Ride2xplore
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FreeWir, eine Journalistin & ein Abenteurer, leben & arbeiten seit März 2016 in unserem VW-Bus. In der Schweiz & in Europa.
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#Vanlife: Der Tomatensalat des Chirurgen
Am 19. März dieses Jahres trat der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew nach über 30 Jahren an der Macht überraschend zurück. Im Juni soll das Land seinen Nachfolger wählen. Während wir diese News lasen, erinnerten wir uns unweigerlich an Nurbek den lustigen Chirurgen, den wir in Kasachstan kennengelernt hatten. Es begann alles mit einer Einladung zum Kaffee in der Dämmerung eines heissen Sommerabends. Wir wollten die roten Klippen des Scharyin Canyons, einer Schluchtenlandschaft im Süden Kasachstans, im Sonnenuntergang fotografieren und dann einen ruhigen Abend verbringen. Aber unter einem kleinen Unterstand mit Blechdach, der den Besucher des Nationalparks zum Picknicken dient, sassen zwei Ehepaare mit vier Kindern, die wir schon von weitem hatten lachen hören. Als wir an ihnen vorbeigingen, kam die Einladung. Wenig später tranken wir schwarzen Kaffee aus ihren Thermobecher und lachten mit ihnen mit. Einmal mehr hatten wir erleben dürfen dass Humor auch ohne gemeinsame Sprache funktioniert. Die Kommunikation wurde erst einfacher, als einer der beiden Chirurgen seine Tochter anrief und sie via Telefon, von ihrer eigenen Geburtstagsparty aus, die Sätze hin und her übersetzte. Als die Familien hörten, wir würden in den nächsten Tagen nach Almaty fahren, luden sie uns zu sich nach Hause ein. Adressen und Telefonnummern wurden ausgetauscht und wir erhielten zum Abschied ein „kleines“ Geschenk – die grösste Wassermelone, die ich je gesehen hatte – bevor sich unsere Wege trennten.Wiedersehen in AlmatyEs gibt diese Situationen wo man sofort weiss: Das war jetzt nett. aber keiner wird sich beim anderen melden. Und dann gibt es die anderen, wo das Bauchgefühl stimmt und man merkt es passt, wenn wir da auch tatsächlich hinfahren. So war es auch bei dieser Begegnung. Also parkten wir ein paar Tage späteren unseren Bus vor dem Haus der einen Familie, die in Almaty lebt und die befreundete Familie, die Männer hatten jahrelang zusammengearbeitet, gerade während einer Woche bei sich auf Besuch hatte. Die beiden Chirurgen waren schon lange vor unserer Ankunft in der Küche gestanden, hatten Teigtaschen gebacken, eine Suppe gekocht und Tomaten und Gurken zu Salat geschnippelt, Fruchtschalen gefüllt, Tee gekocht und Kompott aufgegossen. Wie in Zentralasien üblich erwartet uns ein üppig gedeckter Tisch, zudem ein Grossmütterchen mit Kopftuch und einem Mund voller strahlender Goldzähne, sowie die Teenager-Tochter, die Englisch studiert und als Übersetzerin half, das Gespräch einfacher zu gestalten. Humor, Hotpants und HausmännerDie Stimmung war sofort wieder sehr fröhlich, was vor allem auch an Nurbek lag, der so ausdrucksstark mit seinem Gesicht und den Händen sprach, dass er mehr an einen Komiker als an einen Arzt erinnerte und wir oft verstanden und loslachten, bevor die Übersetzung ihren Weg in unsere Ohren gefunden hatte. Ab und an stiess sein Kollege ihn mit dem Ellbogen in die Rippen. „Sei doch mal etwas ernster, du bist schliesslich Chirurg!“, was allerdings alle am Tisch noch mehr zum Lachen brachte. Zum Nachtisch gab es Eis und wir kamen auf den Glauben zu sprechen. 70% der Kasachen sind Muslime. Die restlichen Prozente teilen sich Christen und Juden. Da wir ein paar Wochen zuvor im Osten des Landes an einer muslimischen Hochzeit, an der viel Alkohol geflossen war und die Braut keinen Schleier getragen hatte, eingeladen gewesen waren, hatten wir bereits erlebt: Hier nimmt man den Koran weniger genau als anderswo. Und so war es auch bei unseren Freunden. Die Frauen trugen, wie die allermeisten Musliminnen in Zentralasien, keine Kopftücher, die junge Tochter sass uns in Hotpants gegenüber, die beiden Männer standen bei unserer Ankunft wie selbstverständlich in der Küche, während die Frau des Hauses auf der Arbeit war. „Wir sind so wie die meisten bei Euch mit dem Glauben. Wir gehen nur zu speziellen Feiertagen in die Moschee und tun sonst was unser Herz uns sagt.“ Radikalen Einfluss spürt das Land, so lasen wir es in diversen Artikel und so wird es uns auch an der üppig gedeckten Tafel bestätigte, allerdings auch. Aber da hätte der Präsident Nursultan Nasarbajew(von 1990 – 19. März 2019 an der Macht), der seine politische Karriere in der Sowjetzeiten begonnen hatte und mit Religion dementsprechende wenig am Hut hat, dagegen gehalten. Dass die Thematik aber auch hier viel komplexer ist, zeigt die Eröffnung der grössten Moschee Zentralasiens durch eben diesen Präsidenten vor zehn Jahren. Hosensack PolitikDa wir nun hinter geschlossenen Mauern sassen und das Vertrauen zueinander stimmte, fragten wir wie es denn so sei mit diesem Diktator? „Wir fühlen uns frei. Kein Problem.“ Gibt es auch mal Demonstrationen, ein Auflehnen? Die Augen von Nurbek wurden gross, er deutete mit dem Zeigefinger dramatisch gestikulierend an die Stirn bevor er loslachte. „Wir sind nicht wahnsinnig. Da wirst du sofort eingesperrt.“ Und sein Kollege ergänzt: „Wisst ihr, wir haben uns damit arrangiert. Solange meine Familie glücklich ist, wir ein Dach über dem Kopf und genügend auf dem Tisch haben, sollen die machen was sie wollen.“ Manchmal würden sie untereinander über die Missstände diskutieren, „aber dann machst du wieder die Faust im Sack und schaust das es deiner Familie gut geht.“ „Genau, Hosensack Politik, mehr geht nicht,“ bestätigen sich die Männer gegenseitig und wir verstanden, dass Freiheit hier anders definiert wurde. Offene Zukunft Jetzt ein gutes halbes Jahr später lesen wir überrascht die Artikel zum plötzlichen Rücktritt des Machthabers, der sich in den letzten dreissig Jahren sein Familienbankkonto fett gefüllt und sich eine Hauptstadt erbaut hat, die schwierig in Worten zu beschreiben ist. Wir hatten während des Besuches im damaligen Astana immer das Gefühl wir bewegten uns in einem überdimensionierten Expo-Park, der jedem Künstler und Architekten, der Nursultan Nasarbajewgenug Honig ums Maul geschmiert hatte, erlaubte eine Skulptur aufzustellen oder ein Gebäude zu planen. Alles sehr gekünstelt, mit wenig Stil und noch weniger Charme, aber Hauptsache es ist nach der Idee des Präsidenten gebaut. So ist es nur konsequent wird Astana seit Mitte März zu Ehren des jetzt Ex-Machthabers in Nursaltan umbenannt. Gerne hätten wir zu den aktuellen Geschehnissen die Meinung unserer Freunde. Aber dazu braucht es wohl einen weiteren Besuch, einen weiteren Teller von den Chirurgen exakt geschnippelten Tomatensalat. Denn via Whats App tauschen wir lieber nur Nettigkeiten aus. Wer weiss, wer da alles mitliest. Martina und Dylan leben seit April 2016 in einem VW Bus in der Schweiz, in Europa oder Zentralasien. Ab Herbst 2019 erzählen sie in einem authentischen Multimediavortrag über das Leben als Moderne Nomaden, ohne Wohnung und mit Jobs, die mit auf die Reise genommen werden können. Mehr unter www.ride2xplore.com oder www.explora.ch
Unser zwei-sprachiger Vlog über das Leben im Bus.
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#Vanlife: Der Tomatensalat des Chirurgen
Am 19. März dieses Jahres trat der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew nach über 30 Jahren an der Macht überraschend zurück. Im Juni soll das Land seinen Nachfolger wählen. Während wir diese News lasen, erinnerten wir uns unweigerlich an Nurbek den lustigen Chirurgen, den wir in Kasachstan kennengelernt hatten.
Es begann alles mit einer Einladung zum Kaffee in der Dämmerung eines heissen Sommerabends. Wir wollten die roten Klippen des Scharyin Canyons, einer Schluchtenlandschaft im Süden Kasachstans, im Sonnenuntergang fotografieren und dann einen ruhigen Abend verbringen. Aber unter einem kleinen Unterstand mit Blechdach, der den Besucher des Nationalparks zum Picknicken dient, sassen zwei Ehepaare mit vier Kindern, die wir schon von weitem hatten lachen hören. Als wir an ihnen vorbeigingen, kam die Einladung. Wenig später tranken wir schwarzen Kaffee aus ihren Thermobecher und lachten mit ihnen mit. Einmal mehr hatten wir erleben dürfen dass Humor auch ohne gemeinsame Sprache funktioniert. Die Kommunikation wurde erst einfacher, als einer der beiden Chirurgen seine Tochter anrief und sie via Telefon, von ihrer eigenen Geburtstagsparty aus, die Sätze hin und her übersetzte. Als die Familien hörten, wir würden in den nächsten Tagen nach Almaty fahren, luden sie uns zu sich nach Hause ein. Adressen und Telefonnummern wurden ausgetauscht und wir erhielten zum Abschied ein „kleines“ Geschenk – die grösste Wassermelone, die ich je gesehen hatte – bevor sich unsere Wege trennten.
Wiedersehen in Almaty Es gibt diese Situationen wo man sofort weiss: Das war jetzt nett. aber keiner wird sich beim anderen melden. Und dann gibt es die anderen, wo das Bauchgefühl stimmt und man merkt es passt, wenn wir da auch tatsächlich hinfahren. So war es auch bei dieser Begegnung. Also parkten wir ein paar Tage späteren unseren Bus vor dem Haus der einen Familie, die in Almaty lebt und die befreundete Familie, die Männer hatten jahrelang zusammengearbeitet, gerade während einer Woche bei sich auf Besuch hatte. Die beiden Chirurgen waren schon lange vor unserer Ankunft in der Küche gestanden, hatten Teigtaschen gebacken, eine Suppe gekocht und Tomaten und Gurken zu Salat geschnippelt, Fruchtschalen gefüllt, Tee gekocht und Kompott aufgegossen. Wie in Zentralasien üblich erwartet uns ein üppig gedeckter Tisch, zudem ein Grossmütterchen mit Kopftuch und einem Mund voller strahlender Goldzähne, sowie die Teenager-Tochter, die Englisch studiert und als Übersetzerin half, das Gespräch einfacher zu gestalten.
Humor, Hotpants und Hausmänner Die Stimmung war sofort wieder sehr fröhlich, was vor allem auch an Nurbek lag, der so ausdrucksstark mit seinem Gesicht und den Händen sprach, dass er mehr an einen Komiker als an einen Arzt erinnerte und wir oft verstanden und loslachten, bevor die Übersetzung ihren Weg in unsere Ohren gefunden hatte. Ab und an stiess sein Kollege ihn mit dem Ellbogen in die Rippen. „Sei doch mal etwas ernster, du bist schliesslich Chirurg!“, was allerdings alle am Tisch noch mehr zum Lachen brachte.
Zum Nachtisch gab es Eis und wir kamen auf den Glauben zu sprechen. 70% der Kasachen sind Muslime. Die restlichen Prozente teilen sich Christen und Juden. Da wir ein paar Wochen zuvor im Osten des Landes an einer muslimischen Hochzeit, an der viel Alkohol geflossen war und die Braut keinen Schleier getragen hatte, eingeladen gewesen waren, hatten wir bereits erlebt: Hier nimmt man den Koran weniger genau als anderswo. Und so war es auch bei unseren Freunden. Die Frauen trugen, wie die allermeisten Musliminnen in Zentralasien, keine Kopftücher, die junge Tochter sass uns in Hotpants gegenüber, die beiden Männer standen bei unserer Ankunft wie selbstverständlich in der Küche, während die Frau des Hauses auf der Arbeit war. „Wir sind so wie die meisten bei Euch mit dem Glauben. Wir gehen nur zu speziellen Feiertagen in die Moschee und tun sonst was unser Herz uns sagt.“ Radikalen Einfluss spürt das Land, so lasen wir es in diversen Artikel und so wird es uns auch an der üppig gedeckten Tafel bestätigte, allerdings auch. Aber da hätte der Präsident Nursultan Nasarbajew (von 1990 – 19. März 2019 an der Macht), der seine politische Karriere in der Sowjetzeiten begonnen hatte und mit Religion dementsprechende wenig am Hut hat, dagegen gehalten. Dass die Thematik aber auch hier viel komplexer ist, zeigt die Eröffnung der grössten Moschee Zentralasiens durch eben diesen Präsidenten vor zehn Jahren.
Hosensack Politik Da wir nun hinter geschlossenen Mauern sassen und das Vertrauen zueinander stimmte, fragten wir wie es denn so sei mit diesem Diktator? „Wir fühlen uns frei. Kein Problem.“ Gibt es auch mal Demonstrationen, ein Auflehnen? Die Augen von Nurbek wurden gross, er deutete mit dem Zeigefinger dramatisch gestikulierend an die Stirn bevor er loslachte. „Wir sind nicht wahnsinnig. Da wirst du sofort eingesperrt.“ Und sein Kollege ergänzt: „Wisst ihr, wir haben uns damit arrangiert. Solange meine Familie glücklich ist, wir ein Dach über dem Kopf und genügend auf dem Tisch haben, sollen die machen was sie wollen.“ Manchmal würden sie untereinander über die Missstände diskutieren, „aber dann machst du wieder die Faust im Sack und schaust das es deiner Familie gut geht.“ „Genau, Hosensack Politik, mehr geht nicht,“ bestätigen sich die Männer gegenseitig und wir verstanden, dass Freiheit hier anders definiert wurde.
Offene Zukunft Jetzt ein gutes halbes Jahr später lesen wir überrascht die Artikel zum plötzlichen Rücktritt des Machthabers, der sich in den letzten dreissig Jahren sein Familienbankkonto fett gefüllt und sich eine Hauptstadt erbaut hat, die schwierig in Worten zu beschreiben ist. Wir hatten während des Besuches im damaligen Astana immer das Gefühl wir bewegten uns in einem überdimensionierten Expo-Park, der jedem Künstler und Architekten, der Nursultan Nasarbajewgenug Honig ums Maul geschmiert hatte, erlaubte eine Skulptur aufzustellen oder ein Gebäude zu planen. Alles sehr gekünstelt, mit wenig Stil und noch weniger Charme, aber Hauptsache es ist nach der Idee des Präsidenten gebaut. So ist es nur konsequent wird Astana seit Mitte März zu Ehren des jetzt Ex-Machthabers in Nursaltan umbenannt. Gerne hätten wir zu den aktuellen Geschehnissen die Meinung unserer Freunde. Aber dazu braucht es wohl einen weiteren Besuch, einen weiteren Teller von den Chirurgen exakt geschnippelten Tomatensalat. Denn via Whats App tauschen wir lieber nur Nettigkeiten aus. Wer weiss, wer da alles mitliest.
Martina und Dylan leben seit April 2016 in einem VW Bus in der Schweiz, in Europa oder Zentralasien. Ab Herbst 2019 erzählen sie in einem authentischen Multimediavortrag über das Leben als Moderne Nomaden, ohne Wohnung und mit Jobs, die mit auf die Reise genommen werden können .
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#VANLIFE: Das Leben der Anderen
Unser Bus steht in einer Hauseinfahrt in Norden Deutschlands, die ehemalige Grenze zur DDR liegt von hier rund 100km Luftlinie gegen Osten, aber die Geschichten von der anderen Seite der Grenze, gibt es für uns zum Nachtisch
Sie hätte damals, vor dreissig Jahren überhaupt nicht mitbekommen was passierte. „Plötzlich waren alle Mitarbeiter weg. Keine Schlosser, keine Maschinenarbeiter waren mehr da. Ich sah bloss wie Autos das Firmengelände verliessen.“ Was war da los? Diese Frage stellte die heute 60-jährige Tina am 9. November 1989. Sie hatte im Büro des staatlichen Erdgasförderbetriebes als Ingenieurin ohne Radio gearbeitet und so die legendäre Pressekonferenz vonGünter Schabowski, dem damaligen Sekretär für Informationswesen der DDR, verpasst. „Die Grenzen sind offen!“ riefen ihr die letzten auf dem Parkplatz noch anwesenden Mitarbeiter zu, bevor auch sie sich aufmachten die von Salzwedel (damals DDR) nur 10km entfernte Grenze zu erreichen. Und was tat sie an jenem Tag? „Ich ging wie gewohnt von der Arbeit direkt zum Kindergarten, um meinen vierjährigen Sohn abzuholen.“ Das sei wichtiger gewesen, als der nach fast 40 Jahren offene Schlagbaum.
Zum ersten Mal auf der anderen Seite Erst drei Tage später kochte Tina eine Kanne heissen Tee, schmierte ein paar Brote, setzte ihren Sprössling vorne aufs Fahrrad und machte sich auf über die Grenze. Es hätte sie schon ein „irgendwie komisches Gefühl“ beschlichen, als sie als junge Frau zum ersten Mal in ihrem Leben die Grenze ihrer Heimat ohne Ausreisebewilligung hinter sich liess. Würden die sie auch wirklich wieder reinlassen?
Der Empfang im Westen sei freundlich gewesen. Die Menschen in Bergen an der Dumme (BRD) hätten gefragt wie es ihnen geht und dem kleinen Thomas Schokolade zugesteckt. Dann seien sie wieder nach Hause gefahren und das Leben sei erstmal normal weitergegangen. Erst nach und nach sei alles unsicher geworden. „Vier Insolvenzen habe ich erlebt, schliesslich bin ich wegen der Arbeit in den Westen gezogen.“ Was nicht einfach gewesen sei, den im fortschrittlichen Westen , sei man sich nicht gewohnt gewesen, dass sie als Frau und Mutter einen solchen Lebenslauf vorweisen konnte. Sie könne doch als Frau unmöglich all diese Weiterbildungen gemacht und gleichzeitig ein Kind grossgezogen haben, hörte sie in Bewerbungsgesprächen immer wieder. „Aber in der DDR war das normal. Frauen waren Arbeitskräfte. Ich hatte immer Arbeit, mein Kind war betreut, wir hatten eine Wohnung und um vieles musste ich mich nicht kümmern, weil es staatlich geregelt war,“ erzählt die damals Alleinerziehende. „Uns ging es gut. Ich wäre nie auf die Idee gekommen die DDR zu verlassen.
Träume von der weiten Welt „Aber habt ihr Euch nicht aufgeregt darüber, dass ihr nicht einfach gehen konntet, wohin ihr wolltet?“ frage ich nach. Wir sitzen in Wietze, im Norden Deutschlands, im Wintergarten bei Tina und kommen aus den Fragen nicht mehr heraus. Sie war mit uns vor einem Jahr in Sri Lanka, erzählte uns am Nachmittag von ihrer letzten Reise nach Kolumbien und jetzt abends, während das Feuer im Ofen flackert, von der Zeit als Grenzen für sie unüberwindbar waren und diese Tatsache irgendwie normal. „Für Euch ist es sehr wahrscheinlich schwer verständlich, aber es war einfach so. Ich kann es gar nicht richtig erklären. Bis dahin war es mein ganzes Leben lang normal gewesen nicht weg zu können.“ Neben ihrem Elternhaus gab es einen Bahnhof mit zwei Bahnsteigen. Einen für die DDR-Bürger. Einen zweiten für alle die Anderen, die Durchreisenden, die gehen durften wohin sie wollten. „Wir haben ein Leben lang gewusst, dass es so ist.“ Geträumte hätte sie damals trotzdem von der Welt. „Ein Familienfreund aus dem Westen ging auf Forschungsreisen und schickte von da Postkarten aus der ganzen Welt zu uns. Die hängte ich mir übers Bett und träumte davon einmal wegzukommen.“
Konsum in ganz anderen Verhältnissen Es sei schon auch frustrierend gewesen; einfach so nach Lust und Laune einkaufen, gab es damals nicht. Wenn es mal Clementinen gab, so hätte die Verkäuferin bereits im Laden pro Familie eine Tüte abgepackt – für jedes Kind ein Stück. „Auch Kleider gab es oft keine. Wurden die Ärmel des Pullovers zu kurz, hat Mutter vorn einen neuen Streifen angestrickt.“ Sie lacht beim Gedanken an die Erinnerung. Aus Leintücher hätten sie Skianzüge genäht und wenn die Nachbarin aus der Schneiderei verschnittene Stoffe mitbrachte, seien daraus bunte Patchwork-Anoraks entstanden. Man war gezwungenermassen erfinderisch. „Mein Bruder hat auf dem Dachboden eine Antenne gebaut, um Westfernsehen zu empfangen. Einer musste oben die Antennen richten, der andere vor dem Fernseher stehen und rufen, wenn das Programm auf der Mattscheibe aufflackerte.“ Der verschmitzte Ausdruck im Gesicht, lässt erahnen, wie sie als Mädchen freudig durchs Schlüsselloch beim Bruder gespäht hatte. Die Geschichten klingen nostalgisch, nicht verbittert oder traurig. Viel eher als über die Entbehrung in der DDR, regt sich Tina über den mega Konsum von heute auf. Da wird ihre Stimme laut und genervt: „Das kann doch nicht sein, dass wir in so einem Überfluss leben! Das ist doch eigentlich viel verrückter!“
Ohren überall "Und die Stasi? Habt ihr das mitbekommen, dass ihr bespitzelt wurdet?“ Beim Telefonieren, da sei klar gewesen, dass die da mithören, da hätte man immer zuerst überlegen müssen, was man den sagen wollte. Und auch sonst seien die Ohren überall gewesen. Einmal zum Beispiel hätte einer ihrer Freunde abends beim Tanzen gesagt: „Ich haue jetzt ab,“ danach war er für zwei Tage im Knast, obwohl er damit nur meinte „er gehe jetzt nach Hause.“ Nach der Auflösung der DDR habe sie erfahren, dass einer ihrer Schwager ein Informant gewesen sei. „Und, was steht über dich in den Akten?“ fragt Dylan nach. „Ich habe meine Akten nie einsehen wollen.“ Seit 1992 haben ehemalige DDR-Bürger die Möglichkeit zu erfahren, was das Ministerium für Staatssicherheit über die eigene Person hinterlegt hat. Über zwei Millionen Menschen haben diese Möglichkeit bereits genutzt. Für unsere Freundin noch keine Option. „Wir hatten einen guten Zusammenhalt untereinander. Die ganze Strasse war füreinander da.“ Wer von diesen Familien und Freunden damals Informationen sammelte, soll ein ungelesenes Kapitel bleiben.
Nachtrag: Ein paar Tage nach dem Gespräch und dem Lesen des Artikels schickte Tina uns eine E-Mail. Sie hätte die Einsicht in die Papiere nun doch beantragt. Das Gespräch mit uns hätte so viele Erinnerungen wachgerufen, dass es nun an der Zeit sei, mehr von Damals zu erfahren. Und: "Noch heute habe ich beim überqueren der ehemaligen Grenze ein komisches Gefühl. Wie war es für Euch?" Der Besuch des Grenzdenkmals Hötensleben löste in uns tatsächlich zwei unterschiedliche Gefühle aus. Zum einen eine Gänsehaut bei der nochmaligen Erkenntnis was für ein Gefängnis die DDR gewesen war und wie viel Geld ein Staat investierte, um seine Bürger gewaltsam dazubehalten. Wahnsinnig schlimm. Filme darüber zu sehen und darüber zu lesen ist anders, als tatsächlich da zu sein, die Wachtürme zu berühren, vor den Mauern zu stehen und mit Menschen zu sprechen, die dieses Kapitel im Geschichtsbuch tatsächlich erlebt haben. Genau daher finden wir es so wichtig zu Reisen und andere Lebenswelten zu sehen, versuchen zu verstehen. Zum anderen löste der Gang entlang der Grenzanlage aber auch eine Art Wind of Change-Gefühl aus. An einer Grenze zu stehen, die keine mehr ist, zeigt auf, dass Veränderung möglich ist. Dass auch negative Situationen sich verbessern, sich irgendwann wieder ändern. Nichts ist für immer - das Gute nicht, aber eben auch das Schlechte nicht.
Mehr über uns gibt es auch auf den sozialen Medien: Bei Facebook hier & bei Instagram hier . Ab Oktober sind mit EXPLORA auf CH-Tornee und erzählen von unserem Leben als Nomaden.
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#VanlifeWinterescape: Naturparadies mit Müllproblem
Vanlife im europäischen Winter ist machbar. Winter in Sri Lanka ist machbarer. Wir nutzten die kalte Jahreszeit auch diesmal für einen Besuch in Dylans Heimat und erzhälen diesmal von Müllfressenden Elefanten und Politikern ohne Karmapunkte.
Die Affen brüllen und hüpfen über unseren Köpfen von Palme zu Palme. Ein Leguan klebt am Baumstamm, als wäre er von der Schwerkraft befreit, während das Streifenhörnchen laut zirpend Alarm schlägt. Irgendwann schleicht eine Kobra vorbei, die die kleinen Tukane nervös aufschreien lässt. Es sind nur die Geräusche der Natur, die uns umgeben. Kein Strassenlärm. Nichts. „Es ist wunderschön hier!“ denke ich, bis ich wieder auf meine Mülltüte blicke und danach die 10. Zahnbürste, die 34. PET-Flasche, den 27. Flipflop und die wohl 100. Plastiktüte einsammle. Dylans Mutter ist gerade erst hier hin gezogen und wir räumen den Abfall der Vorgänger in ihrem Garten auf. Sie haben während Jahren ihren Müll hinter dem Haus entsorgt. Nicht weil sie Umweltsünder sind, sondern weil es hier im ländlichen Sri Lanka keine Müllabfuhr gab und bis heute nicht gibt. Die einzige Alternativen für die Menschen hier: Den Müll im Garten zu vergraben oder zu verbrennen. Mit Einbruch der Dämmerung steigen jeden Abend Rauchschwaden gegen den Himmel, die von kleinen Feuerchen am Strassenrand oder hinter dem Haus stammen.
15 Millionen Plastiksäcke pro Tag In einem Entwicklungsland nicht nur als Reisende unterwegs, sondern teil der Familie zu sein, öffnet die Augen auf eine andere Weise. Natürlich hatte ich die Abfall-Feuer zuvor auch schon in Indien oder anderen Ländern wahrgenommen und mir war klar gewesen, was da jeweils verbrannt wurde. Aber hier im Garten zu stehen und den Müll selbst einzusammeln, um ihn gezwungenermassen nachher auch selbst zu verbrennen, macht definitiv nachdenklicher. Zumal wild zerstreuter Abfall nicht nur hier hinter dem Haus zu finden ist: Am Fluss wo die Menschen Kleider, Geschirr und sich selbst waschen, lassen sie den Müll genau so liegen, wie in der Anlage rund um ein buddhistisches Kloster, wo sie als Pilger unter dem Baum gepicknickt haben. Dass Hunde, Affen, Kühe oder zum Teil die Elefanten im Abfall herumwühlen und so den Plastik weiter verteilen oder fressen, kommt noch hinzu. Werden da die im Tempel zuvor angehäuften Karma-Punkte nicht gleich wieder abgezogen? Offenbar ist Buddha beim Thema Müll noch gnädig. Allerdings, so sagt Dylan, sollte den Politikern, die sich keinen Dreck um den Müll scheren, wohl am meisten Karma-Punkte abgezogen werden.
Das Internet verrät mir, dass auf Sri Lanka jeden Tag schätzungsweise 15 Millionen Plastiksäcke ver(sch)wendet werden. Bei 22 Millionen Inselbewohner eine durchaus realistische Zahl. Denn beim Einkaufen wird alles sofort ungefragt in eine Plastiktüte gesteckt und wir komisch angeschaut, wenn wir immer wieder sagen: „Nein, kein Plastiksack bitte!“
Vieles geht ohne Plastik Äusserst positiv fallen einig Selbstverständlichkeiten auf, die den Umgang mit Ressourcen schonen und die wir im Westen, dank des Wohlstandes, vergessen haben. Leere Glasflaschen werden weiterverwendet, um Wasser kühl zu stellen oder Kokosnussöl direkt im Laden abzufüllen. Reis, Linsen, getrockneter Fisch, Gemüse und Früchte werden praktisch überall ohne Verpackung verkauft. Jedes Teil der Kokosnuss-Palme wird verwendet: Aus den Fasern werden Besen, Bürsten und natürliche Schnüre hergestellt. Kochlöffel werden aus den harten Kokosnussschalen geschliffen und anstatt ein Plastikschwamm wird ebenfalls ein Stück der rauen äusseren Schale der Kokosnuss für den Abwasch verwendet. Das Abwasser aus der Küche wird in vielen Haushalten in einem Becken gesammelt, um damit die Pflanzen im Garten zu giessen. Die fettigen Finger werden in der Imbissbuden an alte Rechnungen abgewischt und der Apotheker reicht mir das Antimückenmittel in einer aus Zeitungspapier zusammengefalteter Tüte. Und gehen wir zum Picknick, so wird das Mittagessen in Bananenblätter eingewickelt. Es würde also Vieles immer noch ohne Plastik funktionieren, wenn nicht die Moderne oder der Wohlstand es einfacher gemacht hätte Plastiksäcke und dergleichen zu produzieren, die wir nach bloss 15 Minuten wieder wegschmeissen. Veränderung am Horizont Sri Lanka beginnt sich zum Glück langsam um das Problem zu kümmern. Weil letztes Jahr eine Mülldeponie, die es nur in den grossen Städten gibt, zusammenstürzte und dabei einige Menschen und Häuser unter sich begrub, wurde das Abfallproblem endlich auch in der Politik diskutiert. Seit Anfang Jahr sind nun Styropor-Verpackungen für Lebensmittel, sowie Plastiksäcke mit einem gewissen Anteil an Polyethylen und einige weitere Plastikartikel verboten. Ein Anfang ist also gemacht.
Als Reisende und Konsumenten können auch wir einen grossen Teil dazu beitragen, dass wunderschöne Reiseziele, zu denen Sri Lanka definitiv zählt, künftig mit weniger Müll zu kämpfen haben. Wir verwenden seit einiger Zeit zum Beispiel Bambus-Zahnbürsten und Seife anstatt in Plastik verpackte Shampoos. Rasiert wird nicht mehr mit Plastikdingern, sondern mit einem Rasierhobel. Zum Einkaufen geht es mit der eigenen Stofftüte und Wasser wird wann immer möglich gefiltert anstatt in PET Flaschen gekauft. Alle Geräte die wir dabei haben funktionieren mit Strom oder aufladebaren Batterien. Und stabile Einkaufstaschen, die Migros und Coop bei uns als Wiederverwendbar verkaufen, sind in Sri Lanka beliebte Geschenke, da sie eine gute Alternative zu den Plastiktüten sind und in der Form nicht erhältlich. Als Konsumenten versuchen wir (in Europa wie in Übersee) selbst, möglichst wenig Abfall zu produzieren und nicht in den Schnellimbissen zu Essen oder Café zu trinken, die Müll ohne Ende produzieren.
Und sind wir ab März wieder mit unserem Bus unterwegs, so haben wir biologisch abbaubare Tüten dabei und sammeln auf was wir an Müll in der Natur finden, um es später dahin zu bringen, wo es hingehört.
Weitere tolle Tipps, um im Alltag, ob mobil oder nicht, weniger Abfall zu produzieren gibt es auf der Seite von Leben auf Achse.
Wer Sri Lanka gemeinsam mit Dylan & Martina entdecken will, hat am 20. Dezember die nächste Chance mitzukommen. Es ist nämlich wirklich ein wunderbares Naturparadies! Mehr zu uns gibts auf Instagram: @ride2xplore
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Vanlife: Helfen oder doch lieber nicht?
Täglich im Strassenverkehr unterwegs zu sein, kann herausfordern. Auch menschlich.
Ein Ersthelfer-Kurs zu besuchen, wurde für Martina daher unumgänglich.
„Hilfe! Hilfe! Mein Bruder zuckt und liegt am Boden!“ Wir stürmen in den Raum, sehen das Kabel, entfernen die Stromquelle und beginnen mit der Reanimation. 30 Mal Druck auf Herz gefolgt von zwei Beatmungen. Im Kopf die Melodie von Abbas’ Dancing Queen, um im richtigen Rhythmus zu bleiben. Während der Kollege die Notrufnummer 144 anruft und dann zielstrebig zum Defibrillator greift. Die Szene ist eines von vielen Fallbeispielen, die uns Kursteilnehmenden während dem zweitägigen Ersthelfer-Kurs helfen sollen, die Theorie zu verinnerlichen. Für mich ist diese Situation aber gar nicht so unrealistisch.
Die totale Überforderung Denn der Grund warum ich überhaupt im Kurs sitze, liegt ein knappes halbes Jahr zurück. Im letzten Juni, als wir in der Mongolei unterwegs waren, sahen wir am linken Strassenrand plötzlich ein zerschelltes Auto. Zwei Frauen und vier Kinder standen weinend und mit Blut verschmiert herum. Als wir zum Auto kamen, sahen wir ein fünftes Kind: Es lag leblos auf dem Rücksitz. Noch selten hat sich pure Verzweiflung so nahe, so greifbar angefühlt. Bei uns brach sofort die totale Überforderung aus. Was tun? Wir begannen das Kind zu reanimieren, obwohl das Blut bei den anderen bereits eingetrocknet war und es aussah, als wäre der Unfall schon vor zu langer Zeit passiert. Irgendwann realisierten wir, dass die einzige andere Person, die ebenfalls angehalten hatte, eine Ärztin war und sie die Ambulanz verständigt hatte. Nur: Hier konnten bis zu deren Eintreffen Stunden vergehen. Irgendwann sagte die Ärztin zu uns, wir sollen mit der Reanimation aufhören, es brächte nichts mehr. Die Schreie der Mutter, die höchstwahrscheinlich den Unfall selbst verursacht hatte, gingen durch und durch. Ich höre sie noch heute. Und schliesslich blieb uns nur noch übrig, die verzweifelten Menschen in den Arm zu nehmen und da zu bleiben, bis die Ambulanz kam und die Familie mitnahm. Sie fuhren weg und wir blieben weinend und wütend in der Stille zurück. In all der Zeit, die wir da gewesen waren, hatte kein einziges anderes Auto angehalten. Abgebremst hatten sie, geschaut und dann sofort wieder aufs Gaspedal gedrückt. Warum ist man so teilnahmslos? Soll ich oder doch besser nicht? Dann hörten wir Geschichten von hie und da. Der Fall aus Deutschland, wo Leute über einen Rentner hinweggestiegen sind, der in einer Bankfiliale am Boden lag, kam wieder zur Sprache. Freunde erzählen uns, sie seien ebenfalls die Einzigen gewesen, als ein Mann beim Aussteigen aus dem voll besetzen Zug fiel. Im ganz normalen Pendlerverkehr der Schweiz. Ich muss doch zur Arbeit und weiss sowieso nicht was tun. Es schaut dann sicher jemand, der besser weiss was zu tun ist. Einige Wochen nach dem Vorfall trafen wir in Usbekistan auf eine Gruppe Reisende aus den Niederlanden. Wir kamen ins Gespräch und irgendwann auf die Notfallsituation. Als wir unser Entsetzen über die Unwilligkeit zu helfen kundtaten, fiel uns der Reiseleiter ins Wort: Er würde im Ausland auch nicht helfen, denn er kenne einen holländischen Arzt, der in Saudi-Arabien als Ersthelfer nach einem Unfall verurteilt worden war, weil das Unfallopfer nicht überlebt hatte. „Nur Nichtstun ist falsch!“ Den Satz habe ich in den letzten zwei Tagen im Ersthelfer-Kurs immer wieder gehört. Angesprochen auf unser Erlebnis in der Mongolei, sagt aber auch die Kursleitung: Die Rechtslage in der Schweiz und in weiten Teilen Europas ist klar. Wer hilft, kann nichts falsch machen. Wer nicht hilft, allerdings schon. Erste Hilfe zu leisten, könnte im Ausland aber tatsächlich schwerwiegende Folge haben. Eine Kursteilnehmerin hat mehrere Jahre in Brasilien gelebt, ihr sei eingebläut worden nicht anzuhalten, sondern so schnell wie möglich zu alarmieren, um nicht später als vermeintlicher Unfallverursacher finanziell in den Ruin getrieben zu werden. Der Pultnachbar arbeitet in Afrika und auch was er erzählt höre ich nicht zum ersten Mal: Wenn du als Ausländer in Afrika einen Unfall verursachst, fahre weiter, sonst kann es sein, dass du gleich an Ort und Stelle der Selbstjustiz zum Opfer fällst. In Indien erlebte ich es vor ein paar Jahren ähnlich: Keiner wollte helfen, weil es könnte ja unangenehme Folgen haben.
Nur Nichtstun ist falsch Helfen ja, aber nur so lange du dich nicht selbst in Gefahr bringst. Macht Sinn, aber nicht ganz immer. Wir hätten auch mit dem Wissen was folgen könnte, bei dem Unfall nicht vorbeifahren können. Wir hätten es moralisch nicht mit uns selbst vereinbaren können. Wir haben in der Situation ehrlich gesagt nicht einmal darüber nachgedacht, sondern instinktiv gehandelt. War das naiv? Wir finden nein und würden lieber Geld für die verletzte Person bezahlen, obwohl wir nichts mit dem Unfall zu tun hatten, als mit dem Wissen zu leben nicht geholfen zu haben. Natürlich möchten auch wir nicht irgendwo Saudi-Arabien im Knast landen. Aber sind wir realistisch: Wie oft passiert dies wirklich? Eben. Nur nichts tun ist falsch.
GUT ZU WISSEN:
112: Die beste Notrufnummer
Vom Smartphone aus sollte immer die 112 alarmiert werden. Weil 1.) das Telefon in dem Falle auch ohne Netz vom eigenen Anbieter aus, sich in das gerade verfügbare Netz einloggt und 2.) der fast leere Akku bei der Notrufnummer 112 allen zur Verfügung stehenden Saft erhält: So kann mit fast leerem Akku noch bis zu 15 min telefoniert werden. Und 3.) 112 in ganz Europa funktioniert. Eine SIM Karte wird für den Anruf benötigt, aber 112 kann auch ohne Prepaid-Guthaben angerufen werden.
Hilfreiche APP für Unterwegs
Die App ECHO112 zeigt den Rettungskräften automatisch Ihre GPS Position an, was wegen dem Datenschutz nicht in allen Ländern automatisch passiert. Wird der Anruf via App getätigt, gibt man das Einverständnis zur Standortübermittlung. Zudem gibt einem die APP automatisch die richtigen Notrufnummern für das Land, in dem man sich gerade befindet, an, was im Notfall sehr hilfreich sein kann.
Mehr zu uns gibt es auf unsere Homepage: www.ride2xplore.com Oder auf Instagram > @ride2xplore
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#Vanlife: Grenzerfahrung Afghanistan
Als wir am Zollamt Rheinfelden ohne kontrolliert zu werden über die Brücke in Richtung Schweiz rollen, erinnert es uns an die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan: Am anderen Ende der Brücke ist ein anderes Land.
Text: Martina Zürcher Bild: Dylan Wickrama
Der Rhein trennt die Schweiz von Deutschland, etwas später Deutschland von Frankreich. Dem Fluss ist es egal, er fliesst ruhig dahin, ohne zu zögern, ohne zu hadern wohin er denn gehört. So auch der Panj, der Fluss dem wir während 250km und drei Tagen folgten. Wie hier in Rheinfelden trennt er die Region in zwei Nationen. Aber er trennt im engen Tal noch viel mehr: Frieden vom Krieg. Strenge religiöse Vorschriften von einer lockeren Einstellung zur Religion. Muslimas in Burkas von Muslimas in kurzen Röcken und ohne Kopftücher. Tadschikistan grenzt auf rund 1’370 km an Afghanistan. Die Grenze sieht grösstenteils so aus, wie wir sie selbst erlebt haben: Der Panj zieht, trotz trübem braun-grauem Wasser, eine klare Grenzlinie. Auf beiden Seiten ragen steile, beindruckende Bergflanken in die Höhe. Auf beiden Seiten hat es, fast abwechselnd, immer wieder etwas mehr Platz, ein Felsvorsprung, der von den Menschen so gut als möglich als Anbaufläche genutzt wird. Auf beiden Seiten ist das Ufer des Flusses mal gut erreichbar, dann wieder schlängelt sich die schmale Strasse, hüben wie drüben, hoch über den Fluss durch die Felsen.
Auf beiden Seiten sehen die Häuser auf den ersten Blick gleich aus: rechteckige Lehmhäuser schmiegen sich, da wo sie Platz finden, zwischen die Felsen. Erbaut aus dem Lehm der Erde, sehen sie so aus, als wären sie aus eben dieser gewachsen. Erst der zweite Blick macht den Unterschied: Oft fehlten drüben die Strommasten und während es auf der tadschikischen Seite immer wieder Autos oder Lastwagen hatte, sahen wir auf der afghanischen Seite fast keine Autos, dafür hie und da Motorräder und Männer mit Turbanen, die zu Fuss vor kleinen Esel-Karawanen hergingen. Die Tiere waren mit grossen Körben beladen und trotteten ohne Widerrede durch den Kies.
Brücken ohne Aufgaben Nie fuhren wir so lange einen Fluss entlang ohne eine Brücke zu sehen. Die zwei, die wir in den drei Tagen sahen, waren verriegelt, der Grenzverkehr unterbrochen. Die Brücken ohne Bedeutung. Die Kommunikation abgebrochen.
Einmal war die Distanz zum anderen Ufer fast so schmal wie der Rhein hier in Rheinfelden, das Wasser aber wild und schäumend. Wir stellten uns ans Ufer und spähten hinüber. War das wirklich Afghanistan da drüben? Das Land, welches wir praktisch nur aus den Nachrichten kennen? Als wir einen alten Mann unter einem Baum sitzen sahen, winkten wir. Er hob die Hand und winkte zurück. Ich bilde mir ein ein Lächeln gesehen zu haben. Wie muss es sich anfühlen dort auf der anderen Seite? Wo, so sagen uns die Medien, Taliban und Drogen Lords herrschen? Wie fühlt es sich an, dauernd in das andere, unerreichbare Land hinüber zu blicken?
Dann schiessen wir An einer anderen Stelle ist der Fluss weit, aber weniger tief. Sandbänke reichten weit hinaus, wir sahen afghanische Männer, die zum Fischen auf den Sand hinauswateten. Wenig später begegneten wir einer Militär-Patrouille. Zu Fuss marschieren sie im Abstand von vielleicht 50 Meter hintereinander her, das Gewehr im Anschlag. Ungefähr fünfzehn Grenzkilometer würden sie als Einheit kontrollieren, sagte einer der tadschikischen Soldaten zu uns.
„Und wie ist die Situation?“ „Es ist ruhig, kein Problem. Die Lage ist entspannt.“ „Warum marschiert ihr dann hier auf und ab?“ Schmuggler kämen in der Nacht über den Fluss, sagte er. „Sie bringen Drogen und nehmen Alkohol mit zurück.“ „Die Fischer?", beantwortete er unsere nächste Frage, "die kennen wir, die fischen nur, die sind kein Problem.“ „Was tut ihr, wenn ihr die Schmuggler entdeckt?“ „Wir schreien ihnen zu sie sollen umkehren.“ „Und wenn sie es nicht tun?“ „Dann schiessen wir.“
Haar im Wind Wir fragten nicht, wie oft sie den schon geschossen hätten, sondern fuhren weiter, spähten hinüber in das Leben der Anderen. Auf einer flachen Anhöhe kultivierten Bauern mit einfachen, von Rindern gezogenen Pflügen ihre Felder. Ein paar Frauen sassen im Schatten. Auch sie winkten zurück. Dann sahen wir eine Frau zwischen stufenartig angelegten Gemüsebeeten zielstrebig irgendwo hingehen. Ihr Haar wehte im Wind. Zuerst fiel es mir gar nicht auf. Erst als Dylan zu mir sagte: „Schau, sie trägt kein Kopftuch!“ realisierte ich, dass dies bei ihr, drüben im anderen Land nicht die Norm ist. Zumindest nicht die, die wir mit Afghanistan verbinden. Hier hinter den grossen Bergen, vor der Grenze des Nachbarlandes, schienen die Taliban keinen Einfluss zu haben.
Im nächsten Dorf plantschten Jungen im Fluss. Immer einer wurde an ein dickes Seil gebunden und sprang dann in die trübe Flut, während seine Freunde am Ufer entlang rannten, das Seil fest in den Händen, um ihn ein paar Meter Flussabwärts johlend wieder ans sichere Ufer zu ziehen. Aber was heisst schon sicheres Ufer, wenn man in einem Land lebt, welches seit 40 Jahren von Gewalt zerfledert wird? Afghanistan zog in einer Art Unwirklichkeit an uns vorbei, ohne dass wir mit den Menschen in Kontakt kommen konnten, Fragen aufwerfend, auf die wir keine Antworten erhielten. Es fühlte sich an als würden wir im Kino sitzen und einen stummen Dokumentarfilm betrachten. Einen friedlichen Dokumentarfilm.
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#Vanlife: Weder Diesel noch Wasser
Einfach an die Tankstelle fahren, Diesel auftanken und mit der Karte bezahlen ist für uns, als wir vor einer Woche wieder in Europa angekommen sind, total ungewohnt. Zu oft hatten wir in den letzten Monaten erlebt, dass Tankstellen nicht mehr funktionierten oder kein Diesel hatten. Vor allem in Usbekistan, wo fast alle Autos mit Gas betrieben werden, ist Diesel eine Seltenheit.
Im September und Oktober, die Zeit der Baumwollernte, soll es noch brenzliger sein, weil dann Diesel nur an LKWs abgegeben werden darf, die das weisse Golde transportieren. Da wir dies im Voraus wussten, planten wir die Route für einmal etwas genauer und beschlossen bloss die märchenhaften Städte Samarkand, Buchara und Khiva, sowie den Aralsee zu besuchen. Auf halber Strecke fanden wir Diesel auf dem Schwarzmarkt, welches direkt aus alten PET-Flaschen in Foxys Tank eingefüllt wurde. Nun hofften wir mit vollem Tank und 10 Liter Zusatzkanister die restliche Strecke ohne Probleme zu schaffen und machten uns auf zum Aralsee, dem einst viertgrössten See der Welt.
Fischerboote auf Grund Im ehemaligen Fischerdorf Muynak ist nicht mehr der Badestrand die Attraktion, sondern der Schiffsfriedhof. Rostig liegen die Gerippe der Fischerboote auf dem Sand in der Hitze. Der ehemalige Seeboden ist mit Büschen überwachsen und hie und da liegen Muscheln herum. An der Aussichtsplattform sowie im Museum wird das Verschwinden des Sees dokumentiert, allerdings steht nirgends, dass die ehemalige Sowjetunion die usbekische Trockenzone zum Baumwoll-Mekka machen wollte und so durch den Bau von Kanälen sämtliche Wasserzuflüsse des Sees kappte und ihn innerhalb weniger Jahre fast gänzlich zum Verschwinden brachten. Das Ausmass der Katastrophe realisierten wir so richtig, als wir fragten wie weit wir fahren müssten, um den See doch noch zu sehen. „190km“ „Hin und zurück?“ „Nein, von hier bis zum Ufer,“ sagte der Museumsleiter. Die Tankanzeige zeigte eine Reichweite von 500km an. Die zusätzlichen rund 400 sollten also drin liegen. Irgendwo würden wir dann schon wieder Diesel auftreiben können, solange wir nicht in der neu entstandenen Wüste steckenbleiben würden, sagten wir uns und fuhren los. Vorbei an zerfallenen Fischfabriken – hier wurden früher jährlich 35 Tonnen Dosenfisch verpackt – bis zu einer Schranke. Wir glaubten schon, dass der See für Fremdlinge wie uns gesperrt ist, weil wir nun in der Ferne überall Türme sahen, die auf Gasgewinnung hinwiesen. Aber der Sicherheitsbeamte wollte nur wissen, ob wir eine Karte hätten. Bald merkten wir weshalb: vor uns breitete sich ein Gewirr an Pisten aus, es sah in allen Himmelsrichtungen gleich flach aus und die Temperaturanzeige stieg auf 42 Grad. Seit der See keiner mehr ist, wurde das Klima in der Region extremer: heisser im Sommer, viel kälter im Winter. Zudem belasten das eingetrocknete Salz, welches vom Wind durch die Luft getragen wird, Umwelt und Mensch bis heute.
Zu steil für Foxy Der See war einst zweimal so gross wie die Schweiz und wir erreichten erst nach Stunden das steil vor uns aufragende ehemalige Ufer. Vom Seeboden gelangten wir über eine enge Piste in die Höhe. Von Oben sah die Katastrophe fast schön aus. Das verschwundene Wasser hat eine Art Canyonlandschaft freigegeben. Erst 50 Kilometer weiter zog sich eine Piste wieder hinunter auf den Seegrund. Mitten in der steilen Abfahrt piepste Foxy der Bus plötzlich auf: Reichweite 5km, bitte Tanken! Was!? Wie konnte das passieren, eben noch zeigt es 200km an. Wir sprangen aus dem Auto und waren froh, kein Leck im Tank zu entdecken. Aber was nun? Wir entschlossen erstmal hinunter ans neue Seeufer zu fahren und dort zu übernachten. Am nächsten Tag würden wir schon irgendwie eine Lösung finden. Dylan lag die halbe Nacht wach und grübelte nach. Wie würden wir wieder zurückkommen? Die 10l im Zusatzkanister reichten im Normalfall für 100km, in schwierigem Gelände vielleicht für die Hälfte. Die Hauptstrasse war aber mindestens 100km weit weg. Die nächste Tankstelle mit Diesel? Soweit mochte er gar nicht denken. Als wir am Morgen den Motor starteten, stand da immer noch: „Bitte tanken!“ Bitte nicht, hofften wir und fuhren los. Obwohl wir einige Kilometer zurücklegten, stand bei der Reichweite immer noch 5, dann plötzlich 10km. „Foxy! Spiel uns jetzt keinen Streich!“ beschworen wir unser Haus und als hätte er uns gehört, sprang die Reichweite plötzlich wieder auf 200km und wir realisierten, dass wir an der genau gleichen Stelle waren wie gestern. Dann fiel bei uns der Groschen: Der Abhang war so steil, dass sich der Schwimmer der Tankanzeige irgendwo verkeilt haben musste und nun wieder freigekommen war.
Ab Herbst 2019 sind wir auf Schweizer Tournee mit Explora. Tickets: www.explora.ch
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