festival (Titelbild), A.Frame / Universal Pictures International Switzerland GmbH
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Best-of 2021: Das sind die 26 Lieblingsfilme und -serien der Maximum-Cinema-Redaktion: www.maximumcinema.ch
Folge 22 unseres Filmpodcasts widmet sich dem Gangsterdrama «Capone» mit Tom Hardy, dem mehrfach oscarnominierten «Promising Young Woman» mit Carey Mulligan und dem Pixar-Kurzfilm «Burrow». Ausserdem in der Sendung: «Germany's Next Topmodel». Echt jetzt? Hört rein: www.maximumcinema.ch
Best-of 2019: Das sind die 27 Lieblingsfilme und -serien der Maximum-Cinema-Redaktion: www.maximumcinema.ch