Spitzenmedizin my ass

»Haben Sie sich geschnitten?«

Die Frage der Empfangsdame im Triemli-Spital irritiert mich. Nirgends an mir ist Blut zu sehen.

Und so geht es dann weiter.

»Nein, ich habe Schmerzen im Fuss, ich möchte einen Arzt sprechen.«

Ich setze mich in den Warteraum. Eine zweite Dame kommt. Sie fragt, was mir fehle. Ich sage es: »Mein Fuss tut weh, ich kann nicht mehr gehen.« Der andere Mann, der noch da ist, kommt vor mir dran. Er ist in der Dusche ausgerutscht und hat sich am Kopf verletzt.

Eine dritte Dame nimmt meine Angaben auf und schickt mich zurück in den Warteraum. Eine vierte Frau kommt und begleitet mich in das Aufnahmezimmer. Dann holt sie mich wieder ab, führt mich in den Nebenraum, findet keinen freien Platz und weist mir schliesslich den Weg in ein Badezimmer, das mit einer Liege ausgerüstet wurde.

Was mir fehle.

Mein Fuss, sage ich, der tue weh, seit Tagen, es werde immer arger, ich wisse nicht, was los sei, und die Schmerztabletten seien auch keine Hilfe.

Gut, sagt sie, warten Sie hier.

Ich warte.

Eine fünfte Frau kommt. Sie ist Assistenzärztin. Was mir fehle.

Ich erzähle meine Geschichte. Aha, sagt sie. Warten Sie hier, ich bespreche das mit der Oberärztin.

Es passiert lange nichts. Ich schlafe ein. Dann geht die Tür auf, die Assistenzärztin kommt herein und stellt eine Frage, die bereits gestellt worden ist, ich antworte, sie schliesst die Tür, ich schlafe wieder ein.

Die Ärztin kommt zurück. Man müsse röntgen, sagt sie, die Oberärztin habe das entschieden. Es komme jemand. Ich schlafe wieder ein. Ein Pfleger kommt. Er begleitet mich zum Röntgensaal, holt einen Stuhl herbei, stellt ihn vor die Tür, sagt: Es kommt jemand. Ich warte und spiele auf meinem iPhone eine Runde »Tower Madness«.

Dann geht die Schiebetür auf, und die siebte Person, mit der ich heute zu tun habe, bittet mich herein. Der Mann stinkt nach Rauch. Er röntgt meinen Fuss dreimal. Dann sagt er, ich solle dorthin zurück, wo ich hergekommen sei. Doch das Badezimmer ist verschlossen. Ich setze mich auf die Liege, die im Korridor steht.

Die Assistenzärztin kommt wieder. Es sei nichts gebrochen. Wunderbar, sage ich, was ist es dann? Das wisse sie nicht, sagt sie. Was es sein könne, frage ich. Das wisse sie nicht, sagt sie, aber ich solle eine harte Sohle tragen. Man werde mir eine bringen.

Ob ich aber meine Schuhe wieder haben könne, frage ich, die seien da drin, im Bad.

Oh, klar, sagt die Assistenzärztin, Moment.

Eine Schwester wird geholt. Person Nummer acht. Was das Problem sei. Meine Schuhe, sage ich, die seien da drin. Die Schwester klopft. Eine Frau öffnet die Tür. Sie scheint genervt. Die Schwester entschuldigt sich bei ihr, dann bei mir, dann geht sie wieder.

Person Nummer neun kommt, eine nette Dame mit zwei harten Sohlen, eine in Grösse 43,5 und eine Grösse 45. Ich bekomme die grössere. Danke, sage ich, aber meine Schuhe, die seien da drin …

Die Schwester von vorhin wird nochmal geholt. Sie klopft nochmal, die Frau macht wieder auf, im Hintergrund ist ein stark behaarter Mann zu sehen, der sich umständlich in ein Spitalhemd gewandet. Besetzt!, sagt die Frau. Die Tür geht schon wieder zu. Die Schwester ruft: Die Schuhe des Herrn da, die Schuhe! Ich bekomme meine Schuhe wieder. Ich freue mich.

Die Dame mit den harten Sohlen, zwischenzeitlich zurückgekehrt, sagt mir, ich müsse noch auf mein Rezept und »den Brief« warten. Ich warte.

Das Rezept kommt. Ich müsse noch auf den Brief warten, sagt die Frau. Ich warte.

Nach 25 Minuten kommt die Assistenzärztin wieder. Oh, sagt sie, Sie sind noch hier! Ja, sage ich, ich müsse auf den Brief warten. Jaja, den haben sie jetzt gerade in die Post legen wollen!

Ich bekomme den Brief. Und den Ratschlag, ich möge doch bald meinen Hausarzt aufsuchen.

Der diagnostiziert drei Tage später die Gicht.

Der Bluttest widerlegt das allerdings.

Mein Körpertherapeut ist es schliesslich, der sagt: Mittelfussknochen herausgesprungen. Machen wir wieder rein. Er nimmt den Fuss, würgt ihn hin und her, ich erleide höllische Schmerzen, der Therapeut sagt, das sei nur die Knochenhaut, der Knochen selbst sei jetzt wieder drin. Ich krieche stöhnend von der Massageliege herunter, und siehe da, ich kann wieder gehen.

Ich freue mich.

Beim nächsten Mal gehe ich gleich zu ihm. Selbst wenn ich mich geschnitten haben sollte.