Die neuen Biedermeier

Letztens habe ich im deutschen Heft Focus einen Bericht über die neuen Biedermeier gelesen. Zuerst ergötzte ich mich an die Karikaturen der Biedermeier bei welchen ich viele Leute aus meinem Bekanntenkreis wiedererkenne. Doch als ich beginne zu lesen, packt mich das nackte Grauen. Es heisst die heutige Geltungsgesellschaft stehe unter Druck, sie müsse wie die Wirtschaft immer einen Schritt voraus sein, um zu bestehen. Aber vor wem soll die Gesellschaft bestehen? Haben wir auch so etwas wie einen Examinator Externus wie es zum Beispiel eine KPMG ist? Zugegeben, die Gesellschaft liebt Inszenierungen, die vom Publikum entweder stillschweigend goutiert werden, oder mit tosenden Buuh-Rufen beendet werden. Ich jedoch, dachte von mir keins dieser Schafe zu sein. Und doch schlummert in mir ein kleiner Bünzli. Bünzli und Biedermann sind Geschwister, sei hier so nebenbei bemerkt. Es ist zeitweilig völlig legitim, sich wie solche aufzuführen, die Quintessenz ist die dritte oder vierte oder fünfte Person in uns, die das ganze mit einem nüchternen Auge beobachtet, denkt, hinterfragt. So gesehen, befinde ich mich wieder in einem W-LAN Kafi. Das Notebook hat das Buch abgelöst, mit welchem Singles bewaffnet die Kafis stürmten. Stellen wir mal in den Raum, das jeder und auch wirklich jeder, der mit Laptop im Kafi sitz oder sich einen Kafi-zum-mitnäh bestellt, in erster Linie eine Erwartungshaltung pflegt. Die Leute sollen animiert werden zu denken: "Oooh, die/der ist sicher in den Medien tätig, oder graphisch unterwegs, oder sonst ein kreativer, avantgardistischer Kopf" Der Kafi-zum-mitnäh soll eher das Bild eines sehr gefragten Menschen vermitteln. Und schliesslich, haftet nicht umsonst so ein W-LAN Kleber am Eingang. Als Schäfchen Nr. 8204-374-273.11 hat man dem Motto zu folgen "gehorche, denke nicht, führe aus". Und so nebenbei, äusserst empfehlenswert ist das Kafi Plüsch beim Zwinglihaus für das nähere und gefahrlose Betrachten des Homo Biedermeierus.