Kommentare

ich bin ja sehr für toleranz. was aber tun, wenn höchst intolerante kreise am lautesten toleranz für sich fordern, die sie anderen gegenüber nicht zeigen? die christen und anderen monotheisten haben bis heute nicht gerade geglänzt durch toleranz. lessing zeigt das in seinem nathan sehr deutlich. unter dem "mantel" der "seid nett zueinander"-philosophie übt er eine sehr scharfe kritik, insbesondere am christentum und am antisemitismus. unübertroffen noch immer das zitat darin "nicht kinder bloss speist man mit märchen ab".

...du nennst lessing: in seinem "natan der weise" bringt lessing doch eine ganz gute version von versöhnung zwischen den religionen zustande... warum nich so?
grundsätzlich finde ich es gut, mit offenen augen durch die welt zu laufen und offen gegenüber fremdartigen zu sein. ehrliche toleranz. und da ist es doch dann wirklich wurscht, ob man nun christ, atheist, mono- oder polytheist oder vodooanhänger ist... ich mag einen menschen doch nicht wegen seiner religionszugehörigkeit, sondern wegen des menschen selbst.
ausserdem: der mensch macht die religion - nicht die religion den menschen. (so ähnlich hat es übrigens auch schon - sorry - jesus (oder zumindest ein evangelist) ausgedrückt)...
und sorry, dass ich heute ausnahmsweise nicht in intellektuellen höhen schwebe, wie das ja tradition bei unseren diskussionen ist...

ich würde das christentum nicht als moralisch höher bewerten als andere religionen. tendenziell eher tiefer, wegen der gewalttätigen geschichte. dass insbesondere monotheistische religionen stark zu gewalt neigen, weil sie alleinige gültigkeit beanspruchen, hat jan assmann, auf den du ja auch hinweist, beschrieben in "monotheismus und die sprache der gewalt" (2006). dennoch denke ich, dass jeder religion auch sehr gute, sprich soziale anteile zugrunde liegen. man versucht einen sinn zu stiften für eine gemeinschaft, indem man identitätsbildende geschichten, mythen, welterklärungen zusammenträgt. damit versucht man ein friedliches, gutes funktionieren der gemeinschaft zu gewährleisten. wenn man das tut und zugleich andere welterklärungen zulässt, dann ist ein friedliches nebeneinander möglich und durch die unterschiede kann man produktiv eine kultur voranbringen. es wäre aber ein irrtum zu meinen, nur religionen würden ein sinnvolles funktionieren der menschen allein und in gruppen ermöglichen. das wird von religiösen gruppen gerne so dargestellt, als ob sie das monopol auf ethik hätten. hier, denke ich, müsst sich der blick schon öffnen und man müsste sich eingestehen, dass die religionen zu einem grossen teil auf den holzweg geführt haben. die guten anteile kann man ja weiterhin pflegen. und man wird vielleicht erkennen, dass dies letztlich einfach menschliche werte sind, nicht primär religiöse. in der tiefenpsychologie hat alfred adler eine relativ versöhnliche position gegenüber der religion, c. g. jung natürlich auch. freud wiederum war ein scharfer kritiker der religion, zeigt in seinem menschenbild, v. a. im text "das unbehagen in der kultur", dafür recht "alttestamentarische" züge. in der literatur bringt es g. e. lessing im "freygeist" (ein kurzes, gut lesbares drama), sehr gut auf den punkt, dass es nicht so schwart-weiss ist. - auch wenn wir damit recht intellektuelle höhen erklimmen, ich finde die fragen spannend.

ach ja, noch was: würdest du die Wurzel des Christentums als eine gute Sache bezeichnen? Ich meine: Der Auftrag zur Nächstenliebe (also jemanden so zu akzeptieren, wie er ist, vorurteilslos, & auf menschen zuzugehen). Die goldene Regel (die man noch heute kennt unter "was du nicht willst was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu)... wenn man sich darauf besinnt und die Befolgung dieser Punkte als Christ sein definiert, dann sind wir doch eigentlich nicht weit enfernt von den heutigen Forderungen der Linken, oder: Solidarität, solidarische Ökonomie, soziale Gerechtigkeit?
ach ja, und noch was: solltest du nun denken, dass ich sonderlich bibeltreu bin und jemanden missionieren will, bist du auf dem falschen dampfer. ich beschäftige mich nur gerne ausführlich mit den dingen der kultur, in der ich aufgewachsen bin - und dazu gehört nun mal das christentum - mit allen facetten.

vorwärts, ich stimme dir mal wieder in vielen punkten zu. vor allem darin, dass viel schlimmes im namen der religion passiert ist - und nach wie vor passiert (jetzt mal egal, welche religion). und dass der kapitalismus-glaube heute unsere welt regiert, als eine art neue religion mit neuen priestern (siehe manager und bänker nebst politik usw.) auch.
grundsätzlich wäre es für die menschheit wohl tatsächlich besser, sich von ihrem "religionstrieb" zu emanzipieren - aber wie gesagt, das ist ein äusserst schwieriges unterfangen.
zur bibel würde ich dir folgendes empfehlen: mal bücher über die fitkionalität zur bibel lesen (z.B. von Heinz-Günther Schöttler, Jan Assmann (religion und kulturelles gedächtnis)... sonst möchte ich zum Thema Bibel noch sagen: natürlich sind viele Texte frauenfeindlich und auch sexualitätsfeindlich - aber dazu muss man sich auch mit dem Hintergrund der Entstehung dieser Texte befassen, mit der Kultur, in der damalige Autoren lebten (Patriachat!!) usw.
Es gibt zu Augustinus auch ein sehr schönes Buch von Jostein Gaarder: Vita Brevis. sehr empfehlenswert.
Aber Nicht-Religiös zu sein, bedeutet nicht gleichzeitig, frauenfreundlich und sexualfreundlich zu sein (siehe Nietzsche!!).
Ich spreche übrigens vor allem vom griechischen Urhristentum, das tatsächlich eine art urkommunistisch, demokratisch und gleichberechtigt war - nach vorbild der Jünger/-innenschaft um Jesus. Genauer Auskunft darüber könnte dir sicherlich auch H.G. Schöttler geben... - ich selbst bin leider kein Homeletiker oder Exeget und rette mich einfach mit meiner Allgemeinbildung in diesem Bereich.
Deine genannten Autoren kenne ich leider nicht - noch nicht! Klingt aber spannend.
Gruss

zum ersten einmal besten dank für deine ausführlichen zeilen. enttäuschungen mag ich, wenn sie denn stich- und nachhaltig sind. du scheinst dich in der kirchen- und religionsgeschichte recht gut auszukennen. und ich entnehme deinen ausführungen, dass du mir grundsätzlich darin recht gibst, dass die christliche praxis der letzten jahrhunderte sprich die kirche nicht sehr sexual- und menschenfreundlich war. sehe ich das richtig, dass wir uns da einig sind? - die diskussion, ob nebst der heutigen kirche das urchristentum etwas besseres war oder ob die kirchliche praxis schlecht, die bibel aber gut sei, das sind durchaus spannende fragen. ich wäre aber auch hier etwas vorsichtiger und möchte nicht vorschnell die absolution erteilen. ;z ich weiss z. b. dass man auch nicht einfach dem mittelalter die schuld geben kann, obwohl zu dieser zeit das christentum und die gesellschaftliche disziplinierung sich allmählich flächendeckend durchzusetzen begann. offenbar ist das christentum nicht immun dagegen, von der macht - je nach standpunkt - ge- oder missbraucht zu werden und eine erfolgreiche allianz einzugehen. mit den urchristen ist es so eine sache. es gab damals eben eine ganze menge verschiedener endzeitsekten. eine davon entwickelte sich zu den späteren christen. später haben sie sich in der rolle der ewig verfolgten gerechten gefallen, während sie bereits früh mit den mächtigen angebändelt haben und ihrerseits nicht gerade durch toleranz aufgefallen waren. vielleicht hast du da genauere informationen, aber nach meiner einschätzung weiss man nicht soviel genaues, was dazu führen kann, dass man ein ideal auf diese frühe zeit projiziert. aber es kann durchaus auch sein, dass es damals eine art urkommunismus gab mit einer relativ hochstehenden gelebten ethik. ich habe dazu kein detailierteres wissen. zur beliebten auffassung, dass die bibel gut, die kirche aber schlecht sei, kann ich nur folgendes bemerken: die geschichte mit der erbsünde und der vertreibung aus dem paradies nach dem genuss vom baum der erkenntnis hat einen ganz klar abwertenden zug gegenüber der frau und der sexualität. genauer hat sich damit franz buggle auseinandergesetzt in seiner untersuchung "denn sie wissen nicht, was sie glauben". zur sexualfeindlichkeit der kirche UND des christentums verweise ich auf karlheinz deschner: das kreuz mit der kirche. - aber auch wenn ich es dringend nötig finde, die dunklen stellen ganz genau auszuleuchten, finde ich es richtig, dass man die "guten aspekte" des christentums nicht ausklammert. das hohelied salomos hat mich seinerzeit auch positiv überrascht. es ist aber die ausnahme und nicht die regel. - und allgemein wird uns heute das christentum und die religionen an sich als etwas sinnvolles und gutes gepriesen. das, meine ich, ist eine sehr verzerrte sicht. deshalb ist es nötig, auch die unschönen seiten anzuschauen, und sie nicht zu übergehen. denn sie erklären vieles vom elend und leid in der heutigen welt. bis hin zur neuen religion des kapitalismus. - hierzu übrigens sehr lesenswert: carola meier-seethaler. kennst du die?

vorwärts, ich muss dich enttäuschen. Du kannst leider nicht die Sexualfeindlichkeit in unserer Kultur alleine auf den Einfluss der Relgion des Christentums zurückführen. Ganz im Gegenteil waren weder das Urchristentum noch frühere Strömungen in irgend einer Weise Sexualfeindlich. Wenn du mal genau in der Bibel - falls du eine hast - nachlesen solltest, findest du dort wunderschöne, Sexualitäts verherrlichende Texte (z.B. das Hohelied des König Salomo). Auch Jesus hatte nichts gegen Sex. Petrus war verheiratet. Unter der engsten Schar Jünger und Jüngerinnen befanden sich immer auch viele Frauen. Maria von Magdala, eine Figur des Neuen Testamentes mit zweitelhaftem Ruf, war eine sehr enge Vertraute Jesus. Zudem hat er sich mit sog. "Sünderinnen" unstandesgemäss abgegeben, ihnen zugehört, Hoffnung gegeben usw.
Angefangen mit der ganzen Sexualfeindlichkeit hat es zunächst mit Paulus (siehe Briefe Neues Testament), der allerdings in der römischen Gesellschaft und deren Moralvorstellungen aufgewachen ist. Er hat sich später den Christen angeschlossen und hat die guten christlichen Strömungen mit seinen römischen Wurzeln vermischt. So wollte er sogar durchbringen, dass Frauen - wie in urchristlichen Gemeinden üblich - die Gemeindeleitung nicht mehr übernehmen und keine wichtigen Funktionen mehr innehaben sollten ("die Frau sei des Mannes Untertan). Dagegen hatten sich allerdings die besagten Gemeinden gewehrt und behielten ihre urdemokratische gleichberechtigte Struktur (wie auch die Schar um Jesus funtioniert hat) bei.
Paulus ist in vielem auch gut. Aber leider haben sich seine nicht so schönen Schriften später durchgesetzt, und zwar, als Kaiser Konstantin I. im 4. Jahrhundert das Christentum zur römischen Staatsreligion erhob. Allerdings benutzte er den christlichen Gott als eine Art "Schlachthelfergott" - die letzte Durchmischung mit römischen Strukturen und das Ende der guten urchristlichen Strömungen war damit besiegelt. Dass im Christentum von nun an plötzlich keine Frauen mehr etwas zu sagen oder mitzubestimmen hatten, lag an der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur Roms - und nicht am eigentlichen Christentum!
Das ganze hat sich natürlich mit der Durchmischung des römischen Reiches mit den sog. Barbarenvölkern noch weiter verschärft.
Augustinus war es schliesslich, der der Sexualität mit seinen Schriften einen klaren Riegel vorschob. Enorm frauenfeindlich und enorm sexualitätsfeindlich waren einige seine Texte. Und leider haben sich wiederum diese Schriften durchgesetzt. Logisch: sie stärkten das Patriarchat, sie gab der mittlerweile entstandenen Kirche die Macht, über das Leben des einzelnen bis ins Ehebett hinein zu bestimmen... usw.
Insgesamt haben heutige gekannte christliche Traditionen, die du so zu verabscheuen scheinst, mit den eigentlichen urchristlichen Strömungen nichts gemeinsam. Die Erhebung zur Staatsreligion und die Vermischung mit römischen Gesetzen, römischer Kultur wie z.B die Errichtung einer hierarchisch-monarchisch gegliederten Kriche, die ein Kirchenfürst (Papst) anführt, mit aller Macht und Durchsetzungskraft, die Umwandlung des christlich-demokratischen Urgedankens zu einer Schlachtgottreligion (Kreuzzüge)... all das entstand in der Vermischung völlig verschiedener Strömungen. Und die negative Sexualmoral, die es heute noch gibt, stammt grösstenteils aus dem Mittelalter, wo die Sexualität als Kontrollorgan, Machtsicherungsorgan, Sicherung des Patriarchats benutzt worden ist. Und weil der grösste Teil der Menschen keine Bildung hatte, das glauben musst, was "Gelehrte" verkündeten (hier auch: Fegefeuer, Todsünden, Hölle und Höllenqualen, (die Bilder erinnern oft sehr an den Hades) usw.) konnte sich niemand davon emanzipieren - bis zur Reformation (wo auch wieder nicht alles so glatt lief, wie gedacht. der Wille war immerhin da).
Dass wir bis heute unter den Folgen verquerer Sexualmoral, die hauptsächlich aus dem Mittelalter kommt, leiden, da gebe ich dir recht. Aber nicht, dass allein das Christentum daran Schuld ist. An meinen Ausführungen kannst du sehen, dass das reine (Ur-) Christentum lediglich als Deckmantel für diese ganzen Strukturen benutzt worden ist, um Menschen gefügig zu machen und um die Macht zu stabilisieren. Aber das eigentliche Christentum - auf das wir uns heute ruhig wieder etwas mehr berufen könnten - lies doch mal nach, um was es da eigentlich ging! - hat nur sehr wenig mit dieser selbstentwickelten Machtmaschinerie zu tun.
Und noch ein Gegenbeispiel zur heutigen christilichen Sexualmoral, die du noch immer für grundsätzlich schlecht hältst (ich geb zu, an den Kirchenspitzen trifft das sicherlich zu, aber nicht an der Basis!): Donum Vitae.

janisjoplin, jetzt wo wir den blog für uns haben, kann ich es dir ja sagen… ;/ bestimmt kann man nicht der kirche allein dafür schuld geben. aber die kirche und die religion als ein produkt des menschen aus früherer zeit, ist, insbesondere im fall des christentums, ziemlich sexualfeindlich - ob aus einer bestimmten absicht oder aus gründen der eigendynamik, das können wir einmal offen lassen - aber das christentum wird der menschlichen natur zumindest in dem punkt nicht gerecht. und die verdrängung, abwertung, verschmutzung einer natürlichen sexualität begünstigt nach meiner beobachtung tendenzen des missbrauchs. aber ich gebe dir recht, dass hier noch andere faktoren hineinspielen. nur, und deshalb habe ich die diskussion hier angeworfen, scheint es mir, dass die unguten folgen des christentumn in unserer kultur und gesellschaft bis in die gegenwart nicht wirklich bewusst sind. auch dass sexualität in den medien in sehr vielen fällen nur im zusammenhang mit skandalen behandelt wird, ist meines erachtens ein zeichen dafür, dass wir die christliche moral noch nicht wirklich los sind. - nur um allfälligen missverständnissen vorzubeugen: ich möchte die christliche nicht durch eine islamische moral ersetzen. aber ein bisschen versöhnung mit der natur und dem menschen in uns täte unserer zeit gut. so sehe ich das.

ich meinte damit, dass gewalt und missbrauch in erster linie vom menschen ausgeht, unabhängig seiner religion. dass die religion dann oft als rechtfertigung für dieses handeln benutzt wird (siehe selbstmordattentäter) ist ein anderes thema.
der grösste anteil von kindesmissbrauch findet übrigens in den eigenen familien statt - und nicht in der kirche.

ketzerische frage: gibt es eine religion ausserhalb des menschen?

ich bin einfach ganz fest der überzeugung, dass man diesen schwarzen peter nicht nur katholischen bzw. christlichen einrichtungen zuschieben kann. sicherlich ist da früher viel schief gelaufen. aber zeig mir ein einziges system, egal ob religiös oder staatlich, in dem es noch nie fälle von missbrauch und gewalt gegeben hat. das ganze ist nämlich ein menschliches, und kein religiöses problem.

z.b. kinder aus familien reissen, weil die eltern systemkritiker sind (da sind tausende solcher fälle bekannt), kinder mit drogen und doping in sogenannten sportinternaten vollpumpen, damit sie höchstleistungen bringen (und die meisten dieser kinder waren da unfreiwillig und wussten gar nicht, was sie da schlucken - siehe kristin otto, und eine kugelstoss-olympionikin, die heute als mann leben muss, andere sind an den spätfolgen dieses missbrauchs längst gestorben). und wenn sie die leistung nicht erbracht haben, sie grün und blau zu schlagen (schau doch mal beim zdf im archiv, da gibts bestimmt berichte dazu irgendwo) - in china läuft das übrigens bis heute so. reicht das erst mal?

liebe janisjop... wo du recht hast, hast du recht. im falle von rumänien gewiss. den fall mit der ddr musst du mir aber etwas genauer schildern, wenn ich bitten darf. irgend ein paar stichworte oder wenn's literatur dazu gibt? du meinst ja schon systematische gewalt oder vernachlässigung im grossen stil, ja? danke schon mal.

ups, im letzten satz grad fehlt das wort "wie"!

vorwärts, schon mal überlegt, wieviel missbrauch und gewalt es in staatlichen kinderheimen gegeben hat, und das ganz "ohne" religion? beispiel ddr... oder früheres&heutiges rumänien? (und ich kann dir sagen, ich habe diese kinder kennen gelernt...)
ist das aber vielleicht einfach nicht ganz so salonfähig der mediale aufhänger religion?