"Kann man mittlerweile Homosexualität heilen?"

Letztens war ich bei meinem Freund zu Hause und trank einen Kaffee, zusammen mit seiner Mutter. Ich weiss nicht mehr, wie wir genau auf das Thema gekommen sind, aber plötzlich ging es um irgendeinen Bekannten der Familie, der sich letztens geoutet hat, also allen mitteilte, dass er schwul ist. Immer wenn es bei dieser Familie um solche Themen ging, wusste ich, dass es nichts brachte, gross meine Meinung zu äussern, denn alle waren so konservativ und kamen vom Lande, was sich oft in ihrer Meinung über die Gesellschaft oder auch in der Politik sehr klischeehaft zeigte. Ich selbst kam aus einer sehr sozialen und eher linksorientierten Familie und teilte sehr selten dieselben Meinungen.
Jedenfalls sassen wir also am Küchentisch, tranken Kaffee, redeten über diesen schwulen Bekannten und plötzlich fragte mich die Mutter etwas, das mich fast den Kaffee verschlucken liess: „Weisst du eigentlich, ob es heutzutage nun etwas gibt, was das heilen könnte?“ Ich bin nicht mehr völlig sicher, ob sie es genau mit diesen Worten sagte, aber die Aussage war dieselbe. Ich musste fast lachen, so blöd fand ich die Frage, aber ich sah in ihrem Gesicht, dass sie das völlig ernst meinte. Diese Frau gehörte also tatsächlich auch noch zu den Leuten, die dachten, dass man sich für Homosexualität entschied oder dass es sich dabei um eine Krankheit oder Störung handelte. Ich fragte sie noch, was sie genau damit meinte, und sie antwortete, dass das ja gegen die Natur des Menschen sei, also musste es ja vielleicht mit der Erziehung zu tun haben oder eben mit einer psychischen Störung.
Ich war baff. Aber gleichzeitig wusste ich, einen Menschen davon zu überzeugen, dass man sich für sowas nicht einfach entschied oder dass das sicherlich keine Störung wäre, würde keinen Sinn machen. Ich wäre wahrscheinlich sogar die Einzige in der Wohnung, die meinen Standpunkt vertreten würde, da die ganze Familie genau wie die Mutter dachte. Ausserdem wusste ich, dass wahrscheinlich der grösste Teil der Weltbevölkerung noch so dachte.
Seit diesem Gespräch hatte ich mir sehr viele Gedanken gemacht und machte es dann zu meiner Mission, herauszufinden, ob man nun biologisch erklären könnte, was es mit der Homosexualität auf sich hat. Ich recherchierte lange, bis ich auf mehrere medizinische Artikel stiess, die einen Zellkern mit dem Namen „Nucleus praeopticus medialis“ beschrieben.
Dieser milimeterkleine Zellkern ist bei Männern durchschnittlich doppelt so gross wie bei Frauen. Die Betonung liegt auf durchschnittlich, das heisst, dies ist nicht bei allen so. Der Nervenzellkern ist der einzige Bereich im Gehirn, der Forschern verlässlich verrät, ob ein Gehirn einem Mann oder einer Frau gehört, und das schon sehr früh. Er ist auch verantwortlich für das „typisch männliche“ Verhalten, was man herausgefunden hat, als man bei weiblichen Ratten den Nucleus praeopticus medialis einer männlichen Ratte einsetzte. Beim Menschen gibt es ebenfalls Hinweise darauf, wie bedeutsam der Nervenkern für das Verhalten der Geschlechter ist. Dann nämlich, wenn Männer oder Frauen sich sexuell zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen. Homosexuelle Männer haben schon sehr früh einen deutlich kleineren Zellkern als ihre heterosexuellen Geschlechtsgenossen. Wahrscheinlich denkt man deshalb immer gleich, dass jemand schwul ist, sobald er sich etwas „weiblicher“ verhält.
Nach diesen Recherchen und auch nach ein paar Diskussionen mit Freundinnen über das Thema, habe ich mir eine Meinung über das Thema gebildet, welche ich ziemlich plausibel finde. Erstens möchte ich im vorneherein sagen, dass die Begriffe „weiblich“ und „männlich“ von Menschen gemachte Begriffe sind und nicht Mutter Natur festlegte, dass die jeweiligen Verhaltensweisen wirklich hätten unbedingt dem zugehörigen Geschlecht entsprechen sollen. Wäre es so gewesen, wieso wären dann nicht alle Männer typisch männlich oder alle Frauen typisch weiblich? Ausserdem müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass all diese Theorien über den Sinn des Lebens, zum Beispiel die allbekannte Evolutionstheorie von Darwin, die besagt, unser Sinn wäre es bloss, uns weiter fortzupflanzen und dazu noch, dass immer der Stärkere gewinnt, niemand beweisen kann und wir werden sie auch in Zukunft niemals beweisen können, denn wir können die Natur schlecht fragen. Vielleicht ist ja alles ein Zufall. Denn wenn die Theorie stimmen würde, und wieso hätte die Natur Homosexualität dann überhaupt möglich gemacht? Denn es stimmt, Homosexuelle können sich nicht fortpflanzen. Doch es gibt sie. Und man kann es sogar neurologisch beweisen, dass es nichts mit der Erziehung, der Entscheidung oder dem Umfeld zu tun haben muss, sondern einfach vorausgesetzt ist, schon vor der Geburt. Kann man es „heilen“? Naja wenn man jedem einen anderen Zellkern einpflanzen will, bloss weil man es nicht akzeptieren kann…
Bevor es zu kompliziert wird: Ich glaube eigentlich daran, dass die Natur einfach ein Zufall ist. Ein sehr schöner Zufall. Jede Aktion ist eine Reaktion auf die andere.
Jetzt denkt man vielleicht, okay, dann sind wohl alle Männer mit einem kleineren Zellkern schwul und alle Frauen mit einem grösseren lesbisch. Deshalb sind auch schwule Männer und lesbische Frauen dem anderen Geschlecht ähnlicher im Verhalten. Doch das stimmt nicht. Es gibt schliesslich auch sehr weibliche lesbische Frauen oder sehr männliche schwule Männer. Wie erkläre ich mir das?
Ich denke, dass Menschen immer dazu tendieren, alles zu „labeln“. Deutsch gesagt: abstempeln. Anhand ihrer Herkunft, Nationalität, Religion, ihres Geschlechts, egal was. Man steckt jeden Tag einfach alle in einen Topf. „Die Linken“, „die Albaner“, „die Flüchtlinge“, „die Grünen“, „die Bauern“, und so weiter. Genauso gibt es Schwule, Lesben, Heterosexuelle und Bisexuelle. Aber was ist, wenn wir dank unserem Zellkern einfach das anziehend finden, was uns ergänzt? Damit meine ich, wenn ich eine sehr weibliche Frau wäre, also jemanden will, der mich beschützt, der stark ist, ich gerne die Schwache bin, dann suche ich einen bestimmten Typus.
Stellen wir uns mal vor, es gäbe all diese Vorurteile nicht, auf der ganzen Welt wäre alles akzeptiert und jeder würde sich nehmen, so wie er ist. Könnte ich dann nicht genauso auf eine Frau stehen, die halt einfach eher stark ist, mich beschützt etc.? Manchmal sehe ich lesbische Paare, wobei die eine Frau fast aussieht wie ein Mann und ich mich deshalb frage, wieso die andere auf Frauen steht, wenn sie trotzdem aussehen wie ein Mann. Vielleicht würde sie ja auch auf Männer stehen. Nur hat sie sich eben in eine Frau verliebt, die genau all diese Eigenschaften besitzt, die sie gesucht hat.
Worauf ich hinaus will, ist, dass ich glaube, dass die Menschen nicht entweder homo- oder heterosexuell sind. Man fühlt sich eben zu diesen Menschen gerade hingezogen, die man braucht.
Hätten wir all diese schlechten Meinungen nicht über andere Menschen, könnten wir tun und machen, was wir wollten. Ich meine überlegt mal, wie viele Vorteile es gibt, wenn jemand sich entscheidet, mit einer gleichgeschlechtlichen Person für immer zusammen zu bleiben. Ich benutze bewusst das Wort entscheiden, da man sich für eine Person entscheidet. Man entscheidet sich nicht, Gefühle für sie zu haben, die kommen einfach unterbewusst. Aber man entscheidet sich, mit dieser Person an einem gemeinsamen Leben zu arbeiten. Da nun mal gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder zeugen können, entstehen dadurch liebende Eltern, die Kindern ohne Eltern eine Familie schenken können.
Und ist es nicht jedes Menschen Sinn des Lebens, am Ende einfach glücklich zu sein? Ob mit einer Frau, einem Mann oder alleine? Ob das auch der Sinn der Natur ist, weiss niemand. Aber es muss auch nicht immer alles einen Sinn haben. Vielmehr sollten wir anfangen, uns an den Zufällen des Lebens zu erfreuen, aber auch daran, dass wir trotzdem unser Schicksal selbst in die Hand nehmen können.