Wermutwolf

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Urban Pro
Ort Zürich
Gegründet 2023
Follower 2
Mein erstes Mal - Chartreuse

Mein erstes Mal - Chartreuse

Die erste Liebe, der erste Kuss, der erste … Chartreuse. In dieser Rubrik stellt der Wermutwolf alkoholische Getränke vor, die wir noch nie probiert haben. Haut uns das erste Mal aus den Socken, sind wir gnadenlos enttäuscht oder ist es einfach nur schrecklich?Chartreuse: Das ist Apfelgrün mit einem Hauch von Gelb. Das ist der Duft von 130 Kräutern. Das ist die wechselhafte Geschichte eines französischen Kartäuserordens. Das ist ein Geheimrezept, das nicht mal eine Handvoll Mönche kennen. Das ist die Zutat unzähliger Cocktails.Sogar die Rockband ZZ Top hat dem Chartreuse einen Song gewidmetTrotzdem hatte ich bisher noch nie ein Glas Chartreuse getrunken. Meine erste Begegnung mit Chartreuse verdanke ich dem surrealistischen Regisseur Luis Buñuel. Als ich mir neulich sein Meisterwerk «Dieses obskure Objekt der Begierde» angeschaut habe, erwachte meine Begierde nach Chartreuse.Der Film «Dieses obskure Objekt der Begierde» weckt BegierdenIn einer frühen Szene im Film verlangt der Hauptcharakter Mathieu Faber (grossartig gespielt von Fernando Rey) von einem Bediensteten einen Chartreuse. Der fragt: «Gelben oder Grünen?». Selbstsicher antwortet Faber: «Grünen: Er regt mehr an.» Der Bedienstete bemerkt: «Ausserdem wirkt er leicht aphrodisierend.»Es war um mich geschehen: Ich wollte Chartreuse kennenlernen – seine grün-gelb changierende Farbe bestaunen, den Kräuterduft riechen, ihn in all seinen Facetten schmecken und erleben.Glücklicherweise schaffte ich es noch, eine der begehrten Flaschen grünen Chartreuse zu ergattern. Denn mittlerweile herrscht Knappheit. Die Kartäusermönche haben 2021 beschlossen, die steigende Nachfrage nicht mehr zu befriedigen. In einem Brief schrieben Sie, dass ihr primäres Ziel der Schutz des Klosterlebens sei und sie ihre Zeit der Einsamkeit und dem Gebet widmen möchten. Sie würden weniger produzieren, dafür in besserer Qualität. Wie sympathisch!Sympathisch: Die Kartäusermönche setzen auf Qualität, nicht Quantität. Quelle: everydaydrinking.comDer Kartäuserorden nördlich von Grenoble im französischen Departement Isère erinnert ans gallische Dorf aus «Asterix und Obelix»; er kümmert sich nicht um Modeerscheinungen oder darum, was andere denken oder wollen. Gegründet wurde das Mutterkloster «La Grande Chartreuse» um 1084 nach Christus.Die beeindruckende La Grande Chartreuse in den französischen Alpen. Quelle: wikipedia.com; CC BY 2.5; FlorielDieses musste jedoch einige Jahrhunderte ohne den berühmten Chartreuse-Likör auskommen. Die Rezeptur eines mittelalterlichen Alchemisten gelangte erst 1605 in die Hände der Kartäusermönche im Kloster in Vauvert, einem Vorort von Paris. Diese versuchten vergeblich, das komplexe Elixier herzustellen. Deshalb schickten sie das Rezept ans Stammkloster. Erst 1737 schaffte es der Kloster-Apotheker Jérôme Maubec das «Chartreuse Elixir Vegetal» herzustellen. Es hat 69 Volumenprozent und ist noch heute erhältlich.Das Chartreuse Elixir Vegetal 69 % gibts nur im 1-Deziliter-FläschchenMaubecs Nachfolger Bruder Antoine verfeinerte 1764 die Rezeptur; der berühmte Chartreuse Verte mit 55 Volumenprozent war geboren. Es gibt noch eine dritte Version: den milderen, süsseren Chartreuse Jaune mit 40 Volumenprozent; ausgetüftelt 1838 von Bruder Bruno Jacquet. Noch heute werden alle drei Varianten unter Aufsicht der Mönche hergestellt – aber nicht mehr im Kloster, sondern in der Aiguenoire-Destillerie.Chartreuse verte und Chartreuse jauneWährend all der Jahrhunderte musste der Orden viel Leid erdulden: Das Kloster wurde 1132 von einer Lawine zerstört. Ganze achtmal brannte die «Grosse Kartause» nieder und wurde wieder aufgebaut. Während der Französischen Revolution 1789 mussten die Mönche das Land verlassen und konnten erst 1816 wieder zurückkehren. 1903 dasselbe Spiel: Das Mutterkloster wurde verstaatlicht, die Mönche wurden ausgewiesen. Sie bauten im spanischen Tarragona eine Destillerie und produzierten dort die Chartreuse-Liköre, bis sie 1932 wieder ins Stammkloster zurück durften (in Tarragone wurde Chartreuse noch bis 1989 produziert, aber unter dem Namen Liqueur Peres Chartreux Tarragone). Bis 1935 destillierten sie den Chartreuse im nahegelegenen Fourvoirie. Die Destillerie wurde jedoch durch einen Erdrutsch zerstört. Danach wanderte die Produktion nach Voiron und ab 2018 nach Aiguenoire. Für Sammler interessant: Die Abfüllungen aus der frühen Zeit in Tarragona gehören zu den wertvollsten. Bei dieser turbulenten Geschichte erstaunt es nicht, dass sich die Kartäusermönche auf ihr Klosterleben konzentrieren wollen und wenig auf weltliche Bedürfnisse und Forderungen geben.Was im Chartreuse alles steckt, wissen nur die Klosterbrüder. Insgesamt sollen es 130 Pflanzen, Kräuter und Blüten sein. Diese werden von den Kartäusermönchen zusammengestellt und in der Destillerie in Aiguenoire mazeriert, also in hochprozentigem Weinalkohol eingelegt. Die Kräuterelixiere werden mehrfach destilliert und anschliessend mit Pflanzen gefärbt. Zum Abschluss folgt eine Lagerung in Holzfässern.Die genaue Rezeptur ist nur drei Mönchen bekannt. Zwei davon stellen die Kräutermischungen zusammen und kennen jeweils nur die Hälfte der Formel. Ach ja: Die drei Klosterbrüder haben ein Schweigegelübde abgelegt.Ausser den drei erwähnten Chartreuse-Likören sind übrigens noch zwei weitere Varianten erhältlich, die acht Jahre lang im Fass lagern: der Chartreuse V.E.P. Verte und der Chartreuse V.E.P. Jaune. Zudem gibt es diverse Spezialabfüllungen.Schwierig erreichbar, viele Geheimnisse, eine fast schon sagenhafte Vergangenheit: Das führt zu brennender Begierde. Darum füllte ich meinen ersten grünen Chartreuse mit riesigen Erwartungen ins Glas. Ich hielt mich dabei an Fernando Rey und näherte mich derm Chartreuse in seiner natürlichen Form: pur und ungeschminkt.Die Farbe ist magisch; gelblich-grün schimmernd. In der Nase explodiert der Kräuterduft – würzig, krautig, Minze, Zitrone, Holz. Überwältigend. Ich kann es kaum mehr erwarten: Wie wird der erste Kuss? Leider enttäuschend: Er ist mir zu süss und zu heftig (was den Alkoholgehalt angeht). Mit etwas kaltem Wasser oder Eis könnte ich dem grünen Chartreuse nochmals eine Chance geben und tue es. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Der zweite Kuss wird sanfter, zärtlicher – aber ist mir immer noch viel zu süss. Schade. Mit Chartreuse allein werde ich nicht glücklich. Ich kann ihn nur mit anderen teilen. Ich sehe seine perfekte Rolle als Cocktailzutat. Darum habe ich ihn Dani geschenkt, unserem Spezialisten für Mixgetränke aller Art, der ihn bereits mit Freude und Erfolg ausprobiert hat.