Ride2xplore
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FreeWir, eine Journalistin & ein Abenteurer, leben & arbeiten seit März 2016 in unserem VW-Bus. In der Schweiz & in Europa.
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Begegnung am Strassenrand
In Russland ist Autostopp verboten. Im kalten sibirischen Mai gelten für uns andere Gesetze, dabei lernen wir die für uns ungewöhnliche Lebengeschichte von Alexander kennen. Da uns das Internet in Russland nicht hat posten lassen, jetzt ein verspätetes Update von uns. Zwar mit dem Bus bereits in der Mongolei. Aber hier doch noch ein Text aus Russland. Am Strassenrand vor uns taucht ein Fussgänger auf, der sich mit hinkendem Bein langsam durch den Regen und Wind bewegt. Er trägt ein kurzärmliges Hemd und in der rechten Hand eine Plastiktüte. Wir fahren zuerst an ihm vorbei, dann hält Dylan an und sagt: „Wir müssen ihn mitnehmen!“ Kurzes hin und her und dann ist klar: „Ja, wir müssen ihn mitnehmen.“ Also fahren wir zurück. Obwohl er gar nicht erst versucht hat ein Auto anzuhalten, steigt er ohne zu zögern ein. Seine Hände und Arme sind voller Tätowierungen, das Gesicht hager. Er zittert am ganzen Leib und wir stellen die Heizung auf die höchste Stufe. „Wo willst du hin?“ fragen wir als er schon zwischen uns sitzt und er antwortet: „Moskau“ „Moskau? Wirklich?“ Wir stellen die Frage nochmals, jetzt auf russisch, die Antwort bleibt die gleiche. Moskau ist 2800km weit weg. Wir sind ausserhalb Omsk, was bereits zu Sibirien zählt und es regnet seit gestern unaufhörlich. Wir checken das GPS Gerät und sehen, die Umfahrungsstrasse führt tatsächlich nach Moskau. Aber wir müssen in ein paar Kilometer abbiegen, um in die Stadt zu fahren. Vorerst fahren wir weiter und fragen weiter. „Warum willst du bis nach Moskau?“ "Um zu leben!", spricht er uns seine Augen leuchte auf, als er sieht das wir verstehen. Zhizn! Leben!„Du willst zu Fuss bis nach Moskau?“ „Ja, also per Autostopp.“ Der merkwürdige Mann, in dessen Leben wir plötzlich hineingeraten sind, zittert immer noch. Wir diskutieren, ob es nicht besser wäre ihm ein Zugticket zu kaufen. „Er hätte kein Geld,“ sagt er. „Wir bezahlen das Ticket“, antworten wir. Er schüttelt den Kopf. „Ich habe keinen Pass und wäre im Zug eine ‘fucking slut’“ – so übersetzt es die App und wir verstehen: Er kann nicht mit dem Zug fahren, weil man sich in Russlands Zügen nicht nur mit dem Ticket, sondern auch mit einer Identitätskarte ausweisen muss.Seine grobe Sprache, die Tattoos, die Narben auf dem Unterarm. Es will alles nicht so recht zu seinem kindlichen Gesichtsausdruck passen. Seine blauen Augen schauen uns hoffnungsvoll an, aber er wirkt auch, als wäre er es sich gewohnt Zurückweisung und Demütigung zu ertragen.Bis zur nächsten Raststätte Da wo wir abbiegen müssten, halten wir an. Dann fragt er uns: „Könnt ihr mich nicht bis zur nächsten Raststätte bringen?“ Der Wind schlägt mir die Autotür aus der Hand. Ich schliesse sie wieder. Natürlich können wir. Auf der Weiterfahrt wir aus Dylan Viktor. Weil er unsere Namen nicht als Namen erkennt, benutzen wir russische Namen, um ihn zu fragen wie er heisst. Alexander, Viktor und Natascha fahren 30, 40 Kilometer weiter. Sie geben uns Zeit mehr Fragen zu stellen. Hast du Familie in Moskau? Nein, ich bin alleine. Auf den Fingern seiner linken Hand sind die Zahlen 1, 9,7 und ein Fragezeichen mit Tinte unter der Haut verewigt. Lässt sich daraus schliessen, dass er nicht weiss in welchem Jahr er zur Welt gekommen ist? Passen die 70ger Jahre zu Alter, dass in seinem Gesicht ablesbar ist? Vielleicht schon. Seine Lebensgeschichte muss ihn viel älter wirken lassen, als er tatsächlich ist. Arbeitest du etwas? Niet. Invalid! Er zeigt auf sein Bein und den Arm. Wo kommst du her? Aus Omsk? Nein, er schüttelt den Kopf und deutet energisch aufs Telefon, damit er sprechen kann und wir ihn verstehen. Er spricht, dann dreht sich die Russland-Flagge auf der Übersetzer-App, langsam und immer wieder, bis da steht: Ich bin gestern in Novosibirsk aus dem Gefängnis entlassener worden.Während ich Dylan den Satz vorlese, schiessen mir alle Gedanken auf einmal durch den Kopf Wer ist er wirklich? Was hat er getan? Was, wenn er gefährlich ist und uns plötzlich angreift? Aber kann er wirklich so kriminell sein, wenn er uns offen davon erzählt? Wenn er im strömenden Regen, einzig mit einer Wolldecke in einem Plastiksack von Novosibirsk bis nach Moskau will, um zu „leben!“ Jetzt ergeben die Tattoos und die Sprache einen Sinn und auch, dass er weder Pass noch ID hat. Schon als ich seine Arme vor einer halben Stunde zum ersten Mal registrierte, war mir der Gedanke gekommen, dass er im Gefängnis gewesen sein muss. Ich hätte aber nicht erwartet, dass er dort bis gestern noch war. „Frag ihn warum er dort war. Hat er jemanden umgebracht?“ sagt Dylan und ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich mehr über seine Vergangenheit wissen will. Frage dann aber trotzdem. Die Antwort verstehen wir nicht hundertprozentig. Aber sie kommt frisch von der Leber weg und ohne zu zögern. Er hätte sich während drei Jahren jeden Monat irgendwo anmelden sollen und dies hätte er einmal nicht gemacht, jetzt sei er deswegen vier Monate im Gefängnis gewesen. Wir wissen nicht, was vorher alles war. Aber einen invaliden Menschen ins Gefängnis stecken? Es ist die brutale Seite Russlands, die wir gerade kennen lernen. Es war „normal“Wir sind 40km gefahren, ohne an einer Raststätte vorbei zu kommen. Wieder biegt eine Strasse ab, die uns nach Omsk führen würde. Wir waren ursprünglich auf dem Weg in eine Autowerkstatt, weil Foxy einmal mehr den Keilriemen zu Spaghetti gemacht hatte. Den fünften, seit wir in der Schweiz abgefahren sind und wir wussten: Nun müssen wir definitiv ein Teil austauschen, welches Dylan selbst nicht ausbauen kann. Reisst der Riemen während der Fahrt ein weiteres Mal, kann der ganze Motor kaputtgehen (wir hatten die vorderen vier Mal immer Glück, dass er riss, wenn wir langsam fuhren und es sofort merkten). Was ein paar Tausend kosten und die gesamte restliche Reise in Frage stellen würde. Wir erklären ihm, dass wir ein Problem mit dem Auto haben und leider jetzt wirklich in die Garage müssten. Aber es fühlt sich so an, als würden wir ihn rausschmeissen, jetzt wo wir wissen woher er kommt. Wir geben ihm Dylans Jacke, einen Regenschirm, Brot, Thunfisch, Bananen, Kekse und 500 Rubel. Als wir ihm ein anderes T-Shirt geben wollen, damit er sein nasses ausziehen kann, winkt er ab. Nicht nötig. Er bedankt sich und humpelt davon. Wir schauen ihm nach, dann uns an und sind uns sofort einig: Wir können ihn nicht einfach so hier draussen lassen. Das Teil wird schon noch ein paar Kilometer mehr aushalten. Also fahren wir hinter ihm her, öffnen die Türe und sagen er soll wieder einsteigen. Er tut es und bedankt sich wieder. Es sind nochmals 15km, 20km bis zu einer Raststätte und wir fragen ihn wie es war im Gefängnis. Er zuckt die Schultern und sagt: „Normal.“ Gefängnis und Sibirien. Eine Wortkombination, die unsereins erschauern lässt. Er sagt es war normal. Die Tattoos sehen nicht neu aus und es sind so viele – sehr wahrscheinlich sass er schon öfters im Knast. Aber was muss einem im Leben alles widerfahren sein, dass der Gefängnisaufenthalt in Sibirien normal ist? Dass es normal ist, mit einer Wolldecke im Wald zu übernachten und man bestimmten Schrittes in eisiger Kälte unterwegs ist bis ins 2800km entfernte Moskau? Alexander will leben! Wir setzen Alexander schliesslich vor einem kleinen Imbiss ab, wo er hoffentlich bald einen Lastwagenfahrer finden wird, der sich ihm erbarmt. Wir fahren in Richtung unseres Ziels, drehen dann aber noch einmal um. Gehen zurück, um ihm mehr Geld zu geben. Foxy wird uns in der Garage gleich einiges mehr kosten. So what! Als Dylan in das kleine Restaurant tritt, sitzt Alexander an einem Tisch und isst unser Brot und den Thunfisch, anstatt etwas bestellt zu haben. Seine Augen leuchten auf, als er Dylan erkennt und er freut sich noch mehr über die 5'000 Rubel. Ich sitze während dessen auf dem von seinen regennassen Hosen durchnässten Beifahrersitz und bin froh, hat Dylan entschieden den Mann mitzunehmen. Ich schäme mich dafür, dass ich zuerst ablehnte, weil ich dachte, er wird uns alles nass machen. Was ist schon ein nasser Autositz gegen sein Leben? Was ist schon unser kaputtes Auto gegen die Probleme, vor denen er steht? Am Abend zuvor waren wir vier Stunden im Schlamm stecken geblieben und hatten gedacht es sei sehr anstrengend unseren Bus alleine wieder rauszubekommen. Ich war müde und genervt. Aber das war ein Spaziergang im Vergleich zum Schicksal von Alexander. Dem Alexander, der nach allem was er erlebt haben mag, mit einer Wolldecke im strömenden Regen steht und sagt: Ich will nach Moskau um zu leben!
Unser zwei-sprachiger Vlog über das Leben im Bus.
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Begegnung am Strassenrand
In Russland ist Autostopp verboten. Im kalten sibirischen Mai gelten für uns andere Gesetze, dabei lernen wir die für uns ungewöhnliche Lebengeschichte von Alexander kennen.
Da uns das Internet in Russland nicht hat posten lassen, jetzt ein verspätetes Update von uns. Zwar mit dem Bus bereits in der Mongolei. Aber hier doch noch ein Text aus Russland.
Am Strassenrand vor uns taucht ein Fussgänger auf, der sich mit hinkendem Bein langsam durch den Regen und Wind bewegt. Er trägt ein kurzärmliges Hemd und in der rechten Hand eine Plastiktüte. Wir fahren zuerst an ihm vorbei, dann hält Dylan an und sagt: „Wir müssen ihn mitnehmen!“ Kurzes hin und her und dann ist klar: „Ja, wir müssen ihn mitnehmen.“
Also fahren wir zurück. Obwohl er gar nicht erst versucht hat ein Auto anzuhalten, steigt er ohne zu zögern ein. Seine Hände und Arme sind voller Tätowierungen, das Gesicht hager. Er zittert am ganzen Leib und wir stellen die Heizung auf die höchste Stufe.
„Wo willst du hin?“ fragen wir als er schon zwischen uns sitzt und er antwortet: „Moskau“
„Moskau? Wirklich?“ Wir stellen die Frage nochmals, jetzt auf russisch, die Antwort bleibt die gleiche. Moskau ist 2800km weit weg. Wir sind ausserhalb Omsk, was bereits zu Sibirien zählt und es regnet seit gestern unaufhörlich.
Wir checken das GPS Gerät und sehen, die Umfahrungsstrasse führt tatsächlich nach Moskau. Aber wir müssen in ein paar Kilometer abbiegen, um in die Stadt zu fahren. Vorerst fahren wir weiter und fragen weiter. „Warum willst du bis nach Moskau?“ "Um zu leben!", spricht er uns seine Augen leuchte auf, als er sieht das wir verstehen. Zhizn! Leben! „Du willst zu Fuss bis nach Moskau?“ „Ja, also per Autostopp.“
Der merkwürdige Mann, in dessen Leben wir plötzlich hineingeraten sind, zittert immer noch. Wir diskutieren, ob es nicht besser wäre ihm ein Zugticket zu kaufen. „Er hätte kein Geld,“ sagt er. „Wir bezahlen das Ticket“, antworten wir. Er schüttelt den Kopf. „Ich habe keinen Pass und wäre im Zug eine ‘fucking slut’“ – so übersetzt es die App und wir verstehen: Er kann nicht mit dem Zug fahren, weil man sich in Russlands Zügen nicht nur mit dem Ticket, sondern auch mit einer Identitätskarte ausweisen muss.
Seine grobe Sprache, die Tattoos, die Narben auf dem Unterarm. Es will alles nicht so recht zu seinem kindlichen Gesichtsausdruck passen. Seine blauen Augen schauen uns hoffnungsvoll an, aber er wirkt auch, als wäre er es sich gewohnt Zurückweisung und Demütigung zu ertragen.
Bis zur nächsten Raststätte Da wo wir abbiegen müssten, halten wir an. Dann fragt er uns: „Könnt ihr mich nicht bis zur nächsten Raststätte bringen?“ Der Wind schlägt mir die Autotür aus der Hand. Ich schliesse sie wieder. Natürlich können wir. Auf der Weiterfahrt wir aus Dylan Viktor. Weil er unsere Namen nicht als Namen erkennt, benutzen wir russische Namen, um ihn zu fragen wie er heisst. Alexander, Viktor und Natascha fahren 30, 40 Kilometer weiter. Sie geben uns Zeit mehr Fragen zu stellen.
Hast du Familie in Moskau? Nein, ich bin alleine.
Auf den Fingern seiner linken Hand sind die Zahlen 1, 9,7 und ein Fragezeichen mit Tinte unter der Haut verewigt. Lässt sich daraus schliessen, dass er nicht weiss in welchem Jahr er zur Welt gekommen ist? Passen die 70ger Jahre zu Alter, dass in seinem Gesicht ablesbar ist? Vielleicht schon. Seine Lebensgeschichte muss ihn viel älter wirken lassen, als er tatsächlich ist. Arbeitest du etwas? Niet. Invalid! Er zeigt auf sein Bein und den Arm. Wo kommst du her? Aus Omsk? Nein, er schüttelt den Kopf und deutet energisch aufs Telefon, damit er sprechen kann und wir ihn verstehen. Er spricht, dann dreht sich die Russland-Flagge auf der Übersetzer-App, langsam und immer wieder, bis da steht: Ich bin gestern in Novosibirsk aus dem Gefängnis entlassener worden. Während ich Dylan den Satz vorlese, schiessen mir alle Gedanken auf einmal durch den Kopf Wer ist er wirklich? Was hat er getan? Was, wenn er gefährlich ist und uns plötzlich angreift? Aber kann er wirklich so kriminell sein, wenn er uns offen davon erzählt? Wenn er im strömenden Regen, einzig mit einer Wolldecke in einem Plastiksack von Novosibirsk bis nach Moskau will, um zu „leben!“ Jetzt ergeben die Tattoos und die Sprache einen Sinn und auch, dass er weder Pass noch ID hat. Schon als ich seine Arme vor einer halben Stunde zum ersten Mal registrierte, war mir der Gedanke gekommen, dass er im Gefängnis gewesen sein muss. Ich hätte aber nicht erwartet, dass er dort bis gestern noch war. „Frag ihn warum er dort war. Hat er jemanden umgebracht?“ sagt Dylan und ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich mehr über seine Vergangenheit wissen will. Frage dann aber trotzdem. Die Antwort verstehen wir nicht hundertprozentig. Aber sie kommt frisch von der Leber weg und ohne zu zögern. Er hätte sich während drei Jahren jeden Monat irgendwo anmelden sollen und dies hätte er einmal nicht gemacht, jetzt sei er deswegen vier Monate im Gefängnis gewesen. Wir wissen nicht, was vorher alles war. Aber einen invaliden Menschen ins Gefängnis stecken? Es ist die brutale Seite Russlands, die wir gerade kennen lernen.
Es war „normal“ Wir sind 40km gefahren, ohne an einer Raststätte vorbei zu kommen. Wieder biegt eine Strasse ab, die uns nach Omsk führen würde. Wir waren ursprünglich auf dem Weg in eine Autowerkstatt, weil Foxy einmal mehr den Keilriemen zu Spaghetti gemacht hatte. Den fünften, seit wir in der Schweiz abgefahren sind und wir wussten: Nun müssen wir definitiv ein Teil austauschen, welches Dylan selbst nicht ausbauen kann. Reisst der Riemen während der Fahrt ein weiteres Mal, kann der ganze Motor kaputtgehen (wir hatten die vorderen vier Mal immer Glück, dass er riss, wenn wir langsam fuhren und es sofort merkten). Was ein paar Tausend kosten und die gesamte restliche Reise in Frage stellen würde. Wir erklären ihm, dass wir ein Problem mit dem Auto haben und leider jetzt wirklich in die Garage müssten. Aber es fühlt sich so an, als würden wir ihn rausschmeissen, jetzt wo wir wissen woher er kommt. Wir geben ihm Dylans Jacke, einen Regenschirm, Brot, Thunfisch, Bananen, Kekse und 500 Rubel. Als wir ihm ein anderes T-Shirt geben wollen, damit er sein nasses ausziehen kann, winkt er ab. Nicht nötig. Er bedankt sich und humpelt davon. Wir schauen ihm nach, dann uns an und sind uns sofort einig: Wir können ihn nicht einfach so hier draussen lassen. Das Teil wird schon noch ein paar Kilometer mehr aushalten.
Also fahren wir hinter ihm her, öffnen die Türe und sagen er soll wieder einsteigen. Er tut es und bedankt sich wieder. Es sind nochmals 15km, 20km bis zu einer Raststätte und wir fragen ihn wie es war im Gefängnis. Er zuckt die Schultern und sagt: „Normal.“
Gefängnis und Sibirien. Eine Wortkombination, die unsereins erschauern lässt. Er sagt es war normal. Die Tattoos sehen nicht neu aus und es sind so viele – sehr wahrscheinlich sass er schon öfters im Knast. Aber was muss einem im Leben alles widerfahren sein, dass der Gefängnisaufenthalt in Sibirien normal ist? Dass es normal ist, mit einer Wolldecke im Wald zu übernachten und man bestimmten Schrittes in eisiger Kälte unterwegs ist bis ins 2800km entfernte Moskau?
Alexander will leben! Wir setzen Alexander schliesslich vor einem kleinen Imbiss ab, wo er hoffentlich bald einen Lastwagenfahrer finden wird, der sich ihm erbarmt. Wir fahren in Richtung unseres Ziels, drehen dann aber noch einmal um. Gehen zurück, um ihm mehr Geld zu geben. Foxy wird uns in der Garage gleich einiges mehr kosten. So what! Als Dylan in das kleine Restaurant tritt, sitzt Alexander an einem Tisch und isst unser Brot und den Thunfisch, anstatt etwas bestellt zu haben. Seine Augen leuchten auf, als er Dylan erkennt und er freut sich noch mehr über die 5'000 Rubel. Ich sitze während dessen auf dem von seinen regennassen Hosen durchnässten Beifahrersitz und bin froh, hat Dylan entschieden den Mann mitzunehmen. Ich schäme mich dafür, dass ich zuerst ablehnte, weil ich dachte, er wird uns alles nass machen. Was ist schon ein nasser Autositz gegen sein Leben? Was ist schon unser kaputtes Auto gegen die Probleme, vor denen er steht? Am Abend zuvor waren wir vier Stunden im Schlamm stecken geblieben und hatten gedacht es sei sehr anstrengend unseren Bus alleine wieder rauszubekommen. Ich war müde und genervt. Aber das war ein Spaziergang im Vergleich zum Schicksal von Alexander. Dem Alexander, der nach allem was er erlebt haben mag, mit einer Wolldecke im strömenden Regen steht und sagt: Ich will nach Moskau um zu leben!
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#vanlife: Im Gespräch mit Russland
Russland ist flächenmässig das grösste Land der Welt, besiedelt ist es von 142.3 Millionen Menschen. Dies würde pro Quadratkilometer acht Köpfe bedeuten. Da aber 75% der Menschen im europäischen Teil (3.953km2), also westlich des Urals leben und nur 25% im asiatischen Teil (13.122km2), ist die Zahl, egal wo man ist, nie ganz korrekt. Wir haben gemerkt: Um so tiefer die Menschendichte wird, umso herzlicher werden die Begegnungen.
Eines vorneweg: Mit Englisch kommt man nicht durch. Nicht mal mehr an der Grenze und auch nicht in Moskau. Die Hürde mit den Menschen in Kontakt zu kommen ist also etwas höher als sonst. Zudem werden von westlichen Mainstream-Medien und Hollywood die Idee zementiert, Russen seine verschlossen, unfreundlich, ja gar böse, was Reisende davon abhalten kann überhaupt ins Gespräch zukommen.
Klar, sie sind nicht gerade ein Ausbruch an Lebensfreude. Schauen oft erst misstrauisch und streng, aber wer sie trotzdem anspricht, lacht und winkt, der bekommt irgendwann ein Lachen und Winken zurück. Bei uns dauerte es eine Woche bis die ersten fröhlich zurückwinkten. Aber immerhin. Sie taten es. Danach lehnte sich der Rentner zufrieden ins offene Fenster und redete auf uns ein wie ein Wasserfall. Wir stellten die Fragen via Übersetzer App, Dylan setzte ihm dazu seine eigene Lesebrille auf den (für die Brille) etwas zu dicken Kopf, er las die Frage und sprach und sprach. Wir verstanden bloss Kolchose, Perestroika, Moskau, Politka. Und natürlich konnten wir es nicht lassen: „Putin?“ Dylan zeigte mit dem Daumen nach oben und dann nach unten. Eher gut oder eher schlecht? „Pfff“ Es klang gleichgültig. Der Mann zuckte mit den Schultern. Moskau scheint zu weit weg, als dass er sich ernsthaft kümmern würde.
Stimmt!
In einem kleinen Dorf in Bashkirien, wo nur noch 55 mehrheitlich alte Menschen leben, deren Häuser bemerkenswert instandgehalten sind, lehnt Igor über den hölzernen Gartenzaun seines Elternhauses. Auf dem Kopf trägt er eine Takke, die ihn mit ihren Halbmonden als Moslem auszeichnet. Wir gehen hin und sprechen ihn an, also halten ihm das Smartphone unter die Nase. Er lebe nicht mehr hier, sondern in Ufa, der nächst grösseren Stadt, tippt er die Antwort ein. Aber er sei hier aufgewachsen.
Dann will er wissen woher wir kommen. Dabei ist er so höflich der Frage ein ‘Entschuldigen Sie bitte’ davor zu setzen, trotz des umständlichen Tippens. Als er versteht woher wir sind, will er das Telefon nochmals und ich lese die nächste Frage: „Ist es nicht beängstigend für Euch in Russland zu reisen?“ Nein. Ich schüttle den Kopf und tippe ein: „Wir haben bis jetzt nur gute Menschen getroffen.“ Er antwortet: „Nur die Politiker sind schlecht. Die einfachen Menschen sind gut.“ Da! Ja! Stimmt. Die Konversation ist stumm und mutet eher einem Chat an, einig werden wir uns trotzdem.
Das Paradies! Das nächste Mal sind wir (einmal mehr) in einem Autoteile Laden. Dylan steht vor der Auslage und ist begeistert: „Was es hier alles gibt! Der Wahnsinn!“ Weil hier jeder sein eigener Mechaniker – oder besser Bastler – ist, erhalten wir sämtliche Teile (und noch ein paar mehr), die wir brauchen. Mit Zeichnen und Drauflosreden funktioniert der Kaufvorgang. Als Dylan immer noch staunend vor der Auslage steht, tippe ich: „Für mein Mann ist ihr Geschäft das Paradies! :-)“ Die Frau, die eine Brille trägt, greift zu einer Handflächengrossen Lupe und hält das Telefon darunter. Ich kann es nicht verkneifen und lache laut los, sie sagt etwas das wie „Ich sehe schlechter als ein alter Hund“ klingt und liest, dann lacht sie und hält das Telefon samt Lupe ihrer Kollegin hin. Humor funktioniert also auch. Als wir das Geschäft verlassen, kommen die beiden Verkäuferinnen hinter uns her und winken uns nach als wir vom Parkplatz wegfahren.
Halt! Nur mit den Polizisten, da verstehen wir kein Wort. Und zucken keinen Finger, um auf der App etwas einzutippen. Der Internationale Führerschein wird meisten ratlos einmal in den Händen gedreht und uns dann zurückgegeben. Die Handbewegung für „Weiterfahren“ wiederum, die verstehen wir dann immer sofort. Höflich lächeln und weg. Von vier Polizisten sprach bis jetzt einer Englisch und den wiederum bombardiert Dylan mit so vielen charmanten Fragen, dass er uns auch bald mal ziehen liess. Kommunikation erfolgreich! ;-)
Für mehr Bilder und Einblicke, kannst du unsere Reise auf Instagram oder Facebook verfolgen. -> @ride2xplore
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#vanlife: 616km geradeaus
Nach 2.5h, drei Zöllner die kontrollieren, ob Dylan wirklich Dylan ist und 4 falsch ausgefüllten Formularen sind unsere Autoren am 9. Mai nach Russland eingereist. Danach ging es immer geradeaus bis nach Moskau, oder zumindest fast. Ich sitze im Eingang unseres Hauses, also in der Schiebetüre, und geniesse die Sonne, die endlich wärmt. Vor mir nicht etwa wie gestern Abend noch noch die russische Tundra, sondern ein Parkplatz einer Autowerkstatt irgendwo an der M9, der Hauptstrasse die Riga mit Moskau verbindet. Eigentlich hätten wir, als wir vor zwei Tagen über die Grenze nach Russland fuhren alles geradeaus fahren können. 616 Kilometer ohne abzubiegen, bis ins politische Herz Russlands. Natürlich wurde es uns aber nach ein paar hundert Kilometer zu langweilig und wir bogen ab, nach Toropets, eine der ältesten Städten Russlands. Wo nicht nur die Häuser, sondern auch die Menschen mehrheitlich alt sind. Wo den Häuser der Lack fehlt, dafür die orthodoxe Kirche, mit ihrer goldenen Kuppel, umso mehr heraussticht. Wo Trabis und Ladas über die Strassen fahren, und die gelb-weissen Zebrastreifen von Hand auf den Teer gepinselt werden.
Hier lernen wir, dass in Russland doch auch vieles gleich ist wie bei uns. Die Grossmütter zum Beispiel. Als wir in der Bank Euro in Rubel tauschen, zupft eine alte Frau mit der grössten Selbstverständlichkeit den Schmutz von Dylans Pullover und lächelt selig, als wir uns mit einem „Spasiva“ bedanken. Auch die Teenager sind gleich: Hinter der Schule entdecken wir vier Jungs, die hastig ihre Zigaretten verstecken, als sie uns sehen, dann aber ruhig weiter paffen, als sie merken, dass wir hier fremd sind. Einkaufen auf russisch Auf einem Platz haben alte Frauen Harassen umgekehrt vor sich stehen, darauf die Ernte aus dem Garten. Wir kaufen hie und da was. Eine Handvoll frische Kartoffel für 10, ein grosses Glas Essiggurken für 100 und selbstgemachte Konfitüre für 250 Rubel (1Rubel ist 0.02 CHF). Die alten Frauen tragen bunte Kopftücher, sitzen in einer Reihe auf kleinen Plastikhockern und preisen ihre Waren nun umso fleissiger an. Am liebsten würden wir bei jeder etwas kaufen. Aber so viel Platz haben wir nicht in unserem kleinen Küchenschrank.
Später, wir sind wieder auf der M9 unterwegs, halten wir bei einem Verkaufsstand direkt an der Strasse. Nikolai verkauft ausgestopfte Bären, die er selber gejagt hat. Dachse und Rehe. Der vermeintliche Honig, so verstehen wir schliesslich die Erklärungen des Mannes, ist Biberfett. Zum Glück haben wir den „Honig“ nicht gekauft und aufs Brot gestrichen. Dann zeigt er uns unter einer Plane geräucherten Fisch, während in seinem Mundwinkel lässig eine Zigarette hängt. Nikolai versteht unser russisch, welches direkt aus der Übersetzer-App kommt und wir wissen nun, dass er die Tiere alle hier in den Wäldern erlegt hat, dass er ca. 10km von hier weg lebt und eine Frau und zwei Kinder hat. Lesen lernen Auf der langen, geraden Strecke repetiere ich das kyrillische Alphabet, welche ich einst im Mongolisch Unterricht gelernt habe. Wenn die Wörter plötzlich einen Sinn ergeben ist das nämlich ziemlich cool. In einer Tanke, wo wir einen Kaffee trinken (ich kann auf der Kaffeemaschine sogar Cappuccino entziffern), buchstabieren wir uns durch die Speisekarte. Hamburger, Frankfurter-Würste und Kapusta, was sich später als mit Sauerkraut gefüllte Teigtaschen herausstellt. Die Frau hinter der Theke heisst Tatjana, sagt ihr Namensschild und die Schokolade vor der Kasse hat Zitronen-Geschmack. So müssen sich Kinder fühlen, wenn sie lesen lernen! Ein unglaublich gutes Gefühl. Die erste Panne Heute morgen dann musste ich „Autoservice“ entziffern, weil in aller Herrgottsfrühe der Keilriemen riss. Den, den wir vor unserer Abfahrt vor einer Woche gerade noch ersetzt haben. Eigentlich sollte er 200’000 km halten. Bei Foxy hielt er vielleicht knapp 3000. Zum Glück fanden wir nach nur 20 Minuten Fahrt ein Autoersatzteile-Markt. Zu unserem Erstaunen öffnete der Laden sogar eine halbe Stunde vor der angeschriebenen Öffnungszeit und hatte noch genau einen für uns passenden Keilriemen. Dylan, von der grossen Auswahl erfreut, kaufte weitere Teile, die vielleicht irgendwann mal ganz praktisch sind. Nur den Duftbaum mit Putins Porträt lassen wir im Laden hängen. Zuerst wollen wir jetzt mal den Kreml in Echt sehen. Auf nach Moskau! Auf Instagram und Facebook gibt es mehr Bilder und Updates von uns -> @ride2xplore
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#vanlife: Mit dem VWBus bis in die Mongolei
Bald schon holpert unser Bushaus durch die mongolische Steppe. In der ersten Mai Woche geht es los in Richtung Osten. Bis wir 10 Tankfüllungen später in Ulan Bator ankommen.
„Falls du wirklich so aussiehst wie dein Bild im Pass, dann bist du nicht fit genug, um zu reisen,“ sagte mir mal jemand. Es hat schon was. Ich sehe auf dem Bild aus wie eine müde Verbrecherin. Dylan macht sich in seinem Pass, grimmig und mit Kurzhaarschnitt, ganz gut als meinen Kumpan. Bonny und Clyde sozusagen. Die neuen Porträtbilder, die wir vor zwei Wochen mit starrer Mine geschossen haben, um dem russischen Visumsantrag beizulegen, zählen ungefähr zur gleichen Kategorie. Läck Bobi sehen wir unfreundlich aus! Offenbar grimmig genug, um ein russisches Visum zu erhalten. Vier Wochen haben wir Zeit quer durch Russland bis in die Mongolei zu fahren. Denn bis nach Ulan Bator und zurück wollen wir mit unserem Bus Foxy im nächsten halben Jahr rollen.
Die Mongolei als zweite Heimat Nach mehr als 2 Jahren Busleben in Europa wird es Zeit ein halbes Jahr etwas weiter weg zu fahren. Zumal ich in Ulan Bator seit 15 Jahren eine Art zweite Heimat gefunden habe und seither gemeinsam mit Freundinnen das Hilfswerk Bayasgalant, Kinderhilfe Mongolei betreibe. In einer Tagesstätte und drei Kindergärten betreuen wir täglich 175 Kinder, die in schlimmsten Verhältnissen aufwachsen. Bei Bayasgalant finden sie Nahrung, Wissensvermittlung und Geborgenheit. Ein Herzensprojekt und daher freue ich mich sehr endlich einmal über den Landweg in die Mongolei zu reisen und noch mehr darauf Dylan alles zu zeigen.
Mutig? Wir? „Das ist aber mutig!“ sagten unsere Familien, als wir damals von der Idee der Tagesstätte in der Mongolei erzählten. „Du bist mutig, ich könnte das nicht!“ sagen Freundinnen, wenn sie über unser Leben im Bus sinnieren. „Wirklich? Ihr habt aber Mut!“, sagen die Menschen, heute, wenn wir durch Russland, die Mongolei, Kasachstan Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan reisen wollen.
Aber ist es wirklich so mutig? Wir empfinde es überhaupt nicht so. Ich finde es zum Beispiel viel mutiger ein Haus zu kaufen und zu wissen, dass ich danach Jahre an die Rückzahlung des Kredites gebunden wäre, also immer ein gleichgrosses Einkommen bräuchte. Und ja, ich finde es mutiger Kinder zu kriegen und sich so mindestens 18 Jahre in die verantwortungsvolle Rolle der Elternschaft zu begeben. Das war wir tun, hingegen, dass empfinde ich nicht als mutig, sondern als normal. Ich musste mich nie überwinden es zu tun. Es passt, weil es das ist was unser Herz uns sagt. Ich bin davon überzeugt, dass alle Eltern genauso empfinden, wenn es um ihre Kinder geht. Sie fühlen sich nicht mutig Eltern zu sein, sondern folgten dem Entscheid ihres Herzens. Dann nämlich braucht es keinen Mut, sondern lediglich Vertrauen. Oder?
Herzensentscheide Es gibt Menschen, die sagen zu uns: „Ich möchte auch reisen gehen und die Welt sehen. Aber ich habe den Mut dazu nicht aufzubrechen.“ Da stellt sich die Frage: Haben wir den Mut nicht etwas zu tun, weil es sich für uns nicht richtig anfühlt oder trauen wir uns nicht unserem Herz zu folgen? Eine wichtige Frage.
Dylan und ich haben damals vielleicht eine halbe Stunde darüber diskutiert, ob wir künftig im Bus wohnen wollen. Und dann voller Freude die Wohnungskündigung geschrieben. Obwohl dies für beide von uns nie ein langersehnter Traum war, war da plötzlich diese Idee, die uns rein in Gedanken mit einer riesen Vorfreude erfüllte. Genauso fühlte es sich auch mit der Gründung des Kinderhilfsprojekt in der Mongolei an. Wir sassen damals zu viert in der Weite der mongolischen Steppe und diskutierten über die Möglichkeiten den Strassenkindern zu helfen. „Mir ist es aber ernst!“ sagte Christine meine Freundin, die die Idee zum Projekt hatte. „Uns auch!“ antworteten wir anderen, damals alle zwischen 20 und 24 Jahre jung, obwohl wir uns zuvor nie ausgemalt hatten, jemals ein Hilfsprojekt aufzubauen. Es fühlte sich einfach absolut richtig an. Damals wie heute. Entscheide mit dem Herzt anstatt nur mit dem Kopf zu treffen, fühlen sich einfach gut an. So auch unsere aktuellsten Reisepläne in Richtung (wilden) Osten.
Die Reise kann hier aber auch auf Instagram und Facebook verfolgt werden: @ride2xploreMehr über das Hilfsprojekt gibt es auf www.bayasgalant.org
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#vanlife im Winter: Wir fahren an die Sonne und reisen zu den Menschen
Menschen sind es, die Martina Zürcher und ihren Mann Dylan Wickrama beim Reisen am meisten interessieren. Sie sammeln daher lieber Geschichten, als Souvenirs. So auch in Sri Lanka, wo sie gerade eine Motorradreise leiteten und sich so den Bus-Winter verkürzten.
Der Mann liegt auf einem Spitalbett in einem grossen, hallenähnlichen Zimmer im Generalspital von Colombo, Sri Lanka. Er lächelt matt als Dylan an sein Bett tritt. Mit Vorhängen und halbhohen Trennwänden sind die vielleicht 100 Betten voneinander getrennt. Fast jeder der Patienten hat Besuch, dementsprechend laut ist es. Dylan stellt sich dem Mann vor, den er bis anhin nur vom Hörensagen kannte, dessen Schicksal sich in der Zeit, als wir Sri Lanka gemeinsam mit einer Motorradreisegruppe besuchten, tragisch veränderte. Ein paar Tage zuvor hatte unser Mechaniker Imthias, der mit unserer Reisegruppe unterwegs war, erzählt, dass sein Arbeitskollege bei einem Unfall sein rechtes Bein verloren hätte. „Unterhalb des Knies mussten sie das Bein amputieren. Er war auf dem Töff unterwegs als er von einem Auto überfahren wurde. Er weine nur noch, sagen sie,“ hatte er damals schockiert berichtet.
Keine Arbeit, kein Geld Beim Besuch erfahren wir, dass nebst der Amputation auch der Oberschenkel und die Hüfte gebrochen sind. Er muss unsägliche Schmerzen haben, obendrauf Existenzängste. Denn er arbeitete als freischaffender Motorradmechaniker; wenn es Reisende wie uns zu belgeiten gab, hatte er Arbeit, sonst nicht. Ob er nach der Genesung seinen Job immer noch ausüben kann, weiss niemand. Er hat Frau und Kind und ab sofort kein Einkommen mehr. Die Versicherung des Unfallverursachers wird vielleicht bezahlen. Sehr wahrscheinlich auch nicht. Eine eigene Krankenversicherung hat der junge Mann, so wie die meisten Sri-Lanker, nicht.
Sich selbst überlassen Der Spitalaufenthalt wäre in Sri Lanka eigentlich gratis. In Realität heisst dies aber: Wer den Ärzten nichts bezahlt, wird mehr oder weniger am Leben erhalten. Wer bezahlt, wird etwas besser behandelt. Psychologische Betreuung oder einfach nur eine Physiotherapie, gibt es aber so oder so nicht. Und sobald es dir gut genug geht, wirst du aus dem Spital ent- und deinem Schicksal überlassen. Auch wenn du zuerst noch lernen musst ohne deinen rechten Fuss zu leben.
Wie die Einheimischen Einen Tag bevor wir vom Unfall erfuhren, hatten wir gemeinsam mit der Reisegruppe entschieden Etwas zurück zu geben. Wir selbst hatten eine wunderschöne Reise erlebt ohne dabei viel Geld auszugeben, da wir meist abseits der touristischen Routen unterwegs waren und die Gruppe, genauso wie wir, Spass daran hatte immer in den kleinsten Restaurants einen Stopp einzulegen und wie die Einheimischen täglich zweimal Reis und Curry zu essen. Wir besuchten eine Teefabrik da, wo sonst keine Touristen vorbeikommen und einen Tempel im Dschungel, der erst kürzlich wiederentdeckt wurden, anstatt in der Lipton Teemanufaktur oder beim Unesco Weltkulturerbe Sigiria vorbeizuschauen. Dort wird von Ausländern für lokale Verhältnisse die astronomische Summe von 35 Dollar verlangt. Für Dylan, der als Einheimischer die Gruppe über die Insel geführt hatte, ein Grund vorzuschlagen, das Geld stattdessen für einen guten Zweck auszugeben. Denn es geht uns nicht darum möglichst billig zu reisen. Nein, es ist durchaus sinnvoll als Reisender in einem Entwicklungsland nicht die günstigsten Varianten zu wählen, aber man sollte sich bewusst sein, ob man das Geld der Regierung, einer internationalen Hotelkette oder doch lieber einem Familienbetrieb zukommen lässt. Als wir dann vom Schicksal des Motorradmechanikers hörten, war der Fall für alle klar, hatten wir doch in den Wochen zuvor selbst erlebt, wie unberechenbar der Verkehr hier ist.
Mit dem Herz unterwegs sein Zuerst war die Rede davon Umschulungskosten zu übernehmen, dann von einer Beinprothese. Beim Besuch im Spital merkte Dylan aber, dass es für den Verunfallten vorerst einmal darum geht Zeit zu haben den Schock zu verdauen und die Möglichkeit die Wunden heilen zu lassen, ohne sich zusätzlich um Geld sorgen zu müssen. Der Besuch im Spital am letzten Tag unserer Sri Lanka Reise, war ein Besuch bei einem Mann, der mit 31 Jahren unverschuldet vor einer riesen Herausforderung steht. Dank der Offenherzigkeit unserer Reisegruppe war es möglich ihm zumindest finanziell ein klein wenig zu entlasten. Wir hatten auf dieser Reise so vieles geschenkt bekommen, sei es eine Kokosnuss oder ein frisches Hemd Mitten im Dschungel, eine Segnung durch einen buddhistischen Mönch in einem kleinen Tempel, einen Teller Milchreis an einem tamilischen Fest, unzählige Lächeln überall wo wir ankamen. Jetzt war es an uns etwas zurück zu geben, den Reisen bedeutet für uns mehr als Neues zu entdecken. Reisen heisst sich auf Menschen und deren Geschichten einzulassen und wo man kann auch mal etwas zu verändern.
Im Frühjar 2019 geht es für uns wieder nach Sri Lanka. An zwei Terminen nehmen wir Euch mit. Mehr Infos unter www.ride2xplore.com
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Von guten und schlechten Menschen
Die Reise aus dem Schweizer Winter rein in die tropische Wärme Sri Lankas beginnt nicht ganz so, wie wir es uns vorgestellt haben. Aber dies heisst auch: Es kann nur besser werden!
Aus der Wand hinter mir spricht der Gecko sein leises ftftftftft aus dem Küchenregal. Er sitzt zwischen Kurkuma und Currygewürzen, die säuberlich in alten Konfitürengläser nebeneinander im Regal stehen. Die Tasse mit süssem Tee steht auf dem Küchentisch neben meinem Laptop. Während ich tippe, steht Tante Nandasili hinter den Töpfen, spült den Fisch ab und nimmt ihn aus, bevor sie ihn in Stücke schneidet. Dann geht es den Zwiebeln und Chili an den Kragen. Mit einer Machete schlägt sie gekonnt die Kokosnuss auf. Zack. Zack. Als Nandasili die Gewürze im heissen Kokosfett anbratet, vermischt sich der scharfe Geruch von Nelken, Kurkuma und Kardamon aus ihrer Pfanne, mit dem süsslichen der Bäckerei, die im Nachbarhaus tagein tagaus Leckeres in den Ofen schiebt. Ich fühl mich gerade selbst wie ein Brötchen im Ofen, welches in der Hitze träge vor sich hin schwitzt.
Den Winter verkürzen Erst noch haben wir uns mit Bettsocken und Mütze ins Bett gelegt und uns unter drei Decken wohlig eingekuschelt. Aus Sicherheitsgründen schalten wir unsere Standheizung in der Nacht vor dem Einschlafen jeweils aus. Wir haben uns an die frischen Nächte sehr gut gewohnt und schlafen herrlich. So gut, dass wir neulich, als wir nach einem Vortrag vom Veranstalter zum Übernachten eingeladen waren, beide vor lauter Wärme im Zimmer fast nicht schlafen konnten.
Ist es nicht zu kalt im Winter im Bus? Jein. Natürlich sind die anderen Jahreszeiten angenehmer, wenn wir die Türen offenlassen, wenn wir draussen arbeiten können und so ein viel grösseres Wohnzimmer haben, als wenn es draussen schneit oder regnet. Aber es ist auch total heimelig, wenn der Wind an Foxy rüttelt, die Regentropfen aufs Dach prasseln und die Heizung vor sich hin stampft. Bis zu fünf Grad ist es auch kein Problem draussen vor dem Bus zu duschen. Ehrlich! Wir sagen nie „Brr! Es ist viel zu kalt!“. Wir wähnen uns stattdessen mental in der Sauna und gleich nach der heissen Dusche werfen wir den Bademantel über und hüpfen zurück in die Wärme. Es ist, wie vieles andere auch eine Kopfsache und ein Teil unseres Alltages als Nomaden, für den wir uns bewusst entschieden haben. Warum sich also beklagen? Aber natürlich haben wir es uns auch zur Angewohnheit gemacht, den Winter zur verkürzen. Wir waren im Januar in Spanien. Und sind nun für einen Monat in Sri Lanka, während Foxy unser Bus zu Hause auf uns wartet. Unser mobiler Arbeitsplatz immer dabei. Zumindest wäre es so geplant gewesen.
Wo ist der Rucksack? Wir sassen im Zug, Dylan lass etwas auf dem Handy, ich beantwortete noch ein paar E-Mails. „Nächster Halt Zürich Flughafen,“ schallte es aus dem Lautsprecher und wir machten uns bereit auszusteigen. Als wir draussen auf dem Perron standen, bemerkte ich, dass Dylans Rucksack mit Kamera und Laptop fehlte. „Wo hast du deinen Rucksack?“ Er rannte zurück in den Zug. Der Rucksack war nirgends. Unsere Gedanken rasten hin und her. Nochmals rein in den Zug, dann wieder raus. Scheisse! Er war weg. Einfach so aus der Gepäckablage heruntergenommen und weggetragen, von jemandem, dem er nicht gehört. Als wir überlegten was alles drin ist, wurde uns schwindelig. Immerhin waren die Pässe da. Wir eilten zum Check-in, um unser Gepäck abzugeben, danach zur Polizei, das Telefon am Ohr, Kreditkarten sperren. Wie hatte das passieren können? Dylan war 3.5 Jahre um die Welt gereist, nie in all den Jahren wurde er beraubt oder etwas von ihm geklaut. Und ausgerechnet jetzt, in der Schweiz, da wo es doch so viel sicherer ist, als im „gefährlichen“ Ausland, genau da ist einer so dreist und klaut uns den Rucksack sozusagen vor der Nase weg. Wir hätten es sehen sollen. Wir waren in unmittelbarer Nähe, das Gepäck in unserem Blickfeld.
Auf das Gute hoffen
Jetzt lässt Tante Nandasili in einem Vorort von Colombo, Sri Lanka, den Fisch in die Currysosse gleiten, dann rührt sie weiter. Noch sind wir hier die Gäste, in einer Woche dann selbst die Gastgeber, wenn die Motorradfahrer, mit denen wir drei Wochen Dylans Heimat bereisten werden, ankommen. Während Nandasilis Hand mit der Kelle im Topf kreist, kreisen meine Gedanken zurück zum Diebstahl. Logischerweise gibt es auch Diebe in der Schweiz. Aber ist es nicht generell so, dass wir das Böse viel eher auf der anderen Seite der Grenze erwarten? Letztes Jahr, als wir für den Dreh zu unserem Dokumentarfilm von Panama nach Kolumbien und wieder zurück nach Panama reisten, hörte wir auf beiden Seiten der Grenze die gleichen Sätze: „Passt auf! Denen dort drüben kann man nicht trauen!“ Nach fast jedem Reisevortrag fragt jemand aus dem Publikum: „Ist dir nie was Gefährliches passiert? Nichts gestohlen worden?“ Die Touristen, die bald nach Sri Lanka anreisen, schreiben uns: „Ich will nicht zu viel Bargeld mit mir herumtragen.“ Und ja, sogar mein 12-jähriger Neffe ist schon so konditioniert. „Im Ausland ist es gefährlich. Drum bleibe ich lieber in der Schweiz.“ Ha! Jetzt habe ich vielleicht eine Geschichte, die helfen wird, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Als seine reisefreudige Tante, liegt mir was daran. Irgendwas Positives muss die Geschichte ja haben! Gute oder schlechte Menschen gibt es überall. Unsere Erlebnisse überall auf der Welt zeigen uns immer wieder: Die Guten sind in der Mehrzahl. So hoffen wir erstmal noch auf das Gute, auch in jener Person, die den Rucksack geklaut hat. Wer weiss, vielleicht besinnt sie sich und gibt die Tasche im SBB Fundbüro ab. Als hätte ich laut gedacht, sagt Dylan jetzt zu mir: „Falls wir die Sachen nicht wiedersehen, so hoffe ich der Dieb braucht das Geld wenigstens, um dringende Medikamente zu bezahlen.“ Es ist wie mit dem Duschen im Winter vor dem Bus: Es ist alles eine Kopfsache. Mehr zu uns, das Leben im VW-Bus und die Reisen die wir anbieten gibts auf unserer Homepage oder auf Social Media. www.ride2xplore.com Instagram & Facebook: @ride2xplore
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